The Project Gutenberg eBook of Die irdische Unsterblichkeit, by Werner Jansen
This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.
Title: Die irdische Unsterblichkeit
Author: Werner Jansen
Release Date: December 26, 2020 [eBook #64133]
Language: German
Character set encoding: UTF-8
Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE IRDISCHE UNSTERBLICHKEIT ***

Anmerkungen zur Transkription

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder kursiver Text ist so ausgezeichnet. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so markiert.

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Die irdische Unsterblichkeit


In meinem Verlage
erschien ferner von Werner Jansen

Das Buch Treue, Nibelungenroman / Das Buch Liebe, Gudrunroman / Das Buch Leidenschaft, Amelungenroman / Heinrich der Löwe, Roman / Herr Reineke Fuchs, Prosasatire / Leben, Lieben, Wandern, Roman eines fahrenden Gesellen nach einer alten Handschrift von Emma Schumacher. Die Bücher deines Volkes, Bd. 1: Die Märchen, Bd. 2: Die Volksbücher, Bd. 3: Die Volkssagen

Von Hertha Podlich wurden mit der Hand geschrieben:

Der Heiland / Gottes deutscher Garten / Die frischen Kränze, Bd. 1: Storm-Gedichte, Bd. 2: Mörike-Gedichte, Bd. 3: Eichendorff-Gedichte, Bd. 4: Keller-Gedichte


Die irdische Unsterblichkeit

Roman

von

Werner Jansen

1. bis 75. Tausend

1924

Georg Westermann, Braunschweig


Alle Rechte vorbehalten

Copyright 1924 by Georg Westermann,
Braunschweig

Gedruckt bei Georg Westermann in Braunschweig
Printed in Germany


[5]

Erstes Buch

[7]

Das Leben beginnt nicht, wenn einer die Welt beschreit. Umgekehrt, wenn die Welt auf jemand einbrüllt, dann fängt das Leben an. An dreißig Jahre war ich und erfüllte den Platz, auf dem ich stand, mit Toben und Lärmen, aber von mir und anderen wußte ich nichts. Plötzlich erwachte ich in der Dämmerung, vom Tau wie von Tränen gebadet, in einer wüsten Schlucht nahe der Grenze meines Landes; wachte auf in einer Stille ohnegleichen, denn die Vögel schliefen noch, aber Gottes große Stimme donnerte gleichwohl in meine Ohren. Die Augen brannten mir von ungekanntem Schmerz, ich barg das Gesicht ins nasse Moos, Wams und Hemd riß ich offen und drängte die Brust der Erde auf – die Flammen in meinem Herzen erstickten nicht. Mein Blut war umgewandelt, aus dem Strom wuchsen tausend Tropfen, und jeder Tropfen peinigte mich auf seine besondere Art.

Ausgestoßen, verdammt, verloren hier und dort – qualvoll, langsam wie Todesstunden kamen die[8] Erinnerungen zurückgeglitten: Schlaf, Sturz, ein rasendes Reiten, Blässe und Blut. Trocken lag mir die Zunge im Gaumen, das Haar, von Schweiß und Schmutz verklebt, lähmte mir die Stirn wie eine Eisenklammer.

Das kleine Leben unter mir brachte mich zu mir, aus den verschwollenen Lidern betrachtete ich mit stumpfer Ruhe die schwarzen Käferchen, die ernsthaft und eilig unter meinem Antlitz ungeheure Wege eroberten und ein zielsicheres Wesen hatten, wie Diener eines Staates. Aber das dürftige Spiel hielt meine Kümmernis nicht lange gefangen, wütend griff ich in das Getriebe, aus nackter Lust an fremdem Leid, bis ein halblautes Wort mir den Atem aus der Brust stieß und mich emporschnellte, als bebte die Erde unter mir. Mit jähen Knien wandte ich mich.

»Kain!« erscholl die Luft abermals.

Rote Flammen loderten vor mir, Rauch stieg auf, Augen sprühten auf mich – Hölle, Teufel, Gottes Gericht einen hämmernden Herzschlag lang – dann versank alles bis auf ein Reisigfeuer im morgendlichen Wald, das ein Mönch mit seinem Wanderstabe fachte und versorgte. Das war kein[9] Klosterfriede. Aus gebranntem Gesicht starrte ein ellenlanger Rotbart, die riesigen Schenkel umklammerten den Stumpf, darauf er saß, als bedrängten sie ein Pferd. Er stand auf und war ein Mann von meinen eigenen ungewöhnlichen Maßen; kühl, fragend und wissend zugleich lagen seine Blicke auf mir. Ich herrschte ihn an und fühlte, wie mein Mund stammelte und zagte:

»Wer bist du? Was schaffst du hier?«

Seine Brauen zuckten leise spottend.

»Ihr seht es: ein Diener Gottes. Was ich schaffe? Feuer zünden, Pferde einfangen, der Hoheit einen guten Morgen wünschen.«

»Du kennst mich?« Ich fühlte das Blut aus meinen Lippen weichen. Gleich einem Traumbild sah ich zwischen den Buchenstämmen meinen Braunen friedlich grasen.

Wieder flog jenem der Spott über die Stirn.

»Ich sah die Hoheit vor Jahren am Hofe Heinrichs des Normannen – Ihr wußtet trefflich mit der Lanze umzugehen. Ich selbst, ein Mönch aus Irland, wallfahrte nach dem heiligen Grabe. Wenn die Hoheit einen Zehrpfennig hätte, ich würde für das Seelenheil –«

[10]

Die Stimme versank im Barte; mir schien, als wieherte ein Kobold aus einem Bronnen. Das Heil meiner Seele war verwirkt, kein Bettelmönch, kein Papst konnte mich retten. Verloren hier und dort –

Möglich, daß mir die Worte über die Lippen kamen, möglich, daß der seltsame Mensch in meinem Herzen las. Genug:

»Ihr gebt Euch auf, Hoheit? Tröstet Euch, Gott gibt niemanden auf. Was belastet Euch? Ihr blutet – oder –?«

Meine entsetzten Augen tasteten auf meinem Gewand; Hemd und Rock waren dunkel betropft, meine Rechte braun von totem Blute. Aufschreiend brach ich in die Knie, ich vergaß die Welt um mich und weinte wie ein Kind auf die mütterliche Erde. Die Tränen erlösten mich allmählich, das Leid sank tiefer und verborgener in das Herz. Hier war ein Geweihter des Herrn, er mußte mich anhören, ich brauchte einen Menschen, meinen Greuel mitzutragen. Ich sprang auf und zerrte ihn an der Kutte zu dem verlassenen Baumstumpf.

»Sitz nieder und höre,« sagte ich, »ich will dir beichten, Mönch!«

»Sprecht!« erwiderte er einfach und stieß einen[11] Ast in die Flammen. »Jedoch, Hoheit, zuerst entlastet mein eigenes Gemüt!«

Er zog ein Rehböcklein unterm Laub hervor und warf es vor meine Füße, lachend:

»Jagdfrevel, Hoheit; verzeiht Ihr das?«

Ärgerlich winkte ich ihm Schweigen. Was wog solch ein Raub vor meiner eigenen Tat! Aber: wie jählings strafte ich sonst derlei! Nie mehr würde ich über andere zu Gericht sitzen.

»Mönch, ich habe mein Weib erschlagen.«

Dies sprach ich, dann versagte mir die Kehle, und ich rang nach Luft. Der andere hatte sein Gesicht in der Kutte verborgen und rührte sich nicht.

»Im Zorn,« stammelte ich, mich selbst verachtend.

»So war sie eine Dirne und beschimpfte Euch mit einem leichtfertigen Leben?« fragte der Mönch leise.

Ich schrie:

»Nein! Nein! Blüte der Unschuld, Schönheit, Tugend – ich war ein Narr, ein Schurke!«

»Halt, Herr, verleiht Eurer Schuld nicht so große Worte; das mildert sie nicht. Könnt Ihr, so erzählt, wie es kam.«

Mit seiner tiefen, irgendwie verwandten Stimme[12] zwang er mich zur Ruhe, ich starrte auf das Feuer und sprach betrachtender:

»Von meinem Vater hab ich einen Überschuß an Kraft geerbt; mein leichtsinniges Herz verschwendete das in Sausen, Prassen und Schlimmerem. Keine Dirne war vor mir sicher. Gott und Könige vertrauten meinem Geschlecht ein Herzogtum – ich habe Land und Volk an den Abgrund gebracht; sie heißen mich den Teufel und schrecken die Kinder mit meinem Namen. Einmal, vor Jahresfrist, glaubte ich an ein besseres Sein, bei meiner Heirat mit Aleit von Montgerrat. Hast du die Herzogin je gesehen?«

Das verhüllte Haupt senkte sich bejahend.

»So brauche ich nichts von ihr zu sagen. Sie war lieblich und rein wie Gottes Engel. Genug, ich nahm nach vier raschen Wochen mein altes Leben wieder auf, in meinen Schlössern hausten die Schlemmer und Dirnen, das Volk mußte zahlen, die Herzogin ward vergessen; denn zu den Gelagen erschien sie nie. Bis auf gestern. Mein eigenes Haus hatte ich wenigstens vor dem Schlimmsten reingehalten; gestern brach ich, von Jagd und Trunk erhitzt, mit Mann und Meute in meine Halle zu[13] Claraforte und besudelte den Boden, den ihr Fuß entsühnt hatte. Höhnische Reden meines Gefolges stachelten mich, die Herzogin an unseren Höllentisch zu holen. Ich trug sie, die lautlos weinte, auf den Armen in den Saal, sie saß, sie sah mit erschreckten Kinderblicken das halbnackte Dirnenpack, loderte, stand auf und wies mit dem Finger gebieterisch zur Tür – da fegte ich sie mit der Hand von ihrem Platz, ihre Stirn schlug an einem Pfeiler auf, sie brach zusammen und starb.«

»Strecke deine Hand aus!« befahl der Mönch, und ich tat es willenlos: das Feuer beleuchtete eine rohe, große, gewalttätige Faust. Der Priester schlug die Kutte zurück und starrte mich haßerfüllt an. Heiser kam es ihm aus dem Munde:

»Mit dieser Klaue hast du den lichten Engel erschlagen« – er griff an seine Brust, als erdrücke er ein zorniges Herz, leiser fuhr er fort: »Mit dieser Hand wirst du Sühne tun, Herzog Robert!«

»Mein Herzogtum liegt hinter mir,« entgegnete ich ihm, »ich stürzte den Tisch und verjagte den Schwarm. Ich sprengte in die Nacht und entfloh meiner Tat; das Weitere weißt du besser als ich. Ich verlasse Land und Volk, mögen sich Frankreich[14] und England darin teilen, da niemand meines Blutes lebt. Ich will büßen; du wanderst zum heiligen Grab – nimm mich mit! Es ist mir weniger um das Gebet zu tun, aber die Heiden haben einen neuen Sultan, der Jerusalem bedroht. Vielleicht erlaubt mir Gott die Sühne in der Schlacht.«

»Das nennst du Sühne?« fragte der Mönch zwischen den Zähnen. Es arbeitete in der gewaltigen Brust, plötzlich sprang er auf und trat groß und mächtig vor mich hin. Er glich Zug um Zug einem Antlitz, das ich kannte; nur schien sein Gesicht älter und trauriger als das meiner Erinnerung, das war immer voll wilder Fröhlichkeit und Jugend, trotz grauer Locken; und dieses Haupt vor mir war blond wie ich. Jäh überfiel es mich: diese Augen waren die meines Vaters.

Er las mir die Gedanken von der Stirn, sein Mund verzog sich zu dem Hauch eines Lächelns; stumm nickte er mir zu.

»Du läufst davon, Robert, aus Angst vor dir selber, vielleicht auch vor den Montgerrats und ihren königlichen Verwandten; du läufst davon, Herzog, und vergißt die Pflicht gegen dein Geschlecht. Die Rechte, die du von deinen Ahnen erbtest,[15] hast du vergeudend genutzt, die Pflichten trittst du in den Staub.«

»Hast recht, Mönch,« sagte ich ruhig, »aber ich bin nicht wert, fürder ein Volk zu führen; ich kann nicht einmal mir selbst befehlen, wie sollte ichs anderen! Unser Blut ist eben müd und mürb geworden, die Wählinger sind reif zum Untergang –«

»Narr!« schrie der Mönch und schlug mir die Hand auf die Achsel. »Fahr zur Hölle, wenn du müde bist! Mein Wählingerblut ist nicht verfault, und hältst du das Land nicht, Feigling so krieche in meine Kutte, indes ich dein besudeltes Seidenwams zu Ehren bringe.«

Ich erstaunte kaum über diese Reden, zu tief saß der Verzicht auf das Irdische in meiner Seele. Gleichmütig versetzte ich:

»Du willst ein Wählinger sein? Laß hören!«

»Ich zeig es dir besser, Bruder Robert,« stieß jener hervor, und die schweren Schultern schütterten vor Erregung, »warte ein Weilchen! Dein Vater hat mich wie dich gezeugt; dich in Claraforte im Bett einer Königstochter, mich in einer Sommernacht dieser Wälder mit einem Kind unseres Volkes. Du hast den Thron geerbt, ich das Elend, aber[16] wir sind gleichen Blutes. Verziehe hier, Robert, ich bitte dich, nur einen kurzen Augenblick, nur eine kleine Messe lang!«

Er drückte mir die Hand, daß sie schmerzte, griff sein Bündel und lief davon. Mit schlagendem Herzen blieb ich zurück, gerührt von der heißen Leidenschaft, mit der er bat, und nun doch aus meiner Betäubung aufgescheucht und von Geheimnissen geweckt.

Wählinger Blut! Der Vater, die Ahnen, ich selbst – ach, wie hatten wir das Blut der Herzöge ins Volk getragen! Und doch war jener fremde – Bruder das erste jener Geschöpfe, das ich bewußt erblickte. Mir grauste bei dem Gedanken, ohne Wissen vielleicht eine Schwester, eine Tochter meines Vaters, je in den Armen gehalten, eine alte Schuld zum Verbrechen gesteigert zu haben – mir graute vor dem Wählingerlande – fort, nur fort von dem doppelt geschändeten, doppelt verdammten Boden, hin in eine Ferne ohnegleichen, wo niemand von mir und meiner Schmach wußte!

»Robert!« klang es leise; der Mönch war lautlos hinter mich getreten, ich wandte den Kopf und starrte ihn offenen Mundes an: da stand ich selber, wie kein Spiegel mich besser schildern konnte,[17] bleichen Gesichts, aber Zug um Zug ich selbst. Der wilde Bart war verschwunden, das Haar gebändigt, die Mienen innerlicher, edler. Ich stotterte verwirrt, beschämt, mit unklarem Dankgefühl gegen das Geschick:

»Bruder, wie nennst du dich?«

Ein Leuchten glitt über seine lauteren Augen, als ich mich so neben ihn stellte; er zog mich zu sich auf den Boden.

»Ronald heiße ich, Blut von deinem Blut. Robert, mir brennt das Wählinger Geschlecht im Herzen, du darfst das Land nicht verlassen, mich hat Gott in deinen Weg geführt,« flüsterte er; sein heißer Atem streifte sengend meine Stirn.

»Was ist Geschlecht?« murmelte ich haltlos, von einem verlorenen Gedanken fortgetrieben.

Und er, fast zornig:

»Steh einmal draußen, und du wirst es wissen! Sage, Robert, sage zum letztenmal, bist du wahrhaft willens, außer Landes zu gehen?«

»Was fragst du noch? Ich lasse nichts zurück.« Ich seufzte bitter auf, mit den Füßen stieß ich in das sterbende Feuer, daß die Funken flogen.

Rötliche Morgenlichter spielten durch die Stämme,[18] der Wald begann zu leben. Ein Wind lief schmal und kühl vor der Sonne her, die jungen Blätter rauschten.

»Höre zu, Robert« – seine fiebernde Hand krampfte sich über meine Linke – »gib mir dein Land! Es bleibt dann beim Wählinger Blute.«

Dies machte mich lachen.

»Ronald, wer sollte dich, den Bastard, anerkennen? Du treibst Scherz, Bruder. Schlüpf aus deiner Kutte und fahr mit mir in die Fremde. Sieh, wir haben Fäuste und Arme wie Eisen, mit dem Schwert in den Händen werden wir treffliche Streiter Gottes. Quäle dich nicht mit Unmöglichem; denk, ich verzichte trotz des gewohnten Genusses, du aber hast nichts zu vergessen, weil du nie besessen hast.«

Ronald geriet in wachsende Erregung.

»Ich nicht besessen? Ist das Besitz, das bißchen Hof und Haus, das bißchen Volk und Fron? Hier sitzt mein Erbe, hier im Herzen, das Wählinger Blut! Das Blut, Robert, das herrschen will, um dienen zu können.«

So unwirklich erschien mir das Ziel, darauf er lossteuerte, daß ich nichts Ernsthaftes erwidern konnte, ohne ihn zu verletzen. Ich verschanzte meine[19] Verlegenheit hinter leeren Worten, obzwar ich von fern fühlte, dieser Mensch war rechtlos vor den Menschen, aber nicht vor Gott.

»Diene,« scherzte ich oberflächlich, »und eines Tags sitzt du im Purpur des Kardinals, ja unter der Tiara, und das ist ein weiteres Feld für deine Herrschersorgen –«

Er fuhr mit dem gestreckten Arm durch meine Worte, in seinen Mienen kämpften Verachtung und Zorn. Ich bewunderte ihn mit einem inwendigen Lächeln, indem ich mich dabei ertappte, mein eigenes Bild zu bestaunen – ach, mein eigen Bild ohne die Spuren des wüsten Lebens, ohne die Gedunsenheit des Weins, ohne die Gier der Laster. Jedoch nicht einmal zu einem herzhaften Neid schwang sich meine ermattete Seele auf.

Er grollte:

»Fürst dieser Kirche? Nein! – Ich will ein Volk, keine Völker! Diese Erde will ich, nicht den Himmel. Nur was diese Hände halten können, mehr begehr ich nicht, nur die Heimat, nur das Land meiner Ahnen –«

Betreten, voller Scham, senkte ich die Lider. Für einen flüchtigen Augenblick wogte auch in meinem[20] Herzen das Blut meines Stammes, das in jenen Adern so stark und feurig rann; dann zerstob die Begeisterung wie Schaum. Wäre ich je in meinem Verzicht wankend geworden, diese Begegnung hätte mich gestützt, denn ich fühlte, Land und Volk verloren nichts an mir, ich war ein Rohr im Wind. Säße jener an meiner Statt – bestürzt schaute ich auf und begegnete seinen Augen, die wie Falken auf meine Seele stießen und kein Geheimnis kannten.

Ein Spiel Gottes, ja, ein Spiel Gottes, und das Unmögliche ward Tat. Wortlos riß ich die Kleider von meinem Leibe, alles, Schuhe und Hemd; warfs ihm vor die Füße:

»Da liegt dein Herzogtum, wenn du Mut hast, Brüderchen!«

Eine unbändige Lust ergriff mich nackten Mann plötzlich, eine Erlösung aus Nacht und Tod. Ich weitete die Arme und riß ihn, der ohne Regung schien, an meine Brust und küßte ihn.

»Bruder, wags! Keiner wird dessen gewahr, dafür bürg ich; Gott selbst, am Auferstehungstag, wird seine Mühe haben.«

Langsam lösten sich seine starren Züge, er leuchtete beschenkt, beglückt und erwiderte scheu und flüchtig[21] meinen Kuß. Aber seine Freude schien nicht sonder Kummer, seine Selbstsicherheit schwankte angesichts der Entscheidung, die Schultern beugten sich unter unsichtbaren Lasten. Er entledigte sich des wenigen Tuches, zog das grobe Leinenhemd über den Kopf und knüpfte eine Münze vom Halse. Dann verglich er unsere Leiber aufmerksam; auch mich ergriff eine harmlose Neugier, aber ich entdeckte keinerlei Verschiedenheit; nur daß er ein wenig kleiner schien, doch mein Körper hatte sich im Schlaf gestreckt, indes er wachte. Er deutete fragend auf ein braunes dreigespaltenes Mal unter meinem Herzen.

»Ein Zeichen unseres Geschlechts,« sagte ich gedankenlos; er senkte die Lider und errötete unruhig und gequält. Ich begriff ihn nicht sogleich, dann lachte ich auf und erklärte:

»Von den Trebilons, von der Mutterseite hab ichs – der Vater konnte dir das nicht auch noch mit auf den Weg geben. Des achtet keiner.«

Er schüttelte nachdenklich den Kopf und fuhr in meine Kleider, indes ich zwischen Befriedigung und Schmerz mich einklosterte, und als er in dem schmucken Wams dastand, waren ihm Unruhe und Schwere verflogen, seine Augen schauten fest und[22] sicher, um seine Lippen spielte ein siegbewußtes Lächeln.

»Namenloses Brüderchen,« hob er an, »von heut ab in Ewigkeit heißt du Ronald vom Kloster des Heiligen –«

»Bruder,« unterbrach ich ihn, »du glaubst doch nicht, daß ich in dieser Kutte dauernd bleibe?«

»Warum nicht? – Komm her, hilf mir das Böcklein braten, wir haben uns viel zu erzählen.«

Ich fachte das Feuer wieder an, er weidete mit geübten Schnitten das Wild aus, spießte den Rücken an seinen Stab, und wir drehten ihn über den Flammen, darob der Himmel licht und blau den hellen Morgen kündete. Die eintönige Beschäftigung tat unseren verwirrten Herzen wohl, die Fülle der letzten Stunden war reicher als all unser verflossenes Leben gewesen; wir schwiegen und ließen den tollen Wirbel in uns ermatten. Mählich forderte der Leib sein Recht, wir waren hungrig und durstig. Der Bastardherzog wies mir eine Quelle und gab mir auf, in seinem Becher Wasser zu holen. Leicht wie eine Bitte kam ihm der Befehl von den Lippen, der mich doch inwendig traf und gegen den, selbst wenn ich gewollt hätte, kein Wehren war.

[23]

Erst an dem Wässerlein ward mir die Bedeutung seiner hochgezogenen Brauen klar, denn da lagen Seifennapf, Schermesser und wüste blonde Barthaare – das abgetrennte Klosterleben für ihn, wie ich meinte; für mich der Abschied aus Rang und Heimat. Nun ergriff es mich doch einen Herzschlag lang, ich zitterte, das Meinige zu verlieren, obzwar ich es bereits verloren hatte.

Der kühle Erdsegen brachte mich rasch zur Besinnung, ich schöpfte und trank ohne Maß, denn ich glaubte dies die letzte Quelle, daraus die Heimat mich fürder laben könnte. Endlich ward ich ruhig und brachte den randgefüllten Becher, ohne einen Tropfen zu vergießen.

Der neue Herzog griff in meine Kutte, zog ein Säcklein mit Salz hervor und würzte den Braten; wir aßen, und ich mußte ihm während des Mahles im großen und kleinen berichten, wie ich meine Tage verbracht hatte, wie meine Freunde und Feinde hießen, welcher Art meine Burgen und Gemächer waren, was mir im Leben Wichtiges begegnet – genug, die ganze Äußerlichkeit, Leere und Schalheit meines Daseins mußte ich bis in die geheimsten Dinge vor ihm aufrollen. Mitunter schielte ich wie[24] ein ertappter Bube nach seiner Stirn, aber er nahm das Üble wie das Farblose gelassen hin und prägte es seinem erstaunlichen Gedächtnis ein. Bei manchen Dingen winkte er ab, er wisse es schon, so daß ich des Glaubens wurde, er habe sich mehr um die Vorgänge in meinem Lande gekümmert als ich selbst und alle um mich her.

Das Mahl war längst vergessen, die Sonne hoch am Himmel, er konnte nicht genug hören. Schließlich, da die Nachmittagswinde vor dem Abend flogen und über uns rauschten, sprach er:

»Hör mich ab, Bruder, oder noch besser: laß dir wiederholen. Kein falsches Wort! An diesen Dingen hängt unser Herzogtum.«

Er wiederholte, und ich erstaunte von Satz zu Satz über diese schier unfaßliche Klarheit, mit der er ihm und seinem Leben so fremde Dinge erkannte, ordnete, zusammenfaßte. Er war in mir zu Hause, er war – ich selbst. Ich schauderte, ausgelöscht zu sein und dennoch weiterzuleben, plötzlich als untätiger Beobachter neben mir zu stehen, ohne Verantwortung, ohne Segen, ohne Fluch. Ohne Verantwortung? War dieser falsche Herzog nicht mein Werk? War nicht alles, was er handelte und trieb,[25] meine Tat? Zum erstenmal dämmerte mir etwas wie Rechenschaft, aber ich trug die Bürde fröhlich wie ein Gnadengeschenk, denn dieser zufällige Sproß meines Vaters war besser als ich.

»Noch eins fehlt,« fügte er seiner Rede an, »das Mal der Trebilons.«

Er suchte in der Asche nach einer glimmenden Kohle, blies sie an und drückte sie, ehe ich ihn hindern konnte, ungesäumt auf seine bloße Brust. Eine leichte Blässe zog über sein Gesicht, indes der Geruch verbrannten Fleisches aufstieg; er grub die Kohle sorgfältig in das Moos und schob Hemd und Rock zurecht.

»So, Bruder, nun zu dir!« sagte er fast heiter. »Du brauchst zwar meine Rolle nicht zu spielen, aber du mußt wissen, wie es auf der Landstraße aussieht.«

»Und diese Kutte?« fragte ich verblüfft.

»Behältst du an. Die Kirche hadert mit dem Staat trotz Christi Wort, daß jedermann der Obrigkeit untertan sein solle; sie treibt Schacher mit den Seelen, Handel mit den Ämtern – betrachte dich als von Gott geweiht, falls du Lust hast, im geistlichen Gewande durch die Welt zu traben, aber verzichte[26] auf die segnende Hand irgendeines Bischofs von der frevelhaften Heiligkeit zum Beispiel des Kölners. Kannst ja lesen und schreiben, Brüderchen, kannst gar Lateinisch; mehr brauchts nicht, denn die meisten verstehen das nicht einmal oder nicht mehr. Und fragt dich einer, so gehörst du zu einem sehr entfernten Kloster und hast abenteuerliche Gelübde –«

»Du bist nicht geweiht?« unterbrach ich ihn bestürzt.

Er lachte mir ins Gesicht, meine Verwirrung belustigte ihn.

»Nein, Ehrwürdiger, ich bin von Gottes Gnaden,« lästerte er sonder Reue, »auch hat der heilige Patrik in Irland karge Last von mir gehabt, nur daß er mich, dem früh die Mutter starb, in seinen Klöstern großzog. Die Welt ist mir geläufig bis auf das Morgenland, darin ich nie geweilt. Hofwesen und Fürsten kenne ich besser, als mir lieb ward. Auch Claraforte und die blonde Jugend, die du in Nacht versenktest.«

Seine Stimme ward dunkel, ich ließ den Kopf hängen. Nach einer Weile fuhr er fort:

»Sei ruhig, Bruder, ich bin eher ein Mörder als[27] du. Du hast in Trunkenheit und Zorn ein köstliches Gefäß zerbrochen, ich aber, Robert, ich war bereit, dich selbst mit Vorbedacht zu erwürgen, als ich deine Tat erfuhr.«

Er seufzte tief, seine Hände spielten ruhelos mit dem braunen Schnürlein, das er am Halse getragen hatte. Mitunter ging ein Zucken durch seinen Leib, als trüge er Qualen; ich schob es auf die Brandwunde, darunter er ein Geheimnis erstickt hatte.

»Denn ich habe sie geliebt,« offenbarte er traurig, »und ich liebe sie noch. Wie viele Tage bin ich um Claraforte geschlichen, um einen Schimmer ihres Gewandes zu sehen, indes du jagtest oder – ach, was helfen jetzt noch Klagen! Ich will statt deiner an ihrem Grabe beten.«

»Tu es, Bruder,« sagte ich unter lautem Schluchzen, »auch ich – ich fahre an die Stätte, da unser Herr und Heiland litt. Vielleicht daß uns beiden Erlösung wird. Bruder, welch ein Opfer bringst du! Die Montgerrats werden dich verderben.«

Er straffte seine Glieder, seine Augen blitzten herrisch.

»Nein!« wehrte er hochgemut. »Ich halte mein Land! Hab dessen keine Sorge. Vor Gott und vor[28] den Menschen trage ich deine Tat, als sei es meine eigene; du magst in Frieden fahren.«

»Gott wird mich auch in dieser Kutte erkennen,« entfuhr es mir, »dies wirst du mir nicht abnehmen.«

Aber er, voll von seiner Berufung, sah mich verheißend an und deutete:

»Sind wir nicht eins? Gott wägt das Geschlecht, und nicht den Einzelnen. Wir müssen alle füreinander büßen, wir werden alle füreinander begnadigt. Der Vater, der dich zeugte, die Mutter, die dich trug, sie leiden für dich in der Höllenglut, sie feiern für dich im himmlischen Saal; oder meinst du, Gott zerreiße die Kette des Geschlechts, die er selber geschmiedet, um ein einzelnes Glied zu verfluchen oder zu segnen?«

»Du hast viel darüber gegrübelt,« stammelte ich beschämt.

Er antwortete schlicht:

»Ich stand draußen. Bruder, nun kommt das Grübeln an dich. Kann sein, ich sterbe vor dir, söhnelos, und du mußt noch einmal in diese Kleider, und wärest du am Rande der Welt.«

»Nimmermehr!«

Welche Dinge bewegte dieser seltsame Mensch[29] in seinem Herzen, welche Zukunft durchlief er im Geiste! Betrübt, erbittert dachte ich daran, wie es hätte sein können, wenn er früher meinen Kreis berührt hätte. Nie hatte mich einer so gepackt, ich fühlte, ich war wie ein Blinder durch das Leben getaumelt.

»Du denkst an Heirat,« fragte ich schüchtern.

Er nickte bejahend, in einer Handbewegung deutete er das Selbstverständliche an und setzte erläuternd hinzu:

»Wir dürfen nicht aussterben. Noch sind wir unverbraucht, was wenige Fürstengeschlechter von sich sagen können. Jedoch, Bruder, nun dämmert für uns beide der Abend, laß uns Abschied nehmen.«

Damit sprang er auf und schritt durch die dunkelnden Stämme auf mein Pferd zu, das an die Quelle gelaufen war, zäumte und sattelte es wie ein Marschalk. Darauf zog er die braune Schnur mit der Silbermünze aus der Tasche und hing sie mir um den Hals.

»Möge dir der Talisman Glück bringen, Bruder; es ist alles, was mir die Mutter hinterließ. Nun brauch ichs nimmer, und du bist an meiner Statt. Leb wohl! Dort nach Süden geht dein Weg.[30] Die Rehkeulen sind im Ränzel, ein paar Zehrpfennige auch, und alles andere schenke dir Gott. Fahr in Frieden, Bruder!«

Er umarmte mich rasch, sprang ohne Bügel in den Sattel und verschwand in dem Abend, bevor ich zur Besinnung kam. Ich streckte die Hände aus, noch einmal mein Pferd zu berühren, noch einmal die Wärme des Tieres, das mich liebhatte, an meinem Leibe zu fühlen. Wie trunken schwankte ich auf der Stelle, ohne Willen nahm ich das verschabte Lederränzel auf den Rücken und schritt fürbaß, bis die Felder smaragden dämmernd vor mir lagen. Meine Füße klebten an der Scholle; so stark und ausdauernd ich auch war, ich kam kaum vom Fleck. Endlich hatte ich die Hügel hinter mir, ich war im fremden Lande, die abenteuernde Ferne breitete sich geheimnisvoll verschleiert vor mir aus.

Noch einmal sah ich hinter mich, vom Tale aus. Droben lag ein einsames Grenzgehöft und vor den Häusern ein wundersamer brauner Duft, wie ich ihn nie und nirgends wiederfand. Die Heimat grub sich durch eine seltsame Äußerung in mein verstörtes, wildes Herz; so trug ich sie mit mir ins Elend.


[31]

Südwärts, südwärts, immer stieß mich die Faust Gottes. Fünf, sechs Stunden Schlaf, und weiter! Meine Glieder hingen an unsichtbaren, eisenstarken Seilen der Ewigkeit, ich trieb ohne Willen durch Armut, Not, Hunger und Demütigung. Vor dem Ärgsten schützten mich Kutte und Pilgerhut, doch in die Klöster traute ich mich nicht, trotz der Zeugnisse im Ränzel, trotz des Meßbuches, das ich auswendig wußte. Ich schritt und schritt, ein langer, abgemagerter Mensch mit hohlen Augen und verwildertem Bart, die Füße mit Zellen und Sehnen umhüllt, den Wanderstab mit scharfer Eisenspitze wie eine Lanze auf der Schulter. Das Zutrauen zu mir selbst wuchs nicht, aber das in die Leichtgläubigkeit der Menschen, und so schien ich unverdächtig, wohin ich auch kam. Meine Stimme, des Befehlens entwöhnt, kannte ich kaum noch, sie klang von unten her, rauh und traurig zugleich; aber ich brauchte nie viel zu sagen, meist genügte die wortlos ausgestreckte Hand. Wo die Wälder dicht und dunkel waren, schlich ich dem Wilde nach;[32] das war all meine karge Freude – ich kann sie nicht bereuen.

Mein Herz blutete sehnsüchtig nach Genossen, gleichwohl ging ich allen aus dem Wege, die meine Straße fuhren; nie war ich so einsam gewesen. Die stummen Dinge der Landschaft wurden mir vertraut, sprachen, unterhielten mich; ich war in einer neuen, leidenschaftslosen Welt, die nichts von Schuld und Unschuld wußte. Der Vogel fraß seinen Wurm, die Wildkatze griff den Vogel, verreckte irgendwo im Walde, vermoderte wurmdurchwühlt, grell schossen Honigblüten aus ihrem Leibe – Gottes Kreise, Gottes ewige Gesetze, unbefleckt von grübelnden Menschenhirnen, Menschenangst, Menschenhaß.

Und Menschenliebe. Durch die strömenden Regennächte trug ich das Bild meines Weibes vor mir her, alle Stunden unseres gemeinsamen Erlebens wob ich zu einem Teppich und sorgte, nicht ein Fädchen zu vergessen.

Hoftag zu Reims. Wir standen einander abgekehrt, hatten uns nie gesehen, kaum voneinander gehört. Wir wandten uns um, als ob ein Wille uns beherrschte, sahen – und erstaunten nicht. Die[33] Luft zwischen uns zitterte von Staub und Sonnenschein, uns schien sie süß und kühl und rein, wir durchschritten sie wie auf Flügeln und gaben uns beide Hände. Bis das Gelächter der Herren und Frauen uns auf die Erde riß und ihre Wangen mit Blut überflutete. Nie hatte ich solcher Art ein Weib betrachtet; keine Leidenschaft bebte in mir, meine Augen entkleideten sie nicht schamlos wie die anderen, von ihrer süßen Schönheit sah ich nichts. Ich wußte nur, sie war mein, und ich gehörte ihr. Wir waren eins, Gott hatte sie für mich erschaffen.

Und ich warf sie – Gott, mein Gott! So allgewaltig kann keine Liebe sein, um solches zu verzeihen, auch deine nicht. Nie werde ich erlöst, nie werde ich neben ihr im süßen Himmel wandeln. Grübeln und Grübeln. Vielleicht gestattet mir Gott, sie aus dem Höllenpfuhl von weitem zu betrachten, vielleicht – nach einem Leben voller Buße, Tapferkeit, Demut. Ich rang im Gebet, ich wanderte, wanderte, schlief traumlos wie ein Toter, ermattete meine Manneskraft, die neben allem gierig und wach den Weibern im Felde zuschaute, ward inwendig, was ich außen galt: ein Mönch, ein Pilgrim[34] nach dem Grabe Christi; aber einer mit Dämonen und höllischen Flammen in der Brust.

Erst als ich die Eisgipfel der Alpen sah, ergriff mich Wanderlust, golden winkte die blaue Ferne. Der alte Leichtsinn entführte mich im Sturm in das Sonnenland hinter den Bergen, ich empfand mein Losgebundensein als Freiheit und hatte Augenblicke, da mein Herz jubelte; zwar schnell und hart gedämpft, aber doch tief geheim geduldet und geliebt. Der Hafen – ich wußte nicht einmal, welcher – war ein Markstein meines Weges. Marksteine sind tröstlich, auch die auf unendlichen Pfaden.

In Genua sank mir der Mut. In meiner Heimat, auch am englischen und französischen Hofe, war von Lust und Prunk der Kreuzzüge hin und her geredet worden. Was ich hier erlebte, ließ mich erstarren. Ein schmutziges Lager johlender, bettelnder Männer, Weiber und Kinder zog sich vom Hafen über die Hügel bis weit vor die Stadt – Pilger, Handeltreibende, Gauner, Abenteurer, geschäftig durchrannt von Krämern aller Länder, Juden, Schiffsmaklern, Geistlichen, Heimkehrern – falschen und echten – ein Schwarm von Opfern, Spitzbuben und Nichtstuern.

[35]

Riesige Galeeren lagen im Hafen, faßten anderthalbtausend Menschen in ungeschlachten Bäuchen, verfrachteten die Elenden wie Vieh zu kreischenden Bündeln in das Land Christi, das droben, im Norden, aller Heil schien und aller Sehnsucht war. Sie duldeten alles, diese flachshaarigen Pilger aus Deutschland, Flandern, der Normandie. Sie gruben ihre Heller aus den schlottrigen Beuteln, um im Wüstensande verderben zu dürfen. Ach, sie träumten von einem Paradiese, von blühenden Gärten, von fronloser Zeit. Genua, Venedig, Juden, Templerorden – alle verdienten am heiligen Grabe, am heiligen Kriege. Die Kreuzzüge waren ein riesenhaftes Geschäft geworden, ein Schacher, der mit grausiger Offenheit betrieben wurde.

Unerfahren, beschwerten Gemüts bestaunte ich das bunte Wirrsal. Nach drei Tagen war ich in das Gröbste eingeweiht und um manchen schönen Traum ärmer, an Erfahrung weiser denn die ältesten Leute meines harmlosen Vaterlandes. Pest und Aussatz lagen unter den schmutzigen und unter den gepflegten Häuten, und über all dem der wolkenlose, endlos tiefe Himmel, die lachende Sonne Italiens; ringsum ein Reifen und Blühen, fern der wogende[36] Saphir des herrlichsten Meeres, darauf die Segel wie riesenhafte Möwen schaukelten. Da ich Herzog war – wie lange dünkte mich diese Zeit vorüber! – hatten mich die Nöte meines Volkes nicht gekümmert, sorglos genoß ich und achtete nicht, ob einer darbte. Jetzt brannte mir für die Fremden das verwandelte Herz. Guten Glaubens hatten diese Bauern ihre Scholle verlassen und das Kreuz auf ihren Rock geheftet, ihnen war der Himmel auf Erden versprochen worden. Nun gaben sie ihr letztes Geld für die Überfahrt oder mußten sich zu langen Frondiensten an die verpflichten, welche ihnen einen Platz auf Deck verschafften.

Ich selbst wußte nicht, wie ich mich durchschlagen sollte. Makler aller Stämme bedrängten mich, aber der billigste Platz überstieg meine ärmlichen Pfennige. Zum erstenmal erfuhr ich den Wert einer Mark Silbers und wünschte, einen Griff in meine herzoglichen Truhen tun zu dürfen, doch das war auf immer dahin. Da ich den üblen Bettel hier nicht mitmachen konnte, kaufte ich für den Rest meines Geldes Brot und Speck genug für eine Woche, schlief am Strande und teilte meinen Vorrat sparsam ein. Ich, der ich ehemals mit verschwendender[37] Hand begabte, wer mir in den Weg lief, wies den Hunger von mir, so hohläugig er mich anstarrte, und verhärtete mein Herz, bis es blutete. Tagsüber stand ich an den Schiffsländen und sah den Frachten zu, betäubt von dem bunten Gemisch des Überflusses und des Mangels, zerrissen von dem vielfältigen Schrei der schönen und häßlichen Sehnsüchte um mich her.

Endlich nahm ich, müde des Elends, die Wanderung wieder auf, südwärts immer, gen Amalfi, dazu mir ein friesischer Schiffer geraten. Die Rast in Genua war mir gut angeschlagen, trotz allem, und als ich die Gärten der Stadt hinter mir hatte, begann ich aufs neue zu hoffen. Die übermütige Fruchtbarkeit der Landschaft gab mir ein Gefühl von Schutz und Geborgensein, dies Land war von Segen wahrhaft überflutet und ließ jedem das nackte Leben. Es gab wieder Gastlichkeit, da im menschenleeren Felde keine Bettler traubengleich aneinanderhingen wie in Genua. Ängstlich mied ich die Städte, selbst Neapel ließ ich zu meiner Rechten liegen und klomm über die unwirtlichen Gebirge an das Ziel.

Bei brüllendem Unwetter, triefend vor Nässe, dampfend in der Schwüle erreichte ich Amalfi, das[38] wie ausgestorben dalag, trotz des gefüllten Hafens, denn die Schauer jagten sich, Blitze fegten von den dunklen Bergwänden in das tosende Meer, alles Menschliche verkroch sich in den Häusern. Ich drückte mich in eine Herberge, froh der Leere in den Gassen, aber innen wurde ich gewahr, daß hier das Elend und der Ansturm der Pilger nicht minder groß waren als in Genua. Beim ersten Anzeichen blauenden Himmels schritt ich beklommen ins Freie und tat mich am Hafen um, ob nicht wer einen Ruderknecht brauche, aber alle wiesen mich ab, mit hochgezogenen Brauen und spöttischem Gesicht über mein geistlich Gewand, das zu arbeiten begehrte.

»Geh ins Kloster, Mönch!« bedeutete mich einer im schlechten Französisch der Provence, »was nimmst du den Armen das Brot? Der Prior gibt dir, wessen du bedarfst.«

Der Mann hatte recht, aber ich wagte nicht, seinen Rat zu befolgen, der Mönch Ronald war noch zu jung in der Kutte. Wie in Genua stand ich und starrte auf die Schiffe, auf das Wunder hoffend. Eine lübische Kogge war zum Auslaufen bereit, klein, zierlich, sauber wiegte sie sich ein wenig abseits auf dem blauen Spiegel. Jetzt löste sich ein[39] Boot von ihr ab und ruderte auf mich zu, der ich an der Lände stand. Ein Ritter, sichtbar ein Deutscher, schlicht, jung und bieder, sprang ans Ufer und half seinem Gemahl. Sie schritten dicht an mir vorüber zu den Krämerläden, die bis in die halbe Nacht geöffnet waren, traten bald wieder hervor und lehnten an der Hafenbrüstung, Arm in Arm, über die Wasser nach den emporglimmenden Sternen schauend. Mir berührte es das Herz absonderlich weh, ich dachte jener, die nun die Erde deckte, die ehemals lieb und traut an meiner Schulter lehnte.

Was mochte das Schicksal dieser beiden sein? Warum ließen sie die Heimat? – Sie gaben mir keine Zeit, dem nachzudenken, zögernd wandten sie sich und kehrten zu ihrem Boot zurück.

Ihr Weg führte an mir vorüber. Von weitem sah ich die Frau, hoch, blond, ein schönes, trauriges Gesicht mit großen, seltsamen Augen. Wenige Schritte vor mir schaute sie auf, ihre Blicke trafen mich, und nie sah ich in einem menschlichen Antlitz solch tiefes, wehrloses Sichergeben in ein Schicksal. Sie fuhr mit der Hand an ihr Herz und neigte still den Kopf.

Mir erging es nicht besser. Ich war überzeugt,[40] diese Frau niemals gesehen zu haben, ich dachte nicht eines Herzschlags Länge daran, jene hätte mich als den erkannt, der ich war; und dennoch hörte ich den Flügelschlag der Bestimmung über mir rauschen und harrte unruhig, wenn auch ohne Furcht.

Dem Ritter war die Ursache ihrer Bewegung entgangen, vielleicht glaubte er ihr Gemüt vom Abschied verschattet; er neigte sich zu ihr und sagte leise auf deutsch:

»Mut, Liebling, wir fahren mit Gott.«

Sie hob den Kopf, bleich und leuchtend wie ein Marmorbild stand ihr Antlitz in dem nächtigen Himmel. Unvermutet schwang ihre dunkle Stimme in der Luft:

»Ihr seid ein Pilger? Fahrt Ihr zum Heiligen Lande?«

Mit einem ahnte ich, dies war die Erlösung. Der Ritter sah verwundert zu mir her und lächelte wohlwollend, möglich, daß er sich von meinem Aussehen keine Nebenbuhlerschaft versprach. Er tat wahrlich recht daran: die Tyrrhenische See zeigte mein mondumspültes Bild, als tauche ein Meeresungeheuer aus dem Hafengrund.

»Edle Frau,« erwiderte ich, »Ihr habt recht gesehen,[41] ich bin ein Pilger und walle zum Heiligen Lande. Aber wann das sein wird, weiß Gott allein, denn ich habe kein Geld für die Überfahrt.«

»Ihr seid geistlich – geweihter Priester?«

»Ihr sagt es, edle Frau,« sprach ich gelassenen Mundes, indes mir das Herz schier die Rippen zerschlug. Ich bemerkte, wie sie mit den Augen ihren Gemahl beschwor und eine alte Bitte wiederholte.

Der Ritter nahm das Gespräch auf:

»Ehrwürdiger Vater, Ihr sprecht deutsch wie ein Normanne. Wes Landes seid Ihr?«

»Weiß selber nicht,« wich ich aus, »ich bin Gottes. Das Abendland ist mir geläufig auf deutsch, französisch und sächsisch. Auch Italienisch lernte ich und schreibe und spreche Lateinisch. Nehmt mich mit, Herr, vielleicht kann ich Euch in manchem zu Diensten sein. Lohns begehr ich nicht, aber Fahrt und Pflege müßt Ihr zahlen.«

Mit zitternder Seele spielte ich den Sorglosen, nahm mein leeres Beutelchen aus der Kutte und wendete es um – ach, ein vergessener Pfennig fiel heraus, rollte über die Steine und schoß blinkend in das Wasser.

»Seht, Herr,« sagte ich lachend, »das Scherflein[42] des Armen opfere ich den Meeresgöttern, daß sie uns sanft tun.«

Der Ritter lachte laut und herzlich, ihr Antlitz aber ward von einer noch tieferen Blässe überzogen, und eine Träne hing an der blonden Wimper.

»Wir sind einig,« sagte der Ritter hastig, denn plötzlich gellten von der Kogge drei Pfiffe, »es ist kein Priester an Bord, und mein Gemahl – in den Nachen, Mönch, und auf gen Jerusalem!«

Ein Wellenplätschern, ein Wink von Gottes Braue – ich stand an Deck eines Schiffes, das ruhvoll mit geschwellten Segeln durch die Sternennacht glitt, dem heiligen Ziele zu.


Die Kogge hatte nur Deutsche an Bord, Ansiedler, denen die Heimat, Abenteurer, denen die Welt zu eng schien. In den Kajüten der Ritter, Herr Eberhard von der Wilze, und einige Kaufherren aus dem Norden, die mit kalten, gleichgültigen Gesichtern und hocherhobenen Nasen auf das übrige Volk herabsahen und hinter unbewegten Stirnen Zahlen und Warenballen von einem Ende der Erde an das andere jagten. Heil mir, daß ich[43] nicht als Herzog reiste – die Kogge wäre mein gewesen, erfüllt von bechernden Mannen, und nichts wäre geändert, als daß meine Tafel und meine Laster ihren Schauplatz gewechselt hätten. Jetzt sah ich Wunder, wohin mein Auge traf.

Wollend oder nicht, ich mußte Messe lesen, Beichte hören. Es kam mir nicht zum Bewußtsein, daß ich Gott lästerte, indem ich das selbstgebackene Brot in seinen Leib, den Feuerwein von Ravello in sein Blut wandelte; viel schwerer wog meine Furcht, von den Menschen entdeckt, entlarvt, verworfen zu werden. Aber sie knieten alle andächtig um mich her, keiner ahnte Betrug, jeder ward getröstet am heiligen Wort.

War es Sünde? Einst, du Ewiger, wirst du es mir künden. Einen wußte ich, der gläubig war und voll bitterer Reue genoß, das war mein eigenes sündiges Herz.

Was den edlen Herrn von der Wilze aus seiner niedersächsischen Heimat fortgetrieben hatte, erfuhr ich nicht. Er hatte sich den Deutschherren gelobt und harrte drüben auf Feld und Pflicht. Er stand mitunter bei mir, erzählte von den verwirrten Zeitläuften in Deutschland, dem verbissenen Ehrgeiz[44] Heinrichs des Löwen; und aus all dem leuchtete ein ehrlicher, tapferer Mut, so daß er mir lieb wie ein Bruder wurde.

Wie nebenbei fügte er eines Tags mit gepreßter Stimme hinzu:

»Vater Ronald, ich bitt Euch, habt meines Weibes ein wenig acht; sie hat die Gabe des Fernsehens und quält sich in zweckloser Trauer.«

Er drückte mir hastig die Hand und ließ mich allein, mit streitendem Gemüt. Beim Nachdenken fiel mir bei, wie sich Frau Gertraude mir absichtsvoll entzog und dennoch häufig ihr Auge fragend und fast erschrocken auf mich richtete. Was ich von ihr wußte, war, daß sie bestimmt niemals meinen Weg berührt hatte. Ihre Träume oder Gesichte verbarg sie vor mir, doch das Geheimnis flößte mir eine dunkle Scheu ein, ich konnte sie nicht bezwingen, als ginge ein Teil ihrer Kümmernis mich selber an.

Wir hatten Kreta hinter uns und näherten uns der Küste von Jerusalem, als der Wind mit einmal schwieg und wir mit schlaffen Segeln hilflos in der sommerlichen Schwüle lagen. Es ging der Nacht zu, aber in der Ferne des Himmels hockte[45] ein schwefelgelber Schein, der keiner Dunkelheit weichen wollte und mit seinen gezackten Rändern einem Rachen mit glühenden, drohenden Zähnen glich.

Der Patron der Kogge stand mit verkniffenem Munde am Bugspriet und starrte auf die unheimliche Ebene des Meeres, die, geschmolzenes Blei, an den Planken klebte und einen unerträglichen Modergeruch ausströmte.

»Ihr kennt dies Gewässer, Meister Bornhövt,« versuchte ich ihn leichten Tons, »mich deucht, ein Wetter kommt herauf.«

»Bei allen Teufeln!« schrie der Patron und verzerrte sein Gesicht fürchterlich. Er zitterte am ganzen Leibe vor Aufregung, der Schweiß rann ihm über die rote Stirn. Er zuckte zusammen, sah sich mißtrauisch um und packte mich bei der Kutte. Heiser stieß er aus der Kehle:

»Behaltets für Euch, Vater Ronald: noch drei Vaterunser, und diese guten Bretter stehen mehr als je in Gottes Hand.«

Er schob die Pfeife zwischen die Lippen, sein zerrissenes Gesicht wurde hart vor dem nahenden Kampf, ein schriller Pfiff versammelte seine Leute.

[46]

»Klar Deck!« befahl Meister Bornhövt laut. »Weg mit allem, was nicht niet- und nagelfest ist!«

Aus der Masse, die auf Deck freiere Luft suchte, drangen gequälte Schreie, unwillig stemmten sich die Leute gegen den Befehl.

»Fort mit euch!« brüllte der Patron. »Die Hölle geht los, ihr Narren! Wählt, ihr Esel, ob ihr schwitzen oder versaufen wollt!«

Das Deck ward leer, an den Kajüten standen noch einige Kaufherren und zeichneten auf einer Planke mit Kreide Geschäfte auf; ich stand am Bugspriet und verbarg mich vor den Augen des Schiffsherrn, mehr aus Neubegier zu dem Kommenden, denn aus Abneigung gegen den menschenüberfüllten Raum.

Indessen begann die Luft zum Ersticken heiß zu werden, aus dem fernen Rachen brach plötzlich eine ungeheure Zunge schräg über den schwülen Himmel, ein rasender Sturm hob das glatte Meer und stieß die Kogge wie einen Federball auf schwarzem Riesenturm in die Höhe. Donnernd schoß sie wieder in die Tiefe, stand zitternd auf, hielt, in allen Fugen stöhnend, einen winzigen Augenblick in dem brodelnden Kessel von Gischt und Schaum und flog[47] wie ein Pfeil in die krachende, blitzsprühende Nacht. Der Regen rauschte und flutete, Wogen lärmten über die Borde und übertönten das ohnmächtige Wimmern unter den Luken.

Die Nacht war taghell, ich sah die Mannschaft mit Seilen an die Masten und an das Ruder gebunden, den barhäuptigen Patron wie den Erzengel des Gerichts über das Heck ragen und nach vorn starren. Auf Menschenstärke war bei diesem Wirbel der Wetter kein Verlaß, wehrlos waren wir dem Verderben preisgegeben.

Mit meinen ungewöhnlichen Kräften hatte ich mich an den Borden halten können, ohne ein Seil zu gebrauchen. An Furcht dachte ich nicht, ja, dies Neue schien mir, wenn ich der Menschen an Bord nicht achtete, schön in seinen unvergleichlichen Maßen. Ich fühlte mich hineinverwoben in Schicksale und Schicksal, und alles trieb einem mächtigen, vernichtenden Höhepunkt zu. Mir ist in der Erinnerung, als habe mein Herz gejubelt, und ich glaube, mein Gedächtnis trügt nicht. Noch heute, bei schlohweißem Haar, rumort ein seltsamer Geist in meiner Brust, wenn die Kronen meiner Wälder im Sturmwind brausen und dröhnen, als – ja, als[48] ritten die Götter der Ahnen siegjauchzend durch das donnernde Gewölk.

Stunden um Stunden rannte die Kogge unter der flammenden Peitsche des Gewitters mit ihrem zuckenden Inhalt dahin, es war, als stünde der Himmel meilenweit in Lohe. Das Wimmern war verstummt, das Schiff schien nur Tote zu fahren. Die beiden Masten waren längst über Bord gefegt, zehn, zwölf brave Lübecker, die beim Kappen der Taue von einer Sturzsee erfaßt wurden, trieben irgendwo in der Nacht.

Mit einmal geschah ein furchtbares Krachen, ein Stoß, als stießen wir auf Fels, das Schiff barst langsam mitten auseinander, geisterhafte Menschen wimmelten in seinen Eingeweiden, die Kajüten auf Deck zerfielen wie Zunder, Männer rollten mit stieren Blicken über steile Wände in die See, ein einziger Schrei quoll aus der sterbenden Kogge. Ich sah das Bugspriet durch die Luft segeln und in die Finsternis gleiten, mit einem jagenden Gedanken stürzte ich dem Holze nach in den Höllenstrudel. Kreisende Trichter sogen mich hinab, wütende Stöße warfen mich empor, aber ich fing, ich fing den Baum und hing und taumelte und wirbelte mit ihm besinnungslos[49] vor Glück über Todesgründe. Und plötzlich ein weißer, leuchtender Leib vor mir, eine Welle schleuderte ihn in meine Faust, ich hielt den schönen Kopf der Edelfrau an seinen blonden Haaren hoch über Wasser und bettete ihn auf den Baum.

Gott schickt mir ein Zeichen! hämmerte mein Herz in einem fort, Gott will mich nicht verlassen!


Fahle Dämmerung, schnell und grell darauf der Tag; wir trieben allein auf der öden See, kein Segel, kein Land. Sie war noch nicht von ihrer Ohnmacht erwacht, aber ich fühlte ihren leisen Atem. Ihre Hand umklammerte meinen Arm, dicht vor meinem Munde lagen die weißen schmalen schmucklosen Finger. Ihr dünnes Hemd klebte am Leibe, die schlankem kräftigen Formen traten klar hervor.

Was wollte Gott von mir? Sicherlich, wir waren die einzigen Geretteten der lübischen Kogge.

Gerettet? Ach, wir lebten, und wo wäre ein Leben ohne Hoffnung! Noch wogte die See erregt und gepeitscht, aber der Regen war vorüber, die Blitze verflogen. Wir trieben ohne Anstrengung an[50] dem Holze, die Kraft meiner Fäuste war ungebrochen. Jedoch bald begann ich sie um ihre Ohnmacht zu beneiden, denn ein Durst plagte mich, den ich kaum bezwingen konnte. Wie die meisten der Armen auf unserem Schiff hatte ich meine irdische Habe bei mir; das umgeschnallte Ränzel lächerte mich fast. Es stak eine zinnerne Flasche mit Wein darin, doch ich konnte sie nicht erreichen, ohne Gefahr zu laufen, Frau Gertraude zu verlieren, und aufs neue setzte mich das Schicksal mitten in einen Kampf, dessen Schlachtfeld meine Seele war. Ich suchte meine gierigen Sinne abzulenken, indem ich das marmorstille Antlitz betrachtete. Linie für Linie lernte ich es auswendig und prägte es meinem Herzen ein, den ranken Ansatz des Halses, die Goldkette mit dem Braunschweiger Löwentaler, die zarten Hügel der Brust – ich ermattete mich mit Schwimmstößen, ich schloß die Augen, aber der Durst knechtete mich und würgte mir die Kehle, daß mir das Blut von den zerbissenen Lippen rann. Gierig schlenkerte ich die roten Tropfen im Munde umher, vergebens. Glühende Bilder tanzten vor meinen Augen, ich fühlte meine Kräfte nachlassen.

Rief wer? Die taumelnden Sinne rafften sich[51] noch einmal auf, die Blicke flackerten über die Wogen – ein Segel, seltsam geformt, ein Schiff mit voller Leinwand, riesig und dunkel gegen das Licht, stürzte auf uns ein. Ich sah einen tollen Wirbel fletschender Zähne und schwarzer Gesichter, ein Tau sauste auf mich nieder, ich griff es, packte Gertraude, ich flog mit ihr jäh in die Sonne. Arme streckten sich, ein Schlag donnerte dumpf auf meinen Schädel, und wie ein Stein schoß ich wieder in die Tiefe, allein, unendlich einsam, erlöst.

Die Sinne fielen von mir ab.


[52]

Ob die Wogen, ob Menschenhände mich ans Ufer trugen, ich hab es nie erfahren. Genug, Brüder vom Deutschen Orden fanden noch Leben in mir und schleppten mich mit gen Jerusalem. Neun Tage darauf erwachte ich aus wirren Fieberträumen, sah mich auf reinlichem Lager in einem hellen, freundlichen Gemach. Ein greises Antlitz schaute mich wehmütig an, seufzte und siegelte die Lippen mit dem Finger. Eine Schale wurde mir gereicht, die ich durstig leerte; übermüdet schloß ich die Augen und versank sogleich in tiefen Schlummer.

Anderen Tags war meine Stirn klar, die Erinnerung brachte das Verlorene wieder, ich atmete die Luft des Lebens beseligt ein. Ich bemerkte, daß der alte Mann sein Lager neben dem meinen aufgeschlagen hatte; er erhob sich, als er mich munter sah, wusch mir Gesicht und Hände und holte den Morgenbrei für uns beide. Es war ein weltlicher Bruder des Ordens, ein Edler von Burgberg, und seine traurige Stimmung erklärte sich mir bald: er[53] war der Vater Gertraudens, von der in meinen Fieberreden schreckhafte Bilder flatterten. Ich tröstete ihn, wie ichs vermochte, ich schwor, sie sei lebendig an Bord eines Schiffes gelangt, jedoch er schüttelte verzagt den weißen Kopf.

»Besser tot als in der Gewalt der Heiden oder gar –« er verschluckte einen Fluch und preßte die Faust stöhnend an die Brust.

»Besinne dich! Besinne dich!« rief er ein über das andere Mal, »waren nur Heiden an Bord? Sahest du keinen Kreuzeswimpel über den Masten?«

Ich ahnte, welche Antwort seine Vaterangst begehrte, und selbst wenn ich ein Kreuz gesehen hätte; ich würde es ihm verschwiegen haben.

»Gut, nur gut!« murmelte er. »Alles, nur keine Templeisendirne!« Seine heißen Augen trafen mich: »Ich bin dir Dank schuldig, Ronald, du hast wahrlich deine letzte Kraft darangesetzt, mein Kind zu retten. Daß es so gelang, hat Gott beschlossen; gesegnet sei sein unerforschlicher Wille. Aber zu dir –«

»Herr,« unterbrach ich ihn beschämt, »Ihr seid mir nichts schuldig; ohne Euch dörrte ich jetzt im Ufersande.«

[54]

»Du irrst, Ronald, nicht ich habe dich gefunden. Du fiebertest und nanntest den Herrn von der Wilze; da erst riefen sie mich. – Was willst du nun in diesem Lande beginnen? Hast du Verwandte, Freunde, Ordensbrüder? Hier heißt alles Geld, mein Freund, das Heilige Land ist ein einziger Marktplatz.«

»Weder Geld noch Freunde, Herr. Ich gedachte am heiligen Grabe zu beten und die Verwundeten zu trösten. Gott wird mich schon ernähren.«

Der von Burgberg seufzte.

»So reden sie alle; zu Tausenden lungern sie tatlos im Lande, zu Tausenden sterben sie dahin. Verwundete? Die Kämpfe ruhen ja! Unsere Führer feiern Feste und lassen den Sultan einen Kreis um das Land ziehen, wie den Strick um den Hals eines Schächers.«

Wütend sprang er auf, sein weißer Bart sträubte sich vor Zorn.

»Bei allen Heiligen, glaubt ich nicht noch an Treue, so wollt ich schwören, die Herren und Fürsten verrieten uns an die Heiden. Nur die Narrheit oder der Frevel kann so blind sein. Ich sage dir, Freund Ronald, wir verderben hier, und mein Deutschland[55] – aber was soll dich das bekümmern! Du bist ja wohl irgendwo in Frankreich zu Hause; können auch Französisch sprechen, wenn es dir lieber ist. Nicht gerade gern, denn ich hasse diese verlogene Zunge, darin die Templer ihre Meineide tun. Will dir was sagen, Ronald, bleibe beim Deutschen Orden! Wir haben mehr als reichlich Arbeit für willige Hände; beim Hospital, beim Handwerk, in den Wein- und Obstgärten, überall fehlen die Tüchtigen, bloß das Geschmeiß wimmelt wie die Ameisen, nur nicht so tätig. Kannst mir glauben, Ronald, Gott sieht lieber, wenn ihm mit der Hand statt nur mit dem Munde gedient wird; es laufen schon zuviel von euch Geschorenen in der Welt umher und stehlen ihre Tage. – Laß dir Zeit mit der Antwort, ruhe, wie du magst, betrachte die Stadt mit ihren wundersamen Heiligtümern und schandbaren Lasterhöhlen, und dann sag mir frei deine Meinung.«

Damit ließ mich der wackere Mann allein, und die Langeweile besuchte mich sicherlich nicht, so voll war mir Kopf und Herz.


Mit einem Trüpplein von Herren und Knechten war ich jordanaufwärts nach den Besitzungen des[56] Deutschen Ordens südlich des Sees Tiberias unterwegs. Ich hatte mich als Gärtner verdingt, ohne anderen Lohn als die tägliche Notdurft; ich konnte gehen, wann ich wollte. Meine Seele schrie nach Einsamkeit; der Aufenthalt in Jerusalem, bis zum letzten Augenblick ersehnt wie Gottes Liebe, hatte das Blut in meinen Adern ausgetrocknet. Nichts gegen das heilige Grab, nichts gegen die Stätte, da Sein Fuß gewandelt – aber ach, wo wäre der Mund, der heute die Wechsler und Händler aus seinem Tempel triebe! Um das Erhabene der Erde kreischt ein gellendes Marktgeschrei, blüht ein ungeheurer Schwindel, schachern Juden, Heiden, Christen in widerlichem Wettbewerb um das, was ihnen die Krone des Lebens heißt: Gold.

Hier, hier hatte ich Erlösung gesucht! Ich konnte nicht beichten, konnte kaum beten. Wie sollte mich ein Menschenwort vom Fluche lösen? Zweifel, schlimmer, quälender als meine Schuld, trieben mich von der heiligen Stätte; mein Glaube wankte nicht, aber er überflutete und brach die alten Formen und fand kein neues Gefäß, rein und köstlich genug, ihn zu bergen.

In kopfloser Überstürzung nahm ich die erste Gelegenheit[57] wahr, den Menschen fern zu sein. Den Menschen und den Häusern, denn mir schien, es knisterte im Gebälk der Paläste, es ächzte in den mächtigen Mauern der Kirchen; das Gespenst des Untergangs schritt mit der Frechheit des Lasters dreist und offenbar über die Gassen.

Menschen konnten mir nicht helfen, das erkannte ich, ohne meine Sünden gegen die der anderen abzuwägen. Mir, dem Beichtiger, waren auf dem lübischen Schiff Dinge vertraut worden, die vielleicht vor einem unbefangenen Richter teuflischer und gemeiner als meine Tat galten; nicht vor mir. Ich konnte niemanden fürder verdammen.

Die einfache Arbeit in der Siedlung tat mir wohl, das Blühen und Wachsen der stummen Geschöpfe, die in meiner Obhut waren, erfüllte mich mit bescheidenem Vaterstolz. Unverdrossen trug ich die Kette der täglichen Wassereimer über das unersättliche Land und empfand einen demütigen Zwang, Besseres zu leisten als meine Gesellen.

Verkehr suchte und fand ich nicht; mein Wesen galt, ohne daß es mir damals zum Bewußtsein kam, als hochmütig. Indessen habe ich gelernt, daß die Gesellschaft Verschlossenheit und Absonderung nicht[58] liebt. Nur gegen Fremde, von denen ich hörte, daß sie meine Heimat berührt hatten, zeigte ich mich lebendiger und forschte sie vorsichtig nach dem und jenem aus, traf aber niemand, der Wissenswertes wußte. Als jedoch Saladin stärker gegen das morsche Königreich Jerusalem zu rennen begann und die Bächlein der abendländischen Ritterschaft wieder kräftiger anschwollen, sandte mir Gott eine Botschaft des Glücks und der Verzweiflung zugleich.

Ich war in meinem Rosengarten – eine leichte, duftende Freude neben meinen Pflichten – und versuchte mich in der Veredlung, wie sie mich ein sarazenischer Sklave gelehrt hatte. Eine wundervolle, saftigrote Knospe war eben aufgesprungen und duftete süß und hingegeben in den laulichen Tag. Da tönten Stimmen hinter dem Geheg, Meister Otfried näherte sich mit Fremden, und bald erfüllte eine fröhliche Runde französischer Herren meinen Garten. In meiner Schöpferfreude zeigte ich die neue Züchtung; sie ward gebührend bewundert und berochen, und einer der Herren sagte mit Lachen:

»Ich wüßte einen schönen Namen für dies süße Blumenkind: nennt sie Aleit von Claraforte.«

[59]

Das Messer fiel mir aus der Hand, ich bückte mich, suchte mit irrenden Fingern, mußte endlich blutübergossen emportauchen.

»Die schönste Frau, die ich jemals sah, bei meiner Seel!« plauderte der Ritter unbefangen weiter. »Aber leider hat sie für niemanden anders Augen als für ihren Gemahl. Verständlich, denn der Herzog ist ein wahrer König Artus an Tugend, Schönheit, Mannestum.«

»Ihr sprecht von einer Toten, Herr!« sagte ich tonlos, fessellosen Zorn im Herzen, und mich selbst zerfleischend fuhr ich fort: »Auch hab ich niemals viel Rühmens von Robert dem Teufel gehört.«

Der Fremde schaute erstaunt, mein erregtes Wesen konnte ihm nicht entgehen. Die anderen hatten des gottlob weniger acht, sie standen bereits entfernter auf einem Hügel, die klare Aussicht bewundernd. Der Ritter erwiderte schier achtlos:

»Was sagt Ihr? Ich verstehe Euch nicht. Kennt Ihr den Herzog und sein Weib? Wann saht Ihr sie zuletzt?«

Wie sauer mir die Worte fielen! Wie schwer mußte ich mich beherrschen! Und noch in diesem Augenblick ahnte ich nicht die Wahrheit.

[60]

»Vom Hörensagen,« erwiderte ich. »Vor mehr denn zwei Jahren zog ich an Claraforte vorüber in dies Land. Eben damals war Aleit von Montgerrat – die meint Ihr doch? – durch einen üblen Fall zu Tode gekommen. Der Herzog aber – doch, Herr, ich erzähle Euch alte Geschichten – er hieß der Teufel landaus, landein, und wenn auch nur die Hälfte alles dessen, was sie ihm nachredeten, wahr ist, so wird sich Satan für diesen Namensbruder bedanken.«

Trotzig sah ich auf den gezierten, goldbehangenen Fant; mich ärgerte die Kunde, ich hielt nicht anders, als daß mein Stellvertreter eine neue Heirat getan haben mußte, und jener habe der jungen Herzogin versehentlich den Namen meines toten Weibes gegeben.

Indes ich sprach, zuckte der Gast wie sich erinnernd mit der Braue; jetzt wandte er sich gelangweilt ab.

»Freund, Ihr vernahmt ein falsches Gerücht. Ich sah Aleit von Montgerrat, mit dem Herzog und ihrem Söhnchen vor kaum drei Monden in Paris – ich entsinne mich übrigens, sie trug am linken Schlaf ein feuriges Mal wie von einer Narbe. Und[61] Herzog Robert – mag er gewesen sein wie immer – heut ist er einer der vornehmsten und besten Ritter der Christenheit. – Was ist Euch? Ihr solltet Euch nicht barhäuptig dieser verruchten Sonne aussetzen. Gehabt Euch wohl und vergeßt nicht: die Rose nennt Ihr Frau Aleit.«

Die Schritte verhallten, das Gelächter zerstob. Die roten Blütenblätter der Rose »Frau Aleit« erstarben in meinen mörderischen Händen, wollüstig gruben sich die Dornen in mein Blut.

Die heuchlerische Larve meiner Demut und Buße fiel jäh von meinem Antlitz. Das Glück, kein Mörder zu sein, ließ mich nicht jubeln, nein, ich schrie wie ein wildes Tier zum Himmel auf, daß Gott und Schicksal mich betrogen hätten. Nichts Edles war mehr in mir, mit glühenden Zangen folterten mich Eifersucht, Haß, Neid – alle dunklen Triebe meines Herzens. Die Stille meines Lebens ward von einem Gebrüll zerrissen, das mir jetzt noch in beschämten Ohren klingt. Im rasenden Gehirn erwürgte ich mein Spiegelbild, mein Selbst, den Mann, der meine Züge trug, in dessen Adern Blut von meinem Blute floß, erwürgte ihn mit einer kalten, hemmungslosen Lust am Morden, sah seine[62] hervorquellenden Augen, hörte das Brechen der Wirbel und lachte, lachte – dieweil mein eigener Leichnam in meinen verkrampften Fäusten lag.

Rache! Was tat ich dir, Gott der Liebe! War meine Schuld an dich so riesengroß, daß sie solche Strafe verdiente? O ich Narr der Narren! Ein Kind war da, ein Erbe – ein Wählingerblut! Ein Bastard vom Bastard – Herrgott, wo blieb deine Güte, von der deine Diener so viel Aufhebens machen? Und Nacht um Nacht ergibt sie ihre weißen Glieder dem Landstreicher, ahnungslos, liebend, voll von ihrer keuschen Leidenschaft – oder – oder wissend und vom guten Tausch beseligt?

Irrsinnig lachend saß ich in meinen Blumen, Arme voll Rosen riß ich an die Brust und badete mein Gesicht in Dornen und Blüten und Blut aus hundert kleinen Wunden. Narr! Tölpel! Von Gott und den Menschen verraten, betrogen, bestohlen! Räche dich! Der Fluch der Lächerlichkeit betäubte mich, meine Eitelkeit ertrug das Leben nicht mehr. Eitelkeit stachelte die Gedanken zu wirren Sprüngen: Beweise dich, zeige dich, du echtes, gerechtes Wählingerblut, gezeugt vom echten Stamme im Bett einer Königstochter, nicht hinter der Hecke mit[63] Kebsen und Dirnen, getragen in Unlust, geboren in Schande, erzogen zum Betrug – zum – wie sagte der Franzose? – zum vornehmsten Ritter der Christenheit. Mein Herr Heckenbruder, wir rechnen ab! Wie schlau, ein bißchen zu schlau hast du deine Fäden gezogen, deine Netze gestellt, aber bist du auch ein Riese an Kraft wie ich, mit diesen eisernen Arbeitsfäusten erwürge ich dich, und wärest du außen und innen aus Erz.

Die Vesperglocke läutete dünn über die Büsche, ich achtete sie nicht. Jäh floß der kühle Hauch der Nacht um mich her, ich fühlte keine Hitze, keine Kälte; starrte haßerfüllt in die glänzenden Sterne, die über meiner zerbrochenen, gestohlenen Liebe schienen. Zwei Jahre lang, Tag um Tag, hatte ich diesen Mann gesegnet, der meine Tat und meinen Namen trug; indes er in den Wonnen des Paradieses schwelgte, seufzte ich in der heißen Sonne Palästinas, Knechtsdienste verrichtend, Knechtsbrot essend, der größte und törichtste aller Narren, die je von ihrem heimatlichen Herde liefen.

Niemand suchte mich, wahrscheinlich saßen die Genossen bei den Gästen und hörten voll Sehnsucht und Heimweh die Erzählungen aus dem alten Lande[64] an. Ich wollte keine lebendige Seele sehen, und Gott war in meiner Brust erloschen wie eine Flamme ohne Nahrung. Blut rann mir vor den Augen; im Blute dessen, der mir Weib und Land raubte, mußte ich mein Leid ersäufen, anders starb es nie. In diesen Vorstellungen erlangte ich, merkwürdig genug, eine gewisse Ruhe; ein Entschluß war gefaßt, ich hielt mich bereit. Leise schlich ich durch die Gartenanlagen an die Siedlung, willens, noch vor Tag mein Ränzel zu schnüren und mit dem frühesten nach Akkon aufzubrechen; aber ich fand zu meiner Überraschung den Saal von Fackeln erleuchtet und dröhnend von Worten und Waffen. Abermals, mitten in der Nacht, waren Gäste angekommen, bis in den Hof standen die Knechte, und über die weinheißen Köpfe flatterte ein erlösendes Wort: Krieg.

Dunkles Walten stieß mich in das Gewühl, ich drängte mich durch die Fremden in die Halle, Freunde sahen mich, Meister Otfried rief mich zu sich und sprach mit hellen Augen:

»Bruder Ronald, zieh dein Priesterkleid an. Über vielen steht der Tod, und sie sollen getröstet einfahren in das himmlische Reich. Saladin stößt[65] auf Askalon, der von Chatillon läßt uns aufrufen. Oder halten dich deine Rosen?«

»Nein!« sagte ich unter brünstigem Frohlocken, Blut schwamm mir vor den Augen. »Aber gönnt mir ein Schwert statt der Kutte. Gott findet die Seinen auch ohne mich.«

Meister Otfried runzelte lachend die Stirn; die fremden Herren neben ihm, die unsere Reden hörten, lächelten spöttisch. Ich sah sie an, eiskalt war mein Hirn, Verachtung und Hochmut in allen Poren beugte ich mich, packte mit der Faust einen der schweren Eichensessel, darauf ein Ritter in voller Wehre saß, hob ihn gestreckten Armes über den Tisch und ließ ihn langsam zwischen die Schüsseln und Becher nieder, ohne anzustoßen, ohne Geräusch. Viele sahen es und gafften mit verschlagenem Munde, ich aber, der ich dies Kunststück hundertmal in meiner Heimat trunken und prahlerisch vollführt hatte, ward inne, daß meine mächtige Kraft noch gewachsen war, und das Herz schrie mir vor Stolz und Nachsucht in der verschwiegenen Brust. So werde ich ihn erwürgen, den Bastard, und sein rotes Blut wird über meinen nackten Arm laufen, den Knechtsarbeit bräunte um seinetwillen.

[66]

Der Franzose sprang mit guter Miene von seinem Hochsitz und schlug mir auf die Schulter:

»Ei, das ist ja ein Teufel von einem Mönch! Und recht hat er, wenn er einen eisernen Wedel begehrt, das ungläubige Gezücht zu weihen. Kommt in mein Gefolge, Mann!«

Ehe ich ablehnen konnte, stand Meister Otfried vor mir und sah mir tief in die Augen.

»Du sollst ein Schwert haben, Ronald,« sagte er leise, »wie dürften wir Gott einen solchen Arm entziehen! Setz dich her, wir vermißten dich schon eine Weile, tu einen letzten Trunk mit uns, denn um die Mittagszeit fahren wir, und schon bleichen die Sterne. Möchte so auch der Halbmond tun!«

Er seufzte verstohlen und reichte mir seinen eigenen Becher voll feurigen Griechenweins. Ich stürzte ihn, ohne abzusetzen, gierig nach Betäubung.

Otfried sah mich verwundert forschend an, mit dem Finger drohend:

»Ronald, Ronald, heut wirfst du dein ganzes Mönchswesen beiseit. Nie hab ich dich über dem Wein gesehen, und jetzt beschämst du die tapfersten Schläuche.«

»Die neue Rose!« warf der Fant vom Nachmittag[67] spottend ein, »die schöne Frau Aleit!« Und wehrte mit hohnvollem Entsetzen meinem zornigen Blick: »Friß mich nur nicht sogleich, du Vorzeitriese, du Elefant! Wart lieber auf Saladins braunes Geziefer, da passen gleich drei Hälse zugleich in deine Klaue.«

Ich schob den Becher schroff zurück und verließ den Raum, wollte allein sein, keine fröhlichen Reden hören, keine lachenden Augen sehen. Ins Schlafgemach ging ich nicht erst, holte mir aus den Pferdeställen eine Decke, wickelte mich ein und legte mich hinter die Gebäude in einen sturmgeschützten Winkel, dahin der Lärm der sinkenden Nacht kaum wie ein Bachgemurmel drang.

Das Blut der Ahnen stieg aus geheimnisvollen Tiefen auf, Krieg, Schwert und Harnisch verwischten die bunttobenden Leidenschaften zu einem grauen Gespenst, und ein Traum von Heldentum wiegte mich sonder Wollen und Wissen in Schlummer.


[68]

Eine armselige Rüstung für einen Herzog. Ein zerbeulter Helm, ein rostiges Kettenhemd; aber das Schwert war vortrefflich: ein Zweihänder vom alten Schlage, mir anvertraut, weil es sonst keiner schwingen mochte. Die Kutte hatte ich über den Quersack geschnürt, die Mönchspapiere trug ich im Beutel auf der Brust, wer weiß, wozu; ich konnte nur noch arge Gedanken hegen. All mein Wollen drängte nach der Heimat; die kommende Schlacht, das Heilige Land, das Heilige Grab – es waren bunte Bilder am Wege meiner Rache.

Wir zogen – ein stattlicher Haufe – dem Hauptheere zu, schier stündlich vergrößert durch Zuwachs von flüchtendem Landvolk, Christen und auch Heiden, denn diese fürchteten den Großsultan mehr noch als das Kreuz, das ihnen zumeist ein bequemer Herr war, wenigstens was das Leben anging. Saladin preßte sie zum Heeresdienst und sandte sie in den Tod; sie, die arbeitend zwischen den Bekenntnissen lebten, sahen keinen großen Unterschied und[69] begeisterten sich nicht einseitig. Es waren nicht die Besten.

Nach drei Tagen wälzten wir uns in einem Riesenstrom gegen die Küste, Karren, Reiter, Fußvolk mit Weibern und Kindern, gepeitscht von der dunkel drohenden Wolke des Gefürchteten. Im Lager von Askalon wurden die Böcke von den Schafen geschieden, die Krieger sammelten sich und zogen auf das blache Feld, Wachen wurden weithin ausgestellt, die fiebrige Stille vor dem Sturm begann ihre Folter.

Ich hatte den Herrn von Burgberg vergebens im Lager gesucht; jetzt stieß er unversehens zu uns, trotz seines weißen Haares kampfbereit und aufrecht im Sattel des knochigen Gauls. Er erkannte mich auch unter dem Helm, lachte und bot mir vom Pferde die Hand; keiner von uns ahnte, wie bald wir die Rollen tauschen würden.

»Mönchlein,« scherzte er munter, »ob du diese braunen Teufel austreiben wirst? Heuer kommen die Heiden mit großer Gewalt gefahren, schon sah ich die Plänkler über den Hügeln und – horch! Was blasen die Hörner?«

Er hob seine alten Glieder kraftvoll in den Bügeln,[70] ein freudiger Schein glitt über sein vergrämtes, gutes Gesicht; kaum daß er Zeit fand, mir zuzunicken, und fort sprengte er in die Reihen der Deutschen Brüder.

Befehle schollen, das Lanzenvolk wurde in dichter Hecke vor uns aufgepflanzt, Wolken feinen Sandes wirbelten auf, leise schütterte der Boden von zahllosen Hufen. Ein Schauer überfiel mich – Angst? Nein, nackte, gemeine Blutgier, unstillbar, höllenheiß, aus mörderischem Herzen geboren. In starrer Hand hielt ich den Schwertgriff, wollte keinen anderen Feind sehen als ihn, der mich arm gemacht, und hatte doch Heimat, Weib und Räuber vergessen, als das Gewühl um mich wogte und ich, unwissend wie, mitten im Kampfe stand und für mein Leben um mich schlug. Das war ein ander Ding als ein Turnei in sicherer Rüstung. Wie Heuschrecken wimmelten die Heiden auf blitzschnellen Rossen um unsere längst abgetrennte Schar; aber wir hielten uns wacker und trieben einen Keil in die Woge, daß sie blutig zerschäumte. Atemlos spähten wir über das donnernde Feld nach Hilfe; da brauste es abermals über uns her, wir schmolzen zusammen, hin und her gezerrt, wurden immer weiter abgedrängt,[71] zerrieben, wußten nichts von den anderen, nichts von der Schlacht, kämpften blutbesudelt und ermattet gegen den gewissen Tod.

Plötzlich ein gellender Pfeifenton, die braunen Teufel stutzten, rissen die Gäule herum und schossen aus dem Tal; zitternd vor Müdigkeit starrten wir ihnen nach, glaubten nur an eine neue große Not. Da klomm ein Roß über die Mulde, der von Burgberg ritt langsam heran, bleich, mit geschlossenen Lidern, den weißen Ordensmantel purpurn und zerfetzt. Er hielt gerade vor mir, als führte ihn ein Unsichtbarer, schlug die Augen auf, die schon im Tode brachen, und lallte:

»Sieg!«

Krachend stürzte er aus dem Sattel; niemand fing ihn auf, wir waren alle wie gelähmt. Mit stumpfen Knien trat ich zu ihm und sah in seinen Augen das Ende. Der Hengst schnupperte aufgeregt über dem Leichnam und erinnerte mich an die Stunde. Sonder Umsehens sprang ich in den geleerten Sattel und sprengte den Hügeln zu, den blutigen Zweihänder wie eine Todesflamme in der Faust. Ein Blutrausch kreiste durch meine Adern, in meinem Herzen schrieen tote Jahrhunderte, ich fühlte in rasender[72] Lust: Rossesrücken ist mein Haus, Schlacht ist meine Heimat, Schwertschlag meine Freude. Ich sah die fliehenden Horden ostwärts stürzen, hieb dem Pferde die flache Klinge über den Schenkel und stürmte hinterdrein, als gälte es ein Königreich. Junge Kraft rann mir durch den Leib, ich genoß, und stünde der Tod mit mähender Sichel hinter mir, ich genoß mit langen Atemzügen die schwingende Lust des Rittes und dachte an keine Müdigkeit.

Grau fiel mich die Steppe an, lauter donnerten die Hufe vor mir an mein Ohr, enger ward der Raum zwischen Jäger und Wild; jetzt lag ich Seite an Seite mit einem angstverzerrten Bronzekopf, ich schlug ihn mit der bloßen Faust aus den Bügeln, und weiter. Sie achteten endlich meiner, sie merkten den Einzelnen, wendeten blitzschnell und schlossen sich zu sieben oder acht zusammen, ihre raschen Wüstengäule schossen wiehernd um mich her; Pfeile und Speere sausten, keiner traf. Keiner traf den Mann, der leben mußte, um zu rächen! Bei meiner Seele, ich glaubte in dieser Stunde an ein Zeichen Gottes; es war auch eins, aber ich deutete es falsch.

[73]

Einer der Heiden schien den Befehl zu führen, er saß auf einem herrlichen Rappen, golden schimmerten seine Waffen, vom Helm wallte ein edelsteingeschmückter Schleier über seine Schulter.

Greif dir den und reite zurück! raunte eine Stimme in mir. Die Beute heißt Überfahrt mit Mann und Roß; in zwei Monden kannst du schon in der Heimat sein, und dann –

Mein armes Roß bäumte sich hochauf unter dem grausamen Hieb, es flog mit pfeifendem Stöhnen über die Grasnarbe; sechs Sarazenen blieben zurück, der vornehmste aber ritt spielerisch vor mir her, von seinem adligen Tier wie auf Flügeln davongetragen. Plötzlich riß er das Roß mitten im Jagen herum, eine Lanze fuhr aus seiner braunen Faust und traf mich mitten auf die Brust.

Der Atem blieb mir weg, Erde und Himmel kreisten vor meinen Augen, eine dünne Schlange zischelte über meinem Kopf, schnürte sich um meine Arme; rasend sprengte der Rappe im Kreise um mich, enger und enger, und jeder Kreis war eine lederne Fessel um meinen Leib, bis ich, ein hilfloses Bündel, über einem fremden Sattel lag.

Gott hatte mich ganz verlassen.

[74]

Die Glieder schienen mir abzusterben, das Blut füllte meinen tief herabhängenden Kopf zum Zerspringen mächtig, Jammer und Ekel wuchsen größer als mein zorniger Mut. Große Dinge mußte die Vorsehung mit mir vorhaben, daß sie mich also hart prüfte; jedoch dieser Gedanke, in bitterer Verzweiflung geboren, gab mir keine Hoffnung. Um mein Schicksal hegte ich keine Furcht, mochte es Tod oder Sklaverei heißen; aber eben jetzt, da ich noch eine Aufgabe auf Erden hatte, abgerufen zu werden, konnte ich Gott nicht vergeben. Es erschien mir als das ärgste meiner seltsam vielfältigen Leiden, wie denn immer die letzte Folter am schwersten zu ertragen ist.

Eine gute Weile ritten die Heiden, was die Pferde gaben; dann ging es sorgloser dahin, und ich merkte an ihrem Gehaben, daß die Verfolgung zu Ende sei. Konnts auch denken, denn Rainald von Chatillons geringe Reiterschar durfte sich nicht von der Masse des Fußvolks lösen, ohne in Gefahren zu laufen. Bald waren wir mitten im Gewühl, ich wurde auf ein ledig Roß gehoben, die Füße wurden unterm Sattelgurt verkettet, und weiter ging es bis spät in die Nacht. Saladin schien[75] den Kampf völlig aufzugeben; die paar Brocken der Heidensprache, die ich aufschnappte, belehrten mich über den Umfang seiner Niederlage, und trotz allem pochte mein abendländisch Herz höher.

Meiner Körperkraft zu Ehren blieben mir die Arme an den Leib gebunden, auch als der Trupp zur Nacht absaß. Ich wurde wie ein Bündel alter Kleider auf die kalte Erde gelegt, und bald schlief alles ringsum bis auf die Posten, deren Lanzeneisen ich von weitem im Mondenlicht blitzen sah. Mich dünkte, ich war des Sultans einziger Gewinn vom Tag bei Askalon, und ein Lachen kam mich an ob solcher elenden Beute.

Der Schlaf mied mich, denn wie ich mich auch wälzte, die Riemen schnitten schmerzhaft in mein Fleisch und gönnten mir die Ruhe nicht. Ich überdachte die Reden der Sarazenen, soweit ich sie verstanden hatte, und glaubte über meinen Bewältiger klar zu sein: es war der Emir von Bachara, offenbar ein Mann von höchstem Ansehen und Reichtum. Mich kümmerte das vorerst wenig, ich gedachte seiner nur, um meine gequälten Sinne zu beschäftigen und abzulenken.

In der Frühe jedoch trat er auf mich zu, ein hochgewachsener,[76] schöner Mensch im kräftigen Alter, blickte kühl auf mich nieder und sagte zu meinem höchsten Erstaunen auf deutsch:

»Du kommst nach Bachara, Christ. Versprich, unterwegs nicht zu fliehen oder sonst gewalttätig zu sein, dann bist du der Fesseln ledig.«

»Es sei,« erwiderte ich spottend, »habt keine Furcht!«

Der Emir hörte dies unbewegten Gesichts, nur ein Winkel seines Mundes schien zu zucken. Er winkte, die Riemen fielen ab. Aber die Knechte mußten mich in den Sattel heben, ich konnte nicht einmal auf den Füßen bleiben.

Immer noch stand der Emir da und hatte eine Frage auf der Zunge. Endlich hielt es ihn nicht:

»Du müßtest tot sein,« begann er in sichtlicher Verlegenheit. »Warum fiel mein Speer aus deiner Brust?«

Unwillkürlich faßte ich nach der Stelle; das Kettenhemd war zerlöchert und zerschlissen, ich konnte mit dem Arm hindurchfahren. Jedoch unter dem Leinen fühlte ich, verbogen und halb zerschnitten, die Münze meines Bruders und errötete bis unter das Haar.

[77]

»Seht!« Heiser fuhr mir der Ton aus der Kehle.

Der Emir warf einen flüchtigen Blick auf das verbeulte Blech und sprengte an die Spitze seines Zuges. Wir ritten.

Plötzlich fühlte ich eine Hand aus den ewigen Höhen niederreichen und mein Herz berühren, fühlte ein Band aus dieser Wüste unsichtbar in die Heimat gehen, eine hauchfeine Kette zwischen mir und jener armen Mutter, die eine Sommernacht lang meines Vaters Spiel gewesen.

Stumm senkte ich den Kopf, die Tränen liefen mir in den Bart.


[79]

Zweites Buch

[81]

Ich war gefangen, gefangen im Paradiese. Die Wunder des Morgenlandes dufteten, glühten, rauschten um mich her, inmitten immerblühender Zaubergärten ragten schimmernde Paläste, dämmerten verschwiegene Lauben, sangen bunte Vögel – Wirklichkeit war auf einmal der nie erfüllte Nordlandstraum vom ewigen Licht. Sie fragten mich, was ich könnte, und ich wurde in die Gärten gestellt, in flammende Märchen getaucht, hatte Freiheit, so weit die Mauern um das Paradies, hatte Brot, Lager, Himmel, Sonne.

Wenige Wochen zuvor hätte mir das Herz gejubelt, heut schlug es kalt in aller Pracht und Herrlichkeit. Der Emir blieb unsichtbar; von Sklaven aus dem Abendlande sah ich nichts; die heidnischen, mit denen ich arbeitete, wußten nur wenige Worte Fränkisch. Es war gut. Ich war gezwungen, ihre Sprache zu erlernen, auch meine Gedanken waren dergestalt gefangen, solange es tagte. Nachts lag ich todmüde auf dem Lager, hatte meine eigene Hütte, meinen eigenen Herd, denn die Sarazenenküche[82] widerte mich an. Ich arbeitete das Zehnfache dessen, was die Heiden trieben, ich wollte nicht denken. Sie überließen mich achselzuckend meinem Tun; auch hier ward ich keines Freund, keines Feind. Vielleicht wäre mir Flucht leicht geworden, aber ich wußte nicht mehr, wozu. Die Heimat mit ihren Gestalten wich ferner, mein Haß gegen den Bastard verebbte, ich suchte den Mann zu verstehen, und fand am Ende nichts zu verzeihen. Mein Herz, das heiß und leidenschaftlich mit Gott verbunden zu sein wähnte, sah das Ewige fortan durch eine klare Flamme; losgelöst von den Formen der Gemeinschaft, wurde ich eine Kirche für mich und gewann einen stillen, tiefen Glauben. Dies kam nicht von heut auf morgen, aber in drei endlosen Jahren der Welteinsamkeit. Und doch standen noch Stürme vor meinem Hause, und doch hatte der Kampf um meine Seele erst begonnen.

Nach und nach erfuhr ich einiges über den Emir von Bachara und erhielt das Bild eines außerordentlichen Mannes. Der älteste Aufseher liebte es, meiner Arbeit zuzuschauen, seine greise Geschwätzigkeit unterrichtete mich über Dinge und Menschen lebendig wie ein sprechendes Bild.

[83]

»Vor fünf Jahren, Christ, hättest du nachts nicht gewußt, wohin deine Striemen betten. Der Herr – Allah erhalte ihn uns! – schwang die Peitsche, seine nächsten Diener peitschten uns, wir peitschten die Sklaven. Der Fluß dort hinter der Mauer kann erzählen, wieviel verdorbenes Menschenfleisch in seinen Schoß versenkt worden ist. Da« – er stieß den Daumen über die Schulter nach dem Harem, dessen verhangene Fenster niemals geöffnet wurden – »da wimmelte ein Ameisenhaufe von Völkerchen; und jetzt kannst du Ohren haben, die das Gras wachsen hören, du lauschst vergebens auf den zierlichen Tritt einer schlanken Gazelle.«

Hierbei dämpfte er die Stimme und sprach wie aus Grüften, das runde Gesicht verzog sich zu einem schwermütigen Trauerlied und malte ergreifend das entvölkerte Lusthaus.

»Du hast die Ehre gehabt, meinen Herrn mit deinen ungläubigen Augen zu betrachten. Sage, Christ, gibt es in der ganzen Welt einen schöneren Mann?« Und fuhr fort, ohne den kleinsten Augenblick auf eine Antwort, die ihm selbstverständlich schien, zu warten: »Die weißen Sklavinnen, die ihm zugebracht wurden, schmolzen vor seinem Antlitz[84] wie Tau in der Sonne, bis auf eine. Christ, ich habe sie gesehen, denn sie verschmähte den Schleier; sie war keine Lilie an Schönheit, aber an Blässe; nur wenn sie ihre Augen auftat, dann versank alles, Erde, Meer und Himmel, in diesen leuchtenden Tiefen. Du schautest in sie hinein wie durch zwei Fenster, und innen strahlte und schimmerte es wie in Allahs höchstem Freudensaal. Und wiederum, blickte sie auf dich, so blieb nicht eine winzige Schlechtigkeit in deinem Herzen, die süßen blauen Flammen brannten alles klar.«

Der alte, närrische Kerl spitzte seinen Mund und riß die schwarzen Augen weit auf, aber das Bild dieser wunderbaren Frau zu schaffen gelang selbst ihm nicht. Jedoch das feiste Schelmengesicht verlor seine Sattheit und bekam einen schier edlen Zug, derweil von dieser Frau aus Nordland die Rede war, die den Herrn mitsamt den Dienern bezaubert hatte. Mir zog es eigen durch das Herz, darin Aleit ihre stille, heilige Kammer hatte, und aus der Begeisterung dieses greisen Kindes leuchteten ihre Augen auf mich nieder.

»Christ, ich sage dir, das gab ein Aufräumen und Reinemachen! Um dieser blassen Stirn willen[85] mußte der ganze Harem wandern, und schließlich saß unser Herr da und hatte ein einsames Lager. Denn die blonde Frau gab einem Kinde das Leben und schied bald hernach aus dieser Welt. Wir warteten alle gespannt auf das Ende der Totenstille, aber es gab kein Ende. Der Herr läßt das Haus verfallen bis auf Sobeidens Flügel, die Peitschen vermodern, die weißen Sklaven wurden freigelassen bis auf eine Amme, die ist jetzt auch weg; das Kind wird von einer Negerin betreut, einem wahren Drachenweibe! Ich wundere mich, daß du hier bist; der Herr sieht eure Haut nicht mehr gern, nur bei einer macht er eine Ausnahme.«

»Das Kind?« fragte ich erstaunt. »Ist es denn –«

»So weiß wie du an deinem Halse, Christ, denn der blonde Meerstern trug es schon, als er in unsere Hütte schien. Der Herr hat dessen kein Hehl, aber er hängt dennoch an dem kleinen Ding mehr als an allen seinen Schätzen und liebt es wie sein eigen Blut. Stundenlang spielt er Kind mit dem Kinde im Frauengarten, ein Anderer, Verwandelter, ein Bezauberter. Christ,« rief Abdullah plötzlich, »er ist verhext, glaub es mir. Ein Mann von eben[86] dreißig, und hängt sein saftig Leben an eine Erinnerung!«

Darauf konnte ich wahrlich zuletzt etwas erwidern. Mein Leben war nichts als Erinnerung.

»Sage, hast du Weib und Kind in deiner Heimat?«

Selben Augenblicks wurde er abgerufen und wartete meine Antwort nicht ab. Er hätte auch keine erhalten. In einer Art Lähmung blieb ich in dem spitzen Schatten der Zeder sitzen und starrte auf die gelbe Lehmmauer, dahinter das Kind der toten blonden Frau seine Märchenjugend genoß. Ein Sehnsuchtsweh ergriff mich nach einem Menschen meiner Rasse, meines nordischen Geblüts. Das stählern blaue Gewölbe des wolkenklaren Himmels über mir trieb mir das Heimweh nach Wolken, Meer, Haide und Wald in das dürre Herz.

Was sollten mir Wolken und Land und See, da ich Aleit verloren hatte. Und dennoch – tief innen glühte eine Fackel für die Erde, die mich geboren, glühte sonder Nahrung durch Frauenliebe und Minneglück, von einem uralten, nimmer erloschenen Feuer genährt.

In dieser Nacht schlief ich nicht. Abdullah, dem[87] es oblag, den Garten zu schließen, hatte mir seit langem den Schlüssel vertraut – es waren über der Mauer nach dem Harem keine Früchte mehr zu naschen. Ich aber saß droben auf den unkrautbewachsenen Steinen und suchte hinter den schwarzen Büschen, ob nicht ein Kindergesichtchen schelmisch hervorluge, ein lebendiges Stückchen Abendland, ein Tropfen Bluts aus nordischer Heimatwelle.

Nichts regte sich. Der Mond glitt silbern über verwehte Spuren der Liebenden. Das Kind schlief seinen guten Schlaf auf seidenem Pfühl.


Ich hatte eine neue Beschäftigung: das Kind zu belauschen. Stundenlang hockte ich in dem breiten, dichten Geäst eines Walnußbaumes, der über die Gartenmauer sah, und spähte in die Wildwuchsheimat Sobeidens. Ein klares blondes Flämmchen sprühvoll Lebens und zugleich ein stilles, blaues Märchen über Blumen und bunten Gräsern. O wie weh tut Armut! Hätt ich alle Schätze Salomos, ich gäb sie hin, um das Kind einen Herzschlag lang an meiner Brust zu fühlen. Jedoch auch so waren[88] die verschwiegenen Stunden des Lauschens Glück genug; meine Einsamkeit war gebrochen, meine Gebete ein trunkener Rausch, ein seliges Ringen mit Gott um Segen für dies geliebte, zärtliche Köpfchen. Das Kind hielt mich stärker als alle Fesseln. Mit Schrecken sah ich die Regenzeit herannahen – Regenzeit, Tage und Wochen der Einsamkeit! Das Kind würde mir geraubt werden, all meine armselige Luft. Ich fühlte, wie es mein eigen ward, wie ich es liebte mit jener blinden, mütterlichen Glut, die Männerherzen sonst nicht beschieden ist. Der Emir allerdings – jedoch er war in Geschäften des Sultans nach Ägypten, im Frauengarten sah ich ihn nie. Auch er ward mit der Regenzeit erwartet, und die Eifersucht quälte und verzehrte mich lange zuvor. Er, der Ungläubige, durfte auf gestickten Kissen mit meiner Freude tollen, er fing mit ihr die bunten Federbälle, jagte durch die hohen Räume des Harems den schlanken, leichten Reifen nach und ließ von den grünen, schillernden Papageien Märchen erzählen, die er übertrug. Vielleicht sprachen sie Deutsch miteinander, die blonde Frau sollte aus Deutschland gekommen sein; aber im Garten, mit der schwarzen Sklavin, floß nur[89] die Heidensprache süß und fertig von den Kinderlippen, kein Ausruf einer jähen Bewegung zeigte ihre Herkunft an.

Eines Tags stürzte Abdullah schnaufend über den Rasen und meldete die bevorstehende Ankunft des Herrn. Fieberhaft wurde gerüstet, Tausende von Blumen wurden in Kübel getopft und in den Palast getragen, alle Hände waren vollbeschäftigt, der Garten scholl von Arbeitslärm, ich konnte nicht daran denken, unbeobachtet in mein Versteck zu klettern. Der Herr kam und nahm mir meine Lust, denn wie sollte ich es ertragen, daß ein Fremder mein süßes Kind in den Armen hielt und hätschelte, indes ich verdurstete.

Düster starrte ich auf die Karren mit Beute oder Geschenken, hochbepackt, gesättigten Reichtums kamen sie angefahren. In Käfigen saßen wilde, fremdartige Tiere, ihr Geheul zerschnitt mir die Nachtruhe, aber ich wollte ohnehin wachen, um mit dem frühesten auf meinen Baum zu steigen, die Kleine zu erwarten. Morgens, wußte ich, war ihre Stunde; dann neigte sie mit lieblicher Gebärde die schönsten Blumenkelche gegeneinander und vermischte ihren blitzenden Tau – eine Blütenhochzeit[90] voller Jugend, Anmut, Sonne; nie werde ich diese Bilder vergessen.

In der Nacht war der Emir eingetroffen, gewiß würde er noch um die frühe Stunde von den Anstrengungen der sehr weiten Fahrt schlummern und ließ mir ein ungestörtes Glück. Aber auch sein erster Gedanke war Sobeide, das sah ich, als ich meinen Baum erklommen hatte und über die Mauer blickte. Sklaven liefen eifrig in dem morgendlichen Garten umher und zimmerten einen grünen Baldachin; goldgestickte Ruhepolster lagen schon bereit, der Marmorbrunnen sprudelte wieder.

Vom Hof des Hauptpalastes erscholl das Geschrei der Bestien mit einemmal lauter, plötzlich überschrien von einem wilden menschlichen Entsetzen. Die Arbeiter unter dem Baldachin stutzten und rannten hinaus. Ein dumpfes Brüllen erschütterte die Luft, langsam trat durch das offene Tor ein Löwe in den Frauengarten, und mit ihm waren die Mauern jäh belebt von erregten Köpfen. Die schweren Flügel krachten zu, die Balken dahinter fielen in die eisernen Klammern, hier und da schon löste sich der Schrecken in ein heiseres Lachen über das gefangene Tier. Aber jetzt ward eine Stille, als[91] hielte Gott den Atem an. Die Tür des Frauenhauses öffnete sich, das Kind sprang nichtsahnend über die Schwelle, sah den Baldachin und klatschte jubelnd in die Hände. Ich fühlte mein Herz nicht mehr, meine Augen verdunkelten sich. Mit einem Sprung stand ich auf der Mauer, flog in den Garten, stand jählings versteint in rasender Angst. Das Kind hatte den Löwen endlich gesehen und sank bleich und zitternd in die Knie. Zögernd streckte sich das Tier, fegte mit dem Schweif nachlässig den Boden. Meiner ward es noch nicht gewahr; ich wußte nicht, was beginnen, entschlossen jedoch, bei der geringsten Bewegung mit den nackten Fäusten wider die Gefahr zu springen. Da tönte ein leises Zischen neben mir, eine Lanze bohrte sich in den Boden, handgerecht, mit schwingendem Schaft. Mir war wie in der Schlacht, Blut rann mir vor den Augen, mit einem Sprung stand ich neben dem Löwen und jagte den Speer in die gelbe Flanke, mit solcher Wucht, daß die Spitze an der anderen Seite herausfuhr und in die Erde drang. Der Schaft brach in meinen Händen, ich fühlte einen furchtbaren Hieb mitten ins Gesicht, sah ein Blitzen lang den zottigen Nacken und schlug die Arme um den Hals der Bestie,[92] so mächtig meine Kräfte waren. Es war ein Kampf, in welchem mir Zorn und Liebe mehr halfen als meine Stärke. Ich sah nichts mehr, meine Augen waren von Blut verklebt; ich schrie nicht, meine Zähne bissen sich in die zähe Haut des Gegners. Plötzlich schien der Himmel offen zu stehen, Drommeten schmetterten jubelnd aus lauter Licht. Vorsichtige Hände suchten meine Arme zu lösen, Fließendes, Kühles legte sich auf meine Stirn. Ich stammelte noch halb von Sinnen:

»Das Kind! Wo ist das Kind?«

Ich stand in Dunkel und Blut; plötzlich raste es in mir auf, ich sei blindgeschlagen, riß das Tuch von der Stirn, sah das Licht und ein blondes Köpfchen, und lachte und schluchzte selig ermattet.

»Ruhe, Christ!« sagte der Emir neben mir leise, faßte mich um den Leib und trug mich mehr als er mich führte auf ein Ruhebett. Da lag ich auf den golddurchwirkten Polstern des Kindes, und meine Seele sang ihren seligen Dank, indes der Schmerz ungezählter Wunden stetig wachsend mich an die Erde erinnerte. Kopf und Gesicht brannten wie in glühenden Kohlen, jeder Pulsschlag trieb Dolche in meine Stirn, ich konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken.[93] Der Arzt des Emirs war um mich bemüht, wusch meine Wunden, wickelte mich in Verbände, auch die Augen. Ich biß die Zähne aufeinander, wollte keine Schmerzen zeigen, denn das Kind hatte sein schmales, kühles Händchen in meine heiße Faust gelegt, und ich hielt es in der hohlen Hand wie ein Rosenblatt und wagte nicht, es zu drücken.

»Ein Mann von Eisen!« hörte ich den Arzt sagen. Mir kam ein Lachen in die Kehle: dies Eisen hatte sehr, sehr weiche Stellen. Er träufelte mir ein bitteres Wasser in den Mund, ich schluckte notgedrungen und hörte ihn noch einmal wie aus Fernen:

»Schlaf ist das Beste. Es ist ein Wunder –«


Mehrere Tage sah ich nur den Arzt an meinem Lager, das im Palast aufgeschlagen und wie das eines hochgeehrten Gastes war. Da ich sprechen wollte, winkte mir der Greis Schweigen und zeigte mir in einem silbernen Spiegel meinen Kopf: aus einem Knäuel weißer Binden lugte nur ein Auge, sonst nichts. Der linke Arm, beide Beine waren eingepackt; Schmerzen verspürte ich nicht, sprechen konnte ich nicht, die Kiefer waren vom Verband fest[94] aufeinandergepreßt. Der alte Mann erriet meinen fragenden Blick.

»Du wirst völlig wiederhergestellt, Christ; auch das andere Auge hoffe ich zu retten. Dein Glück wird so groß wie deine Tapferkeit sein, oder fast so groß, denn ich habe in meinem langen Leben keinen kühneren Mann gesehen als dich. Deine Sklaverei ist zu Ende, du wirst beschenkt wie ein König in deine Heimat ziehen, ohne Sorge dein Leben lang, und du verdienst es wahrlich.«

Ich zuckte unter den Binden schmerzhaft zusammen: dies dünkte mich ein schlechter Lohn, wenn ich überhaupt Lohn verdiente, das Kind zu lassen, um in eine geraubte Heimat zu fahren. Ich streckte die Hand aus und deutete dem Greise die Scheitelhöhe meines Lieblings an; er verstand mich sogleich.

»Hab Geduld, Christ, eine Woche noch. Sie würde zu sehr erschrecken, sähe sie den Retter so elend. Sie freut sich sehr auf dich und plappert den ganzen Tag von ihrem Riesen.«

Eine Woche noch, sieben lange Tage, sieben lange Nächte! Aber sie plauderte von mir, sie hatte mich nicht vergessen! Wie weit mochte der Emir in seiner Dankbarkeit gehen? Ich malte mir ein herrliches[95] Leben aus: täglich durfte ich ihr Blumen bringen, sie sehen, mit ihr sprechen – ach, nur ein Ave lang!

Wie elend schleppten sich die Stunden, die Zeit stand still. Vielleicht vergaß sie meiner in sieben langen Tagen über ihren bunten Spielen, über den tausend Dingen, die ihr der Emir aus Ägypten sicherlich mitgebracht hatte. Ich mußte den Arzt fragen, abends, wenn er mir den Brei aus Eiern und süßem Wein einflößte; aber der Arzt beschwor mich, den Mund nicht zu bewegen, um die Narben nicht aufzureißen. So ergab ich mich denn, innerlich seufzend, und harrte auf den nächsten Morgen, wähnend, er müsse mir den Verband erneuern. Jedoch im Wein war ein Schlafmittel, meine Binden wurden gewechselt, ohne daß ich es merkte.

Dann endlich kam der siebente Tag.

»Die Kleine?« deutete ich mit der flachen Rechten an, und der Weise lächelte verstehend.

»Wir werden sehen, Christ. Der Emir bringt sie, wenn unsere Rechnung richtig ist und deine Wunden es gestatten.«

Er dämpfte das Licht mit Vorhängen und löste mit geschickten Händen den Verband. Neugierig[96] hob ich das Lid des anderen Auges, es schmerzte ein wenig, die Farben rannen vor meinem Blick ineinander; erst allmählich gewöhnte es sich zu seinem Dienst. Ich versuchte einige Worte, aber sie klangen heiser vor Schmerzen. Meine Wangen waren wie von Nadeln zusammengekrampft, von den Schläfen zum Kinn schien eine stachelbesetzte Klammer zu liegen; hilflos sah ich auf den Arzt und deutete ihm, den Spiegel zu reichen.

Er gab die Silberplatte zögernd herüber; wie ein Träumender stierte ich in ein Gesicht, das nicht mehr menschlich, das kaum noch ein Gesicht zu nennen war. Das Nasenbein war völlig zertrümmert, die fleischigen Teile zerfetzt und nur ein blauroter Stumpf mit blutverklebten Löchern, die Wangen verschwunden, vom Scheitel bis zum Kinn nur furchtbare Wunden mit schlecht verharschten Rändern. Ein Wunder, daß Mund und Augen auf diesem Schlachtfelde lebten, wenn auch die Lippen nur mit Mühe die Worte bilden konnten. Daß einige Zähne fehlten, merkte ich erst später, der Mangel des Bartes fiel mir überhaupt nicht auf.

»Gott sieht das Herz an,« sagte der Heide sanft. »Kurz ist der Erdentag, du wechselst ihn wie ein[97] Gewand oder wie bestaubte Reiseschuhe. Möge dein nächstes Leben reicher geschmückt sein!«

Ich verstand ihn nicht, wollte ihn nicht verstehen. Meine Augen füllten sich vor Leid: nie wird die Kleine mich ansehen, nie mich lieben können, so grausam häßlich, so widerlich wie ich war. Und als ihr Füßchen über den Gang trippelte, riß ich das Laken bis zur Augenhöhe über mein zerrissenes Gesicht, und das Herz bebte mir wie einem Buben in erster Liebe. Ich hörte den festen Schritt des Emirs neben ihr, und schon standen die beiden an der Schwelle; tief beugte sich der Arzt zu Boden. Der Emir hatte einen überaus kostbaren Säbel in der Hand, die goldene Scheide war mit den herrlichsten Farben ausgelassen, der Griff funkelte von Steinen. Er legte ihn auf mein Bett und sagte:

»Friede sei mit dir! Nimm dies Zeichen der Freiheit und sei fortan mein Freund, mein Bruder.«

Er hob das Kind, das ich nicht aus den Augen ließ, vor mein Gesicht, und die kühlen, süßen Kinderlippen berührten meine Stirn.

»Hab Dank, du tapferer Christ!« läutete das feine Stimmchen in einem wunderlichen Deutsch. Ich lächelte vor Glück, aber sie sah es gottlob nicht, denn[98] mein verstümmeltes Lachen mußte einen schrecklichen Anblick gewähren. Der Emir deckte einmal flüchtig das Tuch auf, eine Wolke flog über seine Stirn, er wandte sich schweigend ab.

Das Kind saß auf meinem Lager, sein Händchen lag in meiner Rechten. Es plapperte und fragte und wollte wenig Antwort. Ob der böse Löwe mich sehr geschlagen, ob ich Schmerzen hätte. Ob ich Federball spielen könnte und wann ich aufstehen dürfte. Ich sagte nichts, ich wollte das Kind nicht mit der knarrenden Stimme erschrecken und lachte es nur mit den Augen an.

»Du darfst mit mir spielen, sagt Jussuf.«

Ließ sich der Emir nicht Vater nennen? Erkannte er sie nicht als Tochter an? Ich schielte zu ihm hin, doch er stand im Schatten, und seine Züge schienen sich nicht zu bewegen.

»Genug für heut!« flüsterte der Arzt mir zu. »Sobeide kommt nun jeden Morgen.«

Er zog sie von meinem Lager, und ihr Widerstreben überflutete mich mit Entzücken. Am Vorhang blieb sie noch einmal stehen, hob eine Schaumünze hoch und rief:

»Hier ist auch ein Löwe, aber der beißt nicht.«

[99]

Mit einem rauhen Schrei fuhr ich aus den Kissen und starrte auf die Kleine; der Arzt, der Emir liefen auf mich zu und legten mich sacht nieder, wähnend, die Erinnerung hätte meinen Schmerz überlaut gemacht. Ich aber winkte Sobeiden zu, die neben der Negerin stand und die Augen voll Tränen hatte.

»Die Münze!« ächzte ich. »Um Gott, zeigt her!«

Sie trugen Sobeide wieder auf mein Bett; an goldener Kette hing ein Braunschweiger Löwentaler um ihren Hals.

»Ihr Kind!« stammelte ich, überwältigt von Gottes rätselhaften Wegen, und fiel erschöpft in die Kissen zurück.

Der Emir blieb allein im Gemach, seine Hände zitterten leicht, als er mir über die Stirn strich.

»Du also bist es doch,« murmelte er vor sich hin und senkte den Kopf, als betete er.

Meine Schwäche wurde größer, ich mußte die Augen schließen und fühlte mich sanft entgleiten, als triebe meine Seele auf lauem Winde aus der engen Haft. Die Meilensteine meines irdischen Weges waren erwählt und gezeichnet; ja, wahrlich, kein Haar fiel von meinem Haupte ohne Seinen Willen.


[100]

Der Emir hatte mein Erwachen abgewartet; meine Rechte in seinen schlankem kühlen Händen haltend, begann er halb Deutsch und halb in seiner Heidensprache:

»Es ist besser, ich erzähle dir meine Geschichte sonder Zögern, denn Krankheit kennt keine Geduld. Ja, es ist Gertraudens Kind, aber nicht ich, sondern der Ritter von der Wilze zeugte es. Doch höre von Anfang an und lerne, wie diese Erde nur ein erbärmliches Staubkörnchen auf Gottes ewigen Wegen ist.

»Ich ritt – es sind wohl sechs Jahre her – über den Sklavenmarkt von Damaskus, mit einem dürren, früh verschwendeten Herzen ritt ich und prüfte Menschen wie Waren. Da stand sie unter einer Schar nackter Negerweiber, in einem linnenen Hemde, darüber die Münze, die du bei Sobeide erkanntest. Sie lehnte an einer Zeltstange, die Augen geschlossen, aber in der Haltung einer Sultanin. Ich kannte den Korsaren, dem Zelt und Ware zu eigen, er hatte mir oft genug weiße und dunkle[101] Mädchen zugebracht. Er bemerkte meinen flüchtigen Blick, sprang dienstbeflissen hinzu und griff mit der rohen Faust an ihr Gewand, um mir ihre Glieder hüllenlos anzupreisen. Sie schrak zurück, schaute auf und überflutete mich mit einem Blick, den ich nimmer vergesse. Freund, ich kann es heute noch nicht erklären, ob es Liebe oder was immer war, genug, wir brannten ineinander, und der weite Markt um uns ward fremder als das Ende der Erde. Zum erstenmal empfand ich deutlich: es lebt niemand für sich allein. Wir alle sind schicksalhaft miteinander verbunden, mehr oder weniger schmerzhaft und lustvoll, mehr oder weniger auf Tod und Leben, auf Zeit und Ewigkeit.

»Der Händler wirbelte unter meiner Faust in die Zelttücher; ein Beutel Goldes, der für all seine Ware ausgereicht hätte, machte ihn wieder zahm. Eine Stunde später führte eine Sänfte sie inmitten meiner Krieger nach Bachara. Und dies war alles, was der Korsar von ihr wußte: Er hatte sie an einem Holze treibend nahe der Küste gefunden; ein riesenhafter Mönch hielt sie umklammert, faßte das rettende Tau. Aber indes die Räuber ihren Fund packen wollten, schlug der Retter mit dem Kopf an[102] das Schiffsbord und versank; die weiße Frau war geborgen. Du warst es, Ronald, und nun hast du abermals in die Fäden meines Lebens eingegriffen, mir zum Heile schickte dich Gott aus deinem Abendland.«

Ich wußte nichts zu antworten. Ihm, dem Ungläubigen, zum Heile sollte Gott mich von meiner süßen Liebe gerissen haben? Wie würde der Emir sprechen, wenn er meine Geschichte erführe? Aber nimmer würde das sein.

»Ich vertat den Rest des Tages in Damaskus und machte mich in der Nacht mit wenigen Begleitern nach Bachara auf, in langsamem Trabe reitend, denn ich wollte die Sänfte nicht einholen, wußte jedoch keinen Grund für solche Zagheit. Daß jene weiße Frau mehr als je ein Mensch mich beeinflußte, wollte ich mir nicht eingestehen, und doch lag es klar in meinen Taten: nie hatte ich kläglichere Beute aus Damaskus heimgebracht. Ich wütete gegen mich selbst und suchte mit rohen und gemeinen Vorstellungen die Stimmen der Wahrheit zu übertäuben. Zu meiner Lust hatte ich die Fremde gekauft, eine von vielen war sie und sollte sie bleiben. Gleichviel, alle Gedanken gingen nach ihr, die Hufe[103] pochten ihr Bild aus der Steppe, die Sterne verblaßten vor ihren Märchenaugen. Ich verfiel ihr, je näher wir Bachara kamen, und mit einem Gefühl halb Trotz, halb Furcht ließ ich sie zu mir rufen, kaum daß ich mir Bad und Nachtmahl gönnte.

»Schon ihr Anblick entwaffnete mich. Entgegen meinen gemessenen Befehlen trug sie ihr verschlissenes Linnen, trug es wie steinbesäte Seide. Sie berührte nicht den Boden mit ihrer Stirn, kaum merklich neigte sie ihr Haupt und sah mich mit den ernsten, tiefen Augen an, daß mir Zorn und Angst die Kehle zuschnürten. Endlich ermannte ich mich, ergriff sie beim Arm und zog sie neben mich, weiß nicht mehr, mit welchem rohen Wort, denn ich wollte sie und ihren Stolz verwunden. Sie verstand mich nicht, nur zu natürlich; außer ihrem Deutsch wußte sie nur wenige Worte der Lingua Franca, und darin tat sie mir kund, immer noch meinen Blick mit ihren Augen festhaltend: ›Es ist uns nicht beschieden, Emir.‹

»Ich wußte sehr wohl, was sie meinte, und so ungezwungen stellte sie sich neben mich, daß jede herrische Lust mich verließ und keine Waffe gegen ihre Art mir in Händen blieb, außer der Überlegenheit[104] der männlichen Kraft. Nun mußt du wissen, Ronald, daß unglückliche Verkettungen die lasterhaften, grausamen, tierischen Seiten meines Wesens besonders gefördert hatten; aber unter den Augen dieser seltsamen Frau sprang Saft in die verdorrten Äste, trieben junge Wurzeln in heilige Gründe, blühte in mir das Ebenbild Gottes. Solches begann auf dem Markt zu Damaskus und hörte nimmer auf. Noch schlugen die Wogen der Leidenschaft hoch, als ich sie an mich riß, doch ihre wenigen Worte beschworen den Sturm, und wenn ich Beschämung verspürte, so gewiß nicht wegen meiner Niederlage. ›Wir haben uns etwas zu sagen,‹ fuhr sie fort, angestrengt nach den Worten suchend und nichts von Triumph verratend, ›doch es wird Zeit brauchen, da es keinen Dolmetsch verträgt. Ich bitte dich, laß mich nicht fürder bei deinen Dirnen hausen, sondern gönne mir ein Gemach in deinem Palaste, wo mein Schlaf nicht von der menschlichen Schande entehrt wird.‹

»Sehr verlegen und mit geröteten Wangen sann ich auf Antwort; fast kam mir ein Bedauern, diesen unbequemen Willen zu Gast zu haben. Ich bedeutete ihr, daß viele Augen auf mich gerichtet seien,[105] und ich sonderlich in Frauendingen nicht tun könne, was ich wolle. ›Warum nicht?‹ fragte sie kühl dawider. ›Doch sei dem wie immer: hier in deinem eigenen Gemach bist du doch Herr, Emir von Bachara, und darfst mir wohl ein ehrenhaftes Lager neben dir gönnen.‹

»Eine flüchtige Glut streifte ihre Stirn und verschönte sie, daß mein Herz in hellen, reinen Flammen stand. Ich erschauerte in dem ungekannten Feuer, darin alles Unedle hinwegschmolz; eine Silbersaite klang in meiner Brust und schwang einen klaren Ton in die Sterne, die durch unser Fenster schienen. Meine unruhigen Hände dürsteten nach Beschäftigung, ich häufte ihr ein Lager aus herrlichsten Seiden; voll Zutrauen legte sie sich nieder und entschlummerte übermüdet, ihre regelmäßigen Atemzüge durchzogen das Zimmer wie sanfter Taubenflug.«

Emir Jussuf seufzte verhalten, dann füllte ein Lächeln seine strengen Mienen mit Milde. Ich fürchtete, er wolle seine Erzählung unterbrechen, und zupfte ihn ängstlich am Kleide. Er drückte mir beruhigend die gesunde Hand.

»Freund, meine Geschichte ist nicht lang, du sollst[106] sie noch in dieser Stunde zu Ende hören, soweit sie ein Ende hat.«

Dies Letzte fügte er leiser hinzu, wie für sich, und sah mit hoffnungsheißen Augen über mich weg in das wolkenlose Blau des Himmels. Ich verstand ihn erst sehr viel später, und ach, das Ende seiner Geschichte lag, wie der Anfang, in meinen unglückseligen Händen.

»Laß dir sagen, Freund, ich besinne mich, oft den Schlummer eines Weibes gestört zu haben, aber damals habe ich ihn bewacht, wie eure Ritter ihres Herzogs Banner. Es war eine Nacht mit wechselnden Launen: jetzt kam ich mir großartig, im nächsten Augenblick abgeschmackt, im dritten schmachvoll übertölpelt vor. Ich spottete meiner selbst, indes ich der erzwungenen fleischlichen Fasten gedachte, jedoch das Spiel war neu für meine stumpfen Sinne und fesselte mich. Immerhin schien mir klar, daß ich in der nächsten Nacht an mein Ziel kommen müßte, sollte ich überhaupt als Mann bestehen. Denn siehe, Freund Ronald, im Sieg über das Weib erblickte ich zu jener Zeit meine Triumphe.

»Die Nachtwache und der helle Morgen kühlten meine Gelüste und dämpften meinen Mut. Ich ließ[107] ihr, die mich freundlich begrüßte, ein Bad bereiten, und sie entstieg ihm, nun doch in einer lichten Seide, wie ich sie gebeten hatte, und nahm mit mir den Morgenimbiß. Mir war, als sei die Lieblingsfrau Saladins, mehr, des abendländischen Kaisers kühle Gemahlin bei mir zu Gaste; meine Verlegenheit wuchs unter den wenigen belanglosen Reden, die wir wechselten, und ich fühlte im Herzen am Stocken des Blutes: hier blieb mir nur Freveltat oder Flucht, da uns zu dem, was uns im eigentlichen beseelte, die gemeinsame Sprache fehlte. Mein alter Arzt kam als Retter, er war sprachenkundig wie Salomo. Ich stotterte von einer dringlichen Reise, befahl sie in die Obhut des Greises und wies ihr meinen Palast zur Wohnung an. Fort, nur fort und Atem holen.

»Drei Monde tummelte ich mich auf der Steppe, aber nicht ein Sandkorn rann durch die Stunde, ohne daß ich ihrer gedachte. Meine Freunde und Gesellen erkannten mich nicht wieder, aus einem zügellosen Erben war ein wortkarger, ernsthafter Mann geworden, dessen Leben eben erst im Anfang stand … Was ist dir?«

Meine Hand flog wie im Fieber, Nebel wallte[108] mir vor den Augen. Jenseits einer ungeheuren Schlucht stand die Vergangenheit und winkte herüber. Wahrlich, klein wie Staub ist die Welt in Gottes Hand und dürftig ihre Schicksale.

»Nichts, nichts!« keuchte ich mühsam und stammelte von den Anfängen des Lebens, die sich absonderlich oft wiederholend berührten.

Der Emir sah mich nachdenklich an und fuhr, sichtlich in innerer Bewegung, fort:

»So kommt auch dem Abendlande die Erkenntnis der Ewigkeit dieses Erdendaseins? – Doch laß mich zu Ende berichten, Ronald, obzwar meine Geschichte nicht gar lustig auf ein Krankenlager gestimmt ist. Die Sehnsucht – Wünsche ohne Häßlichkeit – trieb mich wieder in mein Haus, ich sah sie, die heiteren Auges mir den Willkomm bot, und erkannte, daß sie gesegneten Leibes sei. In diesem Augenblick versank die eben emporgestiegene gute Welt in mir, ich wähnte mich von einer Dirne, die sich an Schranzen weggeworfen, in der lächerlichsten Weise betrogen und packte sie rauh bei der Schulter. Sie entzog sich mir nicht, sie richtete ihre Augen auf mich, und meine sinnlosen Worte erstarben, die freche Faust löste sich zu einem scheuen Streicheln,[109] ich neigte den Kopf und ergab mich, bevor ich kämpfte. Der Arzt verließ lautlos das Zimmer.

»›Dies ist das letzte und beste Geschenk meines toten Gefährten,‹ sagte sie mit einem eigenen Lächeln, ›und mag uns noch so viel verbinden, Emir Jussuf, dies werdende Leben türmt eine Schranke, die uns zu überschreiten versagt ist.‹

»›So fühlst du ein Band zwischen dir und mir?‹ rief ich freudig aus, alles Trennende vergessend.

»Ihre Augen lagen wie ein Frühlingstag über mir, ich hätte ihr größere Dinge geglaubt als dies: ›Emir, wir sind einander begegnet, seien es tausend oder tausendmal tausend Jahre her, und unsere Seelen sind für immerdar nebeneinander in Gottes bunten Teppich geknüpft.‹

»Die Lingua Franca floß wie ein silbernes Bächlein von ihren feinen Lippen; für mich, für mich hatte sie die Worte gelernt. Und seit Ewigkeiten war unser Leben verbunden, würde es für Ewigkeiten sein! Mohammed, stiege er aus seinem himmlischen Glanze nieder und belehrte mich eines anderen, Mohammed hätte einen Tauben und Ungläubigen gefunden.

»›Das ist ein strahlend schönes Wunder,‹ versetzte[110] ich leise, doch sie: ›Du magst es so nennen. Aber das ist dir kein Wunder, nach der kurzen Spanne eines armseligen Erdenlebens mit den ewigen Freuden im himmlischen Saal belohnt zu werden! Wie kannst du an Ewigkeit glauben, wenn du nicht selber ein Stück von ihr bist, und wo ist da Anfang und Ende? Dies irdische Gewand ist nichts als das wechselnde, gebrechliche Gefäß für deine Unsterblichkeit, aus Staub geboren, zu Staub verloren. Emir Jussuf‹ – ihre Stimme klang wie goldener Harfensang – ›du meinst, du dürstetest nach meinem vergänglichen Leibe, weil er dich vielleicht schön dünkt und deine Sinne reizt, aber ich sage dir, es steht besser mit uns, denn unsere Seelen kennen einander.‹

»Es durchschauerte mich, als hätte Gott mich berührt. Ich glaubte in einer kristallenen Kuppel zu weilen, klar bis in die letzten Tiefen sah mich die Unsterblichkeit an. Eine junge Sonne ging über meinem Leben auf, die dumpfe Schwüle irdischer Lust und Leiden löste sich und gab einer Reinheit Raum, die mich gleich einem lebendigen Quell durchströmte und erneuerte. Ein Wort der Offenbarung hob mich aus meiner starren Einsamkeit, nie[111] wieder blieb ich allein. Und plötzlich ein Argwohn: ›Was hätten wir miteinander gemein? Du, die Christin, ich –‹

»Ihr helles, gedämpftes Lachen fiel mir in die Rede: ›Vor Christen, Moslem und Juden war Gott mit zahllosen Namen, und ehe du diese braune Haut und diese dunklen Haare hattest, sind wir beiden weiß und blond und blauäugig von den Nordmeeren in diese heiße Sonne gefahren – Geschwister vielleicht, vielleicht auch Mann und Weib, gewißlich aber einander vertraut und lieb und eines Blutes. Fällt dir der Glaube so schwer, Emir Jussuf?‹ fügte sie schelmisch bei.

»›Es muß so sein,‹ gab ich zu, überwältigt von der Erinnerung an unser erstes Begegnen in Damaskus, das nun auch mir ein Wiedersehen gewesen zu sein schien. ›Doch sage, wie liebst du mich heut?‹

»Ich harrte auf ihre Antwort wie auf Gottes Gericht; sie wiegte ernsthaft den feinen Kopf und errötete zart. Ich weiß nicht, Ronald, ob du ihre Stimme in deinem Gedächtnis bewahrt hast, sie klang warm wie ferne, schöne Glocken und kannte kein Arg.

»›Darüber grüble ich jetzt nicht,‹ sagte sie leise,[112] ›mein Gemüt ist verwirrt von dem Vielen, das es in kurzen Monden erduldete. Laß mir Zeit und bleibe mein Freund, Jussuf; ein Jahr wiegt leicht auf unserem langen Wege.‹

»Die Art des Abendlandes, daß Frauen und Männer freundschaftlich nebeneinander hergehen, war mir noch zu wenig geläufig, daß ich sie nicht erschrocken fragte, ob sie mir ihren Anblick entziehen wolle. Und sie, munter und zwanglos: Warum sie solches tun solle? Wenn ich sie nicht mit unerfüllbaren Wünschen plage, wisse sie nichts Lieberes, als in meinem Palaste zu weilen. ›Im Palaste,‹ bedeutete sie mich und wies mit ernsten Brauen auf das Frauenhaus; ›du kannst nicht wollen, daß ich in der Schande untertauche.‹

»Die Schläfen klopften mir vor Scham, in meinem Herzen beschloß ich sogleich, den Harem und seine Völkerschaften auszutilgen, und dies, da es Tat ward, war mein erstes Geschenk an sie, das sie vor Freude erröten machte. Es war zugleich der sichtbare Abschluß einer stinkenden Vergangenheit, und so bewegte die fremde Frau mein ganzes weites Reich zum Guten. Aus den demütig ängstlichen Gesichtern um mich her wurden vertrauende und[113] fröhliche, der Wohlstand im Lande hob sich mit der Abnahme meiner maßlosen Verschwendung; und ich entbehrte nichts. Statt in schwüler Liebe weitete ich meine Brust in dem süßen, kühlen Odem der Nordlandmeere, von denen sie mir sprach, und fremd aller Leidenschaft wuchsen wir zusammen, sie, ich und das sprossende Kind in ihrem reinen Leibe.«

Jussuf verstummte; ich weiß nicht, wie ich die Kraft fand, ihn trockenen Auges zu betrachten. Mein Herz floß in Tränen über, so stark überwältigte mich die Erinnerung an mein verwandtes, ach, allzu verwandtes Geschick. Nur daß sich hier Seelen trafen, indes mich der Engel mit dem Flammenschwerte aus dem Paradiese stieß. Jetzt verschattete sich sein eben noch verklärtes Antlitz, und mit dunkler Stimme nahm er seine Erzählung wieder auf:

»In diesem halben Jahr gewann ich die Schätze der Erde, um endlich doch mit leerer Hand und leerem Herzen an einem Grabe zu stehen. Sie, die viel voraussah, hatte ihr eigenes Ende nicht erschaut, denn wie hätte sie sonst diese heitere, wolkenlose Ruhe bewahren können. Mit heftigen Schmerzen traten die Wehen lange vor der Geburt auf, das Kind beschrie den Tag, die Mutter sank in Nacht.[114] Sie schleppte sich noch einen vollen Mond durch ihre Qualen und genoß, den Tod im Herzen, die Freuden der Mutter, wie ein Verdurstender den endlichen Trank. Da sie heimging, noch bis zuletzt von Schmerzen gepeinigt, sprach sie, seltsam zu ihren ersten Worten an mich findend: ›Es ist uns nicht beschieden, Jussuf. Vielleicht, nein, gewißlich, treffen wir einander später unter besseren Sternen. Jetzt scheint das Kind dein Schicksal zu werden; halt es fest, mein lieber, lieber Freund!‹ Sie zog meinen Kopf mit ihren schwachen Händen nieder und küßte mich zum ersten- und zum letztenmal. Sie war befreit. Du bist Mönch, Ronald, und kannst nicht ermessen, was es heißt, die Liebste zu verlieren –«

Hierbei fühle ich noch heute, wie das Blut mir in die gespannten Wundennarben drang und mein Gesicht mit tausend Martern zerriß. Der Emir ahnte nicht, auf welch harte Folterbank er mich schnallte, und wie jedes seiner Worte ein Geißelhieb auf blutige Striemen war. Dennoch lauschte ich ihm gierig und gewann in aller Verzweiflung Trost in seinem Schmerz.

»Ich war nahe daran, mich hinterdrein in die[115] dunkle Pforte zu stürzen, aber der lächelnde Friede ihrer Züge bannte mich auf die Erde, wo Aufgaben meiner harrten, Aufgaben aus ihrer lieben Hand. Das Kind wurde all mein Glück, und das Kind wird mein Schicksal.«

Wieder stockte seine Rede, aber die Stirn entwölkte sich, er sah versonnen, fast heiter aus, als verschwiege er noch ein Letztes, Schönstes.

»Nannte die Mutter ihr Kind Sobeide?« fragte ich, mich gewaltsam ablenkend.

»Nein. Sie gab ihm einen traurigen deutschen Namen, den ich zu verschweigen bitte, sie nannte es Herzeleide. Es war dies, glaube ich, eine Laune ihrer peinvollen Krankheit, und sie nickte mir freundlich Gewährung, als ich es für meinen Teil Sobeide rief. Jedoch – was fragst du nicht nach dir selbst? Du weißt, daß sie die Gabe der Weissagung besaß, obzwar mehr in Gefühlen und dunklen Bildern als in voller Klarheit. Eines Tags, ihrem irdischen Ende nahe, sagte sie von dir, du würdest mir den größten Dienst erweisen. Ich wunderte mich dessen, da ich annahm, du seiest sicherlich ertrunken; sie aber lächelte nach ihrer Art und deutete: ›Deine Lanze wird ihn treffen, aber nicht verwunden.[116]‹ Dies ist mir geschehen, Ronald, jedoch ahnte ich den Priester nicht unter Helm und Kettenhemd und glaubte, nicht einmal nach deinem Namen fragend, an einen Zufall, bis Gott mich eines Besseren belehrte. Immerhin folgte ich einem zwingenden Triebe, daß ich dich mit nach Bachara nahm, denn seit Sobeidens erster Amme hatte ich keine christlichen Sklaven um mich geduldet. Nun hast du mir den größten Dienst geleistet, den mir ein Irdischer tun kann; du hast die vor einem entsetzlichen Tode bewahrt, die für mich wächst und die ich einstmals heimzuführen gedenke. Und nun genug. Ein Imbiß wartet deiner, und meiner warten die Geschäfte, die du, bist du genesen, brüderlich mit mir teilen sollst, wenn du nicht wieder in dein Abendland fahren willst.«

Er rührte mit der Hand an die Waffe auf meiner Decke und schloß:

»Ein Säbel ist ein merkwürdig Geschenk für einen Mönchen; doch siehe, er fiel von der Wand, als ich die Schatzkammer betrat, und ich nahm den Wink für eine Wahl. Wer weiß, wozu?«

Rasch entschwand er, verwirrt und verlegen, und noch mehr Verwirrung und Erstaunen ließ er zurück.


[117]

Zehn Jahre meines Lebens trieben in die Ewigkeit. Der Emir blieb jung, denn er sah in die Zukunft; ich wurde alt, denn ich vergrub mich in alte Tage. Er forschte meiner Vergangenheit nicht nach – was sollte ein Mönchsdasein Wichtiges bewegt haben? Eine schöne, ungetrübte Freundschaft umgab uns, mit lebendigen Armen über viele Klüfte greifend, und wo sie in kleinen Dingen versagte, reichte das Kind uns hilfreich die Hände. Aus der knospenden Lieblichkeit entfaltete sich eine lilienschöne Blüte, bei mir ein Vaterherz erschließend und randvoll füllend, bei jenem Jugend und Sehnsucht immer mächtiger weckend. Es wird der Wahrheit nahekommen, wenn ich meine, der Emir wollte in dem Kinde die Mutter lieben, aber aus dem gezwungenen Herzen wurde zusehends ein freiwilliges, je weiter Sobeide in die Jungfräulichkeit wuchs, und aus dem Berechnenden wurde ein Hingerissener, der sein südlich heißes Blut nur mit Mühe[118] zügelte; denn trotz ihrer sechzehn Lenze war Sobeide im Herzen ganz Kind.

Wie sehr der Emir von Anfang darauf bedacht gewesen war, seinem Wunsche keine Hindernisse zu bereiten, zeigt, daß er dem Kinde auftrug, mich Vater zu nennen. Er wollte keinen Nebenbuhler, zu welchem ein Retter aus Lebensgefahr selbst aus so fernen Kindertagen leicht werden kann – wenn er nicht gerade mein verwüstetes und entstelltes Gesicht getragen hätte. Von all dem abgesehen, kannte er die abendländische Seele nicht gut genug, um zu wissen, daß ich ihm, den ich liebte und achtete, nichts von dem Seinen rauben würde. Ach, und dennoch welch ein trüber Ausgang!

Diese zehn Jahre wiegen alles Elend meines bunten Lebens auf, sie waren glücklich, rein und reich. Ich lehrte Sobeide mein Wissen und teilte ihr von meinem Glauben mit, was ich für gut und nötig hielt. Dabei muß ich erwähnen, daß viele Gespräche mit dem Emir mich von Grund auf gewandelt hatten. Ich vergaß die Formeln und lebte wie er in dem unerschütterlichen Vertrauen, der Tod sei nur ein Wechsel des irdischen Werkzeugs. Wie tief wurde mir da verständlich, daß alle Schuld[119] sich auf Erden räche! Wie tief, daß alles Schicksal nur ein Prüfstein Gottes ist. Da verlor mein eigen Geschick seine Schrecken, wie es denn schon vordem in den seligen Rosentagen neben dem Kinde verblichen war.

Ich darf Jussuf über dem Kinde nicht vergessen. Der Emir war einer der fähigsten Köpfe, die mir je begegnet sind; in einer stolzen, wilden Seele barg er einen trefflichen Kern von Würde und Mannestum. Seine Vornehmheit saß unter dem Kleide und verriet ihn nie, in welche Lagen er auch durch sein leicht erregbares Blut kam. Mich umgab er mit rührender Freundlichkeit und erwies mir, der ich nur etliche Jahre älter war, eine schier kindliche Achtung. Seine Diener waren gewohnt, mich als zweiten Gebieter zu betrachten, und in der Tat führte ich oft während der Abwesenheit Jussufs die von ihm begonnenen Arbeiten weiter, als sei er der Sultan und ich sein Wesir. Geschenke überhäuften mich, ich war reicher als je und hätte ein großes Schiff gebraucht, wenn mich das Gelüst in die Heimat getrieben haben würde. Aber was war mir die Heimat! Hier hatte ich Kind und Freund, Arbeit und Jagd, und auch bei der Heirat Jussufs sollte[120] das alte väterliche Verhältnis bestehen bleiben, dies war mir zugesichert.

Ich sah den beiden, je näher dieser Tag kam, um so nachdenklicher zu, wenn sie ihre Bälle im Garten warfen oder Schachzabel spielten, darin der Emir ein unerreichter Meister war. Ich spielte besser als Sobeide, aber dem Kinde gegenüber verlor der Emir seine Ruhe mehr und mehr und zog, nicht immer mit Absicht, so schlecht, daß ich verstohlen in mich hineinlächelte. Der Jungfrau harmloses Wesen nahm ich für Kindlichkeit, Jussuf dawider litt es allmählich wie Geißelhiebe, denn er glaubte es als Liebeskälte gegen ihn auslegen zu müssen. Sobeide war in einem Alter, darin die Frauen des Morgenlandes längst mannbar sind. Sie mochte es auch körperlich sein, aber das Herz schlug frei und leicht in ihrer Brust und wußte nichts von solchen unruhigen Dingen. Ich hütete mich wohl, sie zu wecken; alles Lebendige muß von selbst seine Hülle sprengen, wenn es reif geworden ist.

Von allen Menschen gönnte ich sie dem Emir am liebsten und rechnete den Unterschied des Alters nicht. Jussuf war gertenschlank wie ein Jüngling, sein kühnes Antlitz zeigte keine Runzel, seine Kraft[121] war eben auf ihrer Höhe angelangt. Er war immer noch schön wie zu jener Zeit, da ich ihm begegnete; ich zweifelte nicht einen Atemzug lang, daß Sobeidens Herz sich eines Tags stürmisch zu ihm wenden würde. Aber »es war ihm nicht bestimmt«.

Mit den Zeitläuften befaßte ich mich so wenig wie möglich; ich wußte, daß die abendländische Ritterschaft hierzulande Feld um Feld verlor und in einem bedauernswerten Niedergang begriffen war. Es ging mir nahe, doch ich sah nur die Folgen schwerer Schuld. Wie schlimm es in Wahrheit stand, ahnte ich nicht. Im Herbst des Jahres 1187 kehrte Jussuf nach mondelanger Fahrt zurück, bat mich in sein Gemach und teilte mir mit, Jerusalem sei gefallen, Saladin Herr der heiligen Stadt. Bei dieser Nachricht wurden alte Vorstellungen und Bilder so stark in mir, daß mir die Tränen in die Augen traten und ich an mich halten mußte, um nicht meinen Kummer laut hinauszuschreien. Die bitterste Scham übermochte mich, hier tatlos gesessen zu haben, indes draußen auf dem Felde die Brüder den Tod starben, den Tod, ich überlegte nicht, für was, den Tod der Helden jedenfalls; und gleichviel für welchen Gedanken sie fochten, ich empfand meine[122] Zugehörigkeit zu den abendländischen Scharen, das Gemeinsamkeitsgefühl der schimpflichen Niederlage vor den Sarazenen.

Der Emir prüfte mit feinem Takt, was mich bewegte, er drückte mir die Hand und sagte herzlich:

»Heute wir, morgen ihr, Freund Ronald! Gräme dich nicht, auch deine Riesenkräfte hätten das Verhängnis nicht gewendet. – Doch ich komme wegen anderer Dinge, vielleicht erfüllst du mir meine Bitte nicht ungern. Der Sultan hat angeordnet, möglichst viele der kriegstüchtigen Gefangenen eine Zeitlang in der Sklaverei zu behalten, wenn sie auch in der Lage seien, sich lösen zu können. Du kannst dir denken, warum: die Christen werden sicherlich versuchen, die Grabeskirche wiederzugewinnen; uns aber liegt nichts daran, ihre Scharen zu verstärken. Nun könnte es sein, daß Ritter deiner Heimat dort sind, denen du ihr Los erleichtern möchtest. Auch braucht Sobeide ein paar Gespielinnen, damit sie nicht in allzu langer Kindlichkeit verbleibe.«

Ich lächelte verständnisvoll, indes er unter der braunen Haut errötete.

»Ein eigentümlicher Auftrag für einen abendländischen Mönchen,« scherzte ich, frohgelaunt über die[123] Abwechslung, und er, nicht minder heiter, tat einen Blick auf mein muselmanisch Gewand.

»Ein eigentümlich Kleid für einen abendländischen Mönchen,« rief er unter herzlichem Lachen, »es wird niemand deine Heiligkeit erkennen. Freund, wie wäre es denn, wenn du dir eine Liebste gewännest?«

Mit solchen lockeren Reden begann das traurige Abenteuer. Meine Vorbereitungen waren bald getroffen; das Kind jauchzte hellauf, als es hörte, was ihm beschert werden sollte; und ich ritt mit Dienern und Sänften gen Jerusalem zum Sklavenkauf, ohne daß ein leises Gefühl mich warnte, denn selbst die Scham erstarb unter meiner Unkenntlichkeit Je näher ich der Stadt kam, um so trostloser ward mir zumute; das Siegesgeschrei der Heiden, die Sklavenzüge der Männer, Weiber und Kinder meiner Art, das Elend der Vertriebenen, die an die Küste gezogen waren und obdachlos zurückkehrten, da die christlichen Schiffsherren sie ohne Geld nicht mitnehmen wollten, dies alles drückte meine Stimmung tief herab.

Nachdenklich ritt ich in Jerusalem ein, erstaunt über die Ordnung und Zucht der Sarazenen, die[124] mit großer Schnelligkeit fast alle Spuren des Kampfes ausgetilgt hatten; aber Wehmut beschlich mich zuletzt und trieb mich rasch an meine Geschäfte. Für Sobeide suchte ich einige Waislein aus dem Deutschen Hause aus, das war bald geschehen; darauf ritt ich die Gassen der Gefangenen ab, und eine nicht zu verjagende Unruhe ward Herr über mich, da ich dem normannischen Haufen näher kam. Ich sah kein bekanntes Gesicht, junge Leute ohne Namen, Knechte ohne Herren, hochmütig noch im Unglück aus Unkenntnis dessen, was ihrer harrte. Plötzlich fühlte ich mein Herz erzittern, von Schwindel ergriffen sank ich im Sattel zusammen und starrte irren Auges auf den Hals meines Pferdes, darauf die feinen Adern zuckten. Irgendwo in der Menge hatte ich mein eigenes Gesicht erblickt.

Ich konnte erst wieder aufschauen, als ich mich besann, daß mein Antlitz undurchdringlich geworden war und mit seiner grausen Entstellung jeder Ähnlichkeit spottete. Doch war meine Verwirrung noch so mächtig, daß ich die Jahre vergaß und in dem Jüngling meinen Bruder zu erkennen glaubte. Armes Menschenherz, wie weit bist du von Gott entfernt, dem du dich so nahe wähntest! Der wilde[125] Spuk erlosch nicht, als ich meinen Irrtum erkannte und sah, daß dieser Jüngling höchstens ein Sohn des Bastards sein konnte. Dies aber war mir gewiß.

Ich ritt auf ihn zu, mühsam beherrscht: Zug um Zug sah ich den Vater, und daneben in zorniger Wehmut an einem weicheren Spiel des Mundes die Mutter. Wählingerblut! Aber was für eins! Es sollte Tropfen um Tropfen für meine Leiden bezahlen.

»Wer bist du?« schrie ich hochfahrend auf normannisch.

Der Junge horchte auf, ein verträumtes Lächeln glitt über sein Gesicht, als er die Heimatlaute im Munde eines Moslem fand, dann spottete er herbe:

»Jedenfalls kein Überläufer wie du! Was treibst du für schmutzige Geschäfte, Alter? Pfui über dich! Warst du ein Normanne, so schäme dich doppelt: ich bin der Sohn und Erbe des Herzogs von Claraforte.«

»Mir unbekannt,« versetzte ich kalt. »Hier bist du nichts als eine Ware.«

Inzwischen winkte ich einen der Verkäufer heran und ward handelseinig. Mich hielt es nicht mehr[126] auf dem Markt und in der Stadt, durch die ich einst mich so traurig geschleppt hatte, ich vergaß das Elend der abendländischen Ritterschaft, die nach allen Richtungen verstreut wurde, und sprengte mit meiner Beute von dannen, Herz und Haupt voll verworrener Bilder und Gelüste. Um den Sohn des Bastards kümmerte ich mich während der Reise nicht, er trabte gefesselt zwischen meinen Leuten. Ich hörte ihn hier und da in der Lingua Franca oder in schlechtem Arabisch lustige und freche Reden tun, die wenig Kummer verrieten. Er schien sich in der Gesellschaft wohlzufühlen, wie es dem Bastardblut geziemte, und in meine Gefühle mischte sich Ekel und Verachtung. Ich rang mit Entschlüssen, fand aber zu keinem Ende. Eine unerklärliche Schwermut, mit Sehnsucht gepaart, legte sich betäubend auf mein Gemüt, nach zehn Jahren eines wolkenlosen Glücks rauschten die dunklen Fittiche wieder über mir, und abermals fragte ich nicht nach Gottes Willen. In Bachara suchte ich sogleich das Lager, ohne selbst das Kind begrüßt zu haben, von Fieber umdüstert, von Dämonen zerrissen, aber von schlummerlosen Reisenächten gottlob ermattet, daß ich willenlos versank.


[127]

Wie aus schwerer Krankheit tastete ich in den Tag zurück. Die Erregung war einer Art von Gleichgültigkeit gewichen, die kundtat, wie sehr Rache und Zorn in der Erinnerung lagen und mich doch nicht mehr für immer erobern konnten. Und mählich klärte sich mein Besinnen: Was war Gott mir schuldig? Hatte ich nicht eine wundervolle stille Zeit verlebt? War nicht alles Vergangene Notwendigkeit für dies mein Glück? Also, sprach mein Kopf, sende den Erben von Claraforte zurück in seine Heimat und vergiß! Aber mein Herz war still dazu und zögerte.

Ich rief nach Bad und Morgenimbiß und ließ den Bastard zu mir kommen. Er musterte mit seinen schnellen Augen das Gemach, ohne mich zu grüßen, dann ließ er sich auf ein Polster nieder und schob die beiden zuspringenden Wachen mit mächtigen Armen beiseite. Ich winkte, sie gingen betroffen hinaus.

»Der Übertritt ist eine einträgliche Sache,« höhnte der Junge, und bis auf die Stimme glich er dem, der mich betrogen hatte. Jetzt wunderte ich mich, daß ich keinen Haß empfand, ja eher Bewunderung für die schöne, kühne, blonde Jugend,[128] die kaum achtzehn Jahre zählen konnte und schon wie ein gewaltiger Streiter in seinem Kettenhemde dasaß. Über seine Frechheit weghörend, fragte ich kurz:

»Du heißt?«

»Harald,« entglitt es ihm; er biß sich hastig auf die Lippen und rief: »Was geht das dich an, alter Spitzbube? Hast du mich für dich gekauft oder hast du noch einen Beturbanten über dir? Schreib an die Juden in Genua, daß sie mich auslösen, und mach dein Geschäft an mir und dem christlichen Unglück, aber verschone mich mit deinem Anblick.«

»Du irrst,« bedeutete ich ihn gelassen, »an Lösung ist nicht zu denken, du bleibst Sklave. Wer dein Herr ist, kann dir einstweilen gleichgültig sein. Vergiß dein Herzogtum und tu deine Pflichten, die dir angewiesen werden, zur Zufriedenheit der Aufseher, so wird dir kein Leids geschehen.«

Er sprang auf, daß das Polster durch das Zimmer schoß, eine steile Lohe lief über seine Stirn, er sah aus wie mein Vater, wenn er von glühender Jagd heimstürmte; laut lachend brüllte er mich an:

»Mir ein Leids tun? Willst du das etwa versuchen? Oder vielleicht dein braunes Ziefer?«

[129]

Unwillkürlich mußte ich lächeln, eine Freudenwelle lief warm über mein Herz. Ach, du prächtige, großmaulige Jugend aus Nordland! Ach, ihr tolldreisten Riesen aus Schnee und Himmel und Gold! Ach, ihr hornhäutigen Drachen mit den Herzen aus Wachs!

Bastard oder nicht, der Junge war von echtem Korn, und wäre er eines anderen Sohn gewesen, ich hätte ihn am liebsten an meine Brust gezogen. Das würde freilich mehr ein Kampf denn eine Liebkosung geworden sein, da er gegen mich offenbar wenig Freundschaft zur Schau trug. Aber er brachte mir die Heimat mit rauschenden Buchen und grünen Hügeln, mit den Stimmen des Waldes und dem Leuchten der Wolken.

Derweilen sah ich, wie er knabenhaft verstohlene Blicke auf die Reste meines Mahles tat, er mußte noch nichts bekommen oder genommen haben. Ich legte eine Taube auf eine Scheibe Brot und bot sie ihm, der dunkel errötete. »Nimm sie getrost. Ich verstehe deine Abwehr gut, aber du darfst nicht verhungern, und alles kommt aus derselben Küche. Ich werde dir eine Beschäftigung zuweisen, die ich selbst einmal als Sklave gehabt habe, bevor ich –«

[130]

»Den Heiland verleugnete!« schrie der Junge trotzig und schlug das Brot aus meiner Hand.

Ich hob es ruhig auf und fuhr fort:

»Bevor ich den Dank des Emirs verdiente und sein Freund ward. Den Heiland habe ich nicht so sehr verleugnet wie du, der du sein Brot in den Staub wirfst.«

Der junge Riese wand sich vor Verlegenheit, er versuchte mich freimütig anzusehen und stammelte höflich:

»Vielleicht tat ich Euch unrecht, Alter, dann verzeiht.«

»Nimm und iß!« entgegnete ich ihm, und diesmal griff er zu, und ich sah seinem Hunger an, wie schwer ihm der Kampf gefallen sein mußte.

»Beruhige dich über deine Gefangenschaft; Saladin sorgt für Geiseln, denn da ihm das ganze Land zugefallen ist, wird die Christenheit vor neuem Streite stehen, mit ungewissem Ausgang.«

»Mit gewissem!« triumphierte die Jugend. »Glaubst du, König Richard ließe sich das gefallen? Und der Kaiser? Und mein Vater, wenn er erfährt –«

Das Blut drängte sich mir zu Herzen, ich senkte[131] die Augen. »Warum zieht dein Vater nicht zu Felde? Warum schickt er dich statt seiner?« fragte ich leise. Meine Seele bebte in der Brust und sehnte sich, ein Wort von der Mutter zu hören, ob sie lebe, ob sie fröhlich sei.

Bereitwillig gab er Antwort:

»Mein Vater hat genug im eigenen Lande zu tun, insonderheit bei den Unruhen der englischen Krone, da lärmen die Söhne wider den Vater und untereinander. Dazu ist die Mutter krank, er mag sie nicht verlassen. Auch hat er mich nicht geschickt, ich bin davongelaufen, sonst wäre ich nie ins Morgenland gekommen; denn ich bin der einzige Erbe zu Claraforte, keine Schwester, kein Bruder, ein stilles Haus, Alter.«

Der Kopf war mir in die Hand gesunken, die alten Tage zogen wundersam leuchtend herauf. Alles war in Glanz getaucht, es gab keine Laster, keine Sünden, nur Glück, nur Heimat. Langsam nur traten seine Worte in mein Bewußtsein, herb und plötzlich schüttelte mich die Meldung, Aleit sei krank. Ich wagte nicht zu fragen, stand auf und bedeutete Harald, mir zu folgen. Durch Palmenwege schritten wir zu dem Garten, den ich einige Jahre[132] verwaltet hatte; die Hütte, da mein Herd gestanden, war etwas zerfallen, denn niemand hatte sie bewohnt, der Garten wurde von dem Hauptgesinde mitbedient. Seit Sobeide erwachsen war, kam der Emir nicht mehr her; ich wußte, warum. In der Mitte des Geheges wogte ein Rosenhain voll der edelsten Sträucher, unwissend seiner Bedeutung hatte ich ihn damals aus alter Liebe besonders gepflegt. Es war der Platz, auf dem Gertraudens Leichnam verbrannt worden war, rätselhaft wie ihr Leben war ihr Bestattungswunsch gewesen.

Ich schloß die Tür zu dem verfallenen Hause auf.

»Ergib dich in dein Schicksal, Harald,« sagte ich mit verstellter Gelassenheit, »es ist, glaub es mir, gelinder als das meinige. Die Beschäftigung mit dem Boden, den Pflanzen, den Wolken und Winden tut wohl und macht ruhig. Niemand soll dich treiben; flick die alte Hütte und harre deiner Stunde in Geduld.«

Er warf den schönen Kopf in den Nacken und sah mich mit lachenden Augen an:

»Hütet Eure Pferde, Alter, ich sags Euch offen: kann ich fliehen, so geschieht es.«

Den anspringenden Schrecken – nachher wurde[133] mir bewußt, wie sicher mein Herz empfunden – dämpfte ein fernes silbernes Gelächter; ich murmelte einige Worte zum Abschied und eilte hinaus, den Wachen die Fürsorge für den neuen Gärtner einschärfend.

Im Garten des Frauenhauses saß Sobeide im Kreise ihrer neuen Gespielinnen, und die jungen, schönen Gesichter strahlten Freude über ihr unfaßbares Glück, solcher Herrin zugeteilt worden zu sein. Sie hatten ein ganz anderes Los befürchtet.

»Vater, Väterchen!« rief das Kind und fiel mir um den Hals. »Nun hast du eine ganze Gemeinde für dich und kannst wieder Priester sein!«

Einen Augenblick war alles verstummt, dann brach ein tolles Gelächter aus, und ich stimmte von Herzen ein. Wilder konnten die Gegensätze nicht in ein paar Worte gesperrt werden. Oder vielleicht doch von der mundkargen Wirklichkeit, die hier Lust und Leben und Geselligkeit schuf und jenseits der Mauer ein junges Blut zur Einsamkeit verdammte. Jedoch in diesem Wirbel blauer Sterne war kein Raum für Trauer, ich vergaß und genoß.


[134]

Jussuf betrachtete Sobeide mit der Überschärfe der Sehnsucht, jede leichte Bewegung wurde ihm zum Wesensspiegel. Da er nach seiner Rückkehr sich über sie neigte und, wie er es gewohnt war, einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn drückte, errötete sie tief und barg verschämte Augen vor seinem heißen Blick; und als sie in der Abendstunde unter der Ampel des Schachspiels pflegten, merkten sie beide nicht, wie seltsam die Figuren unter ihren Fingern hüpften, toller schier als ihre Herzen. Jetzt bot der Emir Schach, bei ungedecktem König; sie achteten es beide nicht. In starker Verwirrung stürzte das Kind die Figuren um, die Augen voll Wasser, und lief schnell hinaus. Jussuf sah mich sprachlos an.

»Lieber Freund,« deutete ich in grenzenloser Torheit lächelnd, »nun ist ihr Gemüt doch wahrhaft genügend bewegt, und das Herzchen steht in Flammen.«

Der Emir griff wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm, seine Züge klärten sich auf, er faßte mich um die Schulter und stammelte:

»Meinst du wirklich? Ach, Ronald, das Kind verfolgt mich durch die Träume, aber ich kann, ich kann ihm nichts sagen, die klare Unschuld wehrt[135] mich ab. Wie? – Geduld? – Ich habe sie all die Jahre gehabt, nun aber geht es über meine Kraft.«

Ich tröstete ihn, wie ich vermochte; es seien nun die letzten Wochen, die jungfräuliche Festung wolle ihren Stolz, sich nicht so leichtlich besiegen zu lassen, und was der Reden mehr sind. Er hörte sie mit halbem Herzen und ging seufzend in seinen Palast zurück. Wir waren ein paar alte Narren und wußten es nicht.

Emir Jussufs Liebeskummer griff allmählich auf mich über, auch mein Schlaf wurde blasser und wich einem fruchtlosen Grübeln. Ich hatte kein Arg, daß Sobeide ihn liebte, denn wie sollte ihr seltsames Benehmen anders zu erklären sein? Wen anders als ihn, der schön, treu und mächtig war? Es gab keine Wahl in ihrem Kreise; der Emir, an alles denkend, hatte sorglich jeden stattlichen Besuch vor ihr verborgen. Und doch fühlte ich ein Gewitter in der Luft, der schwüle Hauch ließ mich nicht ruhen. Eines Nachts wuchs dies so unerträglich, daß ich aufstand und ins Freie ging. Unwillkürlich lenkte ich meine Schritte an das Tor, hinter dem ich der Blumen gepflegt hatte; ich ließ mir von den Wachen aufschließen und trat ein, angenehm von[136] meinen Gedanken abgezogen von einer schmunzelnden Erinnerung an den Jüngling, der dort sein Herzogtum verwaltete. Ich ging ohne Groll, ohne Haß unter den Sternen der kühlen Nacht, das Vergangene schien abgetan, das Tote tot. Alles war still, das Rosengrab Gertraudens stand vergessen und traurig entblättert, die Wege herum waren vernachlässigt und voll Unkraut, die Bäume und Büsche verwildert, unbeschnitten – Harald wünschte offenbar sein Brot nicht mit der Hände Arbeit zu verdienen. Eher beklommen und traurig als zürnend schlug ich den Pfad zu seiner Hütte ein; ich mußte wissen, was er trieb und dachte. Vielleicht hatte Verzweiflung ihn in den stählernen Fängen, und sein Lager war feucht von Tränen und Heimweh.

Mattes Licht schimmerte durch die Hecken, er saß noch wach. Verwundert rieb ich mir die Augen: die ärmliche Hütte war mit blühenden Rosen umrankt, in Töpfen standen flammende Tulpen auf dem flachen Dach, das elende Gemäuer sah wie ein Märchen aus. Hier also steckten seine Tage, nur für sich selbst hatte er Zeit gefunden. Leise schlich ich näher und spähte durch das Fenster, vor dem zu meinem höchsten Erstaunen ein seidener Vorhang[137] hing. Aber meine Prüfung war noch nicht zu Ende, Geflüster drang aus dem Raum, der Junge stammelte unsinnige Brocken Deutsch und Normannisch durcheinander, und jetzt klang ein wehrendes, sehnendes Wort aus Mädchenmund – meine wilde Jugend stand so jäh vor mir, daß ich auf den Ärmel beißen mußte, um nicht laut aufzulachen. Der Tunichtgut hatte eine der Gespielinnen Sobeidens über die Mauer gehoben und koste mit ihr; und so alt ich war, es reichte noch nicht zu einer greisen Entrüstung. Auf Zehen schlich ich zurück und hinter eine hohe dunkle Staude, die Neugier hielt mich, ich wollte wissen, für welche der Schönen mein Herr Neffe sein Liebesnest mit Gertraudens Grabesrosen gerichtet hatte.

Meine Geduld wurde auf die Folter gespannt; doch endlich ging die Tür auf, der Junge stand breitbeinig davor und lauschte in die Nacht. Dann bog er sich zurück, ein zierliches Wesen, tief verschleiert, hüpfte in seinen Arm und ward auf leisen Sohlen an die Mauer getragen; vorsichtig machte ich mich hinterdrein. Behende schwang der Jüngling sich auf die Steine, kaum daß er den alten Nußbaum erklommen hatte, und ließ ein Seil herunter, daran[138] ein Knüppel verknotet war. Die gefällige Schöne setzte sich rittlings darauf und schwebte sacht empor.

Ich ärgerte mich trotz allem inwendigen Lachen, daß mir ihr Gesicht entgehen sollte; aber jetzt, da die beiden auf der Mauer saßen, löste sich der Schleier zum Abschied, und ein roter Mund bot sich dem Beneidenswerten zu einem langen Kuß.

Wie eine Sturmglocke schwang das Herz in meiner Brust. Es war Sobeide.


Was zwischen zwei Atemzügen durch meinen Kopf ging, verschmolz in einer kalten Mordlust. Was rührte mich dieser Bastard? Er mußte sterben! Über ein halbes Menschenalter hatte der einzige Freund, den ich auf Erden besaß, seine Sehnsucht in verschwiegenem Busen getragen, damit ein hergelaufener Bube mit seiner hübschen, frechen Larve ihn um sein Eigentum betrog – er mußte sterben! Ihn davonzujagen hieße ewige Trauer in das Herz der verführten Unschuld pflanzen, nur das Grab setzt Lust und Jugend ein Ziel; er mußte sterben. Ungeheures wollte Gott von mir, damit ich meine Freundschaft beweise: den Sohn der Frau,[139] die ich geliebt hatte und noch immer liebte, sandte er in dies ferne Land zum Opfer meiner Treue, den Erben meines Landes hieß Gott hinschlachten um der glücklichen zehn Jahre willen, und diesmal wollte ich meinem Schicksal männlich entgegengehen.

Darauf, so beschloß ich, nähme ich das Kind bei der Hand und geleitete es in den Garten an die Stelle, da ich ihn verscharrt haben würde, und also spräche ich zu ihr: Hier liegt einer, der eine deiner Gespielinnen mit dreisten Reden zur Zuchtlosigkeit verlockt hat. Er hat seine Strafe; forsche du der Dirne nach. Und damit du ein größeres Frauenrecht hast, wollen wir deine Hochzeit mit Jussuf auf den Neumond festsetzen.

So würde ich sprechen, und Jussufs Herz sollte von all dem unberührt bleiben. Wenn nicht der Bursche ihre Ehre beleidigt hatte; und dies mußte ich wissen. Ich zog mich in die Hütte zurück und barg mich in den Schatten, den blanken Dolch in der Faust. Seine sorglosen Schritte schollen über den Rasen, er pfiff eine sanfte Weise vor sich hin und zog die Vorhänge auf. Dann löschte er das Licht und ließ den Mond auf die kahlen Wände scheinen; träumerisch saß er am Fenster, das blonde[140] Haupt von silbernen Liebesflammen umkränzt; nicht um mein Leben hätte ich ihn so erschlagen können. Mit einem Sprung stand ich vor ihm und packte ihn beim Handgelenk. Er erkannte mich sofort und tat eine kaum merkliche Bewegung.

»Alterchen, ist das eine Zeit, die Leute heimzusuchen?« fragte er gelassen und sah mich forschend an, ob ich von seinen Taten wüßte. »Und was willst du mit meinem Arm, Väterchen? Du meinst doch nicht, mich halten zu können!«

Er versuchte eine Befreiung, merkte den Widerstand und nahm all seine Kraft zusammen.

»Mein Gott, was seid Ihr für ein Goliath!« keuchte er, vor Unwillen und Anstrengung feuerfarben. »So laßt mich doch und sagt endlich Euer Begehren!«

»Ist das eines Herzogs würdig,« sagte ich, »die Braut eines anderen zu stehlen?«

»Ach, du Schleicher! – Die Braut eines – Mach dich nicht lächerlich, Alter; ich habe den ersten Kuß von diesen Lippen gepflückt. Ihr täuschtet Euch in der Dunkelheit und meintet eine andere.«

»Du willst noch lügen, Bube!« schrie ich empört. »War es nicht Sobeide, mit der du in deiner stinkenden Hütte freveltest?«

[141]

Der Junge tat ein wildes Lachen, aber es klang nicht echt.

»Ist Liebe Frevel? Und stinkende Hütte, sagst du? Wo sämtliche Rosen des Gartens zu ihrer Ehre um sie versammelt sind? Aber sage mir, wessen Braut soll Sobeide sein? Sie selber weiß es nicht, oder –?«

Er neigte plötzlich nachdenklich den Kopf und biß die Lippen – wie eng beieinander wohnen Liebe und Argwohn! Mit solchem Herzen wollte ich ihn nicht in die Ewigkeit entlassen und berichtete:

»Sie ist dem Emir bestimmt, allerdings ohne ihr Wissen. Genug davon: sage mir eins: Hast du sie angetastet?«

Der Junge sah mir verständnislos ins Gesicht, seine Augen gewannen eine Fülle rührender Kindlichkeit. Als er schließlich begriff, wogte ihm das Blut über die Stirn, er schlug mit der freien Hand auf meinen Arm und schrie:

»Lästere sie nicht! Gib mich endlich frei! Dem Ungläubigen willst du sie verschachern!«

Mit mächtigem Ruck riß er sich los und wich zwei Schritt zurück, Tod in den glühenden Augen. Es brauste in meinem Kopf, eine jubelnde Befreiung[142] war in mir, daß es nun Kampf galt, daß ich ihn nicht abschlachten mußte wie ein Tier. Streitlust, die aller Gründe vergaß, faßte uns beide, und wie ein Sturmwind hausten wir umschlungen in dem Zimmer, lautlos, die Zähne verbissen, denn uns beiden war nicht um Horcher zu tun.

Wählingerblut! Er war es, bei Gott, denn solche Kraft war mir nirgends begegnet; ich keuchte unter seinen gewaltigen Armen und brauchte meine ganze Stärke; aber das zähere Alter blieb Sieger, ich warf ihn über die Schwelle, kniete auf seinem Leibe und drosselte ihn mit beiden Händen. Die Augen quollen ihm erschreckend aus den Höhlen, ich mußte wegschauen. Da leuchtete aus dem zerrissenen Hemd seine weiße Brust und unter dem Herzen das dreigespaltene Mal der Trebilons.

Ein eisiger Blitz durchfuhr mich vom Scheitel bis zu den Füßen, ich starrte entsetzt in das verkrampfte Gesicht vor mir. Ich wollte schreien, aber nur ein heiseres Wimmern brach aus der Kehle. Gott! Laß es nicht zu! Nicht zu!

Ich weiß nicht, wie ich es zustande brachte, das Richtige zu tun, überhaupt zu handeln. Wie eine Feder schwang ich den schweren Körper auf meine[143] Arme und lief nach den Trögen, in denen das Regenwasser für den Garten stand, netzte seine Stirn, rieb seine Brust, arbeitete an dem leblosen Leibe, daß mir der Schweiß aus allen Poren drang, ohne aufzusehen, ohne Unterlaß, ohne auch nur dem heißen Drang nachzugeben, diese geliebten Lippen zu küssen. Ich betete und fluchte in einem, aber Gott rechnet das Gestammel der umdüsterten Seelen nicht. Seine Liebe ergoß sich auch über diese grauenvolle Stunde und prüfte mich nicht über meine Kraft. Denn ich hätte es nicht ertragen.

Er lebte, der bleiche Morgen beschien sein erstauntes Gesicht, unsicher blickte er mich an. Ich legte den Finger auf den Mund und hieß ihn schweigen.

»Ohne Sorge, ich bin dein Freund, mag es dir auch seltsam vorkommen. Bei dem ewigen Gott, ich will euch beiden helfen, wenn ihr es ehrlich miteinander meint!«

Ein besseres Mittel, ihn zum vollen Leben zu erwecken, konnte ich nicht finden. Er sprang auf, taumelte und stützte sich an mir.

»Väterchen,« stammelte er, »du hast eine eigene Art für Freundschaftsbeweise, aber Knochen wie[144] ein Gaul oder wie mein Vater – sag, kann ich dir trauen? Und warum? Besinnst du dich auf dein christlich Herz?«

»Darum kümmere dich nicht, du arger Junge! Wie alt bist du?« Er ahnte nicht, mit welcher Spannung ich an seinen Lippen hing.

»Letzten Martin achtzehn geworden,« stotterte er verlegen, er fühlte seine grüne Jugend als wenig ausreichende Grundlage für Liebesdinge; »jedoch in unserem Geschlecht sind frühe Heiraten nicht selten.«

Ich hörte ihn kaum, eine tiefe Seligkeit entführte mich in eine wundersame Welt; er war mein Sohn, mein eigen Fleisch und Blut. Die Zeit stimmte, Aleit mußte gesegneten Leibes gewesen sein, und dies zu der Stunde, da ich Wildling sie schier zu Tode schlug. Späte Scham stieg mir in das früh ergraute Haar, aber die übergroße Freude ließ keine Schatten aufkommen. Ach, wie mußte ich mich bezwingen, mein Kind nicht in die Arme zu schließen! Ich wußte nicht, wie das anstellen, da half er mir selber:

»Alter, ich traue dir nicht! Wie willst du mir bürgen, daß du uns nicht beide verdirbst? Sobeide und mich! An mir ist nichts gelegen; doch wie kannst[145] du, ein Christ, das Mädchen einem Ungeliebten verschachern?«

In einer jähen Erleuchtung griff ich an mein Herz, fast hätte ich laut gejubelt.

»Schwöre mir beim Leibe des Herrn, über das, was ich dir jetzt zeigen will, für immer zu schweigen!«

Er hob betroffen die Hand zum Himmel; ich aber schob mein Gewand zur Seite und zeigte ihm das Mal unter meinem Herzen.

»Auch ich bin ein Trebilon, wie du von der Seite deiner Ahne. Nun bin ich der Mönch Ronald und tot für mein Geschlecht. Glaubst du jetzt?«

Mit leerem Ausdruck saß der Junge da, dann sprang er auf mich zu, umarmte mich und küßte meinen zerschundenen Mund und rief:

»Den Papst zum Vetter! Dem Mütterchen eine Tochter, und dir – ein Bistum!«

Mich lähmte die Wonne, jauchzende Gebete stiegen lerchengleich aus meinem Herzen; alles, alles hatte mir Gott vergolten durch diesen einen kurzen Augenblick.


[146]

Der Rausch verflog, die Seele rüstete sich zum Kampf. Jussuf war für einige Tage verritten; ich hätte ihm nicht ins Gesicht sehen können. Der Himmel, der mich mit Freuden überschüttete, forderte von mir Verrat, und angstvoll lauschte ich in mich hinein, was das Schicksal von mir erwartete. Pläne wurden geboren und verworfen, es blieb nur die Flucht. Zuvor aber mußte ich Sobeide vor mir sehen, und zagenden Herzens schritt ich in das Frauenhaus.

Sie empfing mich mit glänzenden Augen, und so fröhlich mich sonst dieses Licht gemacht hätte, heut stimmte es mich schwermütig, denn ich kannte seinen Ursprung und trauerte, daß mein Kind Geheimnisse vor mir hatte. Mein Kind – war jener andere nicht viel mehr mein Kind? Ich schüttelte die Gedanken von mir ab, das Gebot der Stunde ertrug nicht die Betrachtung so kunstvoll ineinandergeschlungener Schicksalsfäden. Das Kind saß neben mir, ich hatte meinen Arm um seinen Hals gelegt.

[147]

»Diese Nacht belauschte ich dich,« sagte ich und fühlte, wie sie schwerer an meine Brust sank.

Plötzlich faßte sie meine beiden Hände, bebende Angst in den Augen.

»Ihm ist nichts geschehen, Vater?«

»Nein,« sagte ich und wußte genug.

Sie barg ihr Köpfchen an meine Schulter und weinte leise.

»Die langen Jahre hat Jussuf dich gehätschelt und verwöhnt, er liebt dich mit der Glut seines starken und treuen Herzens; nun läufst du ihm davon, mit irgendwem, mit nirgendwem! Dies ist Frauendank.«

So sprach ich und schlug ihr Herz blutig, indes meins vor Weh brechen wollte. Sie sank in sich zusammen und weinte auf meine Hände, unaufhaltsam quoll die bittere Flut aus ihren Augen.

»Ist denn nichts, was dich zu dem Emir zieht?«

Da sprach sie endlich ein paar zitternde Worte, und sie, die bis vor kurzem von Liebe nichts wußte, war nun ganz in Liebe getaucht.

»Doch, Vater, doch! Ich hab ihn lieb wie einen Bruder, er ist der edelste und gütigste Mensch – nächst dir, Vater,« verbesserte sie sich und streichelte[148] meine Seele, »aber Harald hält mein Herz und ich seins. Straft mich, wenn es unrecht ist, doch ich kann nicht von ihm lassen, im Leben und im Tode nicht.«

Das waren große Worte, aber sie wuchsen aus dem schlichten Grunde ihres Wesens wurzelecht und selbstverständlich wie Opferflammen aus heiligem Herd. Jussufs Schale hob sich und verschwand in Fernen; mir blieb keine Wahl.

»Steht es so, Kind, so will ich euch helfen,« flüsterte ich; »doch des seid gewiß, wir alle spielen mit dem Tode. Nur die Flucht rettet euch, und wehe, wenn uns Jussuf einholt!«

»Dann sterben wir vereint!« erwiderte sie mit glücklichen Augen, sie hörte nur das Versprechen der Hilfe und sah keine Gefahren. »Du aber, Väterchen, mußt mit uns gehen, ich mag dich nicht lassen.«

Armer Jussuf! Drei Herzen sollten vor Seligkeit überströmen, und er, der unser aller Schicksal in den Händen hielt, blieb betrogen, einsam, leer in seiner Verlassenheit. Es mußte mir ein Wort hierüber entglitten sein, denn Sobeide schluchzte lauter auf, und ihr Leib zuckte hilflos in meinem Arm.

»Wär ich tot«, stammelte die Jugend, »und täte niemandem mehr ein Leid!«

[149]

Ich nickte betrübt; das Alter erst weiß, daß alles Leben währender Kummer ist. Nur die Erinnerung blickt über das flache Feld und sieht nichts als den hochragenden leuchtenden Mohn des Vergessens, der Freude, der Lust.

»Und deine Gespielinnen?« fragte ich, zur Wirklichkeit zurückkehrend. »Es ist unmöglich, sie alle mitzunehmen; je weniger wir sind, um so größer die ohnehin schwache Aussicht auf Rettung.«

»Der Emir ist gut,« sagte sie zuversichtlich und so ganz Weib, daß ich in aller Trauer lächeln mußte; »er wird ihnen nichts zuleide tun. Warum liebt er nicht ihrer eine statt meiner? Sie sind so schön und klug, viel besser als ich, die ich nichts als Ärger und Pein bringe.«

Sie meinte es ernst mit ihren Worten; die Schuld, die fremde Wünsche und Hoffnungen ihr auferlegten, drückte sie zu Boden; nur die junge, heiße Lebenskraft gab ihr den Mut, trotz allem nach den Sternen zu greifen.

»So bereite dich,« sagte ich entschlossen, »heute, vor Abend, reiten wir davon. Keins deiner Mädchen darf ein Wort erfahren; fort die Tränen, Verschwiegenheit ist unser halber Weg. Ich hole dich selbst.«


[150]

Ich schlenderte in die Ställe und musterte die Pferde. Jussuf, dies ist der Dank für deine königlichen Geschenke. Der Dank für zehn stürmelose Jahre, der Fußtritt des Gastfreundes, der wie ein Fürst neben dir gehen durfte.

Die drei Pferde wurden bereitgestellt; es lag nichts Auffälliges in meinem Befehl, da ich oft mit Sobeide ausritt. Darauf wandte ich mich in den Garten Haralds, der eben beim Mahle saß und mit dem gesunden Hunger seiner Jahre gewaltige Stücke von einer Hammelkeule biß.

»Vor Abend noch,« sagte ich, »du, Sobeide und ich. Der Emir wird kaum vor morgen erwartet. Lege dein altes Gewand an und darüber diesen Mantel. Und – hast du die andere Keule noch? Gut, pack sie ein, ich will mich nicht auffällig versehen. Du erhältst Bescheid.«

Ehe er seinen Dank sagen konnte, verließ ich ihn, meiner verworrenen Gefühle kaum mehr Herr. In meinem Zimmer ging ich auf und ab und grübelte über einen Brief für den Emir, doch die schönsten, tiefsten Worte, die ich fand, dünkten mich armselig und schal. Das Mahl stand unberührt auf dem Tische, ich packte ein Teil in ein linnenes Tuch,[151] füllte zwei Schläuche mit Wasser, band mit schamroter Stirn eine Menge Goldes in meinen Gürtel und wählte für Harald eine Waffe. Ich selbst nahm den Säbel, den mir Jussuf auf mein Wundbett gelegt hatte, und all diese Dinge barg ich notdürftig unter meinem Mantel. Das Gewissen betäubte ich mit dem Vorsatz, von der Küste aus an Jussuf zu schreiben. Wie ein Dieb ging ich aus dem Hause meines Freundes – unter harten Augen verhehlte ich ein Herz, das seine Schuld in alle Winde schrie. Seine Schuld und seine Angst, denn es wußte nicht, wohin sich wenden nach solcher Tat. Noch auf dem Wege zum Frauenhause beschloß ich, die beiden Kinder nur bis ans Meer zu geleiten und dann männlich vor Jussuf zu treten: Hier bin ich, morde mich und kühle deine Rache in meinem Blut!

Dieser Entschluß verschaffte mir eine merkwürdige Erleichterung, meine Tatkraft spannte sich freudiger. Der Tod dünkte mich kein großes Ding, ich glaubte mein Leben hinter mir zu haben und war mit solchem Abschluß zufrieden.

Sobeide zitterte vor Scham und Leid; nun, da eine jähe Entscheidung verlangt ward, blutete ihr Herz um den Mann, dem sie eine sorglose Jugendzeit[152] verdankte. Sie hatte ihr ärmstes Gewand angezogen, schmucklos bis auf den alten silbernen Löwentaler; nichts von all den Beweisen von Jussufs Liebe und Freundschaft wollte sie mit auf diesen Weg nehmen. Ich verstand sie und redete nichts dawider, stolz auf ihren hohen, adligen Sinn, und so wandten wir uns schweigend zu den Pferden, stiegen auf und ritten, das ledige Tier am Zügel führend, an die andere Seite des Gartens. Vom Sattel aus konnte ich die Mauer erreichen; Harald hörte meinen leisen Ruf, klomm über, und die Paläste versanken hinter uns. Erst weit in der Steppe hielten wir an, banden die Schläuche und Vorräte auf die Kruppen und bereiteten uns besser auf den langen Ritt. In purpurner Verlegenheit sah sich die Jugend zum erstenmal unter fremden Augen an; ihre holde, tastende Verwirrung hätte mich unter anderen Sternen mit Seligkeit erfüllt, jetzt verstörte es mein Gemüt noch ärger. Wir trieben die Pferde an und ritten wortlos in die nahende Nacht, von niemandem belästigt, von keinem verfolgt.

Sobeide lebte noch in dem Gedanken, ich würde sie in das Abendland begleiten; ich mühte mich ab, ihr meinen geänderten Entschluß in einer Weise[153] mitzuteilen, die sie am wenigsten traurig machen würde, aber zum Erfinden taugte mein Kopf heute nicht, ich verschob die Aussprache bis an den Morgen. Endlich fiel mir ein, wie ich ihren Trennungsschmerz zu lindern vermöchte, ich besann mich auf meine Priesterrolle und stand so fern allen Formeln und Gebräuchen, daß ich voller Glück über meinen Plan ward: ich wollte die beiden vor der langen Reise selber ehelich miteinander verbinden; Gott, meinte ich, würde den Segen des Vaters dem des Priesters gleichstellen.

Der Tag begann mit karger Sonne, mir war nicht zum Beichten zumute. Bei kurzen Rasten ritten wir weiter dem Meere zu; es blieb uns keine andere Wahl als Tyrus, denn dies war der einzige Hafen, der der Christenheit noch im Morgenlande verblieben war, und von dem aus wir mit einiger Sicherheit auf Überfahrt rechnen konnten. Zu unserem Kummer lahmte Sobeidens Pferd; auch sie selbst war von der äußeren Anstrengung und inneren Erregung völlig erschöpft und hielt sich nur mit Zwang in den Bügeln. Es kam so weit, daß Harald seine Beute vor sich in den Sattel nehmen und mit seinem Arme stützen mußte. Für seine mächtige[154] Kraft war dies eine kleine Last, und dennoch zitterten seine Hände, als ich ihm das Kind emporreichte.

Vor der zweiten Nacht, als wir uns um der Tiere willen zu einer längeren Ruhe bequemten, sprach ich den Kindern davon, sie gleich an Ort und Stelle zusammenzugeben, da niemand wisse, in welche Fährlichkeiten unsere Pfade führten. Sie griffen danach, als hätte ich ihnen die ewige Seligkeit geschenkt; es war doch ein Ziel dieser Flucht, das erreicht war. Ich nahm den Turban ab, und die beiden Kinder knieten unschuldig vor mir nieder, Hand in Hand. Die Stimme versagte mir fast, das Herkömmliche entfloh meinem Gedächtnis, ein paar Worte stiegen bebend aus tiefem Herzen; rasch segnete ich sie ein, zog sie an meine Brust und küßte sie beide in Herzenslust und Trauer.

Nun war an Schlaf nicht mehr zu denken, wir hatten alle inmitten der Nachtkühle fieberheiße Wangen und schlagende Pulse. Nach kurzer Weile bestiegen wir die Pferde und trabten langsam unter den Sternen dahin, die beiden eng umschlungen, ich mit Sobeidens Pferd am Zaum hinterdrein. Einmal war mir, als berühre eine Hand meinen Nacken, aber rückwärts schauend sah ich nichts als den leeren,[155] flimmernden Himmelssaum über dem silbernen Steppengrase.

Doch das fremde Gefühl wollte mich nicht mehr verlassen, immer häufiger drehte ich den Kopf, und endlich glaubte ich in der Ferne das Blitzen eines Eisens zu sehen. Ein paar Sprünge brachten mich neben Harald, dem ich leise befahl, schneller fortzureiten, da ich, drohe Gefahr, rascher als er auf seinem doppelt belasteten Tier vorankäme. Er hatte kein Arg, trieb den müden Gaul zum Trabe und verschwand bald hinter den Hügeln.

Ich wandte mein Angesicht dem dunklen Schicksal zu, denn der aus dem Osten gegen mich anritt, war der Emir.

Sehr weit in der klaren Nacht erkannte ich den hemmungslosen Zorn in seinen Zügen; von seinem Renner flockte der Schaum wie Schnee; er, der keinen Sporn gebrauchte, trieb das geliebte Tier mit dem Dolche. Die Lanze steil auf meine Brust gerichtet, sprengte er heran, Mord in den verwilderten Augen, und unwillkürlich zog ich den Säbel aus der Scheide. Nicht um mein Leben zu retten; das war verwirkt. Aber ich wollte dem Tod so lange wehren, bis ich Jussuf das Glück der Kinder abgerungen. Ich[156] rief und winkte ihm zu; vergebens, er wollte nichts hören und sehen, mit blinder Wut stachelte er sein Pferd und rannte auf mich ein.

Bei Gott, das Schicksal selber hat ihn getötet, nicht ich!

Da sein Eisen handbreit vor meiner Brust war, zerschlug ich den Speerschaft mit dem Schwerte. Der Emir tat eine unglückliche Wendung im Sattel und stieß mit Gewalt in die Klinge. Sein Hengst stand plötzlich still, friedlich beschnupperten sich die befreundeten Tiere; Jussuf sank ohne einen Laut in meinen Arm. Seine Mienen glätteten sich und wurden mild, je mehr das Blut aus ihnen wich; er schlug die Augen auf und sah mich erstaunt, fast heiter an. Ich hatte die Hand auf seine Wunde gepreßt, aber das Blut quoll und strömte unaufhaltsam über meine Finger, er war verloren. Zu sprechen vermochte er nicht, seine Arme lagen an meinem Halse, er drückte mich mit seiner schwindenden Kraft und legte den Kopf kindlich an meine Brust; ein Lächeln glitt über seine Züge und hielt mit einem an, als schaue er entzückt ein Wunderbares. Stöhnend strich ich ihm die Lider über die gebrochenen Augen, und meine Tränen wuschen ihn rein von[157] Schweiß und Staub. Dann hob ich ihn aus dem Sattel zu mir und ließ ihn sanft zur Erde, stieg ab und kniete lange neben ihm, alles vergessend, versunken in den Anblick seines friedlichen Gesichts, das sein erschautes Wunder wie ein Spiegel festhielt und so schön war wie im glücklichen Leben. Vielleicht, daß Gertraude seiner scheidenden Seele winkend den Weg in die neue Heimat gewiesen.

Und ich? Wohin mich wenden? Sollte ich den Seinen den blutigen Leichnam und mich selbst zum Opfer bringen? Wem zuliebe, wem zuleide? Mittellos trabten die beiden Kinder der Küste zu, noch in jeder Stunde von Gefahr umgeben. Bei ihnen war mein Platz. Ich entschloß mich rasch und hart, die weicheren Gefühle erdrosselnd. Jedoch bevor ich ritt, hob ich mit dem Schwerte die Grasnarbe ab und grub dem Freunde ein Bett. Dann säuberte ich Pferde und Säbel mit meinem Mantel von den Blutflecken, legte ihn zu Jussufs Füßen und deckte das Grab zu. Ich sorgte, daß die Erde über ihm nicht von den Aastieren aufgescharrt werden könnte, indem ich eine Menge Steine zusammentrug und einen Hügel von Gewicht und Dauer aufschichtete. Darauf wechselte ich die Sättel und legte seinem[158] Roß den Sobeidens auf, erstach das lahme Tier und ritt den Kindern nach.


Ich traf sie beim Morgenlicht; sie erschraken, da sie mich sahen, als ob ein Gespenst sie überrascht hätte. Und ich – gelassen bot ich des Emirs Grüße und in dem Pferde ein letztes versöhnendes Geschenk an Sobeide. Er habe sie nicht mehr sehen wollen und sei auf dem lahmen Tier langsam zu den Seinen verritten.

Sobeide beugte sich über meine Hand und schluchzte leise:

»Und du, Vater?«

Irgend etwas lachte in mir zornig und gepeinigt, ich starrte über die glühende Steppe und trotzte dem Gott, der mich verfolgte, indes mein Herz wie ein gefangen Wild in seinem Kerker tobte.

»Ich fahre mit euch in die alte Heimat!« schrie ich rauh. Aber sie blickten mich erstaunt an und hörten mich nicht; die Worte blieben mir in der Kehle stecken.


[159]

Drittes Buch

[161]

Es ist ein weiter Weg von Bachara nach Claraforte, zu Wasser und Lande voll von Ereignissen. Mein Gedächtnis ist mir ansonst ziemlich treu geblieben, aber von diesem Wege, seit dem Morgen, an dem ich Jussuf begrub, habe ich nur eine dumpfe, bleischwere Erinnerung, als sei ich ihn ohnmächtig und von Sinnen gefahren. Das Kind hat mir oft berichtet, wie ich bei Stürmen unvernünftig auf Deck hin und her gelaufen sei, daß Harald mich halten und in die Kajüte geleiten mußte; wie ich gedankenlos und ohne aufzuschauen durch Italien und über die Alpen geritten, und daß die Ärzte in Deutschland mich für zerrütteten Geistes erklärt hätten.

Ich war krank. Eine Nachtmahr lag auf meiner Brust und verließ mich erst zu der Stunde, da ich die Grenze meines Landes überschritt. Dort stand am Wege nach Osten zu eine uralte Linde mit zwei tief in den Stamm geschnittenen verschlungenen Herzen.

[162]

Harald, der mein Roß führte, hielt an und sagte zu Sobeide:

»Dies ist unsere Heimat, Liebe; sieh die Herzen, die mein Vater ehemals in den Baum geschnitten. Ich hätte Lust, auch unseren Bund hineinzuschreiben. Halt die Zügel und verzieh ein Weilchen.«

Drauf sprang er ab und begann seine Arbeit. Sobeide mochte es zu lange dauern, daß ihr Eheliebster ein paar Schritt fern war, sie glitt aus dem Sattel und stellte sich neben ihn, und plötzlich wich der Schleier von meiner Seele, ich starrte auf das Bild und sah zwei, die vor zwanzig Jahren die alten Herzen hineingegraben hatten, jung, schön, glücklich gleich jenen. Wie Geierflug raste mein Leben an mir vorüber, klar und hart wie ein Wintertag, und abermals hielt ich an der Grenze meines Herzogtums, ein zerfetzter, schuldbeladener, armseliger Greis. Hinter mir lag die Reisezeit gleich einer dunklen Lücke, ich ahnte, daß ich krank gewesen, ich fühlte, daß ich genesen sei.

Zu rechter Zeit, gewiß um keinen Tag zu früh, denn der Abend schon würde mir ein Wiedersehen bringen, schlimmer und tödlicher vielleicht als alle Kämpfe meines Daseins. Das flog durch meinen[163] Sinn, ohne mich mehr als flüchtig nur zu rühren, denn mein Herz lag, kaum erstanden, in anderen Banden, die ich nie und nimmer so mächtig geglaubt. Ich sah den Himmel mit den wunderbaren Wolkenschlössern, die ruhvoll im Blauen schwammen und immer neu erwuchsen, ich atmete den Duft der Heimaterde, stark und lenzgeschwellt, mir war, als senke meine Seele selige Würzlein in die Scholle und begrüße Krume, Wurm und Wasser und sauge sich voll von dem lebendigen Blut, durstig und dankbar wie ein Kindlein an mütterlicher Brust.

Heimat, Heimat, ehe der Abend über mein Schreibwerk hereinbricht, will ich deiner gedenken, du Heilerin der Qualen, Trost im Elend, Treueste der Treuen! Deine Kinder treten dich mit Füßen, aber du vergißt ihrer nimmer. Du warst bei mir in der dürren Steppe, und ob ich deiner kaum gedacht, du warst es doch, die meine Träume füllte. Heimat, Heimat, dich hab ich behalten von allen Gütern, dich allein hab ich geliebt, ob ich dich auch hundertmal verriet, gehemmt von Leidenschaften und Wünschen. Du lebtest in allen, die mein Herz besaßen, und nichts war außer dir als toter Sand.

Ja, ich war genesen und sah mit einem inwendigen[164] Lächeln dem Ende dieses Tages entgegen. Die Kinder merkten verwundert, wie ich verständig in ihre Reden eingriff, und in halb zweifelnder Freude ließ sich Harald den Zaum meines Rosses aus der Hand nehmen. Jetzt erst drang mir auch die äußere Veränderung unserer Leiber in das Bewußtsein; die Kinder trugen abendländische Edelmannstracht und ich selbst eine neue warme Kutte. Unwillkürlich tastete ich an meinen Kopf – gottlob, sie hatten wenigstens mein schütteres Haar mit der Tonsur verschont.

Die zarte Dämmerung der Nordländer geisterte im Walde, die Stille ging wie ein träumendes Märchen neben uns. Sobeide verstummte in bänglicher Erwartung des Herzogspaares, denn Claraforte rückte näher. Plötzlich lag die Burg vor uns, steil aus einer Lichtung ragend, und der Mond darüber lief wie ein silbernes Wiesel durch die gezackten Wolkenwälder. Wortlos hielten wir an, gebannt von der großen Art dieses Bildes, von Erinnerungen und Hoffnungen überwältigt.

»Dies ist unsere Burg, Vater,« sagte Harald leise zu mir. Ich neigte den Kopf; Gottes Wege, Gottes seltsame Schicksale schlossen langsam ihren Kreis.[165] Ahnungslos führte mein eigen Kind den Flüchtling in das Haus seiner Väter zurück, Frieden und Liebe schienen am Ende des blutigen Pfades zu stehen.

Wir waren, ein jedes aus anderem Grunde, tief bewegt und schämten uns der nassen Augen nicht. Sobeide war von ihres Mannes Seite gewichen und hielt sich neben mir, da wir den Burgberg hinanritten; sie scheute sich, hier sogleich als künftige Herrin aufzutreten, als müsse ihre Ehe von den Eltern erst bestätigt werden.

Herzog und Herzogin schliefen schon. Aber der Lärm der Diener, als sie den Jungherrn sahen, hätte Tote auferweckt; notdürftig bekleidet liefen die Alten herbei, seltsamerweise aus verschiedenen Richtungen den Saal betretend. Ich hatte Muße, sie beide zu betrachten, denn es dauerte lange, ehe die Reihe an mich kam. Der Augenblick, in wieviel Stunden herbeigesehnt, ging nüchterner an mir vorüber, als ich gewähnt hatte, schon glaubte ich entsetzt, Hoffen und Harren hätten meine Liebeskraft verbraucht. Ich kann nicht einmal sagen, daß ich nur Augen für Aleit gehabt hätte, Wesen und Haltung des Bastards fesselten mich fast ebenso stark. Trotz allem[166] mischte sich keine Bitterkeit in den Gedanken, daß ich, der ich recht eigentlich der Mittelpunkt dieser seltsamen Heimkehr war, verlassen im Hintergrunde stand, ein müßiger Zuschauer, der gewiß war, aus den Kelchen überschwenglicher Liebe zum Ende den schalen Rest der Höflichkeit zu bekommen.

Keinen hatte das Alter verschont; Aleit war bleicher und zarter, silberne Fäden trug sie im Haar, ihr Mund war weicher, ihr Blick versonnener. Mir schien, ihr fröhliches Wesen wäre schwerer geworden, und da ich, mit unbewegtem Gesicht, die Narbe auf ihrer Stirn betrachtete, glaubte ich den Grund zu erkennen. Es war ein feiner Unterschied in der Art, wie sie Sohn und Tochter umarmte; blindlings, mit allen Kräften, zog sie ihn an ihr Mutterherz, nichts fragend, weder mit Worten noch mit Augen, nur dem Triebe folgend und beseligt von seiner Nähe. Auf Sobeide ruhte ihr Blick für einen Atemzug, dann erst schloß sie auch die Tochter in die Arme. Niemand bemerkte die Prüfung außer mir; aber als der Bastard, nachdem er den Erben von Claraforte rasch und wild an sich gepreßt hatte, sich zu Sobeide wandte, lag sein Auge auf ihr, als erforschte er ihr Blut bis in die fernsten Geschlechter,[167] und das Kind senkte die Lider. Robert lächelte: dies Lächeln war wie eine zweite Larve unter dem anderen, harten, strengen Antlitz, das Furchen tiefer Leidenschaft durchzogen. Er war gewandelt, wandelte sich noch; die Jahre hatten ihn furchtbar mitgenommen, und – weh! – mein arges Herz triumphierte darob.

Sie saßen mit uns zum Mahle nieder, Harald zwischen den Eltern, Sobeide neben Aleit, ich neben dem Bastard, und nun erst faßten sie mich genauer, soweit die spärliche Beleuchtung es zuließ. Harald erzählte kurz von der Flucht aus Bachara, der Bastard neigte sich verbindlich zu mir und sagte:

»Wir sind Euch sehr zu Dank verpflichtet, ehrwürdiger Vater. Verzeiht, wenn wir Euch über den Kindern vergaßen, es war die Freude des Wiedersehens. Morgen steigt ein neuer Tag herauf, der Euch gehört.«

Aleit sah mich an, ihre Augen waren weit und klar; ich vermeinte, eine jungfräuliche Röte überzöge sanft ihre Wangen. Es war unmöglich, daß sie mich erkannte, und doch fühlte ich in ihrem Blick eine liebkosende Berührung.

»Vater Ronald,« begann Harald; der Bastard[168] horchte auf und starrte mich an, zum erstenmal klang der Name deutlich an sein Ohr.

»Ihr nennt Euch Ronald?« fragte er heiser und sichtlich mit großer Anstrengung. Aleit zeigte keinerlei Bewegung, es ward mir klar, sie wußte nichts von dem bösen Handel. Dies richtete mich auf und gab mir Trost, ohne daß ich zu sagen vermöchte, warum. Rasch antwortete ich, bevor das Benehmen des Bastards ihr auffällig werden konnte:

»Herr, das ist eine lange Geschichte, und die Stunde ist vorgerückt. Für heut, daß ich ehmals Benediktus hieß und nun eines Toten Namen trage.«

Der Bastard atmete auf, Blut kehrte in seine Wangen. Er legte das Messer, daran seine unruhigen Hände spielten, mit einem Ruck auf den Tisch und fragte mit bewundernswerter Gleichgültigkeit:

»Eines Toten? Ich kannte einen Mönch Ronald, vielleicht ist es derselbe; sagt mir, ehrwürdiger Vater, wann ihn das Schicksal traf.«

»Er fiel, mit hoher Tapferkeit fechtend, bei Akkon, da Rainald von Chatillon den Sultan zum letztenmal besiegte. Seht, Herr, er führte treffliche Zeugnisse[169] mit sich, die ihm größere Freiheit verschafften, als sonst Klosterbrüdern zuteil wird, und ich nahm sie zu eigen; Gott möge es mir verzeihen.«

Der Bastard verzog die Lippen und verbarg ein Gelächter, da ihm die Vorzüglichkeit dieser Zeugnisse bekannt war. Und wiederum, zur selben Zeit, umdüsterte eine Trauer sein immer noch edles Haupt, Trauer um das Wählingerblut, das er nun unter dem Wüstensande modern glaubte.

»Benediktus oder Ronald,« sprach er höflich, »hier gilt das gleich. Wir hängen nicht an Formeln und bitten Euch, Vater, bleibet hier, so lang es Euch gefällt; übt Euren geistlichen Beruf oder ergötzt Euch an weltlichen Dingen, wie es Euch beliebt. Wir wollen Euch danken, so lange wir leben, denn Ihr habt unser bestes Gut gerettet.«

Er sah Harald an und schien mit Mühe eine tiefe Bewegung zu beherrschen, offenbar hing sein Herz an diesem Erben des Wählingerlandes, als sei es sein eigener Sohn.

»Und mehr dazu!« fügte Aleit leise seinen Worten an, indem sie Sobeide umschlang und mit herzlichem Takt in das Gehege der Sippe einbeschloß.

Ich mußte mich abwenden, meine Augen wurden[170] verräterisch. Kein Wort, keine Bewegung, und doch irgend etwas, das ich, weiß nicht, mit welchem Sinn, wahrnahm, trennte den Bastard von der Herzogin und legte eine ewige Kluft zwischen sie.

Mitternacht ward, wir gingen zur Ruhe. Der Bastard selbst geleitete mich in mein Gemach; ein Handleuchter erhellte notdürftig den Weg. Ich merkte, er führte mich zu einem sehr schönen Turmzimmer für hohe Gäste, und folgte ihm mit sicheren Schritten; die mannigfachen Stufen fand ich blindlings und hatte noch eine kindliche Freude an dieser genauen Erinnerung.

Plötzlich sagte der Bastard rauh:

»Ihr wandelt durch die Gänge, als sei Euch das Haus von Kindesbeinen an vertraut.«

»Die Wüste erzieht Raubtiersinne,« gab ich sogleich zurück, »ich mache mich anheischig, Euch im Dunkeln zu folgen.«

Die rasche Antwort schien seinen Argwohn zu besänftigen, er hob die Riegel aus der Tür des mir bestimmten Zimmers und wünschte mir mit freierer Stimme eine geruhsame Nacht.

Geruhsame Nacht in der Burg meiner Väter, unter einem Dach mit meiner verlorenen Liebe, mit[171] dem Mörder meines Glücks! Die Leidenschaften zerbrachen mit wilden Fäusten ihre Ketten und heulten wie Sturmwinde um mein Lager; stöhnend wälzte ich mich, von Flammen gepeinigt, sprang auf und trat nackt auf den Altan und starrte auf den mailichen Garten, darin aus Blütendüften eine Nachtigall dicht unter mir sang. Die Mauern, die Bäume, die Brunnen im Hofe schimmerten blau umsilbert in dem vollen Mond, die lauen Atemzüge der Frühlingserde bewegten kaum ein Blatt; trunken sog ich die Heimat in mich hinein und vergaß im Rausch.

Ich wachte nicht allein. Vom jenseitigen Turmerker blickte der Bastard zu mir her, ich sah seine Augen im Mondlicht funkeln und wich verstört ins Gemach, in unwillkürlicher Bewegung die Hand über das Mal auf meiner Brust deckend.

Was trieb der Bastard dort? Schlief er nicht in Aleits Kammer? Lebten sie auseinander?


Das Morgenmahl wurde mir an das Bett gebracht; der Mensch, der es trug, war schon in meinen Diensten gewesen, und um ein Haar hätte ich[172] ihn bei Namen genannt. Ich besann mich und schwieg erbittert. Fort aus diesem Hause! Jeder Stein zermalmte mich mit Erinnerungen, ich konnte nicht atmen unter diesem Dach, das die Gespenster toter Lenze beherbergte. Kaum war ich in der Kutte, als der Bastard eintrat.

In seinem verschlossenen Gesicht stand kein Erkennen zu lesen, aber das Tageslicht zeigte deutlich an, wie wenig auch ihn ein frühes Alter verschont hatte. Er vertat seine Zeit nicht mit Worten, grüßte mit gleichgebliebener Freundlichkeit und bat mich, ihm und Harald auf einem Ritt durch das Herzogtum zu folgen. Den Frauen würde es lieb sein, einen Tag ganz für sich allein zu haben; zumal die Herzogin freue sich auf die junge, schöne Helferin und wäre, da sie schwacher Gesundheit, gern mancher Bürde ihrer Pflichten ledig.

Ich ordnete schweigend mein Gewand; er konnte nichts argwöhnen, denn was sollte er mich sonst zu solchem Ritt bitten? Wie es auch sei, ich wollte an Verschlossenheit und Zucht nicht hinter ihm stehen und stimmte zwanglos zu, im geheimen froh, Aleit nicht sogleich unter die Augen kommen zu müssen. Die Beobachtungen der Nacht hatten das Bild der[173] heimatlichen Verhältnisse, das ich klar glaubte, völlig verwirrt, aufs neue rang die Seele um ihr himmlisch Teil. Und, ach, um ihr irdisches.

Harald erwartete uns schon mit den Pferden; wir saßen auf und trabten ohne Geleit in den lichten Morgen. Der Bastard erläuterte uns jedes Ding; seine Kenntnisse gingen bis ins kleinste, jede Hufe Landes hatte in seinem Munde ihre Geschichte. Ich fand mich bald nicht mehr zurecht, mit wachsendem Erstaunen lernte ich, was dieser Mensch aus meinem Reich gemacht hatte. Da war kein Ödland mehr, da standen keine verfallenen Katen, da traf das Auge keine hungernde Not. Strahlend sauber saßen die Häuser breit und behäbig auf ihren grünen Hügeln, das glatte, schiere Weidenvieh war einheitlich gezogen und warf satte, bunte Flecke auf schwellende Wiesen. Viele Felder waren eingezäunt, damit Hirsche und Sauen nicht den Schweiß des Bauern verderben konnten; wohin ich blickte, sah ich die ordnende, segenstiftende Hand, und was der Bastard auch an mir getan, er war ein Fürst und Herr von echten Gottesgnaden und hatte sein Pfund nicht vergraben oder gar vergeudet.

Auf der Burg eines seiner Vögte saßen wir zu[174] Tisch; es war dies der Sohn meines alten Zechgenossen Roger des Wilden, den inzwischen der Teufel geholt hatte. Ich hatte den Jungen als ein böses Früchtchen im Gedächtnis, fand aber einen wackeren, tüchtigen Mann, der Land und Volk in Ordnung hielt und dessen Brut sauber gewaschen und gekämmt in guter Haltung uns den Willkomm bot. Da ich das Kreuzeszeichen über ihre Flachsköpfe machte, traf mein Auge zufällig den Blick des Bastards, der mir voll feinen Spottes über mein priesterlich Gebaren schien.

Nachher sahen wir die Marställe und Waffenkammern; der Herzog merkte mein Befremden über die Fülle und Güte der Tiere und Rüstungen und sagte fast heiter:

»So sind alle meine Burgen ausgestattet, Vater Ronald; da hängt das Geld, das wir nicht in den Abgrund der Kreuzzüge warfen. Das Wählingerland hat kaum einen Toten im Morgenlande zu beklagen außer denen, die uns dieser Wildling entführte.«

Lächelnd zwar, aber dennoch ernst nickte er Harald zu, der in fröhlichem Leichtsinn Antwort gab, daß ihm seine Kreuzfahrt Sobeide zugebracht und[175] er keinen Grund zu Klagen hätte. Auch sei er nicht dummer geworden, seit er die Welt jenseits der Grenzpfähle kenne, zumal da ihm sein Vater hier jede Arbeit zuvortue und ihm nichts ließe als die Jagd.

»Dies kann bald genug anders werden,« sagte der Bastard leise; sein scharfer Blick verschleierte sich, ein Seufzer hob seine Brust. Er ärgerte sich über sein eigenes Wort, sah zum Himmel auf, daran die Wolken dunkler flogen, und bemerkte:

»Für heute mag es genug sein, Vater Ronald; mich deucht, der Tag wird mit Regen enden.«

So ritten wir zurück, nicht auf demselben Wege, denn der Bastard hatte es offenbar darauf abgesehen, uns zu zeigen, wie das Land in jedem Winkel blühe und reich und glücklich war, jedoch enthielt er sich alles eitlen Selbstlobes und ließ dem tüchtigen Blut des Wählingervolkes den Kranz. Zwischen seine Erklärungen flocht er prachtvoll klare Überblicke aus der Geschichte der letzten Jahre, legte den Finger auf die Wunden der Staatskunst seiner Nachbarn und des Rotbarts, der seinen besten Fürsten unbedacht der Meute seiner Herren und Bischöfe preisgegeben habe.

[176]

»Heinrich der Braunschweiger war ein Mann nach meinem Herzen,« sagte er schier zornig, »und wenn nicht England und Frankreich nach Claraforte schielten, so hätte ich ihm beigestanden. Beim Himmel, wir hätten gesiegt!«

Dies letzte kam wie Gewittergrollen aus einem Herzen, das zwanzig Jahre Frieden gehalten hatte und am liebsten Tag um Tag in der Schlacht gestanden wäre. In seinen Augen glomm ein gefährlicher Funke, sein Gesicht straffte sich männlich und gewann trotz aller Wildheit einen hohen, adligen Zug, daß ich ihn, alles vergessend, zum erstenmal mit ungemischter Freude betrachtete. Wahrlich, es fehlte nicht viel, so hätte ich ihm den Arm brüderlich um die Schulter gelegt.

Die Dämmerung war grau und trübe hereingebrochen, ein Regen, fein wie Nebel nur, schleierte die Landschaft, die Hufe pochten dumpfer auf den Boden.

»Reite voraus, Harald,« befahl der Bastard, »damit uns Alten das Mahl gerichtet ist, und laß in meiner Schlafkammer das Feuer zünden.«

Dem Jungen war nichts lieber, er hatte ohnehin genug von der Weisheit der Älteren und konnte die[177] Zeit nicht erwarten, Sobeide in die Arme zu schließen. Jauchzend sprengte er von hinnen und verschwand im Laub. Der Bastard dagegen verhielt die Zügel, wandte sich zu mir und sprach mit klangloser Stimme:

»Bist du mit deinem Lande zufrieden, Bruder Robert?«

Ich starrte ihn an, mitten durchgerissen von seinem jähen Wort, und sah ein uraltes, verfallenes Antlitz, voll einer fassungslosen Traurigkeit. Dies war sein unverstelltes Wesen, mein Herz blutete vor Mitleid. Er hatte seine Rechte gegen mich ausgestreckt, sie schwankte und zitterte in den lenzlichen Lüften, der ganze mächtige Leib war von einem Beben ergriffen.

»Kannst mir die Hand ruhig geben, Bruder,« fuhr er müde fort, »ich habe dir nichts von dem Deinigen genommen, auch nicht Aleit, denn ich habe sie nicht berührt, und Harald ist dein Sohn.«

»Sie weiß?« stammelte ich aufgepeitscht, und er, zermalmt von unsichtbaren Fäusten:

»Nein. Aber es liegt eine Welt zwischen uns.«

Mit einemmal flutete das verloschene Sonnenlicht der langen dunklen Tage warm in meine Brust,[178] ich stand in einer inwendigen Lohe wie in Gottes Mantel eingehüllt, und wie in Gottes Mantel ward ich kindlich rein, geläutert von den Schlacken meiner sündigen Begierden, befreit von dem lärmenden Streit zwischen Kopf und Herzen. Ich schob seine Hand beiseite und zog ihn an mich, wir küßten uns und tranken unsere Tränen.

Da er endlich seine Haltung zurückgewann, sagte er leise:

»Nun muß unser böses Spiel durchgeführt werden, bis wir Besseres wissen. Nicht um uns, aber um die anderen. Den Abend haben wir für uns, und du sollst Rechenschaft haben. Vorwärts, Bruder!«

Wie ein Vorhang fiel die starre, strenge Larve vor sein Gesicht, er reckte seine Gestalt, und wir ritten schweigend in unserer Väter Burg.


[179]

Das Mahl war stiller als am Vortage, doch um so inniger klangen die Seelen zusammen. Wir betrachteten einander heimlich; auch Aleit, obzwar in dem Anblick der Kinder wurzelnd, warf hin und wieder einen seltsamen Blick auf mich. Ich sah erst jetzt genauer, wie überzart sie geworden war. Ihre Gestalt hatte schier etwas Jungfräuliches, rührend Reines, ihre Hände lagen blaß und durchscheinend auf der Decke, die sie der Abendkälte wegen über Schultern und Knie gelegt hatte. Da saß sie, Jahrzehnte von mir getrennt, immer noch als mein eigen, und in tausend stillen Worten bat ich ihr alles ab, was Verzweiflung, Not und Elend in meinen Gedanken über sie gehäuft hatte. Die stete Flamme der Öllampe warf einen Schein um ihr Haupt, der mich Heiligung und Weihe dünkte, und zu meiner herzlichen Freude schmolz in der lauteren Lohe der letzte Groll in mir dahin.

Es ward mir schwer, mich aus der holden Stimmung loszureißen, doch der Bastard wurde ungeduldiger;[180] ich merkte, wie er sich sehnte, sein Herz zu erleichtern, nahm Urlaub und folgte ihm in sein Gemach. Es war das schlechteste in der Burg und hätte einem Mönch besser angestanden als dem Fürsten. Ein Bärenfell, Schrein, Tisch und Stühle aus grobem Eichenholz, kahle, verräucherte Wände; doch ein Feuerlein sprang lustig im Kamin und spiegelte sich in einer mächtigen Silberkanne.

»Hier, Bruder, magst du sehen, was ich für mich selber gewonnen habe,« begann er ohne Umschweife. »Nur in einem nahm ich kühner: dieser edle Trunk aus deinem Keller geht zur Neige; doch ich bedurfte seiner in den bitteren Nächten.«

Er schenkte die Becher voll und bot mir von dem Blut, das schwer und süß in meine Sinne zog und mein Gebein wohltätig erwärmte; ich war der südlichen Sonne zu sehr gewohnt, um dieser feuchtkalten Heimatluft trotzen zu können.

»Ich ahnte dich gestern, da Harald deinen Namen nannte; aber erst in der Nacht, da ich dich Nackten auf dem Altan erspähte, ward mir Gewißheit.« Er legte seinen Finger leicht auf meine Kutte, darunter die Mitgift der Trebilons verborgen war, und fuhr drängender fort: »Schenke mir diesen Abend, du[181] kannst nicht ermessen, wie heiß ich ihn erflehte. Bediene dich aus dem Vorrat, wenn ich es über meinem Bericht vergessen sollte, und verhalte dein Urteil über mich, bis ich ausgesprochen habe.«

Er setzte sich näher an die Scheite und warf wie damals spielerisch die Glut zusammen. Ihm selbst war es gleicherweise eine Erinnerung, er seufzte auf und sprach:

»So zieht das Leben seine Kreise, Bruder; aber Gott behält die Fäden in der Hand. – Als ich zuerst in Claraforte einritt, war es Nacht geworden, der Regen rann wie heute. Die Burg lag still, wie es dem Hause des Todes ziemte, niemand begegnete mir auf den Gartenwegen. So sehr war ich von meinem Ziel beherrscht, daß ich auch nicht einen Wimperschlag daran dachte, irgendwer könnte mich erkennen und entlarven. Aber gleich die erste Begegnung schien verhängnisvoll zu werden, denn von diesem Manne hattest du mir nichts erzählt. Es war der Arzt des Priors von Vargan, der mich auf der Treppe grüßte und vertraut ansprach. Er meinte, der Himmel müsse alles zum Besten wenden, und mir schien, als wolle er mich über Aleits Tod trösten. Wortlos wollte ich an ihm vorbei und in die Kemnaten,[182] doch er zog mich an der Hand zurück und flüsterte, ich solle sie nicht stören. Dies dünkte mich für einen Pfaffen, für den ich ihn hielt, allzu frech, ich gedachte deines wüsten Lebens und lachte ihn aus: ob denn auch Tote gestört werden könnten. Worauf jener seine Demut verlor und mich mit verächtlichen Blicken maß: ›Tote nicht, Herr, aber Lebendige. Und ob es Euch lieb ist oder nicht, ich will mit Gott Eure edle Frau erretten. Und Euer Kind, Herr.‹

»Du weißt, Bruder, ich hatte mich trefflich in der Gewalt, aber bei diesem Wort brachen mir die Knie weg, und ich sank an die Wand, im selben Augenblick die geänderte Lage erfassend. Als ich mich aufraffte, war der Arzt verschwunden, ich hätte auch keine Frage für ihn gefunden. Wie ein Dieb öffnete ich die Tür, hinter der Aleit lag, ein weniges und starrte in die Kammer, die ein matter Ampelschein erhellte. Endlich gewöhnten sich meine Augen, ich sah Aleit auf dem Ruhbett liegen, die Stirn in Linnen, die Hand wächsern bleich auf der Brust, die leise atmete. Zu ihren Füßen saß eine ihrer Frauen und strickte. Ich zog die Tür vorsichtig zu und ging in dies Gemach; einem Diener, der mir begegnete, befahl ich, den Haushofmeister zu rufen. Das war[183] Wipold, jetzt deckt ihn auch schon der Rasen. Er war, wie du dich erinnerst, deinen Taten nicht sonderlich zugetan, ich bemerkte sogleich an seinen Blicken, wie sehr er mich verachtete.«

»Mich!« verbesserte ich den Bastard, der eigen lächelte.

»Da könntest du immerwährend nörgeln, Bruder, doch höre lieber. ›Wipold,‹ sagte ich zu dem Alten, ›glaubst du mir, wenn ich ein neues Leben anzufangen verspreche?‹ – ›Nein, Herr,‹ sagte Wipold messerscharf, ›es gibt nichts, bei dem Ihr nicht schon geschworen habt.‹ – ›Doch,‹ erwiderte ich grimmig, ›ich schwöre bei dem Leben meines ungeborenen Kindes.‹ Der alte Mann starrte mich zornig an, an seiner Schläfe schwollen die Adern. Aber doch mußte ihm an meinem Ton etwas aufgefallen sein, er wurde unsicher und stammelte: ›Wenn ich dies glauben könnte, Herr, ich wäre der glücklichste Mann im Wählingerlande.‹ – ›Du kannst es glauben, Alter,‹ versetzte ich, sah ihn ernsthaft an und griff nach seiner zögernden Hand, ›diese Tage haben mir die Augen weit aufgetan. Du wirst hier keine Gelage mehr erleben; und jetzt schaff mir zu essen und eine Kanne Wein, ich verbringe die Nacht hier.[184]

»Wipold war überzeugt, er kniete unter Tränen nieder und küßte meine Hände, und wenig fehlte, so hätte ich mit ihm geweint. Hier schlug ein Herz, dem das Wählingerland teurer als das Leben war, in einer jungen Hoffnung; er rannte die Treppen hinunter, und indes die Diener das Mahl trugen, kam er mit diesem Wein wieder. ›Herr, dieser Tag ist ein hohes Fest, darum kostet von dem besten Vermächtnis Eures Vaters.‹ – So, Bruder, bin ich an dies Faß geraten, das dein Wipold dir entzogen hatte, und sieh, ich habe sparsamen Gebrauch gehalten und nur in Herzensnot davon getrunken; dennoch, Bruder, sind nicht viele Tropfen mehr darin.«

Er schwieg mit bebender Lippe und griff zum Becher, den ich füllte.

»Wer ist nun Gast, und wer Hausherr?« scherzte er schwermütig über meinen Eifer, und ich:

»Wir sind beide Gäste desselben Schicksals und haben voreinander nichts voraus.«

»So ist es recht, Bruder; ich merke, du bist in einer strengen Schule gewesen, doch war auch vielleicht dein äußeres Leben bunter als meines, inwendig werde ich dir nichts nachgeben. Aleit lag[185] fast zwei volle Monde auf dem Lager, stündlich vom Tode mit winkender Sichel bedroht, und ich hatte noch nicht den Mut gefunden, in ihre Kammer zu gehen. Dies fiel weniger auf, weil ich mich mit Macht der Geschäfte meines Landes annahm, und hiervon, Bruder, will ich dir lieber schweigen. Genug, beim Niedergang finden sich überall willige Helfer; beim Aufbau selten, denn keiner will opfern. Als ich mein Feld überblickte, begegnete ich störrigen Gesichtern, allen war meine Wandlung unbequem, außer dem geringen Volk und den wenigen von guter Art, denen eben dieses Volk am Herzen lag als der eigentliche Born ihrer Kraft und die Quelle und Zukunft ihrer Geschlechter. Aber nicht von dem zu hören bist du hier; es nahte die Stunde, wo ich Aleit besuchen mußte, der Keim des Argwohns war schon gepflanzt. Ich betrat allein ihr Zimmer, sie lächelte mir matt entgegen und hob beide Arme. Ob ihre Hände nun aus Schwäche oder einem tieferen Gefühl niedersanken, eh sie mich erreichten – kurz, sie sanken nieder, und in ihren Augen glomm eine schier hilflose Angst auf. Sie zog das Tuch über ihre Brust und errötete, als sei ich ein Fremder, indes trotz all dem kein Zweifel war, daß auch sie vom[186] Betruge getäuscht war und gläubig vertraute, du stündest an ihrem Lager. Ich setzte mich still neben sie und schilderte in großen Zügen meine Arbeit während ihrer Krankheit, gewiß ohne Eigenlob und nur zu dem Zweck, sie durch Taten von meiner Wandlung zu überzeugen. Dann erst bat ich sie, mir zu verzeihen, und richtete mein gesenktes Auge auf sie. Sie lag und weinte lautlos, stumm wie Perlen rannen die Tränen über das regungslose Antlitz, das von einem ungeheuren Jammer ganz durchtränkt schien. Du weißt, Bruder, ich liebte sie schon lange vordem, hoffnungslos und ohne Wünsche, jetzt, da ich vor der Wirklichkeit eines vielleicht doch einmal geträumten Traumes stand, konnte ich das lebendig gewordene Bild nicht fassen. Einmal hinderte mich mein Gewissen, zum anderen stieß sie selbst mich zurück – zu meinem Glück, denn sonst säßen wir nicht vor diesen Flammen. Endlich streifte sie meine Hand mit ihrer zarten und flüsterte: ›Was soll ich dir verzeihen, Robert? Ich bin ja glücklich, daß ich Gottes Werkzeug sein durfte, dir den guten Weg zu weisen. Hab Geduld mit mir, Robert, mein Kopf ist trüb und wirr, ich weiß kaum, was ich rede.‹ Und wieder die entsetzte Angst in[187] ihren Blicken, daß ich verstört vom Lager sprang. Vielleicht hatte der Unglückssturz wirklich ihr Gehirn erschüttert, und sie brauchte lange Zeit, wieder völlig zu genesen. Jedenfalls verstand ich, sie wollte allein sein, allein bleiben, und dies kam mir, der ich nicht daran dachte, dir, dem ich das Land genommen, auch die Ehre zu rauben – dies kam mir gelegen. Ich sprach ihr gut zu, erwähnte zwischen den Reden, daß ich oben im Turm mein Lager aufgeschlagen hätte und daß es vorerst das beste wäre, es bliebe so und sie pflegte sich in Ruhe, zumal wegen des Kindes. Bei diesen Worten schoß es heiß in mir auf, daß du von ihrer Schwangerschaft offenbar nichts wußtest, und daß ich ihr danken müsse. Ich fand stotternde Worte, die sie, fliegenden Purpur auf den Wangen, entgegennahm; mein Herz zitterte, wie es nimmer vor dem Tode gezittert hätte, ich beugte mich herab und wollte sie küssen, bei Gott, mitten in meiner Rolle und nicht aus Begier; doch sie wich mir erschrocken aus, von neuem in Glut getaucht. Sehr erleichtert drückte ich ihr die Hand und nahm Urlaub – Bruder, sie entließ mich mit einem Blick, den ich nie vergesse, als hätte ein Maler Schrecken und Frohlocken in einem blauen Glanz vereinigt.

[188]

»Aber in meinem Gemüt stießen sich die Gegensätze nicht minder. Zwar war ich nach dieser Begegnung erst wahrhaft Herr auf Claraforte und also unser Plan gelungen, jedoch barg die Zukunft Kämpfe einer Art, die ich nicht gewollt hatte und nicht auf mich genommen hätte, wäre die Entscheidung noch vor mir gewesen. Ich zog aus, ein Reich zu erobern, nicht aber ein Weib zu stehlen.

»Der Sommer war gekommen und Aleit außer Bett, genesen zwar, doch zarten Wesens und in ihrer zunehmenden Schwangerschaft doppelt der Schonung bedürftig. Niemand konnte Arges darin sehen, daß ich mein Lager im Turm beibehielt, zumal mich wachsende Geschäfte bis in die Nacht fesselten und wachzwangen. Am Martinstage ward Harald geboren, die Stunden fielen schwer und traurig über sie, und ich konnte ihr am wenigsten helfen. Unbekümmert um das Gerede der Leute, das ich sonst peinlich vermied, verritt ich tagelang und kehrte erst zurück, als der Sohn ihr im Arme lag. Ich freute mich seiner mehr, als sei es mein eigen Kind, denn so hatte das Land einen Erben, ohne daß ich eine ungeliebte Frau zu heiraten brauchte[189] – dir zur Gesundheit, Bruder! – einen Erben vom echten Stamm!«

Hastig leerte ich den Becher und noch einen, da meine Zunge wie verdorrt im Gaumen lag. Aus seinen Worten stieg meine versunkene Jugendwelt auf, verscherzt, vertan, verloren. Und draußen wogte im treibenden Regen der Frühling und goß Flammen in meinen rüstigen Leib.

Der andere fuhr fort:

»Das Kind war ein neuer Grund, ihr fernzubleiben, und so lebte die Gewohnheit uns, die wir nie verbunden waren, langsam auseinander. In ihrer Güte erfand Aleit für das, was sie mir an Liebesbeweisen schuldig blieb, eine Fülle kleiner Aufmerksamkeiten, und wenn du meine kostbar gestickten Röcke musterst, weißt du, wie sie ihre Zeit verbrachte. Sie mußte in ihren Gedanken öfters bei mir weilen, vielleicht sehnte sie sich nach mir und überwand den ersten Schritt nicht, den ich zu tun mich nicht entschließen konnte, solange ich dich im Leben glaubte.

»Wer Schäden ausmerzt, findet wenig Freunde. Wipold starb; ich vereinsamte, mein ödes Herz verwilderte nach innen, denn nach außen hin hielt ich[190] es hoch und spielte ein gewagtes Spiel. Einmal, im heißen Sommer, überwältigte mich die Leidenschaft. Sie spielte mit dem Kinde auf dem Rasen am Weiher, unter den drei Birken, und das liebliche Bild entzückte und riß mich hin. Dann ward das Kind von der Amme geholt; sie lag neben mir im Grase und sah mit den wundervoll tiefen Blicken über das spiegelklare Wasser in die Landschaft, die schwer von Segen unter der Sonne zu atmen vergaß. Ich fühlte die Wärme ihres Leibes schwüler als sonst –«

Er sprang auf und ging erregt im Zimmer hin und her, derweil mein Herz so laut schlug, daß es kaum vor ihm verborgen blieb. Aus der dunkelsten Ecke sprach er weiter, heiser und stockend:

»Bruder, ich würde es nicht berichten, wenn ich das seltsame Leben nicht vor dir und mir klären möchte. Ich riß sie in die Arme, ich fühlte den Druck der ihrigen, und ihre Lippen blühten mir entgegen, aber das war wie ein Vergessen nur, dann wandte sie totenblaß den Kopf und lief mit einer nichtigen Ausrede ins Haus. Nicht zu ihrem Kinde; die Amme kam bald darauf ahnungslos zurück und wollte das gestillte Kind der Mutter wiederbringen.[191] Sie verweilte einen Augenblick, da der Junge nach meinen blanken Borten griff und munter krähte; doch ich, der ich in dem Kinde die Mutter sah, muß wohl eine wehrende Bewegung gemacht haben, und die beiden stoben eilends davon. Harald glich in seinen ersten Jahren mehr Aleit als dir, erst mit dem Jünglingsalter schlug das Wählingergesicht durch. – Ich blieb auf dem Platze, wie ein Besiegter auf dem Schlachtfelde, und meine Wunden brannten genau so todesbitter. Zu Anfang überwog die Eitelkeit und tobte fruchtlos. Danach kam die Erkenntnis meines Raubversuches und peitschte mein Gewissen. Es war ja nichts geschehen, aber doch kann ich selbst heute noch nicht ohne grimmige Scham an diese Stunde denken. Ich war ein unreines Tier, das sich von Begierden hetzen läßt und die edelste Frau zu zerbrechen willens war, betrügerisch und verächtlich mehr als im rohen Sturm der Leidenschaft.

»Spät schlich ich in die Burg. Die Möglichkeit, mich zu entschuldigen, war mir genommen. Was tut ein Mann seinem Weibe zuleide, wenn er nach einem Kuß Begehr trägt? Ich lag in meinen eigenen Stricken, und wahrlich, sie schnitten scharf genug[192] ins Fleisch. Wir mieden uns eine Zeitlang mit gesenkten Lidern, dann schien sie den Vorfall vergessen zu haben und gewann ihre bescheidene Heiterkeit zurück.

»Als Harald älter wurde und der Mutter aus den Händen wuchs, fehlte ihr die tägliche Beschäftigung; sie fragte mich mehr denn früher nach dem Stand der Dinge im Lande und wurde mir in vielem eine kluge Beraterin, die oft mit klarem Herzen schärfer sah als mein Verstand. So, in ihrer fraulichen Reife, schien sie mir noch werter, sternenhafter; aber nie wieder versuchte ich sie auf die Erde zu reißen. Diese Gefühle sind niemals über unsere Lippen gedrungen, so daß in all den Jahren der leichte Hauch eines schamvollen Geheimnisses zwischen uns wallte und einen lockenden, doch ehern trennenden Schleier bildete. Es ist kein Tag vergangen, Bruder, den ich ganz gewonnen hätte, ein Herzschlag war in jedem, der mich erinnerte, wie kläglich und arm mein menschlich Teil geblieben war. Und noch heute habe ich es nicht überwunden, obzwar ich sehe, daß wir alle Gottes Wege gegangen sind.«

Die letzten Worte murmelte er vor sich hin, kaum[193] daß ich sie verstand. Eine Frage schwebte mir lange auf der Zunge, und wenn ich ihn auch quälte, es mußte heraus:

»Kam dir nicht, da du Aleit am Leben fandest, der Gedanke, mich zurückzurufen? Ein Wanderer mit gewissem Ziel wäre rasch gefunden.«

Seine Züge vertieften sich und wurden hart, knisternd stob die Glut unter dem Schüreisen, die Flammen warfen flackernde Blitze über seine abgemagerten, blutleeren Hände. Er hob die Augen kühn zu mir und antwortete:

»Nein! Und wenn mich mein Herz nicht betrügt, so wirst du heute dankbar sein. Wir sind gegen das Schicksal angerannt und haben uns die Stirnen blutig geschlagen, aber wir möchten die Narben nicht missen. Das Wenige, das ich von deinem Leben weiß, lehrt mich deutlich, daß alles sein mußte. Gottes Werkzeuge waren wir, um unser Land und unser Geschlecht zu retten. Die furchtbare Schrift auf deinem Antlitz, die, dein irdisch Andenken für alle, die dich kannten, auslöschend, dir Tochter und Sohn brachte, diese Löwenschrift soll uns beiden eine währende Mahnung sein. Und nun, Bruder, sage mir offen, was du von deiner Heimkehr ersehntest?«

[194]

»Von meiner Heimkehr? Für mich?« stammelte ich, betäubt von dem unerwarteten Angriff. »Was soll ich hoffen? Ich brachte die Kinder, ich will nichts für mich. Nichts in deinem Hause, nichts in deinem Lande als dereinst ein paar Fuß Erde, die du mir nicht verweigern kannst.«

In steigender Erbitterung keuchte ich die häßlichen Worte, zornig über seine Frage, zornig über mich selbst, voller Groll über die Einsamkeit, in die er mich stieß. Er selbst blieb gelassen, ja, ein Lächeln spielte um seinen Mund.

»Es gibt zwei Wege,« sagte er ohne sichtliche Erregung, »einmal können wir Aleit und den Kindern alles erklären, und du gewinnst im Hause die alten Rechte. Dem Lande gegenüber scheint mir das nicht gut, es wäre richtig, wenn ich nach außen Herzog bliebe. Doch sei dir auch dies zugestanden, wenn du das Gerede nicht scheust. Zum anderen können wir unsere Geschichte in unserer Brust begraben, und du bleibst, ein Bruder und Freund, an meiner Seite, solange uns Gott den Atem schenkt. Wie du auch wählst, Bruder, du kannst mich nicht verletzen. Sage mir heute nichts, beschlaf es und künde mir morgen den Bescheid.«

[195]

Er erhob sich frei, mit heiterem, erlöstem Antlitz, seine strengen Augen lachten mich freundlich an.

Leicht wie ein Vogel ward mir das beschwerte Herz, fröhlich schwenkte ich die geleerte Kanne und rief:

»Bruder, sollen wir uns auf unsere alten Tage vor den Kindern zum Narren machen? Und Aleit dazu? – Wir wandern den zweiten Pfad, aber – wie stehts mit der Wegzehrung?«

Der Bastard lachte krampfhaft auf, griff mit zitternden Händen unter den Tisch und holte einen verborgenen Krug hervor.


[196]

Wir waren Brüder und wurden Freunde. Die Gemeinsamkeit der menschlichen Schulden drückte uns nicht mehr seit jenem Abend, da wir klar sahen, daß eine Entwirrung der verschlungenen Schicksale kein Entsühnen bedeuten könnte. Wir vermeinten, es genügte, wenn zwei alte Narren ihre Liebe begrüben; wir schmückten die Gruft mit Rosen und waren stolz darob. Aber es kommt nicht darauf an, was die Menschen in ihrem Gedächtnis behalten, sondern was Gott behält. Beidemal sind es zuletzt die großherzigen Taten; dort mit der Unvollkommenheit menschlicher Werkzeuge, hier mit dem unbestechlichen Auge der Ewigkeit erfaßt. Die Kinder gingen ihren Weg, wir Alten trabten glückselig nebenher und schafften Steine fort, an die ihr Fuß auch ohne uns nicht gestoßen wäre. Wir vergaßen Aleits.

Sie schien unter dem Einfluß der Jungen neue Kraft zu gewinnen, ihre Augen blickten fröhlich, ihre Bewegungen wurden lebhafter; wir freuten uns dessen und schrieben es der werdenden Mutterschaft Sobeidens zu. Es fiel mir nicht einmal auf,[197] daß sie mich häufig suchte; sie fand schließlich Gefallen an meinen Geschichten aus dem Morgenlande und teilte sich andererseits gern dem Priester mit, den sie in mir vermutete. Jedoch mit der Zeit wuchsen wir so selbstverständlich zueinander, daß mir der Tag nichts galt, an dem wir nicht beisammen waren, und aus der heißen Jugendgier ward ein milder, schöner Abendschatten, warm noch von den verglühten Tagessonnen. Mitunter, wenn ihre Augen mich liebkosten und ich fühlte, wie etwas von meinem Wesen einen stillen Platz in ihrer Seele besaß, kam mir ein Bedauern für den Bruder und eine scheue Angst, zu nehmen, was mir nicht zukäme, und Verspieltes zurückzufordern. Ich stand eng genug mit ihm, um mich offen auszusprechen.

»Bruder,« entgegnete er gelassen, »ist es ein Wunder, wenn Aleit dich sucht? Wir beide haben das Selbstverständliche verkehrt, und nun will es sich Bahn brechen. Mich trifft es nicht, nur fürchte ich von Aleit, daß sie die Wahrheit nicht erträgt.«

»Hiervon ist keine Rede,« fiel ich ihm errötend ins Wort. »So lang Verstorbenes läßt sich nicht wieder aufwecken wie Jairi Töchterlein, und wäre es doch, es trüge den Verwesungsduft mit in sein[198] kärglich Leben. Ich vermeine nur, wenn ihre Seele sich zu der meinen ahnend neigt, so sollst du nicht glauben, ich zöge sie mit Absicht.«

Der Bastard lächelte schmerzlich.

»Es kann mir nichts genommen werden, was ich nicht einmal besessen habe. Plage dich mit anderen Sorgen, Bruder, und genieße in Frieden, was dir ihr Herz bietet.«

Heiter verließ er mich; ich verfolgte ihn mit den Augen, wie er durch die herbstlichen Büsche ging, und mir schien, seine Schultern beugten sich mehr und mehr, und endlich, da er sich unbeobachtet wähnte, stand er vor einer Buche still und lehnte den Kopf an den Stamm, als überwältigte ihn ein plötzlicher Schwindel. Er riß sich zusammen und verschwand steten Schritts in den Gehegen. Ratlos blieb ich in meinem Stuhl sitzen, die Glieder versagten mir schier. Ich hatte ihn lieb, wie ich Jussuf geliebt hatte, und ich brachte ihm Schmerzen wie jenem. Wie oft mir Gott gezeigt hatte, wozu ich auf der Welt war, ich vergaß es immer wieder und verkam in Grübelei über mein unnützes, äußerliches Dasein.

Oft quälte ich mich mit dem Plan, Claraforte zu[199] verlassen und abermals pilgernd die Erde zu durchwandern, dann wieder schien mir Friede in einer Einsiedelklause zu blühen; aber es kam zu keinem Entschluß, der Winter brach früh und hart herein, Schneewolken überschütteten das Land und trieben uns um das Herdfeuer, in dessen schattenhellem Licht die zarten Schwingungen der Seele noch ungebundener und lieblicher tönten.

Eines Abends, da ich allein in meinem Gemach weilte und vor dem flackernden Feuer alten Dingen nachsann, derweil ich das Haus schlafen wähnte, trat Aleit durch die Tür und setzte sich purpurn neben mich.

»Denk was du willst, Mönch,« sagte sie, die sonst gewohnt war, mich bei Namen zu nennen, mit fremder, trauriger Stimme, »ich muß mein Herz befreien, ich kann es nicht länger tragen. Seit du hier bist, bin ich gänzlich verändert.«

In diesen Worten gewann sie ihren Mut zurück und hob die klaren, ehrlichen Augen zu mir auf, der ich wie gelähmt auf meiner Bank saß und um Atem rang. Und sie:

»Es ist das zweitemal in meinem Leben, daß meine Seele vor Geheimnissen sonderer Art steht,[200] und« – wie ein Hauch kamen die Worte von todblassen Lippen – »schlimmer fast als meine Seele meine immer noch wachen Sinne. Hör mich, Priester oder Mensch, und sei mir ein klarer Bronnen, darin ich mein Herz kühlen kann.«

Mitten in ihr Gemüt greifend, fuhr sie mit einer fast sachlichen Trockenheit fort:

»Der Herzog war nicht immer der, als den du ihn kennst. Er war ein wilder, oder richtiger, ein wüster Jüngling mit unbekümmerten Lastern von Vatersseite her, mit ererbten Freunden gleicher Gesinnung. Denke das Schlimmste, und du siehst recht.«

Aber ich dachte gar nichts, ich beneidete die Männer im feurigen Ofen um ihren kühlen Platz, denn was mir jetzt geschah, war grausamer als alle Martern, die menschlichen Gehirnen entsprungen waren. Feig zuckte das Herz in meiner Brust wie in einem Kessel geschmolzenen Bleies, die Augen glühten mir tränenlos in erstarrtem Angesicht. Sie sah es nicht, Nacht und Schatten verbargen mich.

»Mit Dirnen besudelte er meine Ehre und zuletzt mein Haus, und dies zu einer Zeit, da ich gesegneten Leibes war. Jedoch, Mönch, ich hatte ihn lieb und war sein eigen.«

[201]

Sie, die mich richtete, sprach diese Worte mit solcher schlichten Süße, daß ich den Blick auf sie zu heben wagte. Ich sah ein Antlitz, das verklärt in seiner Liebe leuchtete und schwärmerisch verzieh und entsühnte. Es wandelte sich jählings in Traurigkeit, sie berichtete schwerer als vordem, indes sie mit dem Finger die Narbe auf ihrer Stirn streifte:

»Diese Wunde war die letzte unbedachte Tat des Herzogs; ich reizte ihn so sehr, daß er sich vergaß, und habe die Schuld recht eigentlich selbst. Es wäre vielleicht nicht einmal geschehen, wenn er um meinen Zustand gewußt hätte; doch ich hatte noch keine Stunde gefunden, mich ihm mitzuteilen. Wie es kam, tut nichts zur Sache, du mußt nur wissen, daß ich viele Wochen zwischen Tod und Leben lag, zumeist von Sinnen. Der Herzog kam nicht an mein Krankenbett, wohl aber brachte mir die Kammerfrau Gerüchte über ihn, die mich mit Stolz und Freude füllten: er habe seinem wilden Volk den Abschied gegeben und schaffe von früh bis spät für das Wohl des Landes, sähe keine Dirne an, sei ein mäßiger Trinker worden, kurzum, ein gewandelter, tüchtiger Mensch. Ich vermag nicht zu sagen, in welch hohen Himmel mich die Seligkeit trug, denn all mein[202] Sein und Wesen gehörte ihm; ich allein, vermeinte ich, kannte seit je seinen edlen, tapferen Kern, den er unter den Lastern barg, und ich war dankbar, daß ich ein Werkzeug für seine Umkehr hatte sein dürfen. Wie sehnte ich mich ihm entgegen, wie lüstete mich, ihn in die Arme zu schließen, mein Auge in sein kühnes, lachendes zu tauchen!«

Schweigend sann sie vor sich hin, es arbeitete in ihren Zügen, sie stritt mit ihrer Bitterkeit. Klanglos, fremd der zagsten Hoffnung, fuhr sie fort:

»Der Augenblick kam und zerriß mein Gemüt, daß es zwanzig Jahre Stunde um Stunde schmerzte. Der Herzog trat an mein Lager, seine Wangen glühten nicht vom Wein, sein Atem war nicht von Weibern verpestet, sichtbar hatte ihn die Arbeit geadelt und geläutert. Aber da er sich zu mir wandte, artig und in Züchten wie nimmer zuvor, ging eine Fremdheit von ihm aus, die wie eine Wand aus Eis zwischen uns emporwuchs. Mein Herz hörte auf zu schlagen, erstickt, erdrosselt von dem jähen, entsetzlichen Bewußtsein, daß es diesen Mann nicht mehr liebte – glaube mir, Mönch, denn du kannst es nicht wissen: es gibt nichts Schrecklicheres, als zu lieben aufzuhören. Du verarmst schneller, als[203] der Blitz die Erde trifft, du verödest und stehst nackt und ohne Heimat, ohne Gott. Du bist tot, bevor du gestorben. Der Herzog bemerkte es und ging, verlassen von seiner wilden Weise, traurig fort.«

Die Erinnerungen schienen sie zu umstricken, sie lehnte erschöpft in ihrem Stuhl, den Kopf im Nacken, mit geschlossenen Lidern. Ich sah die blauen Adern auf der Schläfe pochen, der leichte Hauch ihres Atems dampfte in der Luft, die nicht mehr von den Kaminflammen erreicht wurde. Mit einem blickte sie auf mich, verzweifelt und entschlossen zugleich, und sagte:

»Das war nicht das Furchtbarste, Ronald. Der Herzog hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, da kam die alte Liebe wie ein Lenzsturm über mich, ich weinte und biß in die Kissen, um nicht all mein Sehnen hinauszuschreien, mein Sehnen und mein seliges Glück, zu lieben. Ich war zugleich gesättigt von Freude über Roberts Wandlung und dankte Gott, daß er mich unnütz Wesen zu solcher Glorie erkoren. Stunde um Stunde horchte ich auf seinen Schritt; mir schien, mein Gehör wurde feiner und schärfer, ich erkannte seine Stimme im Burghof und lauschte, wie männlich und fest sie geworden war.[204] Golden lag die Zukunft vor mir, denn ich liebte, und er liebte mich, das stand in seinem Blick geschrieben. – Schläfst du, Ronald? Langweile ich dich?«

Ich hatte das Gesicht in den Händen vergraben, die Arme auf die Knie gestützt. Meine Brust ging schwer und keuchend, jeder Lichtstrahl, der mein Auge traf, war ein Dolchstoß in alte Wunden. Die Narben brannten, von der nahen Glut, der heißen Scham zermürbt, Vergangenheit und Gegenwart tanzten einen rasenden Wirbel in meinem Hirn.

»Sprecht weiter!« brachte ich hervor; jedes Wort mehr hätte mich verraten.

»Nach einer Zeit, die mich ewig dünkte, besuchte mich der Herzog zum zweitenmal, und, Ronald, meine Qual wuchs ins Unermessene. Ich liebte ihn nicht, er war und blieb mir fremd, ich konnte kaum aufsehen vor Scham, diesen gleichgültigen Menschen an meinem Lager zu wissen. Ich vermochte den Augenblick, da er mich verließ, kaum zu erwarten, und sieh, Mönch, da er gegangen war, hätte ich mein Leben, ja das Leben meines Kindes darum gegeben, ihn in die Arme schließen und herzen zu dürfen, recht mit der Glut und Innigkeit der Jugendsinne.[205] War es seine Wandlung? Dann her, o Gott, mit dem alten, wüsten, lasterhaften Jüngling, den ich küssen durfte und dessen Seele rein in meiner Seele ruhte. Schon gab ich dem Gedanken Raum, die Wunde an meiner Stirn hätte meine Vernunft getrübt, aber nichts schien sonst auf eine derartige Folge hinzuweisen; der Arzt von Vargan, den ich befragte, sah mich erstaunt an und lachte. ›Herzogin,‹ sagte er, ›Ihr behaltet eine Narbe und einen der trefflichsten Männer. Seid dem Himmel dankbar, wie es das ganze Wählingerland ist; der Herzog ist genesen, wie Ihr es auch in Bälde seid. Haltet Euch munter und denkt an Euer Kind!‹

»Daran brauchte er mich nicht zu erinnern, ich dachte seiner schon genug. Mit unendlicher Liebe, wenn Robert fern war, mit Angst und Scham, wenn er neben mir saß. Der Herzog übrigens, der ehmals keine meiner kleinen Launen achtete, erfaßte mein verändertes Wesen mit vollkommenem Takt, und nur einmal strömte er über und riß mich an sich, stürmisch, einen Augenblick lang; sah mein verängstigt Gesicht und ließ mich wieder, für immer. Wir gewöhnten uns, nebeneinander zu gehen, er mit gleicher Güte, ich mit schuldbeladener Brust. Er[206] tat seine Arbeit im Lande, ich zog den Jungen groß; unsere frischen Leiber verwelkten glücklos wie unter Priesterkutte und Nonnenschleier, nur daß der Bräutigam meiner Seele nicht Jesus hieß, und er, das fühlte ich in jeder Stunde, nicht die Gottesmutter erkoren hatte. Ohne das Kind hätte ich dies verzerrte Leben nicht ertragen; es kam mich hart an, Harald eines Tages den Männern überlassen zu müssen. Aber das Herz ist ein tapfer Wesen und stirbt nicht vom ersten Schlag.«

Aleit verhielt ihre Rede und unterdrückte einen Seufzer; ich betrachtete sie verstohlen von der Seite. Wahrlich, ihr Herz war die Tapferkeit selber und leuchtete siegreich wie ein Stern durch das arme, blasse Antlitz. Sie, die in kurzen Wochen ein Enkelkind erwartete, war schön und herbsüß wie in der Jugend; hingerissen und seltsam erlöst von der fiebernden Betrübnis sah ich sie an. Sie begegnete meinem Blick, las und senkte die Lider.

»Sieh mich nicht an, Mönch, ich habe noch Schlimmeres zu berichten, das dein Auge am wenigsten verträgt. In der Zeit, da uns Harald fortlief und gegen Heidenland zog, schloß ich mich mehr als sonst an den Herzog an und fand, was ich nicht[207] suchte, einen wackeren Freund. Möglich, daß Alter und Entwöhnung unsere Sinne eingeschläfert hatten, jedenfalls saßen wir nun öfters des Abends ruhig beisammen und rätselten über den Jungen, der uns beiden teuer war und in dem sich unsere Liebe wunschlos fand. Das gemeinsame Leid ließ die Scheidewand schwinden, es fand sich hier und da Hand zu Hand, indes unsere oder zum mindesten – denn ich konnte nicht mehr wie sonst in seinem Herzen lesen – meine Blicke in die Ferne, nach Jerusalem gerichtet waren. Auch dies ging vorüber, du kamst hierher und brachtest die Kinder, und von Stund an senkte mich ein neues Geheimnis in neue Verwirrung. Ich habe mich lange und scharf beobachtet, es ist kein Zweifel, daß es so ist, wie ich erzähle. Gleich in den ersten Tagen nach eurer Ankunft bemerkte ich eine eigentümliche Freude in mir, es war selbstverständlich, daß ich sie auf die Heimkehr der Kinder schob. Jedoch kam hinzu, daß ich Robert mit veränderten Augen betrachtete und meine Sinne aufblühten, als zöge die alte Liebe erobernd in das alte Herz. Mir war, ich sei von Blindheit genesen, ich brannte, da wir alle beisammensaßen, ihn zu küssen, und nur eure Gegenwart[208] hielt mich ab. Wir waren nie allein miteinander, und eines Abends überfiel es mich. Ich lief zu ihm hinüber in den Turm, beglückt von der jungen Glut, die mich durchlohte. Er saß noch auf und ordnete Pergamente, verwundert blickte er auf mich, die ich errötend vor ihm stand und schließlich vor Scham fast ohnmächtig wurde. Denn, Mönch, es war wie immer: ein Fremder, höchstens ein Freund, stand vor mir, meine Liebe war verflogen. Mir fiel keine Ausrede ein, ich mochte auch nicht lügen; einen Gruß stammelnd entfloh ich, und sein bitterschmerzliches Lächeln folgte mir in den Traum. Mönch, es war eine arge Zeit für mich, das Leben neben euch kostete mich viel. Es dauerte lange, bis ich die Ursache meines merkwürdigen Wesens fand; es waren nicht die Kinder: es war deine Gegenwart, die Totes aufweckte.«

Regungslos verharrte ich auf meiner Bank und erwartete das Beil in meinen Nacken zischen; ich fühlte mich entlarvt, nackend vor dem letzten Richter, vergaß, was ich selber gelitten, wußte nur meine jämmerliche Schuld.

Aleit brach das Schweigen, ihre Stimme war nun müde und hoffnungslos, daß ich sie kaum erkannte.

[209]

»Dies ist die Ursache, Mönch; nun sage, wenn du es vermagst, welch ein Rätsel Gott unter so seltsamer Hülle verbirgt. Du hast manche Schicksale und vielerlei Menschen kennengelernt, ist dir jemals Ähnliches begegnet?«

»Mir?« stotterte ich, wie ein Ertrinkender aus dem atemlosen Wasser auftauchend. Ich vergaß jede Höflichkeit, sprang ans Fenster, riß den Laden auf und stürzte die flammende Stirn den Schneewogen entgegen, die wie ungeheure graue Tiere durch den Nebel jagten und mit kühlen Zungen über mein Antlitz fuhren. Mitten in der Nordlandskälte sah ich aus brennenden Augen ein Bild: die dorrende Wüste, von heißen Sandwolken überfegt, ein steinerner Hügel, und darunter, im Frieden des Todes lächelnd, Jussuf.

Wohl ist dir! Wohl ist dir! schrie ich inwendig, von feigem Neid zerfressen und ermattet.

Aleit war hinter mich getreten und legte die Hand auf meine Schulter.

»Ronald,« klagte sie leise, »wendest du dich von so verirrter Seele ab? Ist deine priesterliche Gewalt nicht groß genug, meine Schulden mit dem Absolvo zu bedecken? Kann ein menschlich Herz, das wie[210] das deine gelitten hat, so große Sünde nicht mehr fassen? – Einen weiß ich, der mich dennoch aufnimmt, denn ich fühle seinen kalten Atem hinter mir.«

Erschrocken blickte ich mich um und sah das totenblasse Angesicht von einem Schein verklärt, der nicht mehr von dieser Welt war. Von der eigenen Angst plötzlich befreit beugte ich den Kopf tief erschüttert auf die Brust. Aleit legte sorglich den Riegel vor den Laden, schürte das Feuer noch einmal und stand wartend zwischen Stuhl und Tür. Da riß ich mein lahmes Herz empor und haschte ihre Hand.

»Arme Frau,« sprach ich heiser vor Aufregung und unterdrückten Tränen, »wer wollte Euch richten? Hat Gott Euch in so schwere Schicksale verstrickt und habt Ihr Euch so tapfer gehalten, dann ziemt Euch himmlischer Lohn weit eher als irdische Sühne. Euer Leben ist seltsam zerbrochen worden, doch glaubet, Frau, wir leben nicht zum letztenmal auf dieser Erde! Ihr beide, Robert und Ihr, seid eins in zweierlei Gestalt, und wechselt ihr das verwesliche Kleid, so wird ein neues Dasein die Frucht des alten weiterreifen bis in Ewigkeit. Des seid getrost und freut Euch: nimmer könnt ihr zwei euch[211] verlieren, ewig werdet ihr verbunden sein, und eure Hölle und euer Paradies liegen nicht über den Sternen, sondern hier auf der Heimatscholle.«

Ich sprach für mich selbst, für meine eigenen Wünsche, meinen eigenen Glauben. Und dies war es, was meinen Worten eine heiße Überzeugungskraft gab. Sie verstand nicht, was ich meinte, aber sie fühlte, wie ich in ihren aufleuchtenden Mienen las, eine Wahrhaftigkeit, die sie ergriff und erhob. Leise, mit schwingender Glückseligkeit fragte sie:

»So ist es wahr, daß Liebende sich wiedersehen?«

Ich antwortete, überwunden und siegreich in einem:

»Sie sehen sich nicht wieder, sie bleiben immerdar vereint!«

Unsere Augen tauchten ineinander, ruhig und warm wie Lichter in unbewegten Wassern, langsam lösten sich die Hände von ihrem festen Druck, und sie verließ mich wie ein Falter die Blüte, die er kosend öffnete.


[212]

Denen, die ihn brauchen, kommt der Frühling immer zu spät. Der Winter war so hart, daß wir fast täglich die Schneewehen im Hofe fortschaufeln mußten, um zu den Ställen und Nebengebäuden zu gelangen. Es wäre dies eine lustige Arbeit gewesen, wenn nicht Krankheit das Haus umdunkelt hätte. Aleit hatte recht gedeutet: der Unerbittliche stand hinter ihr, sie schmolz wie ein Licht, ohne Schmerzen, ohne daß der Arzt zu sagen gewußt hätte, warum. Wie Tag und Nacht liegen Leid und Lust beieinander; indes Aleit verblaßte, gebar Sobeide ein kräftiges Mädchen. Wir gaben es Aleit in die abgezehrten Arme, und ich taufte es selber; halb wider Willen und nur dem Drängen des Bastards nachgebend, ging ich der Kinder wegen noch einmal an die heiligen Dinge. Es ward Gertraude genannt, und das Bild der feinen, stolzen Frau mit den sternenhaften Augen schwebte vor mir, als ich die Tropfen der heimatlichen Quelle auf das rote, runzlige Gesichtchen sprengte. Der Rosengarten, der ihre Asche barg, duftete durch den Weihrauch,[213] blendend klar schien sie aus den Höhen zu steigen und sich niederzuneigen. Vielleicht hatte ihre Seele dies kleine verwandte Wesen belebt, vielleicht weilte sie nun in Kindsgestalt unter uns, noch voll von himmlischen Erinnerungen des hohen Flugs auf Fittichen des Todes.

Nach der Taufe verweilten wir noch ein kleines bei Aleit, und allen fiel die übernatürliche Blässe ihrer Stirn gegen die saftige, kreischende Gesundheit auf, die ihr Lager mit Geschrei erfüllte; schuldbewußt blickte ich auf den Bastard und begegnete seinem Auge. Es war unsere Sünde, unser frevelhafter Streit gegen das Schicksal, was diese bleiche Liebe in allzu frühen Tod trieb. Auf ihren zarten Schultern trug sie unsere argen Taten und zerbrach darunter, klaglos, schier freudig. Denn mit geheimem Schmerz fühlten wir es beide: das Sterben ward ihr nicht sauer.

Über dem kam die kleine Gertraude zu kurz, wenigstens, was mich betraf; mein Herz dachte nur an Aleit. Über jene Nacht, da sie bei mir am Feuer gesessen, war nie wieder ein Wort zwischen uns gefallen; doch schien mir, sie sähe mich seit der Stunde noch lieber, heimlicher an. Seit Wintersonnenwende[214] war sie bettlägerig, bedürfnislos und bescheiden, niemand zur Last als unseren Herzen. Selten besuchte ich sie unaufgefordert, doch sie bat mich öfters zu sich und plauderte mit mir über leichte Dinge, indes ich den Eindruck nicht verwischen konnte, sie verschweige tiefere Fragen und beschwere ihre Seele mit dem Unausgesprochenen. Im Hornung endlich, ich vermeine, auf St. Agathens Tag, löste sich der Bann. Wir waren im Zwielicht des Nachmittags beisammen, ihr Bett war dicht an den Kamin gerückt, die flackernden Flammen täuschten ihr ein Leben, das sie so glühend und emsig nicht mehr besaß. Draußen knarrte der Sturm und brach gefrorene Zweige, dumpf klatschten die Schneehauben der Pfosten und Erker in den Hof. Zwischen die Ölhäute der Fenster war ein Stückchen blauen Glases eingefügt, daraus sah eine märchenhafte, unwirkliche Welt.

»Ronald,« sagte sie ohne Brücke, »ich habe deine Worte lange in mir bewegt, ich tauche in sie hinein wie in ein Meer, darin ich eine herrliche Perle weiß; aber der Schatz entgleitet immer wieder meiner Hand, immer wieder muß ich erschöpft an das gewohnte Ufer. Ich wollte dir nicht mit Fragen[215] lästig fallen, nun aber finde ich keinen Weg mehr und bitte dich, hilf mir Törichten. Du sagtest, nach der Erdenzeit wandere die Seele in einen anderen Leib; ich will es glauben. Zu gleicher Zeit sprachest du, daß Liebende sich nimmer verlören. Dies ist zu schön, um es nicht zu glauben. Jedoch: wenn zwischen dem Scheiden zweier, die sich liebhatten, Jahre und Jahrzehnte liegen, so kommen sie doch nie mehr in der gleichen Jugend zueinander.«

Sie sagte diese Worte mit meisterlicher Ruhe, aber mich betrog sie nicht mehr. Ich merkte an dem leisen Beben ihrer Hand die Angst ihres Herzens und fühlte mit ihr, da all dies auch in meiner Brust gekämpft und geblutet hatte.

»Ihr könnt es nicht zusammenbringen,« hob ich an, »wenn Ihr das Leben mit der Sanduhr meßt. Vor dem, dem tausend Jahre wie ein Tag, ist unser Dasein nur ein Augenwinken. Kam nicht alles, was Euer Leben vorwärts, Eure Seele empor trieb, plötzlich wie ein Blitz? Vergeßt den Alltag, der zwischen den göttlichen Funken liegt, und Ihr habt nicht länger gelebt als eines Pulses Länge, auch wenn Ihr hundert Jahre zähltet.«

Sie hörte mir gespannt zu, ihre kraftlosen Finger[216] glitten dankbar über meine Hand, ihre Augen glänzten fröhlich.

»So ist es,« rief sie frohlockend, »hab Dank, Ronald, vielen, vielen Dank! Doch sprich, was verschweigen uns unsere Mönche dies Köstliche und malen Paradies und Hölle, wo nichts als grüne, blühende Erde ist? Steht es nicht also in den heiligen Büchern? Lehrte dies nicht der Heiland?«

Und wieder las ich die beherrschte Furcht in ihrem reinen, gläubigen Gemüt – um alle Seligkeit der Ewigkeit hätte ich sie nicht enttäuschen mögen.

»Frau, es fassen nicht viele so hohe Dinge, darum setzt die Kirche ein Bild an Stelle der Wirklichkeit, und nicht einmal alle Priester werden in die tieferen Geheimnisse eingeführt.«

»Du aber, Ronald,« bebten ihre Lippen, »sage, du gehörst zu den Eingeweihten?«

»Ja, Herrin,« log ich verzweifelt und wandte mich in den Schatten. »Doch was macht Ihr für ein Wesen aus diesen Dingen, da doch die Welt so voller Wunder ist!«

Sie antwortete nicht; ich fühlte, wie Trost und Ruhe in sie einzogen.

Der Abend war angebrochen, Dienstvolk ging[217] mit Fackeln über den Hof, Lärm und Gelächter klangen herauf.

»Nimm mir die Wißbegier nicht übel, Ronald, denn ich habe es eilig. Mein Leib ist aufgebraucht und hält die Seele nur noch locker in dem lockeren Bau. Laß dir sagen, mein Freund, ohne dich wäre ich einen schweren Tod gestorben.«

Ich widersprach ihr nicht, die heißen Zähren liefen mir in den Bart. Sagen konnte ich nichts, mochte ich nichts, da ihr die Wahrheit auf dem weißen Antlitz stand. Wie Irrlichter zuckten die Gedanken über mein dumpfes, gebundenes Hirn, ich gönnte dem gepeinigten Weibe die endliche Ruhe, und zugleich mochte ich sie nicht in dem kalten Grabe wissen.

Die Schritte der anderen klangen in der Halle; ich schied hastig und verwirrt und drückte mich in meine Kammer, die Glocke überhörend, die zum Nachtmahl rief. Saß in der grimmen Kälte und weinte aufgelöst und ohne Weg in der Verworrenheit meiner Gefühle, bis der Bastard mich aufschreckte.

»Der Brei wird kalt, Ronald! – Du weinst?«

Er verstummte, er hatte nicht nötig, zu fragen. Schließlich machte er sich Luft und zeigte sein gepreßtes Herz:

[218]

»Sind wir nicht wie zwei Mörder? – Bruder, Bruder, was haben wir getan! Um uns verblutet sie und fährt dahin, nicht auf einen raschen Streich, nein, grausam in zwanzigjähriger Qual, Stich um Stich! Ich kann sie kaum mehr ansehen, ohne zu erröten; wir alle gewannen, nur sie verlor. Was prüft Gott ihr Herz in solcher grausen Folter? Ist dies die gelobte Güte? Dies die Allmacht, die nicht wagt, einmal von dem betretenen Wege zu lassen, und lieber das Edelste in den Staub tritt?«

Er starrte mich mit haßerfüllten Augen an, die Lästerungen strömten aus übervoller Brust, aber mir graute – graute vor mir selbst, der ich im eigenen Busen ein Echo seines Zornes fand. Ich hielt mir die Ohren zu und schrie verzweifelt:

»Halt ein! Nichts wider Gott! Unsere Frucht, unserer bösen Taten Frucht ernten wir jetzt und dürfen nicht murren.«

Jedoch mein Geschrei betäubte nicht die Gottesleere in meiner Seele und überzeugte ihn nicht. Er ging hinaus und rief einem Diener, daß er Mahl, Wein und Feuer schaffe und den Kindern melde, wir tafelten allein. Wir ertrugen, wie Kain, keines Menschen Blick.

[219]

Da saßen wir die halbe Nacht, verbissen, wortlos, vom Trunk nur noch trauriger gestimmt; denn das Blut der Traube macht nur den Fröhlichen froh.


Sie sah den Lenz nicht mehr. Eines Nachts rief mich die Kammerfrau mit einem Gesicht, das alles kündete. Eilig nahm ich die Stufen und stieß vor ihrer Tür auf den Bastard. Wir vermieden uns anzusehen, bebend schlichen wir in das Gemach. Aleit hatte den Nachmittag heiter mit uns allen verbracht; die kleinen Händchen Gertraudens hatten in ihrem nun völlig weißen Haar gespielt und ihr ein leises Lachen entlockt, das uns alle schmerzlich beglückte. Jetzt, da wir eintraten, sahen wir, es war der Abschied gewesen, sie wollte bei dem Letzten niemanden als uns beide um sich haben.

Nichts war in der Kammer als ihre Augen, aus denen ein Meer von Liebe floß und unsere zitternden Herzen in warmer Woge fing und still machte. Wir knieten an dem Lager nieder und hielten ihre Hände; mit einem entwand sie sich uns, überirdischen Glanz in den Mienen, hob sich und zog den Herzog an ihre Brust und küßte ihn lange auf den Mund.

[220]

»Lieber, Lieber du!« stammelte sie, ihre Wangen röteten sich noch einmal vor erstauntem Glück; sie ließ den Erschütterten, Fassungslosen, die Lider fielen ihr zu, sie sank in die Kissen zurück und schien mit einem Lächeln einzuschlafen.

Robert und ich standen auf und sahen uns scheu und blaß an; wir wußten beide, wem der Kuß gegolten, wir waren beide glücklich in dem Gefühl ihres Glücks, aber wir schämten uns voreinander und glaubten, jeder aus anderem Grunde, er habe den anderen beraubt. Wir ahnten nicht, daß sie schon gestorben sei, und waren noch bei ihren letzten Worten, doch endlich empfanden auch unsere groben Sinne den Tod.

Abermals brachen wir in die Knie, als habe ein flammendes Schwert uns mit einem Streich gefällt.


Mitten im Walde, rang ich ihm ab, wurde Aleit gebettet. Über ihre Gruft sollte mit Beginn der trockenen Jahreszeit eine Kapelle gebaut werden, und die sollte mein sein. Er gab meinem Wunsch nicht gern Raum, denn er wollte mich nicht im Hause missen. Ich aber setzte mich durch und zog[221] im Sommer schier triumphierend in die Klause, die mich heute noch beherbergt. Die Quelle nahebei war die Tränke der Rehe und Hirsche, die mein altes Auge erfreuten; die Kinder und der Herzog selber kamen oft und ließen mir weder Hunger noch Durst. Es war kein Leben der Geißelung und sollte es auch nicht sein, ich wollte nichts als Ruhe und Frieden. Ein Gärtlein hatte ich angelegt, drin wachsen Blumen, Kräuter und Äpfel bunt durcheinander, und gottlob bedauert mich niemand mehr ob meiner selbstgewählten Einsamkeit, da ich sie so schön und farbenprächtig hergerichtet habe. Winters zieht der Schnee einen sicheren Schutz um mich.

Dann beginnt erst die rechte Freude. Ich habe mir einen hellen Stern am Himmel gesucht und traue, Aleit, in welchem Kleide sie auch wandelt, blickt auch auf ihn, und unsere Augen begegnen sich in seinem Licht. Diesen Stern und diesen Glauben habe ich allein für mich; denn der Herzog, weiß ich, hält an dem himmlischen Paradiese fest und wähnt, dorten sei aller Sehnsucht Ende, und alle Liebesströme verschmölzen in Gottes Herzen zu einem Kuß.


Bücher von Werner Jansen

Heinrich der Löwe / Roman

40. Tausend / In Ganzleinen 4,50 Goldmark

Werner Jansen, der dem deutschen Volke schon viele kraftvolle und stark verbreitete Sagenromane geschenkt hat, ist mit seinem neuesten Werke »Heinrich der Löwe« noch über sich hinaus gewachsen. Ein meisterlicher Stil vereinigt bei aller Ruhe eine solch hinreißende Wucht, daß man das Buch in einem Zuge liest. Friedrich Barbarossa und Heinrich der Löwe werden mit einer Lebendigkeit, mit einer plastischen Greifbarkeit geschildert, daß sie in dieser Form zum dauernden Volksgut werden können. Und die Gegenwart scheint gerade den rechten Boden zu bilden, um die Sturmwogen, die damals die deutschen Geschicke aufwühlten, recht zu begreifen. Die Meisterschaft, mit der dieser gewaltige Stoff dargestellt wird, wird heute von Wenigen erreicht. Jansen bietet mit diesem Buche dem deutschen Volke eine Gabe dar, die es mit Stolz annehmen soll.

(Badische Post, Heidelberg)

Das Buch Treue / Nibelungenroman

100. Tausend / In Halbleinen 5,60 Goldmark

… An diesem Buche weitet man sich, und Hoffnung strömt uns ins Tiefste, daß es nicht zu Ende sein kann mit dem deutschen Wesen! Werner Jansen hat das Alte neu werden lassen, und in mächtigem Strome rauscht es dahin, und stark und klingend ist die Sprache …

(Deutsche Warte)

Das Buch Liebe / Gudrunroman

80. Tausend / In Halbleinen 5,60 Goldmark

… Manche Abschnitte haben eine geradezu monumentale Wirkung. Die Sprache ist markig und dichterisch edel. Dies prächtige hohe Lied der deutschen Frau gehört ohne Unterschied jung und alt – dem gesamten deutschen Volke.

(Hamburger Nachrichten)

Das Buch Leidenschaft / Amelungenroman

60. Tausend / In Halbleinen 5,60 Goldmark

… Jansens Bücher mögen uns zur nationalen Bibel werden, auf daß in Finsternissen dieses Heute sie uns Priester seien und still, doch rastlos mitbauen am höchsten Ziele, das im tiefsten Grunde unserer Herzen uns allen vorschwebt: an der Erlösung unseres Volkes aus dem schmachvollen Joch der Gegenwart.

(Deutsch-österr. Tagesztg., Wien)

Diese drei Bände zusammen in farbigem Geschenkkarton 16,80 Gm.

Leben, Lieben, Wandern vor hundert Jahren

Roman eines fahrenden Gesellen, nach einer Handschrift von Emma Schumacher / Mit Bildern von Anton Kling

In Halbleinen 3 Goldmark

Ein liebes Buch aus glücklichen Tagen, zum Sinnen und Besinnen

Herr Reineke Fuchs

Eine unheilige Weltbibel oder lustiger Hof- und Regentenspiegel

Mit 20 Zeichnungen nach Kaulbach von Ernst Verchau

Die geniale, befreiende Neudichtung des alten Reineke Fuchs

In Halbleinen 2,75 Goldmark

Die Neugestaltung von Werner Jansen hat ein atembenehmendes Buch geschaffen … aber auch an der Spracheinkleidung ist zu spüren, daß hier ein begnadeter Dichter altes Literaturgut mit lebenweckendem Blut durchpulst. Kein Stilplunder wird hier geboten, nicht modische Schnörkeleien und Wort- und Satzverrenkungen, sondern die Redeweise ist edel und schlicht, untermischt mit kraftvoller Derbheit. Hier spricht ein Deutscher zu uns urdeutsch.

(Rudolf Borch)

Von Hertha Podlich wurden handgeschrieben und sorgfältig in Offset gedruckt:

Der Heiland / Worte des Reinen

Ein Buch des Glaubens an die Unvergänglichkeit des Heilandswortes, zugleich ein Buch des Glaubens an Deutschland, an die Heimat

In Halbleinen 3,50 Goldmark

Gottes deutscher Garten

Die Blüten der geistlichen Liederdichtung in ausgewählten einzelnen Versen – ein Buch voll ewiger Jugend

In Halbleinen 3,50 Goldmark / In Ganzleinen 4 Goldmark

Zwei köstliche Gaben verdanken wir Werner Jansen. Die eine umschließt Worte des Heilands. Es ist ein Buch heißen Glaubens an die Unvergänglichkeit des Heilandwortes, ein Buch auch des Glaubens an Deutschland, die Heimat. Das Gegenstück zu diesem köstlichen, von Hertha Podlich wundervoll geschriebenen Buch ist der von Werner Jansen bestellte »Gottes deutscher Garten«, ebenfalls von Hertha Podlich geschrieben. Aus dem blühenden Garten des evangelischen Kirchenliedes hat Jansen die schönsten Blüten zu einem reichen Kranze erlesen … Die Sonne ewiger Jugend leuchtet hier, das Herz der Heimat schlägt hier.

(Der Deutsche)

Die Bücher deines Volkes

Band 1: Die Märchen / Mit 25 farbigen und schwarzen Einschaltbildern von Prof. Paul Hey / Band 2: Die Volksbücher / Mit 25 farbigen und schwarzen Einschaltbildern von Adolf Hosse / Band 3: Die Volkssagen / Mit 25 farbigen und schwarzen Einschaltbildern von Prof. Paul Hey

Jeder der drei Ganzleinen-Prachtbände 30 Goldmark

Die köstlichsten Geschenkbücher für Menschen, deren Herz jung blieb

Werner Jansen, der Wiedererwecker der deutschen Heldensagen und gründliche Kenner aller Quellen deutschen Volkstums, war wie kein zweiter zur Herausgabe dieser Sammlung berufen. Der Schatz, den das deutsche Volk in Jahrhunderten geschaffen hat, wird hier zum erstenmal in einer meisterlichen Sammlung wahrhaft volkstümlich vereinigt. Nicht für den Wissenschaftler, allein für den Genießer wurde die Auswahl aus dem viele hundert Bände füllenden Stoff getroffen, wurden zwecklose, ermüdende Breiten gestrichen, verdorrte Strecken mit frischem Leben erfüllt. In seinen Märchen und Sagen lebt Deutschland mit seiner Sehnsucht nach allen Fernen, mit seinen Tugenden und Lastern, seinem Glauben und Aberglauben, seiner Werktüchtigkeit und seinen Feierstunden, seiner einfältigen Torheit, seiner tiefsinnigen Weisheit. Die gesamte Ausstattung ist in jeder Weise mustergültig und dem Inhalt angepaßt. In den Bildern von Paul Hey spiegelt sich das Märchen selbst, mit halb lachendem, halb weinendem Auge.

(Bremer Nachrichten)

Die frischen Kränze

Eine Sammlung deutscher Gedichte aller Zeiten

Bisher erschienen:

Jeder Band in hübschem, farbenfrohem Gewande 5 Goldmark

Eine handgeschriebene, in ihrer Art und Auswahl einzig dastehende Bücherreihe

In dieser von Werner Jansen herausgegebenen neuen Sammlung deutscher Gedichte aller Zeiten haben wir ein Werk vor uns, das inhaltlich und buchtechnisch unsere höchste Bewunderung und Liebe erregen muß … Bücher, die Sinne und Seele gleich tief in Schwingungen versetzen.

(Rhein.-Westf. Zeitung)

Ausführliches Verzeichnis steht auf Wunsch kostenlos zur Verfügung


Georg Westermann / Braunschweig / Hamburg


Weitere Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert.

Zur besseren Navigation im E-Book wurden unsichtbare Kapitelüberschriften ergänzt.

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE IRDISCHE UNSTERBLICHKEIT ***
This file should be named 64133-h.htm or 64133-h.zip
This and all associated files of various formats will be found in https://www.gutenberg.org/6/4/1/3/64133/
Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed.
Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution.
START: FULL LICENSE
THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK
To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license.
Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works
1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.
1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below.
1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others.
1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States.
1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:
1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed:
This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.
1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™.
1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License.
1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ web site (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.
1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.
1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that
1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.
1.F.
1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment.
1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE.
1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem.
1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause.
Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™
Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life.
Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.
Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws.
The Foundation’s principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s web site and official page at www.gutenberg.org/contact
For additional contact information:
Dr. Gregory B. Newby
Chief Executive and Director
gbnewby@pglaf.org
Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS.
The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate.
While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate.
International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate
Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works
Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support.
Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org.
This Web site includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.