The Project Gutenberg EBook of Eheglück, by Bianca Bobertag

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Title: Eheglück
       Roman

Author: Bianca Bobertag

Release Date: June 29, 2020 [EBook #62491]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Bianca Bobertag

Eheglück

Roman

Berlin
Concordia Deutsche Verlags-Anstalt
1900

Concordia Deutsche Verlags-Anstalt, Berlin.

Der kleine Martin.

Erzählung
von
Karl Emil Franzos.

Zweite Auflage. Ein Band. Groß 8°. Geh. Mk. 2,–, geb. Mk. 3,–.

St. Petersburger Zeitung. (P. von Kügelgen.): »Karl Emil Franzos' neueste Geschichte »Der kleine Martin« ist die reife Frucht der Erzählerkunst des Autors. Der Held der Erzählung ist der beste, edelste, selbstloseste Mensch, den man sich denken kann, nur zu weich, zu wenig mutig und schneidig für diese schnöde Welt. Die Geschichte ist musterhaft erzählt, jeder Zug, jedes Detail paßt zum andern, alles greift so konsequent, so logisch, so unabwendbar in einander, daß man den Eindruck erhält, Alles mit eigenen Augen mit angesehen, mitfühlenden Herzens miterlebt zu haben.«

Berliner Tageblatt: »Man kann diese Novelle wohl als ein Pendant zu dem großen Romane des Autors: »Ein Kampf ums Recht« betrachten, nur daß Franzos diesmal uns das Kampfgebiet von einer anderen Seite zeigt. Die Erzählung ist interessant und fesselnd vom Anfang bis zum Ende; es fehlt auch trotz der tragischen Grundstimmung nicht an Scenen, die uns Land und Leute in Halbasien mit köstlichem Humor vorführen.«

Bohemia: ».... Mit sicherem Pinsel ist in die leichte, nicht drückende, die Wirkung rein abschließende landschaftlich-ethnographische Umrahmung ein psychologisches Kabinetstück hineingemeistert: die Erscheinung eines gutmütigen, weichen Menschen, der hilflos mit den Rauheiten und Roheiten der Welt nicht fertig zu werden weiß, der aber darin, was Comte den »Altruismus« nennt: in der Hinopferung für Andere, in der herzhaften Selbstlosigkeit immer wieder seine Stärke findet und offenbart. Wir beschränken uns auf diese allgemeine Charakteristik der ergreifend schönen kleinen Geschichte.«

Hamburger Fremdenblatt: ».... Die hauptsächlichsten Vorzüge dieses neuen Buches sind die prächtigen Sittenschilderungen, eine scharfe Charakteristik der Personen und der in der bewegten, dramatisch aufgebauten Handlung verborgene sittliche Kern. Dem schönen Buch, einem echten Kinde der Muse unseres Dichters, ist manche Neuauflage vorherzusagen.«

Berl. Börsen-Courier: »... Die Personen, die uns der Dichter hier vorführt, sind scharf gezeichnete Typen von lebendigster Anschaulichkeit. Es ist wie eine Abrechnung, die erlösend wirkt durch ihren sittlichen Wert.«

Norddeutsche Leute.

Novellen
von
Adalbert Meinhardt.

Zweite Auflage. Ein Band. Groß 8°. Geh. Mk. 2,–, elegant geb. Mk. 3,–.

Blätter für litterarische Unterhaltung (1. Jan. 1897): »... Es ist nicht Willkür, die für diese Novellen diesen Namen erfand. Vielmehr haben die Charaktere durchgängig ein gewisses Etwas gemeinsam, was sie als Menschen eines Schlags erscheinen läßt, eben als Norddeutsche. Diese Eigenheit, mit glücklicher Sicherheit erfaßt, ist mit bewußter Treue dargestellt und durchgeführt. Scheinbar harte, starre, verschlossene Naturen zeichnet uns A. Meinhardt, Herzen, die nicht leicht zu entzünden sind. Um so nachhaltiger und rückhaltsloser lieben sie da, wo einmal ihr Gefühl eine Wahl traf. Auch die leise Wehmut, die über beiden Erzählungen ruht, entspricht der künstlerischen Absicht sehr wohl. Kurz: Die »Norddeutschen Leute« seien als gesunde, im besten Sinne unterhaltende Lektüre nachdrücklich empfohlen.«

Hamburger Correspondent. (Nr 1, 1897): »... Zu jenen schriftstellernden Frauen, von denen jedes neue Buch von einem weiteren geistigen Wachstum zeugt, gehört Adalbert Meinhardt.... Man muß der Kraft der Darstellung und Charakteristik wie der feinen Seelenmalerei volle Anerkennung zollen. Die Gegensätze, die ungemein zart und keusch angedeutet sind, finden hier auch eine harmonisch ausklingende Auflösung.«

Heimgarten. (XX. 5.): »Die jugendliche Mutter und die heranblühende Tochter lieben denselben Mann – gewiß ein starker Konflikt, der auch energisch gelöst wird, in feiner und vornehmer Art.... Eine Schilderung des norddeutschen Wesens, die alles Bezeichnende ungemein fein und scharf wiedergiebt.«

St. Petersburger Herold. (29. XII. 1896): ».... Die Novelle »To Hus is best« ist eine Perle deutscher Erzählungskunst und Tiefe des Problems, wie an Kunst und Kraft der Charakteristik. Gleich wertvoll ist auch die zweite Novelle des Buches. Wohl nächst »Heinz Kirchner« das beste Buch, das A. Meinhardt bisher veröffentlicht hat.«

Hamburger Fremdenblatt. (25. Dez. 1896): »... wirkliche norddeutsche Leute, groß geworden in der kleinen Welt, die sie ihr eigen nennen, darum eingeengt in ihren Ansichten und Anschauungen, rauh nach außen, aber unter der unansehnlichen Außenschale ruht ein gesunder Kern, schlummert ein reiches Gemüt ... Das Werk sei bestens empfohlen.«

Eheglück

Roman
von
Bianca Bobertag

Berlin
Concordia Deutsche Verlags-Anstalt
1899

Alle Rechte, namentlich auch das der Übersetzung vorbehalten.

Erstes Kapitel.

Salzbrunn war in der Mitte der vierziger Jahre noch nicht der mit modernem Komfort eingerichtete, teure Badeort, der es heute ist. Es besaß noch keine eleganten Hotels und keine Verkaufsbazare, keine Teppichbeete und keine Wiesbadener Preise. Trotzdem war sein Besuch ein lebhafter und bei aller Einfachheit der Verhältnisse gab es etwas wie ein Badeleben. Gegenüber dem Kursaal stand eine Art Vogelgebauer, das das »Orschester« genannt wurde und in dem man eine jener Bademusiken veranstaltete, die zwischen dem Erträglichen und dem Unerträglichen die Mitte halten. Es gab eine Promenade, auf der die neuesten Pariser Moden spazieren geführt wurden, Réunions, bei denen getanzt und musiziert wurde, und selbst eine Leihbibliothek von etwa hundert Bänden, in der neben den Räuberromanen von Spindler und Vulpius die Flygare-Carlèn und die Paalzow, Walter Scott, eine Anzahl »Taschenbücher für Liebe und Freundschaft« und für verwegenere Gemüter Paul de Kock und Eugen Sue zu haben waren.

Selbstverständlich gab es auch den nötigen Badeklatsch; die Toiletten-, Gesundheits- und Moralitätsjury waltete damals so gut wie später ihres Amtes, und Neuangekommene mußten sich so lange bemäkeln lassen, bis sie glücklich selbst in dem großen Gerichtshof Aufnahme gefunden hatten.

Da zwei auffallende Erscheinungen, Madame Florentine Gernoth, und ihre Tochter, Frau Doktor Rhode, sich sehr zurückhielten, gehörten sie zu den meistbesprochenen Persönlichkeiten.

Sie lebten einfach. Jeden Morgen zur gleichen Zeit sah man sie nach dem Brunnenhause und zur Molkenanstalt gehen, Wanda Rhode ihr Glas in der Hand, Madame Gernoth ihre kleine Enkelin führend, und wen die Frauen mit ihren schlanken, ebenmäßigen Figuren, den kühngeschnittenen Nasen, den großen, stolzblickenden Augen der älteren, den zärtlichen, geistreichen der Tochter nicht mehr interessierten, der warf gewiß einen Blick auf das kluge, ernsthafte Gesicht des kleinen Mädels, dessen blitzende Augen jede Seite des großen Bilderbuches, das vor ihm aufgeschlagen lag, aufmerksam musterten. Es war Rasse in den drei Figuren, wenn auch nicht in aristokratischem Sinne.

Es hatte sich herumgesprochen, daß Madame Gernoth von ihrem Manne geschieden und in sehr bescheidenen Verhältnissen zu leben gezwungen sei, während dieser, ein reicher Breslauer Fabrikant, als Lebemann galt, der im Musik- und Theaterleben der Stadt eine Rolle spiele. Man nannte große Summen, die er im Dienste der Musen verschwende. Von der Frau Doktor wußte man nicht zuviel: sie war viel umworben worden, hatte einen jungen Arzt geheiratet, ein paar kleine Kinder gehabt, von denen sich nur eines am Leben erhalten und war seit der Geburt des letzten leidend gewesen. Das war alles.

Wenn Frau Gernoth darauf bestand, daß sie sich in den ersten beiden Wochen vollständig von der Badegesellschaft zurückhielten, geschah es auf Wunsch des Arztes, der bei der Lebhaftigkeit der jungen Frau fürchtete, daß vieles Sprechen ihr schädlich sein könne. Sobald nur aber die Halsaffektion sich gegeben hatte und die Farbe auf Wanda Rhodes Wangen zurückkehrte, war die sorgliche Mutter auch bereit, ihr den Verkehr mit anderen und die Teilnahme an einigen bescheidenen Vergnügungen zu gönnen.

Sie überlegte eben, an welche der Frauen, die sie vom Sehen und ein paar gelegentlich gewechselten Worten kannte, sie sich am besten zu einer Kremserfahrt oder dergleichen anschließen möchten, als Wanda von einem Spaziergange, den sie allein durch die Anlagen unternommen, zurückkehrend, in fröhlicher Erregung auf sie zueilte.

»Mutter – Konzert im weißen Lamm – Stücke von Beethoven und Chopin-Liedervorträge – Deklamationen von Holtei, denk bloß: Holtei! Entree vier gute Groschen, das ist doch nicht schlimm? Nicht wahr, wir gehen? Ich bin ja wieder ganz gesund, von Halsschmerz keine Spur mehr, ganz gesund, bloß daß ich vor Langerweile sterbe.«

»Holtei hätt' ich auch gern einmal gehört! Aber das wären für uns beide acht gute Groschen.«

»Wir müssen uns doch auch einmal etwas gönnen. Zuletzt Tanz. Denk' doch.«

»I wo werd ich Dich denn tanzen lassen!«

»Gesunde Menschen können tanzen, soviel sie wollen. Habe ohnedies das ganze Jahr so schlimm zugebracht. – Ach Gott!«

»Nun ja, das hast Du. Mach nur nicht die Unglücksmiene.«

»Nein, ich will nicht mehr dran denken. Also die Polonaise und 'nen Walzer erlaubst Du schon, Walzer ist ja ein Tanz zum Einschlafen. Nur das ewige Stillsitzen in der Laube, das ist zu schrecklich. Und das schablonierte Muster an unseren Wänden kenn' ich wahrhaftig auch auswendig, die Erzählung, wie die Mutter der Wirtin die Wassersucht hatte, ebenfalls, und also, wenn ich nicht wieder krank werden soll aus Langweile und Unruhe, so gehen wir dorthin, Mutter. Ja?!«

»Du bist auch ganz wieder wie als Mädchen.«

»Freut Dich denn das nicht?«

»Nun ja – freilich.«

»Ach, denk Dir, und der Spaß: das Lied, das Kreowski einmal an mich gemacht hatte: »Ich weiß nicht, ist es Unrecht,« das wird auch gesungen –«

»Ist denn Kreowski hier?« fragte Frau Florentine mißtrauisch.

»Ach bewahre. Wer weiß, wer es singt! Wer weiß, ob es überhaupt dieses Lied ist; es kann auch ein anderes so anfangen! Ich dachte bloß – vielleicht.«

»Du bist ja rot geworden.«

»So? Na, weißt Du, er gefiel mir doch damals sehr gut. Aber das ist ja nun so lange her, so lange, vier lange Jahre. – Klärchen hübsch artig gewesen? Ja Puz? Komm mal her, sag mal, hat Dir Großel eine hübsche Geschichte erzählt?«

Und sie nahm das kleine Mädel auf den Schoß und küßte es, bis es wieder hinunterstrampelte.

Frau Gernoth betrachtete sie scharf. Ihre Tochter war keine allzu pünkliche Mutter, nicht lieblos, aber nicht von der überströmenden Zärtlichkeit mancher anderen; die Heftigkeit, mit der sie das Kind küßte, erschien ihr mehr als der Ausdruck einer starken Erregung, die irgend einen anderen Grund hatte.

In diesem Augenblicke fiel die Musik ein, und

»Leswig-Holstein, meerumslungen
Leswig-Holstein, stammverwandt,«

sang das kleine, noch nicht ganz zweijährige Ding jauchzend; entzückt hob es die Großmutter auf und überschüttete es jetzt ihrerseits mit Liebkosungen.

»Sie kennt jedes Lied an der Melodie heraus! Und Verse über Verse weiß sie auswendig, unser Goldkind!«

»Du bist noch viel eitler auf sie, als Ewald,« sagte die junge Frau.

»Bist Du es denn nicht?«

»Ich – na – das ist doch ganz selbstverständlich, daß ich so ein Kind habe! Bin ich denn von Dummersdorf? Und Verse und Lieder – weiß ich auch ohne Ende. Ja, denk mal, Mutter – ich hab eben ein Gedicht gemacht. Auf dem hübschen Aussichtspunkt saß ich, wo wir mal neulich zusammen waren« –

»So weit bist Du gegangen?«

»Gar nicht weit.«

»Und da hast Du ein Gedicht auf die Aussicht gemacht?«

»Na ja. Und ich glaube – es kommt mir so vor – als wäre es anders, als meine sonstigen Reimereien auf Tante Lottens Geburtstag und Vetter Hermanns Polterabend. Soll ich's Dir mal sagen?«

»Meinetwegen, sag es.«

Wanda Rhode sah sich um – rechts und links war niemand zu erblicken – breitete ihre Arme aus und fing an zu deklamieren:

»Was, du heller Sommertag
Streust du so voll Prunken
Hin auf Fluß und weite Flur
Deine goldnen Funken?!
 
Heller Reichtum überall,
Jauchzen und Erklingen,
Überall in Blühens Kraft
Seliges Durchdringen.
 
Und bist dennoch ach! wie arm
Noch im Überfluten,
Noch in deinen unerschöpft
Goldnen Sonnengluten.
 
Hab doch ich die Wälder grün
Alle rings ersonnen,
Ist doch meines Herzens Glut
Sonne licht entronnen.
 
Tönt von meinem Jubel doch
Baches Rauschen wieder,
Und in Busch und Baum sind mein
All die frohen Lieder.
 
Welt, du bist ein Abbild nur
Meiner Liebesfülle,
Blühst nur, daß in deinem Glanz
Sich mein Herz enthülle.
 
Blühst nur, weil in dir mein Glück
Blüte sich gefunden,
Welt, du seliges Gedicht
Frohbewegter Stunden.«

»Das ist ja ganz verrücktes Zeug! Du hast die Wälder ersonnen und die Vögel singen Deine Lieder? Nein höre, das ist doch zu abgeschmackt.«

»Es ist aber so.«

»Und was soll denn das heißen mit der Liebesfülle?«

»Das? Ja das weiß ich selbst nicht. Das sollte wohl heißen, daß mir das Herz so übervoll ist. Mutter, Mutter, ich könnte ja ganz laut schreien vor Vergnügen: so schön ist es hier, so gesund und so jung bin ich wieder und so glücklich! Und jetzt gehe ich um die Billets.«

»Warte doch. Hier ist noch ein Brief an Dich. Von Ewald.«

»Von Ewald? Na, das hat Zeit.«

»Das hat Zeit? So?«

»Ich dächte.«

»Sei doch nicht so eilig. Hör' einmal –«

»Nun?«

»Die Wirtin selber geht heut Abend fort und ihre Bertha ist so unzuverlässig, da wär' Klärchen so gut wie allein – und dann – ich hätte ja Holtei gern gehört, aber acht gute Groschen – weißt Du: Registrators gehen, so schließe Dich nur an die an.«

»Nun, wie Du denkst. Und wenn Du Dich wegen Klärchen aufopfern willst, so bin ich ja desto beruhigter. Also auf Wiedersehn.«

Und fort eilte sie.

Madame Gernoth sah ihr nach. Gott sei Dank, daß sie wieder so war! Was hatten diese vier Jahre aus ihr gemacht – und nun war sie wieder so frisch und blühend, und sie sollte ihr nicht ein Vergnügen gönnen? Da verfolgten sie auch schon Zwei! Nun, sie verstand, sich die Zudringlichen vom Halse zu halten.

Der Brief! Florentine Gernoth wog ihn einen Augenblick in der Hand und legte ihn dann in ihr Strickkörbchen. »Das hat Zeit!«

Sehr zärtlich war das gerade nicht gewesen. Aber, lieber Gott! drei Kinder in vier Jahren, zwei davon wieder gestorben, und diese Qualen, Sorgen und Mühen, die das arme Ding damit durchgemacht – ja was wissen denn die Männer, wie es nach alledem im Gemüt einer jungen Frau aussieht? Wie ihr der Mann damit zu einem Objekt steter Angst, seine Zärtlichkeit zum Grauen, sein Verlangen zur verderblichen Gefahr wird, wie die innigste Liebe hinstirbt in dieser beständigen entsetzlichen Furcht vor Wiederholungen des Schrecklichen! Erst neulich hatte Wanda ihr gestanden, daß das Schönste an diesen fünf Wochen im Gebirge die Befreitheit von der Angst vor neuer Mutterschaft sei, und wie sie am liebsten alles vergessen möchte, was hinter ihr läge, alles, sogar daß sie überhaupt einen Mann habe.

»Das hat Zeit!« Madame Gernoth seufzte. Seufzte über Frauenlos und »Eheglück« und in noch irgend einer Bangigkeit, deren Grund ihr nicht gleich bewußt war. Ja so: diese Verse, die die junge Frau in heller Begeisterung gedichtet und ihr mitgeteilt hatte, Verse von so sprudelnder Lebensempfindung, von einem so jauchzenden Hochgefühl, daß siegender Verstand nur mit Wehmut des Prozesses denken konnte, der alles das wieder zerstören würde. Es nützte Frau Florentine gar nichts, daß sie sie als Ausfluß einer »verrückten Laune« abzuthun suchte, sie blieben der Ausdruck einer starken, lodernden Empfindung, die in ihrer schrankenlosen Subjektivität die ganze Welt in sich hineinzieht. »Verse und Lieder? – weiß ich selber ohne Ende!« Ganz schön! und Wanda hatte sich mit ihnen über tausend Armseligkeiten und Kümmernisse hinweggeholfen – und doch schienen sie ihr ein gefährliches Mittel für die Frau eines Armendoktors, deren Hauptlebensaufgabe darin bestand, zu sparen und Kinder auf die Welt zu bringen. In allem Unharmonischen liegt eine Gefahr. Das hatten schon Frau Florentinens Vater und Großvater erkannt, als sie in ihr und ihrer Mutter denselben Hang zu Versen und Liedern mit eiserner Härte unterdrückten und alles Künstlerische verpönten, bis sie es hassen gelernt, wenigstens die persönliche Beschäftigung damit; und das hatte sie, Florentine Gernoth, erkannt, als sie ihre Tochter in diesem Sinne erzogen. Denn dergleichen läßt sich unterdrücken, das wußte sie – und wußte nur nicht, daß, wo der Hang die Stärke der Leidenschaft hat, er ununterdrückbar bleibt – und sollte späterhin auch in dem kleinen Mädchen, ihrer Enkelin, vernichtet werden! Und obgleich sich die ernste Frau dunkel der Inkonsequenz bewußt war, die diese Absicht und ihre Freude an der frühzeitig sich offenbarenden Begabung des Kindes bedeutete, beging sie sie doch in einem Erziehungsfanatismus, der seine Befriedigung darin findet, die Natur grade da zu verkrüppeln, wo sie am stärksten ist, und die eben damals in der Mädchenerziehung am nachdrücklichsten das Ideal von Weiblichkeit zu erreichen suchte, das die Kultur entwickelt hatte: die aller Persönlichkeit bare, in den engsten Horizont eingeschränkte, mit ihren Händen arbeitende Wirtschafterin.

»Welt, du bist ein Abbild nur
Meiner Liebesfülle.«

»Hm.«

Neben ihr wurde es unruhig.

»Alle Steinchen heruntergefallen, alle Steinchen?« sagte sie mechanisch zu dem Kinde, das zu weinen angefangen, und bückte sich, die Kiesel, mit denen es gespielt, wieder aufzuheben. Dann nahm sie die Kleine auf den Schoß und bemühte sich, die Wolken von der eigenen Stirn zu verscheuchen, um das Kind aufzuheitern.

»Das ist der Daumen,
Der schüttelt die Pflaumen,
Der hebt sie auf,
Der trägt sie nach Hause,
Und der Kleine – ißt sie alle alleine auf!«

Da lachten sie beide, das Kind herzlich und ausgelassen, die Großmutter mühsam und mit verhaltenen Seufzern in der Brust.

Die Kapelle hatte inzwischen »Denkst du daran, mein tapferer Lagienka« exekutiert und setzte jetzt nach einer Pause mit einer Polka ein. Auf dem Kurplatze wogte eine bunte Menge hin und her in der uns heut so wunderlich steif und geschmacklos erscheinenden Tracht der Zeit: den weiten, gesteiften Kleidern, den dreizipfeligen Tüchern, ungefälligen Mantillen und korbartigen Backenhüten der Frauen und den engtailligen, breitaufgeschlagenen Röcken, Vatermördern und bunten Westen der Männer, einer Tracht, die an Geschmacklosigkeit und Stillosigkeit nur von der der Möbel und Geräte erreicht wurde, mit denen man sich umgab; und in der man sich dennoch gefiel, sich haßte und liebte, würdig und sogar flott erschien und der übrigens ein fremdnationales Element half, einen gewissen sentimental interessanten oder sogar pikanten Anstrich zu geben.

Die Welt stand nämlich damals politisch nicht ausschließlich unter dem Zeichen der Revolutionen zu Gunsten eines zu erringenden Konstitutionalismus, es war zugleich die Zeit der politischen Insurrektionen. Und Europa, obschon kein Staat die Hände rührte, diesem in seiner politischen Sünden Maienblüte getroffenen Volke zu neuer Selbständigkeit zu helfen, zerfloß in romantischem Mitgefühl mit ihm. Es war die Zeit, da die Blätter teils mit Wollust, teils mit Entrüstung ihre Spalten füllten mit Berichten über die Heldenthaten der Sensenmänner Galiziens, über die Umtriebe Mieroslawskis, und über die grausame Barbarei, der die edlen Söhne der sarmatischen Ebene in Rußland erlagen, da kaum ein Pinsel, kaum eine Feder war, die, sich lieber der Vergangenheit zukehrend, wo die Gegenwart so ungewiß war, nicht etwas zur Verherrlichung Poniatowskis oder des Todesrufes Kosciuszkos leisteten. Die Zeit, da polnische Flüchtlinge der Welt den Zauber der pelzverbrämten Schnürröcke, der Kassawaikas und Konföderatkas übermittelten, die alten einheimischen Tänze von feurig-schwermütigen Polkas, Mazurkas und Krakowiaks verdrängt wurden, und die Romanhelden auf Kasimir und Ludmilla hörten.

In der Badegesellschaft zu Salzbrunn machte sich dieses interessante Element ebenfalls geltend. Es gab echte Polen dort, aus deren düstern Mienen der ganze Schmerz der vernichteten Nationalität sprach, Polinnen in Nationaltrauer: schwarzen Kleidern mit schmalen weißen Streifen am Saum und mit dem Ausdruck wehmütigen Selbstgefühls, das das allgemeine Unglück ihnen verlieh. Und daneben gab es dieses Modepolentum, die melancholischen Schnurrbärte, die Pekeschen und viereckig geschnittenen Mützchen:

»Polkahöschen trägt der Kleine,
Polkajäckchen die Mama,
Polkamütze, Polkalocken,
Polkaröckchen der Papa,«

heißt es auf einem Bilderbogen der Vierziger Jahre.

Kurz das Polnische war die Mode, und zwar war es eine gefühlvolle Mode. Wie hätte sie nicht besonders eine der Frauen sein sollen, denen jene Zeit das »schöne Gefühl« neben der Wirtschaftlichkeit als Domäne zuerkannte.

Madame Gernoth teilte es nicht, sie war nicht sentimental, trotz ihrer Zeit. Als die Polka noch schmetternd den Platz erfüllte, stand sie auf und zog die Kleine fort. »Diese polnischen Hopser! Ob sie nichts Vernünftiges mehr können.«

Zweites Kapitel.

Es war halb Acht und die deklamatorisch-musikalische Abendunterhaltung sollte ihren Anfang nehmen.

Der Gasthofsaal, mäßig erleuchtet, roch nach frischgewaschenem Holze, war aber gut besetzt von einer Gesellschaft, die man als gemischte, indes nicht im üblen Sinne des Wortes, bezeichnen konnte.

Man saß an den Wänden herum oder stand in Gruppen in den Winkeln, trank Vanillethee mit Sahne und sprach vom Wetter, von der Weltlage und von einem neuen Pariser Westenschnitt. An einem Ende des himmelblau getünchten Saales stand ein engbrüstiges, merkwürdig eckiges Fortepiano, dessen Klaviatur schwarze Unter- und weiße Obertasten hatte, ein Geigenpult und ein kleiner Tisch mit silbernen Armleuchtern und einem Glase Wasser. Von der Decke herab hing ein steifer Kronleuchter mit schiefstehenden Lichtern, in den Ecken markierten ein paar magere Epheulauben lauschige Plätzchen.

Die Toiletten der Damen waren einfach, doch sah man zwischen philiströsen Spitzenhauben und Barben ein paar extravagante Haartrachten, zwischen bescheidenen, recht bescheidenen Festgewändern, die Jahrzehnte hindurch ihren beinahe sakramentalen Charakter als »gute Kleider« in unabgeänderter Form behielten, einiges nach neuen Pariser Blättern. Die Haltung – nicht nur der Frauen – war ein wenig geziert: die »schöne Empfindung,« das »gebildete Gefühl« beherrschte die Zeit und drückte sich in den Mienen auch der Männer aus. Aber zwischen den wohl Toupierten und Steifbevatermörderten, Bartlosen unter ihnen sah man ein Paar mit wildem Haarwuchs, ungestärkter Wäsche und großen Bärten, welche Demokraten sein mochten.

Als die Registratorin mit ihren nicht mehr ganz jungen und niemals hübsch gewesenen Töchtern und der schönen jungen Doktorin eintrat, war der Saal fast gefüllt und hundert neidische oder entzückte Blicke richteten sich auf Wanda Rhode, die in dem Bewußtsein ihrer siegreichen Erscheinung und in der Erwartung des Verheißenen trotz ihrer einfachen Kleidung reizend aussah.

Zuerst trat Holtei auf, der schlesischeste Dichter, den Schlesien gehabt, eine schöne, stattliche Erscheinung, groß, mit langherabwallendem Haar, das Prototyp des leichtverbummelten Genies und edelmännischen Wanderkünstlers; ganz und gar von jener leichtbeweglichen, etwas eiteln Art, die mit einer Beimischung von Rührseligkeit und bewußter Gemütlichkeit den Schlesier alten Schlages charakterisiert.

Er las ein paar Scenen aus »Lorbeerbaum und Bettelstab« mit der ihm zu Gebote stehenden Vortragskunst, die ihm immer Erfolg sicherte und auch hier rauschenden Beifall eintrug, den der gefeierte Mann mit einer Handbewegung entgegennahm, wie eine gutgelaunte Majestät die Ovationen eines Volkshaufens.

Dann trat ein Geiger auf – man flüsterte sich einen zungenbrechenden Namen zu – und trug Variationen über ungarische und polnische Volkslieder vor, und er spielte sie mit der Schwermut, der Innigkeit und der Raserei, mit denen diese Stücke zur Geltung gebracht werden mußten. Man applaudierte ihm entzückt, nannte ihn unter sich einen Meister ersten Ranges und behauptete, daß er mit Chopin befreundet sei.

Dann wurde es hinter dem Fortepiano lebendig. Man konnte nicht gleich sehen, was oder wer sich da zu Kunstproduktionen heranließ, schließlich verständigte man einander doch: ein kleiner, verwachsener Jude schicke sich an, das Instrument zu bearbeiten. Und da erklangen auch schon die ersten Accorde der Cismollsonate, die er mit Meisterschaft den Saiten mit dem kurzen, spitzen Klange entriß.

Man war ergriffen, begeistert, entzückt. Der Pianist dankte und teilte den geehrten Anwesenden mit, daß Herr Witold von Kreowski einige von ihm gedichtete und komponierte Lieder vortragen werde. Worauf ein junger Mann in Sammetpekesche und mit dunklem, leichtgelocktem Haar zögernd hervortrat, etwas Weißes, das er in Händen hielt, langsam entrollend.

Gleich darnach begann der Gesang:

»Ich weiß nicht, ist es Unrecht,
Ich weiß nicht, ist es Schuld,
Ist es mir Fluch des Schicksals,
Ist's neuen Glückes Huld.
 
Ich frage nicht, liebst Du mich,
Bin ich Dir auch nur wert,
Noch hab ich Deiner Liebe
Verlangend je begehrt.
 
Ich breite meine Arme
Zum Himmel jubelnd laut,
Wie wunschlos man zur Sonne,
Wunschlos und jubelnd schaut.
 
Du bist – und Glanz und Wonne
Umfluten strömend mich,
Ich habe Dich gefunden.
Und jauchzend lieb ich Dich.«

Wanda Rhode wagte nicht aufzusehn, sie wagte kaum zu atmen, es war ein Lied, das sie besser kannte als tausend andere, und doch erschien es ihr in dem Vortrage seines Verfassers und Komponisten, frei herausgesungen vor allen diesen fremden Ohren, ein neues, von ihr abgelöstes, das auf sie keine Beziehung mehr hatte. Und dann schon im nächsten Augenblick wie ein nur ihr dargebrachter, unter dem Deckmantel der Öffentlichkeit ganz allein an sie gerichteter Gruß, wie die stärkste Huldigung, die sie je erfahren. Und eine Verwirrung nahm sie gefangen, die etwas von den glühenden Nebeln hatte, die dem Dunkel eines Waldbodens entsteigen, während purpurne Strahlen der Abendsonne sie durchdringen, etwas von einem Zwange, in zu heißer Luft zu atmen oder in ein zu helles Licht sehen zu müssen. Die Registratorin stieß sie mit dem Ellbogen an: »Nein, daß Ihre Frau Mutter das nicht hört!« und ihre Töchter seufzten: »himmlisch« und »reizend«.

Indessen präludierte der kleine Musiker schon etwas Neues und Herr Witold von Kreowski entfaltete ein anderes Notenblatt. Gäbe der Himmel, daß er sich jetzt mit einer Ballade oder einer Ode an den Frühling aus der Affäre zog! Aber der Sänger erfüllte diesen Wunsch nicht. Er schien nichts als die indiskrete Sucht aller Dichter zu haben, der Welt seine Gefühle mitzuteilen.

»Und wär's nur Berg und Strom und Thal,
Die uns trennen so weit, so weit,
Wir grüßten uns Tages wohl tausendmal,
Und die Trennung wär' Seligkeit.
 
Ach! was uns trennt, ist eine Kluft,
Tiefer noch als das Meer,
Und leise nur manchmal trägt die Luft
Ein Grüßen hin und her.
 
Doch weiter und tiefer, als Strom und Thal,
Und das Meer zwischen Dir und mir,
Und größer als aller Sehnsucht Qual
Ist meine Liebe zu Dir.«

Er schwieg und das Publikum schwieg auch, lautlos verharrend in dieser Erschütterung der Empfindung, die der höchste Beifall ist. Bis es dann doch rauschend losbrach, stürmisch, Wiederholung verlangend.

Wanda Rhode hatte jetzt den Kopf erhoben und ließ ihre Blicke über die Versammlung schweifen. Und sie sah den Schmelz in den schwimmenden Augen der Mädchen, die elegische Wehmut auf den zuckenden Lippen der Frauen, den tiefen Ernst, die sinnende Trauer in den Zügen der Männer, die Demut, mit der sich selbst Greise dem Ausdruck der stärksten Empfindung beugten; und die siegende Allmacht der Liebe, die sich in jedem schwingenden Nerv, in jedem leise gehauchten Seufzer und in diesem plötzlich ausbrechenden Dankessturm für den Sänger aussprach, wurde zum Triumphe für sie, der sie auf einen Thron erhob, vor dem sich jedes Haupt beugte, ohne zu wissen, daß er mitten unter ihnen stand. Jetzt war sie nicht mehr befangen: wer herrscht, weiß auch die Stirn hoch zu tragen.

»Ach Frau Doktorn, wie entzückend!« seufzte die gute Frau, die sie chaperonnierte. »Aber es scheint, der arme Mensch hat eine unglückliche Liebe.«

»Herr Joachimsthal spielt noch einmal,« flüsterte Registrators Bertha. »Was mag es für ein Stück sein?«

»Es ist der Türkische Marsch von Beethoven.«

»Konnte der Beethoven türkisch? Diese Leute müssen doch zuviel wissen!«

»Das geht schön, sehr schön, Frau Doktorn.«

Wanda lächelte. Sie vernahm nur einen unbestimmten Lärm vom Klavier her – deutlich hörte sie nur eins und immer wieder nur eins:

»Und größer als aller Sehnsucht Qual
Ist meine Liebe zu Dir.«

Alles um sie her schwamm in Licht, Tönen und Versen, berauschte sie mit seligem Gluthauch und ließ sie alles vergessen: Vergangenheit, Zukunft und die eigene Gebundenheit und gab ihr ein grenzenloses, alles aufhebendes, unbeschreibliches Gefühl.

Nachdem diese Nummer und noch einige ferneren Deklamationen, Cello- und Flügelstücke beklatscht worden waren, – sich verschiedene Herren in der Gegend des Flügels die Hände geschüttelt und bekomplimentiert hatten, das Badepublikum sich genügend versicherte, daß es so gelungene Vorträge bisher nicht gehabt hätte, die »Marköre« in kurzen Jacken frischen Vanillethee und Mandelplätzchen ausgeboten, kamen einige »Orschester«-Mitglieder mit Flöte, Brummbaß und Violine und ließen sich, nachdem sie gründlich gestimmt, zu einer Polonaise herbei, einem Tanze, dessen Verbreitung wohl ebenfalls in irgend einer Weise mit den Teilungen Polens zusammenhängen mochte.

Wanda Rhode zuckte es in allen Gliedern vor Spannung, was die nächsten Augenblicke bringen würden.

Kreowski hatte sie noch nicht gesehen. Wenn es geschehe, würde er an sie herankommen? Und was würde er dann sagen? – In dem Gasthofsaale mit dem Geruch nach frischgewaschenem Holze, tropfendem Wachse und Patschouli – damals noch ein vornehmes Parfüm – schwebte etwas wie eine Schicksalsfrage.

Zunächst sollte sie nicht gelöst werden. Mit vielen Bücklingen näherte sich Wanda der Badevorstand, von einem Schwarme jüngerer Herren begleitet, die vorgestellt sein wollten. »Hier Herr Müller, Herr Brand, Herr von Makowski, Herr Supphahn und Herr Hielscher, die sämtlich die Polonaise mit Ihnen tanzen wollen, mein schönes Fräulein.«

»Bin weder Fräulein, weder schön, kann nur mit einem zum Tanze gehn.«

»Alles in der Welt können Sie behaupten, selbst das erste und das dritte – aber das zweite nicht,« sagte der Vorstand. »Aber bitte sich zu entscheiden. Wenn ich nicht weißes Haar hätte, so würde ich bitten, die Polonaise mit mir anzuführen – wie, meine schöne Frau, Sie wollen mir die Ehre geben?« Und die Herren Müller bis Hielscher, die bisher einige hungrige Komplimente gemacht hatten, zogen sich sachte zurück.

»Den nächsten Tanz, meine Herren,« sagte sie und schob ihren Arm in den des alten Galans. Und nun konnte sich wirklich keiner beklagen.

»Sie ist bezaubernd,« sagte einer der jungen Herren, »sie hat meergrüne Augen und die Gestalt einer Hebe und in ihrer Stimme ist Musik.«

»Eine Frau? – ob der Mann hier ist?«

»Ganz gleich, sie ist bezaubernd.«

»Um so besser sogar,« – setzte Herr Supphahn hinzu, der französische Romane gelesen hatte und für das Pikante schwärmte.

Der beglückte Vorstand führte den Tanz indessen mit Wanda an und machte seiner reizenden Partnerin in halb väterlicher Weise bestens den Hof. Er merkte nichts von der fieberigen Glut der Erwartung, die sie bewegte. –

Hand um Hand wechselte. Jetzt hatte sie einen jungen Baron, dann einen geschniegelten Kaufmannsdiener, jetzt einen Studenten, dann einen Badearzt, dann einen polnischen Flüchtling, einen Freiwilligen von den Jägern, den kleinen verwachsenen Herrn Joachimsthal und einen Kandidaten der Theologie und endlich legte sich ihre Linke in die Hand des Mannes, dessen Liebe weiter und tiefer war als das Meer und größer noch, als die Qual seiner Sehnsucht.

Drittes Kapitel.

Witold von Kreowski erbleichte, als er sie erkannte, starrte sie ein paar Augenblicke mit ringendem Atem an und sagte endlich heiser: »Ein ebenso großes als unerwartetes Glück.« Er sprach völlig accentfrei.

»Ein freundlicher Zufall.«

»Und ebenso unerwartet als schmerzlich.« Damit reichte er die Hand der vorhergehenden Dame.

Sie wußte nun, was ihr freilich ohnehin nicht zweifelhaft gewesen, daß auch das zweite Lied ihr gegolten. Und während er jetzt vor ihr promenierte, bemerkte sie, daß er etwas breitschultriger geworden war, daß er einen sehr schönen Nacken hatte und daß in einem schönen Nacken etwas seltsam Verführerisches liegen könne. Und es kam ihr vor, als ob die Unruhe, die er ihr erregte, dieselbe sei, die sie vor vier Jahren empfunden und als ob er nie aufgehört habe, sie zu belästigen, obgleich das ganz gewiß nicht wahr war.

Der nächste Tanz war eine Polka und er engagierte sie sofort. Sie sprachen nicht, sie tanzten schweigend, aber die Erregung, die in ihren Adern brannte, teilte sich ihren Bewegungen mit. Man tanzte diese polnischen Tänze damals noch nicht verdeutscht oder verwälscht, man exekutierte sie noch, mit einigen Vorbehalten im Takt, mit einer gewissen schwermütigen Glut und nach den häufig sich in Moll bewegenden echten Melodien. Die Tänzer stemmten noch die rechte Hand ihrer Dame in die linke Hüfte, warfen den Kopf nach hinten und preßten ihre Partnerin fest an die Brust. Es war noch etwas Feuriges und Hinreißendes in der Art, diese Nationaltänze auszuführen. Es befanden sich außer Witold von Kreowski noch einige echte Schlachzizensöhne unter den Anwesenden, solche, die das Deutsche nur hart und gebrochen sprachen – er tanzte trotz ihrer mit der Verve und der Anmut eines Królewicz.

Dann folgte ein Walzer. Ein kunstsinniger Musikant hatte »Wir winden dir den Jungfernkranz« aus dem Vierviertel- in einen langsamen Dreivierteltakt übertragen, der ungeheuren Beliebtheit dieses Stückes grausam Rechnung tragend, und darnach schleifte die Gesellschaft gefühlsselig; es war eine Art zu walzen, bei der man Geibel, Lenau und die Romantiker tanzte und die wackeligsten Jubelgreise noch mitthun konnten in sanften Erinnerungen an ihre friedlichen Eroberungen während der Freiheitskriege.

Es wurde nicht fest engagiert. Wanda Rhode tanzte mit allen, auch eine Tour mit Kreowski. Ohne mit ihm zu sprechen.

Ehe die Musikanten mit einem Krakowiak einsetzten, kam die Registratorin, der die Thränen vor Freude in die Augen traten, wenn eine ihrer Töchter einmal geholt wurde, an die junge Frau heran und bat sie, sich zurecht zu machen, da sie in ein paar Minuten gehen müßten.

Sie habe sich verpflichtet, Wanda um elf Uhr gesund an Madame Gernoth abzuliefern.

»Und ich soll Ihnen halten, was ich meiner Mutter versprochen habe?« fragte Wanda Rhode lachend.

»Aber das versteht sich doch, liebe Frau Doktorn.«

»Kennen Sie nicht das Gedicht von der schönen Bianca, die über den See zum Tanze fuhr und, als ein Gewitter heraufzog und die Wellen das Schiff zu verschlingen drohten, bei der Sonne schwur, keinen Fuß zu rühren, wenn sie nur glücklich das Land erreiche?«

»Nein, das kenne ich nicht.«

»Nun, hören Sie nur: als sie nun drüben war, zuckte es ihr zwar in allen Gliedern, aber sie hielt sich tapfer. Nur wie der Mond heraufstieg, die Musik immer berauschender wurde, die Lust immer lauter, da konnte sie nicht länger widerstehen und tanzte, und tanzte –«

»Aber hier ist doch kein Gewitter und kein See, liebe Frau Doktorn!«

»Hören Sie nur: tanzte, bis der besorgte Fährmann herankam und sie mahnte:

Bianca, Bianca, was hast Du gethan,    
Du hast dein Wort ja gebrochen.

Worauf die Schöne lachend rief:

Ach, die Sonne ist jetzt in Amerika
Und dem Mond hab ich gar nichts versprochen.

Nun, sehn Sie, Frau Registrator, meine Mutter ist die Sonne, und Sie der Mond, und wahrhaftig! ich will um kein Haar besser sein als die kluge Bianca! – Fräulein Bertha und Fräulein Malchen, erlauben Sie, daß ich Ihnen diese Herren vorstelle?«

Da fand sich denn der Mond in seine zuwartende Rolle.

»Ich freue mich, Sie so heiter zu sehn,« sagte jetzt der Pole, dessen Augen inzwischen einen ganzen Band Verse geredet hatten, die sie mit dem Epigramm eines kurzen Blickes beantwortete, indem er wieder in die Reihe mit ihr trat.

»Haben Sie vermutet, eine Unglückliche wiederzufinden?«

»Durchaus nicht. Um so weniger, als Sie überhaupt hier zu finden außerhalb meiner Vermutungen stand. Und warum sollten Sie unglücklich sein?«

»Gewiß, warum sollte ich es sein? Ich bin sogar sehr froh: ich war krank und bin wieder gesund, ich lebte öde und eingeengt und lebe befreit und heiter und – ich finde zum Überfluß einen guten Freund wieder, mit dem ich manche vergnügte Stunde verlebt.«

»Sehr gütig, das der Summe Ihres Glückes zuzuzählen. Ich bin nicht so unbescheiden, diese Wendung ernst zu nehmen.«

»Sie leben nicht mehr in Breslau?« fragte sie, als sie wieder anhielten.

»Ich halte mich bei Verwandten auf dem Lande auf. Aber ich stehe in Verhandlung mit dem Direktor des Breslauer Stadttheaters und darf mir einige Hoffnung auf die Stellung eines Korrepetitors an der dortigen Oper machen. Ich habe einige Sachen von Herrn von Holtei in Musik gesetzt, und er hat die Güte gehabt, mich zu empfehlen. Ich würde das Glück haben, wieder dieselbe Luft mit Ihnen atmen zu dürfen und Sie würden mir vielleicht gestatten, Sie manchmal zu sehen.« In seinen Augen und in seiner Stimme war das Dringende, Werbende und dabei Verzweifelte einer aussichtslosen und unauslöschlichen Leidenschaft.

»Noch sind Sie nicht in Breslau,« sagte sie ruhig lächelnd, während ihre ganze Seele sich dieser Leidenschaft zukehrte und ihr Ohr mit Entzücken das Beben der Stimme neben ihr trank.

»Nein, es ist noch unsicher, doch ich darf hoffen. Herr von Holtei forderte mich auf, hierher zu kommen, um mich persönlich kennen zu lernen und um mich zur Mitwirkung heut Abend heranzuziehen.«

»Sie kamen erst heut hier an?«

»Heut Mittag. Ach! und kam so leichten Herzens! so leichten, als ich überhaupt zu haben vermag, und ohne Ahnung –«

»Mich hier zu finden. Sie wollten mich nicht wiedersehen?«

»Nein,« sagte er dumpf.

Sie tändelte mit dem Fächer – in diesem Tone ging es nicht weiter, so ernsthaft durfte er nicht werden; mochte ihm zumute sein, wie ihm wollte, man mußte die heiteren Mäntelchen behalten. Sie lachte also und antwortete schalkhaft: »Und müssen nun ehrenhalber die herzhaftesten Fluchtgedanken heldenmütig im Blute der Höflichkeit ersticken. Aber ich bin nicht unmenschlich und gebe Sie frei. Sehen Sie mal diese etwas zu dick geratene Friederike von Sesenheim aus der Guhrauer Gegend, die mit den verwelkten Kornblumen am Herzen, sie sitzt, scheint es, den ganzen Abend! Reizt Sie diese –«

»Quälen Sie mich doch nicht. Wenn Sie scherzen und spotten können, ich kann es nicht.«

Sie suchte nach einem andern Thema.

»Haben Sie außer Liedern noch etwas komponiert? Wie steht es mit der Oper, die Sie damals schreiben wollten?«

»Sie erinnern sich dieses Planes?«

»O, sehr gut, besonders eines Motives. Warten Sie mal, ich muß es noch wissen.« Und sie summte, mit dem Kopfe den Rhythmus angebend, die Melodie.

»Ich bin entzückt, daß Sie das behalten haben.«

»Es hat mir gut gefallen, und so hab' ich es manchmal auf dem Klavier gespielt und ein bißchen Baß dazu gesucht.«

»Wirklich?«

»Wirklich! In der Einsamkeit der Dämmer- und Abendstunden, in diesen Stimmungen der Sehnsucht und – nun ja, phantasiere ich gern auf dem Flügel, so gut oder so schlecht ich's kann.«

»In der Einsamkeit? Sind Sie denn manchmal einsam? Kann man Sie denn bisweilen allein lassen? Sie verzeihen.«

»Aber das ist doch nicht anders. Die Kranken und dann die Politik –«

»Und dann haben Sie meine Melodien gespielt und haben manchmal ein klein wenig an mich gedacht?«

»Warum nicht? Denkt man der Melodien, denkt man wohl auch des Komponisten. Was ist da weiter?«

»Freilich, was ist da weiter! Und die ›Sehnsucht‹ ist die nach dem vermißten Gatten? Natürlich. Ist Ihr Herr Gemahl auch hier? – ich meine in Salzbrunn.«

»Nein.«

Ein knappes »Nein,« in das nichts von Bedauern oder Sehnsucht hineinklang, aber auch nichts Feindseliges, und auf das sie eine Weile schwiegen, um, endlich die Unterhaltung wieder aufnehmend, über das Badeleben, das Wetter, die Menschen zu plaudern, banales Zeug, dem Wanda doch beständig einen Reiz zu geben wußte durch gut herangezogene Citate, drollige Spöttereien und kleine Sentimentalitäten. Dadurch kamen sie nun doch in jene behagliche Stimmung, mit der man etwa an heiterem Sonnentage in kleinem Boote ein tändelndes, blaues Meer befährt, dessen Leidenschaft Windstille gebändigt hält.

Ganz unvermittelt – die Musik hatte inzwischen eingesetzt und sie waren zum »Contre« angetreten – sagte er dann:

»Sie haben es nicht etwa für eine Entweihung meiner Gefühle genommen, daß ich jenes Lied – ich meine jetzt das andere, das Sie schon kannten, öffentlich mitzuteilen wagte?«

»›Mitteilung ist das Wesen des Dichters,‹ sagt Goethe.«

»So, sagt er das? Und Sie, so jung, verstehen es?«

»Ich denke.«

»Sie begreifen also, daß der Künstler nichts entweiht, auch wenn er alles preisgiebt, daß die Form, in der er es thut, wenn sie sonst eine gelungene ist, ihm das Recht giebt, alles zu gestehen, weil er sich damit zum Interpreten der Gefühle aller macht, ihrer tiefsten und reinsten Gefühle, alles ihres Ringens und Sehnens?«

»Warum sollte ich das nicht begreifen?«

»Gewiß. Und es macht mich sehr glücklich, daß es so ist.«

»Nur ist mir die Richtigkeit Ihrer Auffassung zweifelhaft: denken und dichten die Poeten nicht am Ende über diese Philister- und Werktagsseelen hinweg, wie die Lerchen und Nachtigallen über die Köpfe der Sperlinge und Finken hinweg ihre Lieder singen? Und ergreift der Künstler diese Seelen vielleicht nur, indem er ihnen die Ahnung beibringt, daß es andere giebt, die unendlich viel stärker empfinden und persönlicher denken als sie? Und was sie ergreift, ist vielmehr Schauer des Mitgefühls mit dem größerem Maß von Leiden, das ein Künstler ertragen muß?«

»Wohl möglich, daß es so ist. Jedenfalls: wenn man den Künstler nach seiner Fähigkeit zu leiden schätzen dürfte, dann hätte ich den Vorzug, als ein großer Genius zu gelten.«

»Sehen Sie, so finden die Unglücklichen immer einen Trost. Aber wie ist mir denn: pflegen Ihre Landsleute ihren Schmerz nicht zu vertanzen? Sind sie nicht eben darum Meister in dieser Kunst? Tanzen wir. Es ist eine Mazurka, nicht wahr?«

»Gewiß.«

Lächelnd legte er seinen Arm um sie, und gleich darnach verschlang der Wirbel des Reigens die Beiden.

Viertes Kapitel.

Als Madame Gernoth den Entschluß gefaßt, sich von ihrem Manne zu trennen, hatte sie es in dem Trotz und dem Selbstgefühl einer etwas eckigen, aber redlichen Natur gethan und aus einer Empfindungsweise heraus, der alles Kühne frech, alles Gewagte unsolid dünkt, und die keine Nachsicht kennt für die impulsiven, schnellen Eindrücken empfänglichen Gemüter, die auch einer Versuchung einmal unterliegen, ohne deshalb schlecht zu sein, die vorübergehend untreu sind, ohne es mit ihren besten Gefühlen zu werden. Und obgleich, als das Zerwürfnis einmal ausgebrochen, Gernoth sie zu versöhnen strebte, zog sie, unbeugsam wie sie war, vor, Not und Sorge auf sich zu nehmen, statt dort ein Wohlleben zu führen, wo sie ihr Gefühl täglich verletzt sah.

Not und Sorge sollten jedenfalls nicht ausbleiben. Gereizt durch die Härte seiner Frau, brachte Gernoth es fertig, sie und das Kind, das er ihr überließ, sehr ungünstig zu stellen und über einem neuen Verhältnisse rasch zu vergessen. Dagegen schien Frau Florentine viel Glück bei der Erziehung ihrer Tochter zu haben, die zwar schon frühe viel von dem übersprudelnden, leicht beweglichen Wesen des Vaters, aber auch andere Eigenschaften verriet, die die Mutter als Hebel ansetzte, um alles an väterlichem Erbteil in Wanda zu unterdrücken. Es war etwas von dem Fleiß und der Sparsamkeit der mütterlichen Linie in dem Mädchen, das sich sehr gut hierzu eignete und von Madame Gernoth beständig herangezogen wurde, um Wanda zu rastloser Thätigkeit anzuhalten und ihr die Notwendigkeit, einen Spargroschen für Fälle besonderer Not anzulegen, einzuprägen; eine Vorsichtsmaßregel, der die sorgliche Frau besondere Wichtigkeit beimaß, der Tochter sogar die bescheidenen Freuden, die der Jugend Bedürfnis sind, verkümmernd und – vielleicht nicht ganz weise – in die Freude an dem Wachsen ihres kleinen Schatzes verkehrend.

Es schien inkonsequent zu sein, daß Madame Gernoth, als ihr unverhofft eine kleine Erbschaft zufiel, sich beeilte, diese dazu zu verwenden, ihre inzwischen herangewachsene Tochter gefällig zu kleiden und ihr eine Reihe von Vergnügungen zu bereiten. Dennoch glaubte sie so verfahren zu sollen. Hätte sie das Martyrium einer langen unglücklichen Ehe hinter sich gehabt, so hätte sie vielleicht versucht, Wanda den Männern fernzuhalten. Aber sie hatte eine kurze Enttäuschung hinter sich, die sie selbst korrigiert hatte; sie hatte die Unbefriedigtheit und Schutzlosigkeit einer gattenlosen Existenz kennen gelernt und war so zu der Ansicht durchgedrungen, daß selbst eine nicht ganz glückliche Ehe noch immer besser sei als gar keine. Zudem war es noch die Zeit, in der die Unvermähltgebliebene unter der Bezeichnung »alte Jungfer« eine bemitleidete Erscheinung war, so daß Tausende heirateten, bloß um socialer Mißachtung zu entgehen. Endlich aber besaß Wanda eine Eigenschaft, die es geradezu unmöglich machte, sie der Aufmerksamkeit der Männer zu entziehen, und Frau Florentine vielmehr wünschen ließ, diese Aufmerksamkeit da zu erregen, wo sie ihr mütterliches Auge darüber wachen lassen konnte.

Wanda war eine der Schönheiten, an denen alles packt, entzückt und hinreißt.

In ihrem Wuchse, in ihrem schwebenden Gange lag allein etwas, das bezauberte, in ihrem Nacken, der Bildung und Haltung der Schultern etwas Verführerisches. Dazu kam ein flirrender Glanz in den Augen, etwas Kühnes, Eroberndes in dem Schnitt ihrer Nase und ein geheimnisvolles Zucken um die lebensvollen Lippen, das wechselnd die ganze Skala ihres Wesens verriet und doch nie ganz verriet. Wie sie nun dabei mit blitzartiger Klugheit und einem Gedächtnis ausgestattet war, das alle Eindrücke und Vorkommnisse, jeden Vers, jede Melodie, jedes launige Wort festhielt und mit spielender Leichtigkeit an die Oberfläche warf, eroberte sie, was in ihren Gesichtskreis trat.

Die Erfahrungen, die Frau Gernoth in dieser Beziehung machte, waren geradezu verblüffend. Sie hätte ohne alle mütterliche Eitelkeit sein müssen, wenn sie ihr nicht geschmeichelt hätten, aber wie dann Wanda zu denen gehörte, die Wirkung ausüben und erfahren müssen, um ganz sie selbst zu sein, dann aber auch unauslöschlich sie selbst sind, wurde Frau Florentine auch klar, daß ihre haushälterische Erziehung den Kern des Wesens ihrer Tochter unberührt gelassen hatte.

Wanda berauschte sich an ihren Erfolgen. Die Natur hatte garnicht daran gedacht, Fischblut in ihre Adern zu gießen, mit dem Temperament ihres Vaters hatte sie sein leichtentzündliches Herz geerbt; und sie nahm diese Eigenschaft keineswegs übel: nur wer selbst die Unruhe, die Schmerzen und die Süßigkeiten der Liebe in vollem Maße kennen zu lernen veranlagt ist, ist fähig, die ungeheuren Triumphe zu genießen, die die Schönheit feiert.

Wenn sie indessen davon träumte, ein Lebensglück zu finden, das diesen Triumphen entspräche, so sollte ihr das Schicksal diesen Traum nicht erfüllen.

Unter ihren Bewerbern befand sich ein junger Arzt, der eben seinen Doktor gemacht, den Kopf voller Ideale und die Brust voll ehrgeiziger Träume hatte. Was sein Äußeres anlangte, so konnte er sich, ohne unschön zu sein, mit Wanda Gernoth nicht vergleichen, geistig war er ihr durchaus ebenbürtig. Doktor Rhode war nicht ohne Witz und Humor, der Schwerpunkt seines Wesens indessen lag in einem starken wissenschaftlichen Hange und in der Tiefe seines Geistes, der sich zu dem ihren verhielt, etwa wie eine ruhige, starke Flut zu einem sprudelnden Sturzbach oder wie schweres Geschütz zu den knatternden Gewehrsalven einer leicht beweglichen Truppe.

Aber das war doch nicht der Hauptunterschied in der geistigen Signatur dieser beiden hochbegabten jungen Menschenkinder: in dem Doktor war die stärkste Objektivität der Interessen, in Wanda war alles subjektiv. Was immer in den Bannkreis ihrer Sinne und Begriffe trat, hatte Wert für sie, nur soweit es sich zu ihr in irgend eine Beziehung setzen ließ, und nur weil ihre eigene Natur außergewöhnlich reich war, war auch der Kreis ihrer Interessen groß. Auf diese Weise täuschte sie gewissermaßen über sich.

Der Doktor liebte sie mit einer Leidenschaft, die einem Manne etwas seiner Natur fremdes zu verleihen vermag. Ihm gab sie einen Hauch von Poesie, etwas Glänzendes und Erfinderisches, das sonst nicht in seiner Richtung lag.

Wanda zögerte trotzdem sehr lange, bis sie ihm Gehör schenkte. Sie fühlte instinktiv die Verschiedenheit ihrer Naturen, und es war nichts an ihm, das sie bezauberte oder bestach. Und dann that sie es doch. Er besiegte sie durch die Hartnäckigkeit, die die stärkste Schmeichelei der Liebe ist, durch den Geist, mit dem er anmutigere Nebenbuhler ausstach, und mit Hilfe von Frau Gernoth, die in ihm den ernsten und soliden Mann gefunden hatte, den sie ihrer Tochter wünschte.

Kurz vor der Hochzeit wandelte die Braut die Laune an, zurückzutreten. Sie hatte die Bekanntschaft Kreowskis gemacht, der ihr jene Lieder widmete, die in Text und Melodie Huldigungen für sie waren, die sie verwirrten. Aber es handelte sich doch auch hier um keine große Leidenschaft, die alle guten Gefühle für den Doktor ausgelöscht hätte, und so kämpfte sie denn diese Anwandlung nieder, um so mehr als Madame Gernoth ihre Bedenken durchaus nicht wollte gelten lassen, und heiratete den Doktor.

Und siehe: das Glück sproßte ihr auf, wie eine Blume, die man zögernd in ein ihr fremdes Erdreich gesetzt, ängstlich, ob sie darin zu Grunde gehen oder doch klein und unansehnlich werden würde, und die darin aufblüht, in einer Schönheit, die niemand geahnt, mit einem Schmelz, der ein Wunder zu sein scheint.

O diese goldenen Stunden geliebten Beieinanders! Diese fröhlichen kleinen Mahlzeiten mit ihren einfachen Schüsseln, die der Appetit würzt; diese Spaziergänge an den Flußdämmen entlang, wenn die an landschaftlichen Schönheiten arme Gegend zum Paradiese wird, sobald die Sonne, deren Glanz alles mit dem Glücke der Herzen in Verbindung zu setzen scheint, leuchtend darauf liegt; dieses harmlos frohe Geplauder, unter dem man die Wege zurücklegt! Ach! und diese holden Abende bei traulichem Lampenschein! Wie beseligend dieses Näher- und immer Näherrücken der Geister, dieses Überfließen der Seelen, dieses Aufgehen der Herzen im Austausch aller Gedanken und Empfindungen!

Wie hold dann selbst diese kleinen Bekenntnisse und Mitteilungen aus den Tagen junger Vergangenheit, in denen man sich noch nicht kannte, der Eifer, auch sie in Beziehung zur Gegenwart zu bringen, Teilnahme, Verständnis, Vergebung zu suchen, wo man so sicher weiß, daß man sie findet. Schonungslos werden dann frühere kleine Neigungen preisgegeben, in denen die gegenwärtige immer die erste ist, weil sie unvergleichlich stärker erscheint, lustig kleine Verlegenheiten gebeichtet, kindliche Nöte und Sorgen erzählt. Dann müssen selbst Schulhefte, Stammbücher und Prämien herhalten, dann Sträußchen, Locken und Liebesbriefe, dann werden Andenken von Tanten und Erbstücke der Großmutter hervorgesucht, eine kindliche Sammlung von billigen Kleinodien, Henkeldukaten oder Denkmünzen, kurz, alle diese hundert kindischen Wichtigkeiten, denen man entwachsen ist und an denen das Herz doch noch hängt.

Dann wird selbst der Spargroschen aus der Mädchenzeit einmal produziert: dieser langsam und mühselig erworbene kleine Schatz, der Notgroschen, den man auf Rat der Mutter eigentlich ganz geheim halten soll – aber gerade das ist nun so hold: diese rückhaltlose Vertraulichkeit, die auf dem reinsten Vertrauen, der rückhaltlosesten Liebe beruht.

O, die goldenen Stunden! Goldener noch, wenn die Kindereien dann wieder ernsterer Unterredung weichen. Wie strömen dann die Herzen alles Beste aus, geben für frohe Erinnerungen froheres Gefühl der Gegenwart und das starke, schwellende Empfinden der Zukunft: diese Träume leichten Gelingens stolzer Pläne, der Erfüllung junger Hoffnungen, des Gewinnes früher Mühen. Und in Persönlichstes hinein die Hochflut großer allgemeinster Ideen und Ideale, die die Gemüter erfaßt und fortreißt, um sie auf fremdem, objektiven Gebiete einander wieder um so inniger zuzutragen. Bis wohl die Lampe unter hohen Gesprächen zu erlöschen droht, und die Nacht, ganz herabgesunken, alles umhüllt, Persönlichstes und Unpersönlichstes und nur eins erfüllt: die heißen, süßen Mahnungen der Natur, bis stärkstes Lebensgefühl das Ich auslöscht und zugleich über sich erhöht. –

Wie reizend auch die Freuden einer harmlosen Geselligkeit in einem Kreise, der sich bei bescheidenen Lebensbedingungen durch Witz und Geist auszeichnet, in dem man Anregung giebt und findet, sich schätzt und liebt und, wo man sich gehen läßt, doch niemals die Anmut verletzt. Man war in mancher Beziehung damals noch kindlich. Man vergnügte sich noch an Pfänderspielen und den Bildern einer laterna magica, man machte Verse über launige Themata und führte Charaden auf, leierte Bänkelsängereien zu selbstgemalten Tableaus und jagte sich im Freien herum. Man sang noch zur Guitarre, und wenn man sang, brauchte man keine »Schule« zu haben, die Herren rauchten Cigarren aus einheimischem Tabak, und die Frauen buken ihre Zuckernüsse noch auf dem Herdfeuer. Wenn die Politik die Gemüter nicht erhitzte – was sie freilich dann mit Heftigkeit that, – war man äußerst friedfertig in Principien und Anschauungen. Es gab damals keine socialen Fragen, es gab keine Judenfrage und kaum eine konfessionelle, es war die Zeit, wo Pastor und Kaplan geistliche Brüder waren. Man war ein bischen kosmopolitisch neben aller bösen Demokraterei und unglaublich positiv. Man war anspruchsloser und darum sorgloser und naiver als man heute ist. Wer aber obendrein jung und witzig war, war ausgelassen, wie man es jetzt fast verlernt hat. Und dann, nach diesen Vergnügungen, die Rückkehr in das eigene Heim mit dem Gefühl, daß seine Freuden über alle anderen gehn!

Aber es giebt einen Höhepunkt des Glückes, auf dem es sich nicht zu halten vermag: die alte Wahrheit von der Blüte, die im herrlichsten Entfalten den Moment erreicht, wo sie zu welken beginnt; einen Höhepunkt, da die Engel den Atem anhalten, die Natur stillzustehen scheint, um den Augenblick zu verlängern, und nach dem es doch bergab geht, wenn nicht eine Wundermacht, die zugleich begreift und fühlt und Gefühl und Erkenntnis in den stärksten Willen strömen läßt, das Glück immer wieder aufwärts trägt.

Der Aufschwung des Geistes, des Gemütes, der den Arzt seine idealsten Anschauungen vor seiner jungen Frau sich ergießen ließ, fing eines Tages an, für diese etwas gleichförmiges zu haben. Diese philosophischen Ergüsse Hegelschen Gepräges, diese naturwissenschaftlichen Gesichtspunkte, diese demokratische Begeisterung wurden ihr – ein ganz klein wenig langweilig.

Die Zeit hatte das stärkste Vorurteil gegen tiefere wissenschaftliche oder gar politische Bildung der Frauen. Man hielt ihnen beides fern, da man beides, Wissenschaft und Politik, unweiblich fand, und es mußte das persönliche Bedürfnis eines Mannes vorliegen, eine Frau zu seinen Interessen heranzuziehen, was ihr die Ehre verschaffte, hier bisweilen den Schleier gelüftet zu sehn. Nur schlimm, daß ein persönliches Interesse ein sachliches, an den Dingen selbst haftendes niemals dauernd ersetzen kann; schlimm, daß es Wanda Rhode nach diesen Lüftungen gar nicht einmal gelüstete, daß sie, weit davon entfernt, sich geehrt zu fühlen, die Geduld, die sie schließlich bei Anhörung der Vorträge ihres Mannes entwickelte, ihm wiederum zumutete, indem sie von den Dingen sprach, die nur sie interessierten. Denn waren Politik und Medizin ihr gleichgültig, so waren es ihm Musik und die nachklassische Litteratur, die in den vierziger Jahren die Litteratur der Gegenwart war: Heine, die Jungdeutschen und die fremden Romanschriftsteller der Periode. Aber Verse und Belletristik waren das, womit sich zu beschäftigen für weiblich galt. Und wie in hundert anderen Fällen, wirkte die künstliche Scheidung der Interessen, hier unterstützt durch persönliche Neigungen, langsam als eine Scheidung der Gemüter.

So empfand man die ersten Enttäuschungen, die ersten Lücken und die Notwendigkeit, sie anderweitig auszufüllen. Der Doktor fing an, Bierstuben aufzusuchen, wo er sich entweder mit Fachgenossen über Trepanationen des Gehirns und Behandlung von Geschwülsten unterreden oder mit Politikern über allgemeines und Klassenwahlrecht erhitzen konnte.

Ach! Und es ward noch mehr: durch die Geburten dreier Kinder, von denen zwei ganz jung wieder starben, ward Heiterkeit in Angst und Schwermut, Freude an häuslichem Walten in Gleichgiltigkeit, ja – um gemeinen Mangels willen – endlich in traurige Sorge gewandelt; Rausch der Herzen wurde zum Grauen, Kraft und Gesundheit zur Hinfälligkeit und physischen Qual – die Wiege des Glückes zu seiner Grabstätte.

Es war immerhin ein Glück, daß Wanda den Nöten ihrer jungen Ehe eine Elastizität, eine Fähigkeit, momentanen kleinen Freuden gerecht zu werden, eine Beweglichkeit des Geistes entgegenzusetzen hatte, die über diese Nöte ihre raschen, bunten Schleier warf. Ein schönes Gedicht, eine glückliche Melodie, eine lebhafte Gesellschaft waren im Stande, in ihrem sonst wunderbaren Gedächtnis zeitweise alles auszulöschen, was peinlich und quälerisch darin war. Und dieser merkwürdigen Versatilität ihres Wesens war es dann auch zuzuschreiben, daß die Naturschönheiten des Berglands, alle die gefälligen Eindrücke, das Neue der Situation sie so rasch zu befreien vermochten, als ihre ursprüngliche körperliche Zähigkeit und Kraft rasch das Siechtum überwanden, das ihr diesen Wechsel des Aufenthaltes verschafft hatte.

So erblühte wiederum ihrer Krankheit neues Leben, in dem sie Jugend, Frohsinn und Ichgefühl zu herrlichem Gewinne wiederfand. Freilich zu einem Gewinne, der nicht mehr im Centrum der Pflicht und der Gewöhnung lag.

Fünftes Kapitel.

Nachdem Wanda ein paar Stunden schlaflos verbracht, dämmerte der Morgen nach jener Réunion, auf der sie Kreowski wieder begegnet war, trübe herauf und brachte einen feinen Sprühregen, der auffrischte, ohne alles unter Wasser zu setzen.

Als Wanda auf dem Kurplatze erschien, umdrängte man sie von allen Seiten und sie hatte alle Hände voll zu thun, die schönen Redensarten, mit denen man sie begrüßte, zu parieren und all den schmachtenden und feurigen Blicken um sie her Stand zu halten. Die Männer kokettierten damals noch nicht mit soviel militärischer Zusammengerafftheit wie heute – die Sentimentalität war auch bei ihnen eine schöne Tugend und respektvolle Galanterie ein Zeichen urbaner Bildung – aber man kokettierte ebenso gern.

Es war ihr lieb, daß Kreowski nicht darunter war.

Als sie sich aber später in einen der sanftaufsteigenden Seitenpfade verlor, fand es sich, daß er sie dort in ahnungsvoller Hoffnung erwartet hatte. Es war ein reizendes Stück Weges, das sie zusammenführte. Die Badeverwaltung war hier schon mit allerlei Anlagen vorgegangen, hatte Wege graben, befestigen und zu beiden Seiten mit jungen Lärchen einfassen lassen, die mit ihren hellgrünen zart gefiederten Zweigen traumhaft in dem leise wallenden Nebel standen.

Sie war ein Stück gegangen, als sie stehen blieb, versuchend, ihre Gedanken ganz von diesem grünen, dämmernden Märchen einspinnen zu lassen, diese Gedanken, denen sie abwechselnd nachhing und zu entfliehen suchte. Da trat er ihr in den Weg.

»Verzauberte Königskinder,« begann er, »die sich zu einem stummen Reigen an den Händen fassen, um ihrer Herrin ihre Huldigungen darzubringen. Erlauben Sie, daß ich mich ihnen anschließe, obgleich meine Huldigung weiß und papieren ist und ich den Reigen schon gestern Abend aufgeführt habe. Ich würde Ihnen die Rolle zu Füßen legen, wenn das nicht meine Huldigung erniedrigen und die Fleckenlose beflecken hieße. Also in Ihre verehrten Hände.«

Sie dankte ihm mit einem Lächeln, das ihm reichster Dank schien. »Wie hübsch, daß Sie heute heiter sind,« sagte sie.

»Heiter? Glückberauscht!«

Sie errötete ein wenig, fing dann an von Holtei zu sprechen und redete endlich allerhand durcheinander: von dem Badevorstand, der Friederike von Sesenheim und den Epheulauben, die sie Schlupfwinkel für Strumpfwirkerleidenschaften und Spielhöllen für Domino- und Lottospieler nannte. Sie besaß eine beneidenswerte Geschicklichkeit, kleine Verlegenheiten zu Tode zu schwatzen, und wenn ein paar Spöttereien mitunterliefen, hörte es sich ihr darum nicht schlechter zu.

Er war so entzückt und so guter Laune, daß es ihm sogar gelang, auf ihren Ton einzugehen.

Mit einem Male, in all ihre Narrheiten hinein, brach die Sonne hervor und durchglomm den weißlichen Dunst um sie her silbern und goldig, rieselte an den moosumsponnenen und rötlichen Stämmen der Buchen und Kiefern herab und glühte in tausend bunten Farben an jedem Blatt, jeder Nadel, jedem Hälmchen am Wege, daß es wie ein Glückserschauern durch den ganzen Wald ging.

Da verging ihnen alles Geschwätz. Sie standen wie verzückt, sahen in die Wunderwelt um sich her, sahen sich an und lächelten.

Dann begann Kreowski leise eine Melodie zu summen. Das hatte etwas wundervoll Feierliches und Unmittelbares. Sie hörte andächtig zu, sie begriff, daß sich ihm die Stimmung der Stunde in Töne umsetzte, und das Schöpferische neben ihr erschien ihr heilig.

»Das wäre das leise Rauschen des Regens durch die Blätter und das Wogen der ziehenden Nebel gewesen,« sagte er. »Sehnsuchtsvoll, schwermütig. Jetzt aber – jetzt der Durchbruch der Sonne, der Glücksstrahl, der alles überloht! Aus es moll über es-dur in e-dur. Trah – tratatatah!! Das müßten die Trompeten machen, die haben zugleich das Herzzerreißende und das Glänzende.«

»Muß es denn herzzerreißend sein?«

»Es muß so sein, weil es so ist. Aber ich erscheine Ihnen wohl als ein thörichter Phantast, Ihnen, die Sie glücklich sind, wirklich glücklich, wie Sie gestern sagten, und die Sie nicht begreifen können, daß wir abgeschmackt werden, wenn wir's nicht sind, so abgeschmackt, daß wir uns sogar die Gaben mitleidiger Teilnahme behagen lassen, die uns vielleicht demütigen sollten.«

Sie sah ihn an und schwieg doch. Es war wie gestern: das Pathos zwischen ihnen ging nicht, sie mußte einen andern Ton suchen. Und ihrer leichtbewegten Natur fiel das nicht schwer.

»Was Sie doch alles reden!« rief sie lachend. »Ich wollte, es machte Sie ein bischen lustig, wie wir hier zusammen spazieren gehn, während die verzauberten Königskinder hochachtungsvoll und ergebenst zur Seite stehn und ihre Nebeltaschentücher schwenken, wenn wir kommen, die Sonnenstrahlen sich in schlüpfende Eidechsen verwandeln, die Wassertropfen rot werden vor Vergnügen und die Blumen sich wichtig zuflüstern: dort kommen zwei Phantasten, die denken, sie sind Menschen wie die andern auch, weil sie auf zwei Füßen gehn und reden wie die andern auch. Aber diese guten Leute sind Flüchtlinge aus Genieland, sie tragen die Flügel unter ihren Flanelljäckchen, weil Flügel im Philisterlande durchaus unmodern sind und sie sich ihrer also schämen müssen. Und bloß wenn es die andern nicht sehen, legen sie Jäckchen und Fräckchen ab, breiten ihre Flügel aus und kehren auf ein paar Stunden in ihre Heimat zurück. Eines Tages aber werden sie kommen wie Simson, werden irgend einen großen Esel unter den Philistern erschlagen und mit seinen Kinnbacken die übrigen ausrotten und dämpfen mit der Glut ihres Geistes.«

»Wundervoll!«

Sie lachte.

»Und werden,« nahm der Pole ihre Phantasterei auf, »das Evangelium verkünden, das die Augen und Ohren aller Sterblichen jauchzend vernehmen werden und lachend mitteilen ein Mund dem andern, das Evangelium von der Kraft und Tugend, die eine Kraft und Tugend ist über alle: das hehre, jubelnde Evangelium von der Schönheit.«

»Sie schwärmen.«

»Was könnte ich besseres thun? Ich, der ich sie anbete im Geist und in der Wahrheit, der ich ihrer Gläubigen demütigster und zugleich ihr Hoherpriester bin? Der ich trunken bin von dem Trank meiner Augen und als ihr Blutzeuge sterben wollte, – wenn Sie es forderten?«

Diese Art Unterhaltung, geistreichelnd, pathetisch und voller Schmeichelei für Wanda war nur allzu sehr nach ihrem Geschmacke. Dennoch fühlte sie, daß sie bereits wieder an der Grenze angelangt waren und daß es Zeit war, den Ernst zu persiflieren.

»›Und die blutgefüllte Schale reicht er ihr zum Opfer dar!‹ Schauderhaft! Ich merke, man ist seines Lebens neben Ihnen nicht sicher, denn leicht könnte der neue Hohepriester die Schärfe seines Messers an seinen Nebenmenschen wetzen wollen, ehe er sich selber darbringt. Gehen Sie und besänftigen Sie erst Ihr barbarisches Gemüt, eh ich mich wieder in Ihre Nähe wage.«

Und sie lief ihm lachend davon, den Abhang hinunter, ihm ihre spöttischen Grüße hinaufsendend, ehe sie ganz verschwand.

Als sie nicht mehr zu sehen war, schwand Lächeln und Glückseligkeit aus seinem Gesicht. Halb schwermütig, halb verwundert starrte er ins Leere vor sich nieder. Was für gekräuseltes Zeug hatte er noch eben geredet, das er nie vorher gedacht, das seiner Art zu denken und zu empfinden neu und seltsam war. Aber war es denn so, daß uns die Liebe in Augenblicken der Ekstase uns selbst entfremdet und uns Worte reden läßt, wie aus anderem Munde? Daß sie uns bald blind, bald hellseherisch, heut zu Propheten, morgen zu Gotteslästerern macht?

Langsam ging er den Weg hinunter. In einem leisem Winde rauschten die regenschweren Bäume, rauschten Tropfen, Melodieen auf ihn nieder; schwermutsvolle Melodieen, wie Thränen, die wir zögernd vergießen, weil uns angst wird, daß wir uns selber verlieren, bis sie sich zu Freudenthränen wandeln in dem jauchzenden Bewußtsein, daß das Fremde in uns Gewinn, Zuwachs, Steigerung unser selber war, und daß es die Flut unserer Schmerzen ist, in der die Sonne unseres Glückes sich am hellsten spiegelt. – –

Sechstes Kapitel.

Es war etwa anderthalb Wochen nach jenem Tage, da Holtei die Salzbrunner Badegäste mit seiner Vorlesung aus »Lorbeerbaum und Bettelstab« entzückt hatte, daß Madame Gernoth und ihre Tochter wieder einmal im Buchengange lustwandelten, zwischen sich das Kind führend.

»Die Gerichtsrätin aus Brieg hat mir ein sehr hübsches Muster zu einer Strumpfkante gegeben, wie aus kleinen Fächern zusammengesetzt. So will ich Klärchen ein paar Sonntagsstrümpfel stricken.«

»Was wirst Du Dich nur so quälen.«

»Es soll mir Freude machen.«

»Wie Du willst, Mutter.«

»Die Registratorin, denk nur, schüttet Salz in das Faßbier, sagt sie. Sie zieht alle vierzehn Tage welches ab. Aber wo hat man das gehört? Das muß abscheulich schmecken, ordentlich giftig.«

»Die einen mit ihrer Liebe, die andern mit ihrem Salz.«

»Du interessierst Dich auch für nichts Vernünftiges mehr.«

»Dazu ist dann in Breslau wieder Zeit genug. Wenn Hauswirtschaft denn das Vernünftige schlechthin ist.«

»Die Fräulein Meier, die Lehrerin, hat mir ein Gedichtbuch geborgt, es ist von einem Grafen Strachwitz.«

»Ach ja, Strachwitz! ›Mein treues Roß, mein Spielgenoß.‹« Dann ließ sie auch dieses Thema wieder fallen.

Madame Gernoth sah sie von der Seite her an. Wanda lächelte vor sich hin. Eine ganze Zeitlang gingen sie nebeneinander und schwiegen, die Mutter verletzt, die Tochter unruhig und von irgend etwas voreingenommen.

An einer Biegung des Weges stießen sie auf Bekannte, eine Mutter und drei Töchter, mit denen sie einige Worte wechselten. Nachdem die Damen wieder außer Hörweite waren, bemerkte die Gernoth:

»Wie waren die wieder aufgedonnert, und ist nichts dahinter. Die Krause sagt, sie kaufen die übertragenen Toiletten einer Baronesse Richthof und suchen Einen damit einzufangen. Du lieber Gott, die garstigen Dinger! Die und Registrators sind die richtigen Mexikaner.«

»Mexikaner?«

»Nun – Mexikaner – Magsiekeiner. Der Polowski machte neulich den Witz.«

Die Doktorin lachte, sie lachten alle beide. Sie waren gewiß nicht böse, aber der Spott über die »Sitzengebliebenen« war eine der Grausamkeiten, die jede Zeit in reicher Fülle besitzt und die wir erst als solche empfinden, wenn wir sie abgelegt haben.

»Wer ist denn der Polowski?«

»Ich meine den polnischen Musikanten.« – Wanda schwieg verletzt.

»Man begegnet dem Menschen ewig. Paß mal auf, er wird uns gleich wieder begegnen und ansprechen.«

»Er mißfällt Dir natürlich?«

»Er hat so was Unmännliches!«

»Nach Deiner eigenen Erklärung, Mutter, ist Männlichkeit nichts als eine Dosis Anmaßung, Brutalität und – na, was war es denn noch? ja: Treulosigkeit. Wenn aber einer nicht so ist, nennst Du ihn unmännlich. Dir ist eben keiner recht.«

Madame Gernoth sagte hierauf nichts. Sie war eine kluge Frau, aber Haß und Verbitterung machen den Klügsten unlogisch. Es war ihr sehr lieb, daß ihre Enkelin jetzt ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

»Können die Bäume auch sprechen?« fragte das Kind.

»Freilich,« sagte die Großmutter wichtig, »hast Du noch nicht gehört, wenn der Wind puh, puh bläst, wie dann die Bäume rauschen und miteinander plaudern? Paß nur mal auf, wie sie sich dann unterhalten und tiefe Diener machen, ihre Arme nacheinander ausstrecken, sich ihre schönen Blumen hinhalten und sagen: riechen Sie mal, Herr Nachbar. Und dann riecht der Herr Nachbar an dem Bouquet und sagt: Hazzi. Da! horch mal! Hörst Du, wie sie jetzt sprechen?«

»Ja. Hörst Du's auch, Machen?«

»Jaja. – Freilich, nun wundert's mich nicht mehr, wenn sie die Tischbeine sich unterhalten läßt und von den Fußbänken Mordgeschichten erzählt. Sie ist ein kleiner Phantast.«

»Wenn man das erlebte!«

»Was, Mutter?«

»Daß sie Bücher schriebe. Wie die Paalzow und die Carlèn, weißt Du.«

»Dann würde sie aber keinen Sinn für die Strickmuster und das Bierabziehen haben, und das würde Dir auch nicht recht sein.«

Madame Gernoth schwieg wieder. Nein, das würde ihr nicht recht sein. Eine ordentliche Frau mußte für so etwas Sinn haben. »Wir wollen uns ein bischen setzen,« sagte sie.

Die Frau Doktor hob ihr kleines Mädel auf und setzte es auf die Bank.

»Sag von Eia popeia,« bat die Großmutter.

»Eia –«

»Nein, sag lieber: mein dunkles Herze,« meinte die Mutter.

»Mein dunkles Herze lieb dich,
Es lieb dich und es bicht,
Es bicht und zuckt und verbutet, –
Aber du siehst es nicht.«

Die letzte Zeile sagte das Kind im Ton herzlicher Begütigung, was von überwältigendem Effekt war.

»Aber Du bist toll, Wanda, Du bist toll,« schalt die Großmutter, während sie doch mit beglücktem Lächeln die kleine Deklamatrice an ihre Brust drückte.

Die junge Frau lachte helllaut. »Sie sagt es zu drollig, so wichtig und ernsthaft. Und zuletzt dieses: aber Du siehst es nicht.« Und nun küßten sie alle beide das Kind ab.

»Sie könnte Schauspielerin werden, Mutter.«

»Weiter gar nichts!«

»O, müssen wir auch alle Kaufmanns- oder Doktorsfrauen sein? Ich wollte, ich wäre auch Schauspielerin.«

»Du bist nicht gescheidt, danke Gott, daß Du einen guten Mann hast.«

»Ich spielte das Gretchen oder die Ophelia. Oder das Klärchen!«

Und da sprang sie auch schon auf, breitete die Arme aus, nahm eine zärtliche Miene an und machte ihrer Tochter Konkurrenz:

»Freudvoll und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und Bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt,
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.

›Laß das Eiapopeia,‹ sagt die Mutter drauf,« fügte sie bei.

»Wirklich, ich muß hier auch so sagen,« schmollte Madame Gernoth.

»Scheltet mir's nicht, es ist ein kräftig Lied. Hab' ich doch schon manchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt. – ›Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe,‹ mußt Du jetzt sagen, Mutter.«

»Ach laß mich.«

»Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.«

Frau Gernoth machte ein finsteres Gesicht. »Schäme Dich doch! Hier auf öffentlicher Promenade! Es könnte jeden Augenblick wer kommen.«

»Oder als Ophelia mit Blumen im Haar: ›da ist Fenchel für euch und Agley – da ist Raute für euch, und hier ist welche für mich – ihr könnt nun Raute, mit einem Abzeichen tragen. Denn traut lieb Fränzel ist all meine Lust.‹« Oder sonst was:

»Und größer als aller Sehnsucht Qual
Ist meine Liebe zu Dir.«

»Hör doch auf. Wo Du nur die Narrheiten her hast.«

»Ich weiß nicht, wie Du bist, Mutter. Du bist glücklich, wenn Du einmal Verse lesen kannst und dann schwärmst Du: wie herrlich sagt der das, wie treffend! und obgleich Du das Theater immer verlästerst, hat Dir letzten Winter die Jungfrau von Orleans wer weiß wie gut gefallen. Aber daß in jemandem neben Dir, daß in Deiner Tochter etwas davon steckt, von dem Talent zu alledem, das willst Du nicht, das ist Dir keiner Achtung wert. Und so seid Ihr alle, alle! Ach, und ich halte es kaum aus vor Unruhe.«

»Aber einer bürgerlichen Frau kommt doch so etwas nicht zu. Wenn jemand zu einer Kunst erzogen ist, das ist doch etwas anderes. Und wenn ein Mädchen zur Hausfrau erzogen ist, so soll sie darin tüchtig sein.«

»Warum erziehst Du denn nicht die Nachtigallen, Hühnereier zu legen?«

»Ich weiß gar nicht, was in Dich gefahren ist.«

»Es ist gar nichts in mich gefahren. Nur in den letzten Jahren war ich tot, und jetzt bin ich wieder aufgewacht. Aufgewacht! Und lebe! Ach, Mutter!«

»Wenn Du nur wieder zu Hause und bei Deinem Manne sein wirst, dann wirst Du schon wieder vernünftig werden. Du bist aufgeregt, weiß der Kuckuck woher. Geh ein Stückchen spazieren.«

Etwas Lieberes konnte Frau Wanda gar nicht hören. Sie sprang sofort auf und griff nach ihrem Schirm.

»Ich gehe da hinunter, auf die Mühle zu.«

»Da ist es zu einsam.«

»Bäume und Sträucher thun mir nichts.«

»Dir nicht, nein,« sagte die Mutter mißtrauisch; sie hatte vor einer Viertelstunde den Musiker dort hinunter gehen sehen.

Madame Gernoth hatte Kreowski sehr auffällig ihr Mißfallen zu verstehen gegeben, es dünkte ihr unpassend, daß er die Frauen so häufig ansprach und sie nahm an den Blicken Anstoß, mit denen er ihre Tochter zu verschlingen pflegte. Sie hatte ihm das in ihrer gelegentlich harten Weise gradezu gesagt. Seitdem hielt er sich fern. Aber sie konnte es nicht verhindern, daß der interessante Pole die Doktorin bei der Brunnenpromenade ansprach, während sie selbst das Aufräumen des Zimmers besorgte und das Kind anzog und fütterte, und sie hatte es nicht in der Gewalt, die Dauer dieser Brunnenpromenade festzusetzen.

Mit beflügeltem Schritt machte sich Wanda auf den Weg.

Warum sie ihn nur liebte?

Er war eigentlich kein bedeutender Mensch. Er hatte ein paar hübsche Talente, aber weder das dichterische noch das musikalische waren stark und umfangreich, sie gingen zu ausschließlich auf das Lyrische, und obgleich er hier Schönes und sogar Originelles leistete, verliehen sie ihm etwas Einseitiges und das, was Madame Gernoth das Unmännliche an ihm genannt hatte. Dennoch gefiel er Wanda gerade so, wie er war. Es war etwas Sanftes und Ehrerbietiges in ihm, das sie umschmeichelte wie die vollendete Beherrschung des guten Tones, die er besaß. Er war freilich kein akademisch-wissenschaftlich gebildeter Mann, aber dafür sprach er auch nicht mit der Wucht, der Härte und dem Hyperlogischen dieser Leute, und seinen Worten fehlte das Verletzende, das eine Meinung zum Gesetz erheben möchte. Bei alledem war er nicht ohne Geist und Schwung. Und er liebte sie. Mit dieser so schlecht verhüllten Leidenschaft, in der er sie mit Versen und Melodieen überschüttete, ohne jemals geradeheraus zu gestehen, daß sie ihr galten, ein Verfahren, das ihrem Verkehr das scheinbar Harmlose erhielt.

Sie schlug den Weg ein, auf dem sie des Morgens mit ihm zu promenieren pflegte, und es dauerte nicht lange, so trafen sie sich mit der Unfehlbarkeit, mit der sich Liebende in den Weg rennen.

Sie grüßten sich verlegen und gingen ein Stück schweigend nebeneinander. Es war heiß, und um sie her wogten die grünen dämmernden Schatten, die ganz durchwürzt waren von dem herben Duft des Eichen- und Buchenlaubes, von dem süßen Duft eines blühenden Buchweizenfeldes, das rötlich in der Sonne lag, und eines Kleeackers, und ganz durchzückt von zitternden Sonnenstrahlen, die sie umspielten.

Manchmal sagte er etwas Kurzes, Gleichgültiges, dann lächelte sie dazu oder seufzte oder sie gab eine ganz verkehrte Antwort, deren Sinnlosigkeit er indes nicht merkte. Warum es nur so ganz anders war, wenn man einander unversehens des Nachmittags hier traf, als wenn man des Morgens zusammen herschlenderte? Warum es so viel verwirrender war? Weil Sonnenglut sich breitet, wo früh dämmernde kühle Schatten lagen?

Auf einer Bank saßen sie ein wenig nieder, und damit schien er den Mut zu einer Mitteilung zu finden, die er bisher zurückbehalten.

»Ich habe einen Brief aus Breslau erhalten,« sagte er, »und eigentlich in der Hoffnung, Sie vielleicht einen Augenblick sprechen zu können, bin ich hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich – diese Stelle bekomme.«

»Ach – Sie bekommen sie!« rief sie erschrocken.

»Ich glaubte nicht, daß es Ihnen unangenehm sein würde,« sagte er gekränkt.

Sie schwieg und sah vor sich nieder.

»Ich – ich hatte gehofft, mich manchmal zur Dämmerstunde bei Ihnen einstellen zu dürfen. Ich habe sie so sehr gewünscht, diese Stelle. Deshalb – Warum sagen Sie nichts?«

»Es geht nicht.«

»Es geht nicht? Nicht, daß ich Sie sehe?«

Sie blickte wie hilfeflehend auf und in die Ferne, durch eine Durchsicht starrend, zu der das Unterholz sich lichtete. Ihr Atem ging stark.

»Es kann ja wohl sein, daß wir uns einmal zufällig begegnen – denn –«

»Und warum darf ich nicht zu Ihnen kommen?«

»Ich kann es Ihnen nicht sagen.«

Sie saßen ernst und bestürzt nebeneinander.

»Sagen Sie es lieber.«

»Nun denn: es war einmal an einem dieser Abende – wo man so ganz zusammenrückt – geistig, gemütlich – wo man seine Seele so umdreht wie einen Handschuh – dumm! aber es giebt solche Stunden – wenn man verheiratet ist – –«

»Gewiß, natürlich.«

»Wo man alles so voreinander auskramt: alte Blumen und Schleifen, ein paar altmodische Ohrgehänge, Schulprämien, seine Spargroschen, was weiß ich.«

»Jawohl.«

»Und wo man sich so allerlei Geständnisse macht –«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel, daß man – um ein Haar – um eines Andern willen zurückgetreten wäre – vor der Hochzeit.«

Sie stockte.

Er fragte nicht. Er bog einen Haselzweig zur Seite, der in den Weg hing und sah sie an.

»Und dann – sagt man sogar den Namen – eben des Andern.«

»Welchen Namen?«

»Witold von – – nun, jetzt wissen Sie es.« Sie lachte. Lachte mit dem desparaten Lachen und sprang auf.

So erhob auch er sich, bleich bis in die Lippen.

»Und Sie glauben, daß er Ihre Besuche dulden würde?« setzte sie hinzu.

»Wenn Sie ihm sagten, daß es heut doch nur – Freundschaft ist – von Ihrer Seite – auch dann –«

»Dann würde ich lügen.«

Kein Wunder, daß er sie jetzt in seine Arme schloß und küßte. »So glücklich, so grenzenlos glücklich soll ich sein!« stammelte er.

Aber sie machte sich los. »Glücklich? ›Mein Lieb, wir wollen beide elend sein,‹ wird das Programm wohl eher lauten. Haha!«

»Lachen Sie doch nicht so schrecklich! Lach' nicht so, Geliebteste.«

»›Wem so des Schicksals hübsche sieben Sachen‹ und so weiter! Um bei Heine zu bleiben. Aber genug für heute. – Auf morgen! auf morgen! Ich kann nicht mehr.«

Und leidenschaftlich riß sie sich los.

In allem Elend stand er doch mit einem glückseligen Lächeln und sah sie ihm wieder entfliehen.

Siebentes Kapitel.

Durch die gardinenlosen Fenster eines Parterrezimmers fiel ein Sonnenstrahl, der sich eben noch durch die Lücke zwischen zwei Hinterhäusern durchzwängte, und beleuchtete das Innere eines wunderlichen Gelehrtenheims, der Arbeitstube Doktor Ewald Rhodes. Die eine Wand dieses Raumes war hauptsächlich von hohen Regalen bedeckt, die ganz mit Büchern besetzt waren und zwar Büchern medizinischen, chemischen und physikalischen Inhaltes. Am Fenster stand ein Bureau, das als Schreibtisch diente und zugleich verschiedene Instrumente und Chemikalien barg. Ein ziemlich großer Tisch in der Mitte des Zimmers war mit Skripturen und Drucksachen bedeckt. Im übrigen war der Raum vollgepfropft mit allerlei Apparaten, Werkzeugen und Instrumenten, von denen indes nur einiges auf der Höhe der Wissenschaft stand, das übrige überholt und dürftig war, einiges, das der Doktor selber erfunden, geradezu seinen dilettantischen Ursprung verriet.

Aber es sind schließlich nicht immer die großen Laboratorien gewesen, aus denen die gewaltigen Erfindungen hervorgingen, die berufen waren, der menschlichen Kultur ein anderes Gepräge zu geben, und oft genug ist zwischen unbehilflichem Kram die Fahne aufgepflanzt worden, die weithin flatternd den Völkern die große Friedensbotschaft verkündete: im Anfang war die Kraft.

Doktor Rhode war Armenarzt und hatte einige Privatpraxis. Wenn diese nicht größer und gewinnbringender war, so lag das an seiner Ehrlichkeit. Aufs lebhafteste ergriffen von den Umwälzungen, welche sich gerade damals innerhalb seiner Wissenschaft vollzogen, war er nicht Charlatan genug, mit imponierender Sicherheit aufzutreten, wo neue Entdeckungen die bisher gültigen Behandlungsweisen in Frage gestellt hatten, und obwohl er pflichttreu und hilfsbereit war, fühlte sich ein starker Forschungstrieb in ihm mehr von der theoretischen als der praktischen Seite der Heilkunde angezogen. Er träumte eine wissenschaftliche Laufbahn, die ihm Raum gäbe, den Mängeln der ärztlichen Praxis Abhilfe zu schaffen, die ihn zu einem der Pfadfinder machte, wo sie im Dunkeln tappte. Nie hatte es einen größeren Idealisten gegeben, nie einen anspruchsloseren, der williger Armut und Sorge auf sich genommen.

Indes, so bescheiden er war, noch nie hatte er das Zweischneidige finanzieller Beschränkung so hart empfunden als eben jetzt, da er einer Entdeckung auf der Fährte zu sein glaubte, die von hoher Bedeutung werden mußte.

Man hatte damals angefangen, das Mikroskop für die Heilkunde zu Rate zu ziehen. Er selbst hatte das Glas, das ihm gehörte, vielfach benützt, aber es erwies sich als ungenügend, um bereits Gefundenes nachzuprüfen, um wieviel mehr, Neues festzustellen. Wollte er weiter auf dem Felde arbeiten, zu dessen Bestellung er sich berufen fühlte, war ein besseres Instrument unerläßlich.

Gute Mikroskope aber sind teuer, und er schuldete ohnedies Mechanikern und Droguenhändlern Summen, deren Zahlung ihm Sorge machte. Sollte er diese Schuld ohne zu wissen, wie sie tilgen, um neue vierzig Thaler anwachsen lassen? Sollte er, sie herauszubringen, das häusliche Leben noch karger einrichten, als es schon war? Das war unmöglich.

Dann also verzichten.

Das aber hieß: Wissenschaft, Carriere, geistiges Streben, Inhalt alles Lebens fahren lassen! Für Kraft und rege geistige Arbeit – dumpfes Tagewerk und geistiger Tod!

Seine Seele schrie nach diesem Instrument und das Verlangen danach wurde zum Heißhunger, der seine Forderung nicht mehr einstellte und endlich eine fieberhafte Phantasie in ihm entzündete: sah er doch unter den geheimnisvollen Gläsern schon Wunder über Wunder sich entfalten, Dunkel sich auflichten, Wege sich durch Dickichte öffnen und – fühlte sich dabei angekettet, unvermögend, diese Wege zu verfolgen; wie wir manchmal im Traum einem grenzenlosen Glücke nachstreben und unsere Füße zu Blei erstarrt fühlen. Das Instrument aber ließ ihn nicht los. Er sah es zuletzt auf Schritt und Tritt vor sich mit dieser Lockung des Ehrgeizes, mit der der Dolch vor den Augen Macbeths in der Luft hing. Er streckte den Arm danach aus, und es verschwand.

Schließlich machte der Tod eines älteren Gelehrten den Fall für ihn zu einem akuten. Aus der Hinterlassenschaft dieses Mannes war ihm ein kostbares Glas zu verhältnismäßig niedrigem Preise angeboten worden, den er jedoch sogleich hätte erlegen müssen – eine Gelegenheit, wie sie sich ihm nicht wieder bot. Aber woher auch nur diese 25 Thaler nehmen! Vergeblich zermarterte er sein Gehirn – ihm blieb nur eines übrig: der reiche Schwiegervater.

Ach! er hatte ihn schon des öfteren angehen müssen – aber die Kälte und der Hochmut, mit denen dieser Mann seine bescheidenen Bitten erfüllt, hatten ihn so gekränkt und empört, daß er sich verschworen, lieber zu hungern als ihn jemals wieder aufzusuchen.

Nun – ein Mann hungert allenfalls für Weib und Kind und hungert auch für seinen Beruf, aber wo vielleicht ihrer aller Zukunft auf dem Spiele stand, wo Not leiden vielleicht der Menschheit einen Dienst erweisen hieß –

Doktor Rhode beschloß also zu thun, was zu thun er sich heilig verschworen.

Als er, sich zu dem sauern Gange aufmachend, noch einmal vor den Spiegel trat, erschrak er selbst über das blasse, verstörte Gesicht, das ihm, hager und von scharfen Linien zerschnitten, von dort entgegensah. Er war dreißig und sah um ein Jahrzehnt älter aus, ein mittelgroßer, sehniger, hagerer Mann mit breitgewölbter Stirn, dunklem Haar, tiefliegenden Augen und einer scharfgeschnittenen Nase, auf der eine Brille saß: der Typus des darbenden Idealisten.

Indem er die Blicke von dem wenig erfreulichen Spiegelbilde, das seine Not und seine Überarbeitung verriet, wegwandte, fiel er auf den altmodischen Sekretär seiner Frau, eines der schrankartigen Möbel, das erst durch eine heruntergelassene Klappe zum Schreibtisch wird, wobei eine Anzahl Schubladen und in der Mitte ein abschließbares Verließ bloßgelegt werden.

Rhode blieb stehen und starrte dieses Möbel an, als ob es verhext wäre, als ob etwas Lebendiges darin wäre und mit stummer Sprache zu ihm redete; trat dichter heran, befühlte es, seufzte, trat wieder zurück, zögerte nochmals und machte sich dann schleppenden Ganges auf.

Langsam ging er die schlechtgepflasterten, unsauber gehaltenen Straßen hinunter, die meist von schmalen Giebelhäusern eingefaßt waren, zwischen die sich nur manchmal ein breites, von Wohlhabenheit zeugendes Haus schob; vorüber an den bescheidenen Lädchen und vergitterten Gewölben, in denen es so finster war, daß Käufer und Verkäufer an die Thür treten mußten, um die Ware zu behandeln, über die ärmlichen Holzbrücken, die über die übelriechende Ohle führten, unter den alten Schwibbögen hindurch und den Eisenketten, von denen in der Mitte Laternen herabbaumelten. Es war eine so arme, so klägliche Zeit, es war, als wenn alles hungerte: nach Brot, nach Licht, nach Freiheit, nach irgend etwas Großem und Starkem; eine Zeit, in der man seelisch so darbte, daß man sich vieler Nöte gar nicht einmal bewußt wurde und ihre Übelstände hinnahm wie Unbilden des Wetters; in der jeder Arbeiter noch der von der Habsucht eines Herrn ausgepreßte Sklave, jede Frau noch die Leibeigene ihres Mannes, tausende von Beamten die Hörigen ihrer Vorgesetzten waren, ohne auch nur zu ahnen, daß man sie um ihre Menschenrechte verkürzte.

Die Straßen, die zugleich die Spielplätze der Kinder waren, die damit zu Gassenkindern erzogen wurden, und die Ablagerungsstätten der Fässer und Ballen einer protzigen Kaufmannschaft bildeten, waren von übelsten Dünsten erfüllt, die aus den finstern, unsaubern Höfen herausquollen, von schwerfälligem Fuhrwerk durchschnitten und von Gruppen Aufgeregter belebt, die unreife politische Gedanken austauschten. Studenten in Sammetpekeschen und Cerevis spielten die Rolle moderner Gigerl und verfolgten mit edler Dreistigkeit, was ihnen an jüngeren Damen in weitgebauschten Röcken, planwagenartigen Hüten und karrierten seidenen Spensern in die Quere kam, während an jeder Straßenecke ein ausgemergelter Leierkasten: »Denkst du daran, mein tapfrer Lagienka«, »An Alexis send' ich dich« oder eine Bellinische Arie zum besten gab. Da man den Segen von Sprengwagen noch nicht kannte, waren Sonne, Straßenverkehr, Koketterie und Leierkastenmusik in dichte Staubwolken, wie in einen goldbraunen Nebel gehüllt.

Als Doktor Rhode das Haus des alten Gernoth erreicht hatte, eines der stattlichsten Häuser weit und breit, mit hohen Fenstern und breiten Pfeilern dazwischen, nahm er einen Augenblick den Hut ab und trocknete sich die Stirn, sah an den Mauern in die Höhe und trat ein paar Schritte auf die Treppe zu. Und ganz deutlich sah er die hohe, schlanke Gestalt des immer noch schönen Mannes vor sich und dieses hochmütige Fabrikantengesicht, mit dem er, zugleich ein Phantast, ein Lebemann und ein »Rotürier«, auf den mit Sorgen ringenden Armenarzt herabsah, um ihm danach ein widerwillig gespendetes Geschenk hinzuschieben – und alles empörte sich in der Seele des Sprossen eines Jahrhunderte alten Gelehrtengeschlechtes, eines im Idealismus des deutschen Pfarrhauses Aufgewachsenen, mit allen Kenntnissen der Zeit gesättigten Geistes gegen die drohende Schmach. Den Mann bitten, diesen Mann, der nicht die Spur von Verständnis für Aufgabe und Wesen der Wissenschaft hatte, dessen politischer »Idealismus« nichts war als die Sucht, eine Rolle zu spielen – den bitten – er konnte, konnte nicht!

Und langsam, ganz langsam drehte er um.

Aber mit dem Abscheu vor einer unwürdigen Situation hatte er noch kein Geld. Nun, es würde ihm wohl ein Gedanke kommen, es mußte ihm ja einer kommen.

Er sann und sann.

Aber es fiel ihm nichts ein. Eine kostbare alte Bibel, ein ehrwürdiges Familienerbstück, war bereits einer früheren Kalamität zum Opfer gefallen. Vielleicht fand er gleichwohl noch etwas unter seinen Büchern. Seufzend ging er weiter, diesmal den Weg über den großen Marktplatz, den »Ring,« einschlagend. Ein reicher Mann, dessen Sohne er kürzlich bei einem Unglücksfalle Hilfe geleistet, hatte ihm weitschweifig gedankt, aber seine Honorarforderung unbeachtet gelassen. Schuster und Schneider konnten mahnen, er nicht. An der Universität war ein reicher Geheimer Medizinalrat, der sich mit ähnlichen Untersuchungen beschäftigte, wie er selbst. Wenn er ihm seine kleinen Entdeckungen und großen Mutmaßungen mitteilte, das heißt: verkaufte? – schimpflich! und thöricht zugleich, denn wozu hätte er dann noch das Mikroskop gebraucht?!

Etwas anderes also!

Auf dem Marktplatz blieb er ein paar Augenblicke stehen. Die Qual, die ihn bedrückte, war so groß, daß sie seinen Nerven jene seltsame Eindrucksfähigkeit gab, die die erste Wirkung eines leichten Rausches ist, wie man sagt: Die Gegenstände vor ihm bildeten nicht ein einheitliches Ganze, sondern lösten sich von dem gewohnten Bilde einzeln als scharf umgrenzte ab, das Unauffällige, Gewohnte wurde neu, befremdlich, ein Gegenstand verwunderten Nachdenkens. Er starrte auf das Stadtbild, als habe er es nie zuvor gesehn. Wie unsinnig, Bürgersteig und Fahrstraße mit hundert geschmacklosen und ärmlichen Buden einzuengen, an deren Stirnseiten, der wundervollen altersgrauen Gotik des Rathauses zum Trotz, in dessen Schatten diese Baracken standen, Schuhe, Bürsten, Blechwaren und anderer Haushaltungskram baumelten! Wie unsinnig, Pulverwagen und Schlachtvieh durch die Straßen zu treiben! Wie verrückt, sich von diesen Leierkasten, die man oft zu dreien auf einmal hörte, die Ohren zerreißen zu lassen! Wie ekelhaft diese Krüppel und Siechen, die sich krückenlos mit den Händen über das Pflaster schleppten oder jedem Vorübergehenden ihre Schäden enthüllten! Wie unbarmherzig dieses Anspannen keuchender Lehrburschen vor schweren Wagen, wie schrecklich diese Tierquälereien an den überlasteten Pferden, an den armen kleinen Nachtigallen, deren Käfige im Sonnenbrand an den Straßenmauern hingen, und die geblendet waren, um die Nacht zu glauben, die ihnen ihre Lieder entlockte.

Es war soviel Qual in der Welt, soviel Elend!

Aber ist das ein Trost für die Pein der eigenen Brust, die der Edle empfindet, der helfen möchte und nicht helfen kann, weil ihm die Hände gebunden sind? Ist stumm und ergeben leiden wirklich eine Tugend, wo seinen Schmerz ausschreien vielleicht ein allgemeines Leid verständlich machen und ihm Abhilfe verschaffen heißt, wo die Auslösung der höchsten Energie nicht bloß ein einzelnes Subjekt – nein! eine ganze empfindende Welt beglücken könnte?

Welcher Schmutz, den der Fuß des Wandelnden, den jeder Windzug aufwirbeln ließ! Wie eine dicke Wolke zitterte er in der Sonne und stahl sich in die Lungen, die Augen, die Organe der Ernährung. Welche mörderischen Stoffe mochten nicht vielleicht millionenfach durch diese Straßen wirbeln, mit unsichtbaren Dolchen die Ahnungslosen anfallend. Wer das unter ein Glas bringen und erforschen könnte, seine Zusammensetzung begreifen, seine Wirkung festsetzen – müßte der nicht, dem pythischen Gotte gleich, der Erleger giftiger Drachen, der Vernichter mörderischen Gewürmes, müßte er nicht, auch er, ein Heiland der Menschen werden?!

Ein Hochgefühl, wie es uns bisweilen über uns selbst erhebt, überkam den Einsamen, den Armen, das Bewußtsein eines Reichtums an Kräften, der Würde einer Mission, die grenzenlos waren. Und ihm war das Mittel verwehrt, das diesen Reichtum frei gemacht, ihn diese Mission hätte erfüllen lassen.

Da er aus dem warmen Sonnenschein heraus seine ungastliche Wohnung wieder betrat, umfing ihn ein Frösteln zwischen den kahlen, feuchten Wänden, das von Verzichtleisten und Entsagen sprach. Er seufzte. Er wollte nicht verzichten. Er ging aus einem Zimmer in das andere, aus der mit bescheidenen Kirschbaummöbeln ausgestatteten »guten Stube« in das noch bescheidenere Wohnzimmer, von dort in das Schlafkabinett, in die Studierstube und wieder zurück und sah sich überall um, als erwarte er, ihm bis dahin unbekannte Wertsachen irgendwo aufgestellt zu sehn, zog da und dort eine Schublade auf, als könne seine Frau dort Gelder zurückgelassen haben, sie, die so sorgfältig und sparsam war, und schob sie wieder zu.

»Sparsam!«

Wer hatte denn das Wort ausgesprochen? Es war ihm, als ob in einer der dämmernden Ecken ein Gespenst gestanden, das es gehaucht.

Ja, sie war sparsam. Gewiß, sehr sparsam. Ohne ihren Fleiß und ihre Sparsamkeit hätten sie überhaupt nicht haushalten können.

Schon als Mädchen war sie immer thätig und sparsam gewesen. Es mochte etwas von dem Kaufmannsgeist ihrer Eltern in ihr sein. Er selbst war nicht so sparsam. Oder doch in anderer Weise. Er war anspruchslos, beinahe bis zur Bedürfnislosigkeit, das konnte er von sich sagen, ohne zuviel zu behaupten, aber er konnte es einem andern nicht abschlagen, wenn er ihn dringend um ein Darlehen oder eine Unterstützung anging, und hatte manchen Groschen auf diese Weise hingegeben, den er hätte festhalten sollen.

Aber sie war so sparsam.

Und damit glitten seine Finger leise über die Klappe des Sekretärs, die fest verschlossen war.

Dann trat er seufzend an das Fenster und sah hinaus. Es war nicht sehr belebt draußen. In Gedanken sah er Wanda die Straße heraufkommen mit dem Kinde an der Hand, ganz deutlich sah er sie. Und eine starke Sehnsucht ergriff ihn.

Wie sehr er sie liebte!

Und sie liebte ihn. Nicht ganz so, nicht so leidenschaftlich, nicht mit dem Stolz auf ihn, den er empfand, sie zu besitzen, nicht mit der Sehnsucht, die ihn oft mit Unruhe erfüllte, aber sie liebte ihn doch, und wie teilnehmend und unglücklich würde sie sein, wenn sie wüßte, in welcher Bedrängnis er sich befand.

Er zweifelte nicht im mindesten daran, daß sie alles aufbieten würde, ihm zu helfen, wenn sie könnte, zweifelte nicht, daß ihre Anhänglichkeit für ihn im Grunde genommen dasselbe Gefühl sei, das er für sie trug. Ach! dieser kluge und geistvolle Mann täuschte sich bitter über ihre Empfindung, über ihre ganze Lebensstimmung. Er hatte keine Ahnung davon, daß Wanda zu den Naturen gehörte, die ermüdend und erlahmend in dem traurigen Einerlei eines ärmlichen Lebens, beständig umworben und neuerobert werden wollen, um wirklich besessen zu werden, die etwas von dem Idealismus anbetender Zärtlichkeit verlangen für die Hingabe ihrer Person und ihrer Ideale. Er nahm an, daß für Wanda eheliche Liebe Identitäts- und Solidaritätsgefühl sein müsse, wie er sich einredete, daß sie es für ihn war, für ihn, der ihr nichts von seiner Persönlichkeit geopfert und der immer nur genommen, wo sie gegeben hatte. Er ahnte nichts davon, daß sie sich in der letzten Tiefe ihrer Seelen fremd waren, daß Wanda nicht einen Funken mehr Verständnis oder Ergebenheit hatte für das, was ihn erfüllte, als er für ihre Interessen, ja daß in dieser Tiefe sogar ein unversöhnlicher, wenn auch ganz abstrakter Gegensatz lebte: Der zwischen Begreifen und Empfinden, zwischen Wissenschaft und Poesie.

Er glaubte einfach, daß sie ihn liebte und bereit sein müsse, alles für ihn zu opfern. Es war sein Unglück, daß er so oft etwas glaubte, was nicht war, daß er, die Schärfe seines Verstandes in einseitiger Richtung zuspitzend, in manchen moralischen Dingen so konventionell dachte, so auf der glatten Oberfläche blieb.

Die Naturwissenschaft war in den vierziger Jahren noch nicht das, was sie später wurde. Sie war noch eine tastende, schüchterne Disciplin, die noch keinen Einfluß auf das allgemeine Denken gewonnen, der Menschheit noch nichts von dem großen Positivismus geraubt hatte, der so bequem war. Man hielt noch auf »Systeme.« War es doch so verführerisch, die Welt sich wohlgeordnet und gut zusammengeklappt in die Tasche zu schieben und seiner Wege zu gehn. Freilich war es auch gefährlich; etwa, als wenn sich einer eine wohlverschraubte Granate in die Tasche steckt. Es giebt Momente, wo die schönsten Begriffe krepieren.

Zu den unerschütterlichen Voraussetzungen, die der Doktor hegte, gehörten seine Anschauungen über »das Weib.« Dieser Periode war das Weib etwas an sich, ein Typus, eine Summe von einigen Eigenschaften, die es dem Mann bequem und angenehm machten, und einigen andern, die als das Rätselvolle oder Launenhafte oder Unergründliche in Bausch und Bogen hingenommen wurden. Die Mühe, die Gesetze von Ursache und Wirkung, die man anfing auf Natur und Geschichte anzuwenden, auf das Weib auszudehnen, gab sich kein Mensch. Das Weib war eben reizend und tugendhaft und verständig oder es war das alles nicht. In jedem Falle war es ein der Leitung so dringend bedürftiges Geschöpf, daß es durchaus unter die Vormundschaft des Mannes gestellt und diesem die Verfügung über Besitz und Erwerb der Frau zuerkannt blieb. Das Weib war Mittel zum Zwecke »Mann« und an sich – das Urbild der Schwäche.

Doktor Rhode hing mit Zärtlichkeit an seiner Frau und war sogar durchaus das, was man einen Gemütsmenschen nennt. Aber wir haben unsere stärksten, zartesten und wärmsten Empfindungen doch immer nur auf dem Boden unserer allgemeinen Anschauungen. Und so sehr Rhode seine junge Frau liebte, – daß sie eine Person war, auf die er alle Rechte habe, physische, seelische, materielle, moralische, das war ihm doch über allen Zweifel erhaben. Und weil es ihm nebenher durchaus zweifellos war, daß sie eine ebenso tugendhafte als schöne und begabte Frau sei, und daß eine tugendhafte Frau für ihren Mann alles thue, ihm alles hingebe, weder Geheimnisse, noch Besitztitel, noch irgend etwas neben ihm habe noch haben wolle – begriff er auf einmal nicht, wie er so lange hatte zögern können, nach einer Hilfe zu greifen, die äußere, gesetzliche Mittel ihm ohnedies zuwiesen.

Und da mit einem Male holte er seinen Schlüsselbund und ein Brecheisen und ging völlig mit der heiteren Miene des guten Rechtes daran, die Klappe des Sekretärs zu öffnen. Es gelang mühelos, und ebenso leicht gaben das Schloß des Mittelverließes und das Vorhängeschlößchen an der Sparbüchse nach, aus der er mit einem Laut der Befreiung eine Handvoll Geld in die daneben stehende kleine Korbschwinge schüttete. Es waren übrigens zwei Dukaten und dreiunddreißig Thaler Silbergeld.

Eine Stunde später war das ersehnte Mikroskop in seinem Besitz.

Achtes Kapitel.

Den folgenden Tag erhielt Wanda einen Brief von ihrem Gatten, der sich von den bisherigen auffallend unterschied.

Der Doktor schrieb jede Woche zweimal: einen Bericht, wie es ihm ging, was für Krankheitsfälle er behandle, ob er gute oder schlechte Resultate bei seinen Patienten erzielt, Mitteilungen von kleinen Vorkommnissen in der Bekanntschaft, die sie etwa interessieren konnten, Fragen nach dem Befinden der Frauen und des Kindes und nach ihrer Lebensweise. Alles herzlich und humorvoll.

Dieser Brief hatte einen anderen Charakter. Er war von einer unruhevollen Zärtlichkeit, von Sehnsucht nach Frau und Kind erfüllt, die er zu lange und zu sehr entbehren müsse, von Sorge, ob es ihr nach den schönen, frohen Wochen im Gebirge in dem bescheidenen Heim auch wieder gefallen werde. Er enthielt außerdem eine tiefgründige Betrachtung über die Solidarität der ehelichen Interessen, ja über den sakramentalen Charakter der Ehe, der das Gebundensein der Geister und Herzen heilige und alles, was sonst unerlaubt oder verletzend sei, in ihrer Doppeleinheit gut und rein und gesegnet mache; eine Betrachtung, die doch nicht etwa nüchtern, sondern sogar von einem seltsamen Überschwang war. Es atmete etwas Gedrücktes und Leidenschaftliches zugleich aus dem Briefe; das Behagen des Humors fehlte ihm durchaus.

Er erregte seine Empfängerin, die ohnedies auf das stärkste bewegt war, noch mehr. Ihr Herz wurde von dem heftigsten Zwiespalt gefoltert. Pflichtgefühl und warme Anhänglichkeit an den Gatten rissen es nach der einen Seite, Sympathie und der poetische Rausch einer starken jungen Empfindung nach der andern. Abwechselnd warf sie sich bald dem einen, bald dem andern Gefühl in die Arme, den Schmerz dieser Zerrissenheit nicht mildernd durch irgendwelche Erwägungen, die befreiend hätten wirken können, sondern noch verschärfend mit der Kraft leidenschaftlicher und phantasievoller Naturen, jedes Gefühl auf die Spitze zu treiben, in der Ahnung von dem lyrisch Fruchtbaren solcher Sensationen. Denn es war ihr wunderbar und wonnevoll, seit sie einmal das Glück dichterischen Ausdrucks ihres Empfindens genossen, die Wallungen ihres Herzens in Versen auszusprechen, die sie nicht ihrem Heine und Lenau, sondern irgend einer Kraft in sich selber verdankte. Und obschon sie die merkwürdige, ihr zuerst geradezu unheimliche Erfahrung machte, daß die Leidenschaft für den Ausdruck so groß sein kann, daß dieser die eigenen Empfindungen derartig übertreibt, daß er anfängt, sie zur Unwahrheit zu machen nach irgendwelchem Gesetze der Steigerung oder des Wohlklanges, so kam es ihr doch gar nicht in den Sinn, Wendungen dieser Art herabstimmen zu wollen. Sie fühlte das dichterische Gesetz und verfuhr darnach.

Ihre poetische Spielerei sollte ihr eines Tages zur Verräterin werden. Madame Gernoth kam von einem Ausgange heim, als Wanda eben den Klang einiger Verse probierte. Sie ging dabei im Zimmer auf und ab, wiederholte eine Zeile mit einer kleinen Abänderung, kehrte zur ersten Form zurück und trug das Gereimte schließlich mit einer Art jauchzenden Pathos den Wänden vor:

Klingende Weisen, tönet
Über mir! Duftet, o Rosen!
Schatten der Dämm'rung, versöhnet
Grelle des Tags! Mit losen
Duftigen Schleiern decket
Angst und lastende Plage,
All was die Seele schrecket:
Not und ringende Klage.
Ganz mit duftigem Schleier,
Wallend in seliger Fülle,
Mir zur einsamen Feier
Holden Abends umhülle
Dämmerung den grämlichen Tag!
 
Höher als strebende Mühen,
Höher als alles Vollbringen,
Stolz in der Tugend Erglühen,
Höher als Kraft und Gelingen,
Froher als heitere Feste,
Jubelnder als das Entzücken
Fröhlich gescharter Gäste,
Glänzend in all ihrem süßen
Elende wandelt in Wonne,
Wandelt auf seligen Füßen,
Leuchtender noch, als die Sonne,
Liebe den blumigen Pfad.
 
Klingende Weisen, tönet
Über mir! Duftet, o Rosen!
Schatten der Dämmerung, versöhnet
Grelle des Tags mit losen
Duftigen Schleiern, denn selig
Öffnen sich schimmernde Pfade!
Über mir unwiderstehlich
Himmlisches Wolkengestade!
Und meine Seele, der Sonne
Gleich, der einsam beglückten,
Wandelt in jauchzender Wonne
Wolkenhin, wo Entzückten
Liebe schmücket den Pfad.

Es folgte zwischen den beiden Frauen eine Scene voll von Zorn, Vorwürfen, Klagen und Leidenschaftsausbrüchen, deren Resultat aber doch war, daß Wanda versprach, dem Polen einen »handfesten« Brief zu schreiben, in dem sie ihn endgültig verabschiedete.

Dieser Brief kostete freilich noch ein paar böse Stunden, schließlich bereitete er Wanda aber sogar eine gewisse Genugthuung und zwar nicht nur wegen des tugendhaften Entschlusses, den sie damit besiegelte, sondern – wie sie nun einmal war – wegen der geistreichen schriftstellerischen Leistung, die er nebenher bedeutete.

Und eine zugleich moralische und briefschreiberische Leistung war auch die Antwort, die sie ihrem Manne zukommen ließ: ohne eine Unwahrheit zu sagen, verschwieg der Brief alles, was zu verschweigen gut that, beantwortete das ethische Pathos des Doktors mit einigen passenden Wendungen ernsten Stiles, die mehr beistimmender als eingehender Natur waren, und gab launige Schilderungen des Badelebens und Mitteilungen über das Kind, die dem Doktor Freude machen mußten.

Wanda durfte stolz sein auf diesen Sieg über sich selbst und die Klugheit ihrer Briefe, die sie sogar Frau Gernoth unterbreitete.

Bei der Genugthuung, die diese immer korrekte und in korrekter Pflichterfüllung zufriedene Dame über das Verhalten ihrer Tochter empfand, war es ihr nicht ganz verständlich, warum Wanda die letzten Salzbrunner Tage dennoch in einer ewig flackernden Unruhe, in einem beständigen Stimmungswechsel zubrachte, in einer quälerischen Zerfahrenheit, die Frau Florentine endlich die Abreise beschleunigen ließ.

Neuntes Kapitel.

Eine Eisenbahnfahrt war vor fünfzig Jahren kein Vergnügen. Die Bediensteten, selbst von oben her schlecht behandelt, waren von der Kulanz mittelalterlicher Steckenknechte und pflegten die engen »Coupees« mit Fahrgästen zu überstopfen. Die Ventilation wurde durch zugige Fenster besorgt; sich vor dem Tabaksrauch oder kleinen Kindern zu retten, war ein Ding der Unmöglichkeit, einen Schutz vor den Strahlen der die Wagen durchglühenden Sonne zu finden ebenso; Wartestuben und Perrons waren finster und zugig, die Zuganschlüsse äußerst mangelhaft. Nein, das Reisen war kein Vergnügen, und es war außerdem eine Fährlichkeit. Die Notizen über umgeworfene Postwagen und Eisenbahnunglücke gehörten zu den Dingen, auf die die Feinschmecker unter den Zeitungslesern mit soviel Sicherheit rechnen konnten, wie heute auf gestrandete Fahrräder und abstürzende Alpenfexe.

Doktor Rhode war nicht nur glücklich, die Seinen überhaupt endlich wieder zu haben, er atmete auch auf, sie heil dem Waggon entsteigen zu sehen. In dem flackernden Licht einiger Öllampen, die durch die Dunkelheit des Perrons ein paar unsichere helle Streifen sandten, und durchrüttelt von einer Postfahrt von zwei und einer Bahnfahrt von drei Stunden, war von den blühenden Farben auf Frau Wandas Wangen, die als das Resultat ihr Badekur gelten konnten, nicht viel zu merken. Aber sie war da, hatte leuchtendere Augen und frischere Lippen und war – ach! so unglaublich schön, schöner als je. Er jauchzte ihr ordentlich entgegen.

Auch der Schwiegermama war der Aufenthalt bestens bekommen. »Potztausend,« rief er ihr zu, »Sie sind wieder jung geworden, Großel!« Nun, Madame Gernoth war achtundvierzig Jahr, man hört so etwas auch dann noch gern. Und damit nahm er ihr das sorgsam in Tücher gehüllte, schlafende Etwas ab, das sie auf dem Arm trug, während ein mürrischer Packträger sich des Handgepäcks bemächtigte, das die junge Frau hinauslangte.

»Gott sei dank, daß ich Euch wieder hab, ich hab es schon kaum mehr ausgehalten!« Und abwechselnd preßte er das schlafende Packet an sich, die junge Frau und ein klein wenig Madame Gernoth.

»Nun, was Sie anbetrifft, lieber Rhode,« sagte diese, »so sehen Sie nicht besonders gut aus.«

»Es war so heiß in der Stadt und ich habe viel gearbeitet.« Inzwischen wurde es in dem Tuche lebendig. »Mein Klärchen, bist Du denn munter, mein geliebtes kleines Mädel?«

Das Kind richtete sich auf und sah den Mann, der es trug, erschreckt an. »Kennt mich mein Klärchen nicht mehr?«

»Wenn wir nur erst aus dem Gedränge wären!«

Inzwischen schien sich die Kleine völlig ermuntert und besonnen zu haben.

»Der Papa!« sagte sie und legte die Ärmchen um seinen Hals.

»Sag' doch Papa das Verschen, das Du gelernt hast, das hübsche Willkommenverschen für Papa. ›Wir haben sieben, Klärchen, sieben echte.‹«

»Ach, laß sie doch,« bat Madame Gernoth. Aber Rhode sah das Kind zärtlich aufmunternd an.

Da versteckte es das Köpfchen an den Hals des Vaters, und ganz leise und verschämt, als mache es ihm eine Liebeserklärung, stammelte es:

»Wir haben sieben echte Rippen und fünf falße, und vierundzwanzig Wurbel.«

Dem Doktor traten die Thränen in die Augen vor Entzücken über diese Leistung und über die originelle Aufmerksamkeit seiner Frau, indes Wanda in ein helles Lachen ausbrach und Madame Gernoth mit einer Miene, die zugleich Mißbilligung und Stolz war, räsonnierte:

»Was sie dem Wurme alles beibringt, Rhode, das müssen Sie gar nicht leiden.«

Nachdem er die Schwiegermama mit ihrem Gepäck in eine und Frau und Kind in eine andere Droschke untergebracht hatte, war dem Doktor erst wohl. Er hielt das Kind auf seinem linken Knie und die Frau mit dem rechten Arm umschlungen, küßte beide abwechselnd und fragte wohl zehnmal, ob sie ihn noch lieb habe und ob sie gern wiedergekommen sei. Sie sagte immer ja und rührte sich nicht, halb froh und halb beklommen, wie sie war.

Zu Hause fand sie alles freundlich gesäubert, Gardinen und Decken blühend weiß, Rosen auf dem Tisch inmitten einiger appetitlichen kalten Schüsseln und ein Paar niedliche Hausschuhe als Willkommensgabe. Sie betrachtete alles mit den forschenden interessierten Blicken, mit denen wir uns, von einer Reise zurückkehrend, wieder heimisch machen, allerlei Dinge, die ein Teil von uns und uns halbfremd geworden sind, wieder in Besitz nehmend. Es war alles dürftig, aber es war ihr eigen und das kleine Königreich, in dem sie herrschte, und sie liebte jedes Stück daran, jede dieser bescheidenen Provinzen, die es ausmachten.

Mit einer Art Neugier lief sie in den beiden Vorderstuben hin und her, fing an von Salzbrunn zu erzählen, lachte und scherzte, schwatzte von den Wirtsleuten und ihrem dummen Jungen, der noch keine zwei Worte reden könne, von der Kaufmannsfrau aus Grünberg, die wie ein gemästeter Frosch aussähe, und einem Domherrn aus Brünn, den sie immer den Dompfaff oder Gimpel und seinen Rheumatismus den Gimpelschmerz genannt hätten:

»Du bist ja hold den Gimpeln
Und heilest Gimpelschmerz,«

– von den zwanzig Toiletten der Baronesse Neudorf, die eine so steife, langweilige Person gewesen sei, daß sie ihr den Spitznamen die Säule gegeben, und die wohl Goethe noch gekannt haben müsse:

»Kleid eine Säule –
Sie steht wie ein Fräule.«

Aber eigentlich brauchte man nicht Goethe gewesen zu sein, um einen solchen Vers zu dichten.

Dann machte sie sich über das Abendbrot her, behauptete, der Schinken, der nicht scharf genug gepökelt war, rühre seiner Blässe halber von einem Eisbären her, der sich ihn mürbe gedrückt, als er auf einer Eisscholle um den Nordpol Karussell gefahren, sprang dann auf und zeigte, wie die Polen den Mazurek tanzten und wie die Kolmeika.

»Die Kolmeika?« fragte er.

»O das ist auch so'n polnischer Tanz. Paß mal auf!

Die Kolmeika tanz ich gern
Mit dem gewissen jungen Herrn,
Doch am liebsten ist es mir
Mit dem schönen Gard'off'zier.«

»Eine prachtvolle Hopserei und ein geistreicher Text,« sagte er lachend.

»Ach, da war ein Graf Borinski – der tanzte das zum Küssen. Ein netter Mensch, der sich fürchterlich in mich verliebte. Als ich sagte, daß ich Frau Doktor Rhode wäre, wurde er ganz blaß und hat noch acht Tage lang vor unsern Fenstern getoggenburgert.

Und so saß er, eine Leiche,
Eines Morgens da, juchhe!«

Sie lachte hell auf. Aber es war kein ganz freies, es war ein nervöses, fieberiges Lachen.

»Ach, fast hätte ich mein Mitbringsel vergessen!« Sie sprang wieder auf, suchte da und dort: »Die Tasche?«

»Die legt' ich ins Schlafkabinett« –

»Ach dort!« und rannte hinaus.

Als sie aber an die Schwelle des Schlafzimmers kam, das von einer kleinen Nachtlampe weniger erhellt als mit großen fratzenhaften Schatten angefüllt war, blieb sie stehen. Denn wie gespenstisch überfielen sie auf einmal die Erinnerungen an die gräßlichsten Stunden ihres Lebens. Hier waren ihre drei Kinder geboren worden, hier zwei von ihnen unter Qualen und Zuckungen wieder gestorben.

Vor ihren Sinnen stieg all das Entsetzliche, all der Ekel, all die Pein dieser Stunden in grausamer Deutlichkeit auf. Wie gräßlich der langsame Verfall, das wochenlange Absterben eines reizenden, blühenden Kindes, das eine schleichende Krankheit befiel, bis es mehr einem runzeligen Greise als einem kleinen Kinde ähnlich war, wie gräßlich diese wächsernen, spinnenartigen Glieder, die sich in Krämpfen wanden, bis der Tod sie grauenvoll streckte. Ein halbes Jahr später eine neue Geburt, in der sie dreißig Stunden in Schmerz und Verzweiflung gerungen. Und im nächsten Jahre eine dritte, diesmal eines Kindes, das die beiden ersten weit an Kraft und Schönheit übertraf. Und ein paar Monate darauf der Tod dieses jungen Lebens, jäh, unerwartet, unter Zuckungen der blühende kleine Körper hingemordet von dem scheußlichen Würgengel Cholera.

Wie qualvoll deutlich sie sich all dessen an dieser Schwelle erinnerte! Wie deutlich der Dunst von Kamillenthee, Morphium, von hundert intensiven verletzenden Kranken- und Kinderstubengerüchen sich ihr erneuerte und sich mit der Erinnerung an gellendes Geschrei, Stöhnen und Wimmern vermischte. Wie deutlich das fahle Morgengrauen vor ihr aufstieg, das in den Dämmer der schmauchenden Lampe fiel und die Bilder des Todes beleuchtete, indessen ihr eine krasse Kälte die Glieder schüttelte und in ihrer Brust ein Gefühl war, als würde ihr das Herz darin mit Zangen herumgedreht und zerrissen.

Und das alles, alles sollte wieder sein! Wieder streckte Natur ihre Hände nach ihr aus, verführerische, trügerische Hände der Zärtlichkeit und des Verlangens, um sie zu packen, sie zu opfern, ihr Leib und Seele zu zerreißen! Ein Schauder ergriff sie, der ihren ganzen Körper schüttelte.

Wahrlich: Wanda Rhode hatte das Unglück, zu den Frauen zu gehören, deren Nerven ein zu gutes Gedächtnis haben, um sie vor allen Dingen zu Müttern zu qualifizieren.

Was hatte sie nur überhaupt hier gewollt? Ja so – dieses Glas, das sie Ewald mitgebracht – und für das die Sparbüchse die Groschen erst noch hergeben sollte, die Frau Gernoth ausgelegt – dieses Glas – – da in der Handtasche! So!

Sie wickelte es aus und ließ das kleine Licht der Nachtlampe einen Augenblick hineinfallen. Es war ein schönes Krystallglas, das den gelblichen Schein dort glänzend spiegelte, hier in leuchtend bunte Farben brach. Und in einer der Verknüpfungen der Vorstellungen in unserer Seele, die so schwach und zugleich so mächtig sind, fielen ihr die Zeilen ein:

»– und Glanz und Wonne
Umfluten strömend mich,
Ich habe Dich gefunden,
Und jauchzend lieb' ich Dich.«

Was mochte ihr Dichter jetzt eben treiben, wo weilen, wie ihrer denken? Vielleicht über seinen Kompositionen ihrer vergessen! Immerhin Glück genug – indes sie ihn vergessen mußte über diesen »ehelichen Pflichten.«

Inzwischen saß Rhode mit glücklichem Lächeln am Tische. So, ganz so war sie als junges Mädchen gewesen: so sprudelnd, so übermütig und von dieser sieghaften, leuchtenden Schönheit, mit der sie ungezählten Herzen gefährlich geworden, mit der sie das seine entzündet und es eben von neuem in hellste Flammen gesetzt, so daß nur noch eins in ihm war: Zärtlichkeit und Verlangen nach ihr.

Wo blieb sie nur?!

»Wanda?«

»Ja.«

Blaß, niedergeschlagen, mit einem seltsamen Ausdruck auf den Lippen, trat sie herein, setzte das Glas vor ihn hin, sank auf einen Stuhl und brach in heftiges Schluchzen aus.

»Herr mein Gott, was ist Dir denn geschehen?«

»Nichts.«

»Nichts?! Du mußt doch einen Grund haben, sprich doch, rede doch!« drängte er zärtlich.

Da hielt sie nicht länger zurück.

Er legte die Hände auf den Rücken, trat ans Fenster und rang mit unsäglicher Qual und Bitterkeit.

»Ich will fort,« schrie sie. »Ich will wieder fort, ich will das nicht wieder!«

Welcher Fluch, einer heißgeliebten Frau mit seiner Liebe selbst zum Gegenstande der Furcht und des Grauens zu werden! Und was sollte er sagen? Als ob es sich nicht um Unabänderliches gehandelt hätte, nicht um etwas, in dem er machtlos war, in dem geknickter Mannesstolz, Mitleid, Wunsch, ihr alles zu Liebe zu thun, nichts waren – gegen den Willen der Natur! Was sollte er überhaupt nur sagen? Vielleicht, wenn sein Gemüt nicht belastet gewesen wäre mit diesem Eingriff in ihren kleinen Besitz – so gern er diese Last wegräsonniert hätte mit der Wendung von der ehelichen Solidarität, sie war dennoch da und drückte ihn – vielleicht, daß er dann gute, treue, würdige Worte zum mindesten gefunden hätte, die ihr das Unabänderliche erleichtert hätten!

Aber so fand er sie nicht.

Wanda schluchzte weiter.

»Fort! wieder fort möcht' ich!«

»Aber wenn ein Mädchen heiratet, weiß sie doch –«

»Nichts weiß sie. Nichts!«

Fort! Und ihre Gedanken kehrten zurück unter die grünen Laubgänge, durch die die Sonne golden leuchtete, ein sanfter Wind tausend Blütendüfte hauchte, das Rauschen und Murmeln plätschernder Quellen klang und die Liebe auf sie wartete, eine Liebe, an der alles Zartheit, unterdrückte Glut, alles Langen und Bangen, ein stilles frohes Miteinander der Seelen, ein lautloses Verstehen und süßes Begreifen war.

Als ob irgend eine Liebe der Welt ewig das alles bleiben könnte! Als ob Liebe nicht auf unser aller Wege in leuchtenden Feierkleidern träte, blumengeschmückt und die Hände voll seliger Gaben und, sobald wir sie nur an unser Herz genommen, Werkeltagsgewänder anlegte und Opfer über Opfer von uns verlangte für jedes überirdische Glück, das sie wie zum Geschenke uns gereicht!

Aber wir vergessen das manchmal für Augenblicke.

Da, in dieser Vision, die Wald und Berghang, Sonnenschein und junge Liebe vor ihr aufleben ließ, tauchten mit einem Male mitten zwischen geputzten Menschen diese blassen Mädchengestalten mit den traurig umflorten Augen und verwaschenen Wangen vor ihren Blicken auf, mit den festgeschlossenen Lippen, die sich gewöhnen müssen, die Enttäuschung, den Harm und die Sehnsucht zu verschweigen, die einzugestehen die Mißachtung verdoppelt hätte, mit der man den »Sitzengebliebenen« begegnete.

Ehelos durch das Leben gehen – nein, das war das Entsetzlichste. Das war noch entsetzlicher als Kinder gebären und wieder begraben. Das dünkte ihr so schrecklich, daß ein neues Grauen sie ergriff und ihre Seele dem unglücklichen Mann am Fenster wieder zukehrte. Welcher Mann wäre nicht aus dem Geliebten endlich der Vater ihrer Kinder geworden? Es war der Lauf der Natur so, die die Blüte um der Frucht willen zerstört, die verdirbt, um zu schaffen, und den sonderbare Schwärmer den Willen eines gütigen, gerechten und barmherzigen Gottes nennen!

Gleichviel: es war so.

»Ewald!«

»Wanda.«

Einen Augenblick sahen sie sich stumm verlegen in die Augen. Rhode blickte völlig verstört drein. Er trug so grenzenloses Verlangen nach ihr, grade, weil er sich schuldig vor ihr fühlte und Indemnität in ihrer Liebe finden wollte.

Und Wanda sah dieses bis zur Leidenschaft gesteigerte Verlangen neben ihr, in diesem Heiligtum von ehelichem Heim, in Beziehung gesetzt mit dem Leben, das nun einmal ihr Leben war und – ist es nun so, daß Liebe im menschlichen Gemüt überhaupt etwas für sich ist, eine subjektive Veranlagung, obschon sie mit allen Wurzeln in der Natur ruht, und daß neben diesem »für sich« das Objekt Nebensache sein kann – war es, daß speziell in Wanda Rhode's beweglicher Natur, der das Präsente immer eine Macht war, eine solche Möglichkeit zu raschem Wechsel gegeben war – als der Doktor sie mit Thränen der Qual und Erregung in den Augen anstarrte, geschah es, daß sie auf ihn zueilte und die Arme um den Hals des Mannes schlang, der sie leidenschaftlich umschloß. –

*

Äußerlich richtete sich ihr Leben wieder ein, wie es gewesen: Sprechstunden, Krankenbesuche, Bierhaus oder politisches Radaulokal – Hauswirtschaft, Pflege des Kindes, ein wenig Musik und Lektüre, Besuche bei Verwandten und Gevatterinnen. Dazwischen gemeinsame Mahlzeiten, ein Spaziergang, eine kleine Besprechung oder ein Scherz. Keine rechte geistige oder seelische Verschmelzung so wie im ersten Jahre ihrer Ehe, als eheliche Gemeinschaft nichts als diese Zärtlichkeiten, die schließlich mit zum Abhaspeln der Tagesgeschäfte gehörten und, weil sie nichts als Sinnenbefriedigung waren, der jungen Frau die gräßliche Auffassung der Ehe als einer legalisierten Prostitution und damit ihrem Denken einen frühzeitigen Cynismus gaben. Das ganze Beieinander übrigens glatt, flüchtig, freundlich, geschäftig, wie es eben kam.

Und bei alledem eine Schwüle, die sie einander nicht eingestanden, die sie hinweglogen mit einem prahlerischen Eifer, der auf der Grenze zwischen Heroismus und Heuchelei steht, und sie ahnungslos ließ, daß auch das andere etwas auf dem Herzen habe, das es manchmal einzugestehen wünschte und sich doch scheute. So näherte sich zuweilen ein Entschluß zu freimütigem Bekenntnis: »Diese Spargroschen – verzeihe mir« – oder zu heißer Bitte: »Hilf mir mit Deiner Liebe, das Bild eines andern –« der Thür des Gatten und ließ die Worte dann doch an der Schwelle liegen.

Endlich fand Wanda eines Abends doch den Mut; an einem der immer seltener werdenden Abende, an dem der Doktor einmal zu Hause blieb – und sie warf die Bemerkung hin, daß sie Kreowski in Salzbrunn getroffen habe.

»Kreowski?«

Die Miene des Doktors verfinsterte sich sofort. »So? Dieser ›beschlittete Pollacke‹ war dort?«

»Beschlittete Pollacke?« Sie lachte nervös.

»Ja.«

»Ich habe ihn immer nur zu Fuß gesehen, kann mir auch nicht gut denken, daß er hinter meinem Rücken in den Hundstagen durch die Wälder, durch die Auen Schlitten gefahren sein sollte. Übrigens,« fügte sie eifrig hinzu, »spricht er deutsch, ist in Deutschland geboren, macht deutsche Verse und deutsche Musik und erklärt sich selbst für einen Deutschen.«

»Richtigen Patriotismus haben solche Bursche nie im Leibe, die in Schnurröcken herumlaufen.«

»Allerdings treibt er weder groß- noch kleindeutsche Politik,« sagte sie gereizt, denn der ›Bursche‹ ärgerte sie.

»Ich weiß bloß, daß der Mensch – Musikant war er ja wohl – trotz seines ›Adels‹ in dem Kränzchen, in dem Du Deine Triumphe feiertest und in das ich Dir zu Liebe ein paarmal ging, einen Schnurrock trug, wie ein Pole aussah und die geschniegelten Manieren dieser Rasse hatte.«

»Geschniegelt? Ich dächte, er wäre bloß nicht grob oder ungeschliffen.«

»Das fehlte gerade noch!«

Rhode stand ein paar Schritte von ihr entfernt und betrachtete sie. Sie hielt den Kopf gesenkt und lächelte seltsam verlegen. Sie bereute, den Namen erwähnt zu haben, da der Doktor so wenig in der Stimmung war, ihre Beichte entgegenzunehmen, und dabei sah sie auf einmal mit unheimlicher Deutlichkeit grüne Berge, einen schattigen Laubengang und eine Gestalt, die sich auf sie zu bewegte und sie ansah. Die Mutter hatte recht gehabt, wenn sie ihr widerraten, den ominösen Namen vor Rhode zu erwähnen.

Aber es war geschehen! Und der Doktor, unruhig und mißtrauisch geworden, bemühte sich, ihr die Gedanken vom Gesicht zu lesen.

Was er las, beunruhigte ihn noch mehr. Aber da es so wenig greifbar war, wußte er nichts Rechtes dazu zu sagen, um so mehr, als sie plötzlich eine sehr harmlose Miene aufsteckte und von der Registratorin zu reden anfing.

In ihm aber war ein heftiges Verlangen lebendig geworden, ein moralisches Übergewicht zu erlangen, und sei es auf Kosten dieses »Burschen,« und so fing er mit einem Schwall von Beredsamkeit, der ihr Eindruck machen mußte, an, auf die Polen zu schimpfen. Auf die Modesentimentalität, die sich mit ihnen beschäftige, und die Eitelkeit, mit der sie sich darin gefielen, Gegenstand der Neugier und eines schwächlichen Mitleids zu sein; sie, die ein hilfreiches allerdings auch nicht verdienten! Er schenkte ihnen nichts: nicht die sprichwörtliche Verwirrung des Reichstages, noch die »polnische Wirtschaft,« noch den Mangel an einem eigentlichen Kern des Volkes, noch den an einer großen Litteratur, Kunst und Wissenschaft. Er zog Daten über Daten heran, das zu beweisen, mit der verhängnisvollen Gründlichkeit am unrechten Orte, der übertriebenen Autoritätssucht, die jeden Keim eines Widerspruches wie mit groben Schuhen zertreten möchte. Mit einem Pathos, in das seine Eifersucht und jenes dunkle Gefühl, das moralische Übergewicht zu gewinnen, hineinfluteten, donnerte der Doktor gegen ein Volk, um ein Individuum zu treffen.

Wanda hörte das alles schweigend an. Zuletzt schwieg der Doktor auch – es war ihm nicht recht wohl zu Mute, er hatte ein unklares Gefühl, ungeschickt gewesen zu sein.

Und das war er gewesen. Denn diese Gründlichkeit hatte etwas Lächerliches gehabt, und seine Maßlosigkeiten hatten Wanda dahin gebracht, Partei für die Angegriffenen zu nehmen, für die offiziell Angegriffenen und den, der dahinter stand.

Rhode hatte das Wort »unfähige Rasse« fallen lassen und von politischer Impotenz gesprochen. Was hatten denn diese Deutschen für politisches Geschick bewiesen, diese Deutschen, die fortwährend über ihr dreiunddreißigköpfiges Fürstentum und ihren Mangel an Einheit zeterten?

Und das war so charakteristisch für die Zeit, daß sie so dachte: »Diese Deutschen!« Das Interesse für Politik galt für unweiblich und lächerlich an einer Frau. Man hatte sich politisch der Frauen bis dahin immer nur erinnert, wenn es Opfer für das Vaterland galt. Warum hätte Wanda Rhode patriotisch sein, warum national empfinden sollen?

»So sage doch etwas,« rief er endlich gereizt.

»Aber Du hast schon alles gesagt,« antwortete sie leichthin, »ich könnte nur – noch bemerken, daß Kreowski sehr gut Walzer tanzt.«

»Allerdings ein schwerwiegender Vorzug.«

Sie lachte, stand auf und ging hinaus, mit einem seltsamen Wechsel der Empfindungen im Herzen. Sie hatte ihren Mann zum Mitwisser und damit zum Befreier von einer Gefühlsverwirrung machen wollen – das Resultat der bloßen Einleitung dazu war, daß sie tiefer darin verstrickt war als vordem.

Zehntes Kapitel.

Es war eine Woche später.

Wanda war sehr heiter. So harmlos heiter, so grundlos guter Dinge, wie man es manchmal ist, bloß weil man jung ist, der Himmel blau, die Sonne goldig und weil man geliebt wird und wieder liebt, heiter in dem Gefühle von schrankenlosem Lebensreichtum und der Fülle der Beziehungen von Herz und Welt; vielleicht auch nur, weil man kampf- und qualmüde ist und irgend etwas in uns sich auflehnt gegen den Druck der Niedergeschlagenheit.

Sie sang und trällerte in den Stuben herum, küßte das Kind, naschte an Obst und Beeren, sah in den Spiegel, schüttelte den Kopf über ihre eigene junge Schönheit, die sie jeden Tag von neuem wie ein Wunder daraus anlächelte, amüsierte sich über ein paar Toggenburger, die täglich zur bestimmten Stunde vor ihrem Fenster schmachteten, und improvisierte Verse, in denen sie die Laune der Natur pries, die ihr alle Herzen zu Füßen legte. Eine der Stimmungen, in denen wir schlechterdings in uns selbst verliebt sind und so übermütig, daß wir als die rechten Ichs- und Glücksprotzen mitten in allen Unzulänglichkeiten des Lebens stehen, daß wir, sonst ewig dürstend nach Wechsel und Sensation, ganz gesättigt sind von dem stillen Beruhen in der Gegenwart und dem großen, goldenen Lebensgefühl, das sie uns spendet.

Draußen lockte der herrlichste Septembermorgen.

»Wir wollen spazieren gehen,« sagte sie zu dem Kind, »erst schön spazieren gehen und dann zu Großmama, ihr Geld bringen.«

Es war wahrhaftig Zeit, daß sie der Mutter endlich ihre kleine Schuld abtrug.

Das kleine Clärchen jauchzte.

Während sie das Kind anzog, überlegte sie, welches von den teuern Stücken ihres Spargroschens sie umwechseln sollte, denn sie galten ihr alle einzeln. Es waren drei Sterbethaler (aus dem Todesjahre Friedrichs des Großen), zwei mit dem Bildnis seines Nachfolgers, ein Krönungsthaler Friedrich Wilhelms IV., eine Anzahl außerpreußische Stücke und einer mit dem Kopfe Friedrich Wilhelms III. und der Bezeichnung auf dem Revers: »Segen des Mannsfelder Bergbaues.« Den hatte sie als junges Mädchen von einer reichen Bäckerstochter bekommen, der sie ein paar Tragbänder für den Bräutigam gestickt mit Rosen und bronzenen Blättern auf himmelblauem Grunde. Zu albern! Die geizige Braut hatte ihr noch zwei Groschen abhandeln wollen für die mühsame Arbeit. »Billiger rechnen kann ich es Ihnen nicht, Mamsell,« hatte sie da gesagt, »aber wenn Sie zwei Groschen gern von mir geschenkt haben wollen« – da war das dicke Frauenzimmer rot und beschämt davongelaufen und hatte auf den ganzen »Segen des Mannsfelder Bergbaues« verzichtet.

Sie mußte noch jetzt darüber lachen.

So hatte jedes Stück seine Geschichte und war mühsam und sorgfältig zurückgelegt worden. Wie oft hätte sie sich gern einen besseren Hut, einen Schirm oder lange seidene Filethandschuhe angethan, aber nie hatte sie sich entschließen können, diese Ersparnisse anzugreifen. Es war nun einmal gar zu hübsch, einen kleinen Besitz zu haben und zu hüten, es bewahrte sie vor dem bettelhaften, unfreien Gefühl, das vermögenslose Frauen so oft haben im Verkennen des Umstandes, daß sie das Ihre redlich an Mann und Kindern verdienen.

Geld! Die es im Überfluß haben, dürfen es mißachten, wie wir die Luft nicht schätzen, die uns von allen Seiten zuströmt – dem, der es unter Mühen erworben hat, ist es das Leben selbst, Zeichen seiner Kraft, ein Stück metallgewordenes Ich, ein Talisman, ein Fetisch, ihm dennoch heilig, und in seiner Gesichertheit ein Zeichen der eigenen Unverletzlichkeit; und es ihm rauben, heißt ein kleiner Mord.

Das ist so banal, aber man vergißt es manchmal. Und nicht das Außergewöhnliche, sondern das Banale, das Selbstverständliche vergessen, ist verhängnisvoll.

Mit lächelnder Wichtigkeit, leise vor sich hersummend, schloß Wanda den Sekretär auf. Erst die abscheuliche Klappe, an der sich Clärchen bereits einmal ein Loch in den Kopf gestoßen, und dann das Thürchen des Mittelverließes. Sie warf einen Blick hinein: es stand und lag alles darin, wie sie es verlassen hatte, einige Päckchen Briefe sauber geordnet, das Kästchen mit den altmodischen Kleinodien, die leere Geldschwinge, ein Buch mit Familiendaten, die Patenbriefe der Kinder und die Sparbüchse.

»Schö–ner, grü–ner – schö– –«

»Meine Machen, meine Machen!« schrie das Kind, als es die Mutter plötzlich mit einem Schreckenslaute zurücktaumeln sah. »Ich Dir ein Gedichtel aufsagen, Machen! Es bicht und zuckt und verbutet, aber Du siehst es nicht!«

Doch die kindlichen Deklamationen wollten nicht verfangen. – – –

Als eine halbe Stunde später der Doktor nach Hause kam, wurde er von dem Dienstmädchen mit der Neuigkeit empfangen, daß Diebe den Sekretär erbrochen hätten, und sie schon einen Polizisten geholt habe, der drin alles genau aufschreibe. Ein kalter Schweiß trat ihm auf das Gesicht, er legte Hut und Stock hin und ging hinein.

»Ewald!« schrie sie ihm entgegen und fiel ihm schluchzend um den Hals. »Es ist alles fort, man hat die Thüren aufgebrochen – alles!«

»Beruhige Dich, es wird wiederkommen,« sagte er schweratmend, totenblaß, aber ganz ruhig.

Sie ließ ihn los und trat zurück. Er sah mehr tief verstimmt als erschreckt aus. Mit einem Male ging er auf den Beamten zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf dieser lächelte, sein Notizbuch einsteckte, seinen Helm ergriff und ging.

»Warum wartetest Du nicht, bis ich kam? Warum gleich zur Polizei? – Mein Gott – Du – Du sollst ja alles wieder haben –«

»Also Du?«

»Ja – ich. Ich war in einer so verzweifelten Lage! – Wanda!!«

Und er streckte bittend die Arme nach ihr aus und wartete, wartete auf ein gutes Wort, auf ein Aufschluchzen, auf einen Schrei, auf Vorwürfe, Klagen und endliches Verzeihen. Und – wartete vergebens.

Sie sagte nichts. Diese leidenschaftlich heftige, sich übersprudelnde Frau sagte nichts. Nur ihre Augen und das Zucken ihrer Lippen redeten eine furchtbare stumme Sprache. – Und dann sagte sie doch etwas, ein einziges Wort nur, aber ein sehr böses.

Er stampfte mit dem Fuße auf.

»Vergiß nicht, daß ich nichts genommen habe, was zu nehmen mir nicht zustand, daß ich – nach dem Gesetz – jedes gute Recht habe an allem, was Dir gehört,« keuchte er heraus, sich statt auf das moralische Recht ehelicher Solidarität auf das formelle des Gesetzes berufend, wozu er sich durch das Erscheinen des Beamten gedrängt fühlen mochte.

»Gesetz? Wer hat Euch denn diese Gesetze gegeben? Ihr selbst habt sie Euch gegeben und wollt Euch darauf berufen wie auf göttliche Einrichtungen?«

»Aber – aber Du sollst es ja wieder haben – dieses Geld!«

»Dann wäre es – nach dem Gesetz – ein Geschenk, was Du mir damit machtest. Ich will es nicht von Dir geschenkt, ich verzichte auf dieses Geld.«

Damit ging sie hinaus.

Er stand, mit den Händen auf die Tischplatte gestützt, und sah ihr nach. Sie liebte ihn also nicht?

War es denn möglich? Sie liebte ihn nicht!

Zum ersten Male war's, daß er sich diese Frage vorlegte, die er nicht zu beantworten wagte, weil allein sie zu stellen ihm ein ungeheurer Schmerz war.

Ach! ehe er sie hätte beantworten können, hätte er sich eine ganze Reihe anderer Fragen vorlegen und ihnen Antworten finden müssen.

Hatte sie ihn überhaupt je mit ganzer Seele geliebt? War sie überhaupt die, als die er sie kannte? Hatte er jemals die letzten Tiefen ihrer Seele erforscht, sich nicht vielmehr, auch er, mit dem billigen Märchen von dem Rätselhaften, Geheimnisvollen, Launenhaften der weiblichen Natur begnügt? Hatte überhaupt je ein Mann die Eigenart des Weibes aus ihrer Stellung zu entwickeln gesucht und sich gefragt, in welcher Weise physische, soziale und individuelle Momente auf ihr Empfinden wirken, auf die Beständigkeit ihres Empfindens? Ist die Liebe irgend eines Menschen überhaupt etwas, wodurch er ein Besitzstück, wodurch er vogelfrei wird für den, dem sie gilt? Ist sie jemals eine Vollmacht ohne Grenzen? Ist die uns erwiesene Liebe etwas anderes als jene, die wir fühlen: schrankenloser Egoismus und schrankenlose Hingabe zugleich? Und heißt es nicht den Egoismus in ihr verletzen, wenn wir den Anspruch an die Hingabe aufs äußerste steigern?

Alle diese Fragen stellte er sich nicht. Er fragte nur: liebt sie mich denn nicht? Und eine namenlose Angst erfaßte ihn, daß die Antwort »Nein« sein könnte. Dieser Mann voll Geist und Gemüt hatte die ganze Gefühlsplumpheit, die man Wesen gegenüber hat, die man trotz leidenschaftlicher Zuneigung geringer schätzt als sich selbst.

Es war ein ungemütlicher Tag. Am Abend ging er nicht in seinen Klub, sondern blieb einmal wieder zu Hause und hielt ihr einen langen Vortrag, wie bedeutende Aufschlüsse er dem Mikroskop bereits verdanke, wie segenbringend für die ganze Menschheit seine Forschungen, von welcher Wichtigkeit sie für sein gelehrtes Ansehen und damit für ihrer aller Zukunft seien. Und schließlich sei sein Eingriff ja nur eine Art Zwangsanleihe gewesen und sie solle alles ersetzt erhalten.

Ob es gesetzmäßig sein gutes Recht gewesen sei, so zu handeln, fragte sie.

Ja, das sei es gewesen.

Sie antwortete nichts darauf.

Dann lachte sie und erzählte ein scherzhaftes Vorkommnis aus dem Hause; denn sie hatte gemerkt, daß er sie zur Besiegelung der Angelegenheit küssen wollte, und ihr graute vor seinen Küssen. Er war Thor genug, das nicht zu begreifen. Und da es noch nicht sehr spät war, nahm er doch noch seinen Hut und ging.

Auf der Straße dachte er, wie seltsam »das Weib« wäre und wie ein Mann niemals ganz hinter sein Empfinden käme, hinter das Rätselvolle und Sprunghafte ihres Wesens. – –

Inzwischen saß Wanda zu Hause mit einem Gefühl von Kälte in der Seele, als ob etwas darin abgestorben sei, das sich nicht wieder lebendig machen lasse.

Es heißt, daß jede Kränkung zu verzeihen göttlich ist, aber es giebt Kränkungen, die verzeihlich zu finden man ein Gott sein muß, wenn das Verzeihen nicht schimpflich sein soll. – –

In den nächsten Tagen glückte es Rhode, einer wichtigen wissenschaftlichen Thatsache auf die Spur zu kommen, und er war so erfüllt davon, daß er für Anderes kaum mehr Auge und Ohr hatte. In dem unendlichen Hochgefühl, von dem er sich dabei getragen fühlte, vergaß er sogar die Frage, die ihn so erschüttert hatte: ob seine Frau ihn denn noch liebe, vergaß er alles um sich her, alles, was sich als Recht und Pflicht, als Ursache und Wirkung im moralischen Leben an ihn herandrängte.

In seiner Studierstube eingeschlossen, rätselte er in fieberhafter Begier über dem Problem der organischen Zelle, in der bis zum Wahnsinn gesteigerten Einseitigkeit eines akuten Interesses, das mit dem Gotte neben sich ringt, schreiend: »Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn.« Ein verhängnisvolles Stadium, aus dem der Doktor wohl auf Augenblicke in das wirkliche Leben zurückkehrte, aber um es sofort wieder zu verlassen. Dann fiel ihm etwa ein gequälter und feindseliger Zug in Wanda's Gesicht auf und er erinnerte sich, daß er ihr einen Verdruß im Dienste der Wissenschaft bereitet hatte. Aber opferte er nicht diesem idealen Dienste die Ruhe seiner Nächte, das Behagen seiner Tage, was hatten diese paar Groschen dagegen zu bedeuten!

Er vergaß bei diesem Exempel nur, daß seine Ideale nicht die ihren waren und daß sie ihr Teil an Opfer von Ruhe und Behagen in anderer Weise dem Leben schon reichlich gebracht. Nicht lange, meinte er, und sie würde das verwunden haben, eine so versatile, so elastische Natur! Und so klug, so – – so –

Er wußte nicht was – seine Gedanken packten den Gott schon wieder.

So verflatterte ihm der Konflikt.

In ihrer Seele aber blieb eine Wunde wie von einem Beilhiebe: es gab Gesetze, die dem Manne den Besitz seiner Frau auslieferten, Gesetze, die moralische Rechte mit bürgerlichen totschlugen. Und damit war ihre Achtung vor Recht, Gesetz und bürgerlicher Ordnung überhaupt erschüttert. – –

Einige Tage später schien sie dennoch alles verwunden zu haben. Der Doktor hielt gerade seine Morgensprechstunde ab, als er Wanda singen hörte. Sie brach freilich gleich wieder ab, da sie sich erinnern mochte, daß während dieser Zeit möglichst Ruhe gehalten werden mußte, aber es war doch ein Zeichen wiedergekehrten Frohsinns, das ihm sehr lieb war. Es hätte kaum etwas geben können, das geeigneter gewesen wäre, ihn zu beunruhigen, wenn er den Grund dieses Jubels geahnt hätte.

Wanda Rhode war gerade mit einer recht unangenehmen Arbeit beschäftigt: dem Einseifen von schmutziger Wäsche, das nach der Familientradition die Hausfrau selbst zu besorgen hatte, als ein dicker Brief an sie abgegeben wurde, dessen Aufschrift sie erröten ließ und dessen Umschlag sie mit zitternden Händen aufriß. Sie hatte Kreowski damals trotz allem Schmerze gegrollt, daß er abgereist war, ohne sich noch einmal sehen zu lassen, ohne auch nur eine Zeile zu senden. Sie hatte es ausdrücklich gewünscht, aber sie hätte noch lieber gewünscht, er möge ungehorsam sein. Was wollte er nun plötzlich von ihr?

Ah – Verse! Verse und Melodieen!

Jüngst schlug ich meine Lieb' aufs Haupt
Und thät sie still begraben –
Die Ruhe, die sie mir geraubt,
Die wollt' ich wieder haben.
 
Doch wie sie war drei Tage tot,
Ich bin über Feld gegangen,
Meine Liebe kam, war frisch und rot
Und küßte mich auf die Wangen.
 
Nun ging es über Berg und Thal,
Das war ein fröhlich Gewander,
Sie sprach zu mir: sterb ich einmal,
So sterben wir miteinander.
    ————
Am Waldrand, dort wo die enge Welt
Von blühenden Hecken ist rings umstellt,
Dort unter den alten Rüstern,
Wo Gras und Blumen flüstern,
 
Möcht ich noch einmal Dir allein,
Wenn der ersten Sterne lichter Schein
Die Augen der Müden segnen,
Allein Dir noch einmal begegnen.
 
Und sähe die Dämm'rung um uns her
Umhüllen uns wie mit Schleiern schwer,
Sähe den Himmel sich dehnen
Und sähe doch nichts vor Thränen,
 
Und sähe nur Dich, nur Dich allein! –
Ach, einmal nach all der Entsagungspein,
Dem tödlich schweren Verwinden
Möcht' ich Dich wiederfinden.
    ————
Wilder Tauben Schwarm von umwölktem Hügel,
Dunkelgrün bekränzt mit dem Schmuck der Wälder,
Hebt im Dämmerlicht der betauten Felder
Silberne Flügel.
 
Schweigend durch das Meer der erblauten Feuchte
Schwimmen sie dahin, über Hang und Klüfte,
Ziehn den raschen Flug durch der frühen Lüfte
Nebelgeleuchte.
 
Schwimmen morgenwärts, und es färbt ein Glühen
Horizontes Rand und die grüne Breite,
Färbt den lichten Strom und der ernsten Weite
Schweigendes Blühen.
 
Hei! wie stürzen da in den sel'gen Morgen
Silberflüglig sie, in das Glutgetauche,
Bis ihr Fittich still wie in Heimathauche
Ruhet geborgen.
 
Also ziehn zu Dir meine morgenfrühen
Träume, hin zu Dir von erwachtem Pfühle
Die Gedanken all, um aus Dämmerkühle
Dir zu erglühen.
 
Ach! Du spürst wohl nicht ihrer Flügel Kosen
Um die Schläfen Dir, Dir um Ohr und Wangen,
Oder ahnest Du ihres Flatterns Bangen,
Scheuchst Du die losen,
 
Daß sie müde ganz, ohne Willkomms Glück mir,
Wie von rauhem Fels, von umwölktem Hügel,
Traurig mit der Qual der erschöpften Flügel
Kehren zurück mir.
 
Stille! Jüngst noch kam mir in Jubelwogen
Ihr beglückter Schwarm, wie von Heimatklippen:
Lächelnd hattest Du sie an Brust und Lippen
Schmeichelnd gezogen.

Diese Verse waren zugleich in Musik gesetzt und die Kompositionen beigelegt.

Verbietet dem Auge, dem Lichte zuzujauchzen, wenn nach Regendunkel die Sonne durch das Gewölk herabbricht in Strahlen, unter denen die nassen Bäume in Schauern erzittern, der Strom sich in fließendes Gold verwandelt und die Lüfte im Dunste glühenden Hauches beben! Verbietet dem Ohre, das in schweigender Einöde gelauscht um einen, nur einen verwehten Ton der Ferne, sich zu berauschen an dem Zauber der Melodien, die ihn plötzlich jubelnd umbrausen! Verweigert dichterischem Sinn die Freude an Reim und Rhythmus, an der bilderreichen Sprache der Phantasie – und einem unruhigen, verschmachtenden Gemüt, das sich in der Enge kleiner Mühsale, in der Kälte eines verödeten Lebens verzehrt, sich zu berauschen am Klange der Leidenschaft und einer Sehnsucht, stark wie die eigene! Verbiete es, wer kann!

Ach, wie sie ihr zujauchzte, dieser in Feierkleidern und Blumenschmuck daherprangenden Liebe! Wie sie ihre Festschüsseln, ihre ambrosischen Schalen liebte! Wie sie diese ungekränkte, unverletzte Liebe liebte, die, eine stolze, gabenfrohe Königin, alles giebt, wonach das Gemüt schreit, eine milde Trösterin, die Wunden heilt, an denen das Herz verbluten will, eine jauchzende Genossin, die mit ihren Liedern jubelnd und schluchzend in der Seele ein Echo weckt, das sie verzehnfacht. – –

Doch still – während der Sprechstunde durfte nicht gesungen werden! Und sie verbiß ihr »Glück,« so gut es ging.

Ewald Rhode aber glaubte, als diese Sprechstunde vorüber und er von seinen Abscessen und Magengeschwüren in die kleine Welt neben sich zurückkehrte, da er nur Wandas Augen leuchten und ihre Wangen lächeln sah, daß neugeborene Zärtlichkeit für ihn ihre Pulse höher schlagen lasse. Er klopfte sie auf die Wangen und nannte sie seine verständige, brave, kleine Frau, die sich heiter in die intelligible Welt seiner Ideale gefunden habe.

Da lachte sie hell, laut – aus ihrer intelligiblen Welt heraus.

*

Etwa vierzehn Tage später ging Wanda nach angestrengtem Tagewerk noch gegen Abend ein Stück spazieren. Es war an einem der wundervollen Septembertage, da noch alles grün und sommerlich und doch die scharfe Glut gemildert ist, da es noch blüht und duftet, aber um Busch und Baum die Dämmerung schon frühe Schatten webt und die lebendigen Düfte sich mit dem Atem der Verwesung zu mischen beginnen, da die Sommerfäden zarten Silberhauch von Stamm zu Stamm ziehen, der Mond schon hoch steigt, die Nächte kühl sind und die Winde nicht mehr so warm.

Die Breslauer Promenaden besaßen damals noch keine Palmengruppen und Springbrunnen, keine Festons von wildem Weine und keine Teppichbeete. Nichts von Luxusbauten oder Denkmälern ragte auf den alten Bastionen, nichts von Konzert- und Biergärten füllte ihre schattenreichen Gänge mit Lärm und übeln Dünsten. Es gab sogar noch Gegenden, wo dichtes Gestrüpp von spanischer Weide, Haselgebüsch und Ligusterhecken, alles ungepflegt und unverschnitten, versteckte Wandelgänge einfaßten, wo das Gras in die Wege hineinwucherte und hohe Platanen sich über morsche Bänke wölbten, während unter dem steilabfallenden Hügel die Wellen der Oder brausend einem Wehr entstürzten.

Wanda Rhode, von schwankenden Empfindungen hin und her gerissen, eilte fliegenden Schrittes den Stadtgraben entlang, nach dichterischem Ausdruck ringend, der sie wenigstens für Augenblicke von der Qual des inneren Widerstreites befreit hätte und der sie doch nicht eher befreien konnte, als bis sie diese Qual so hoch in sich gesteigert, daß dem Ausdruck Kraft und Präzision geworden wäre. Ein starker, aber weicher Wind wehte ihr entgegen, ein Wind, der in den Wipfeln der Bäume wühlte, unruhig flatternde Wolken über die Sonne spannte und sie wieder mit fortführte, mit zitterndem Flügel ihre Wangen streifte und seine Lieder in langgezogenen Klagetönen sang. Gereimte Zwiesprache mit dem beflügelten Genossen ihres Weges gab ihr doppelten Schwung der Empfindung und das wundervolle Gefühl des Zusammenhanges mit der Natur und des Hinausstrebens über irdische Gebundenheit. Ihre Sehnsucht stieg auf mit den Lüften, breitete Arme nach dem Himmel und kehrte wieder zurück nach ihrem Herzen, alles in ihr löste sich in ungestümes Verlangen nach dem Unfaßbaren, Unnennbaren, das heute künstlerische Begeisterung, morgen Liebe, heute Glück, morgen heißester Schmerz, der Seele Flügel löst und sie zu sich emporreißt in einem Rausch, der zugleich Wunsch und Erfüllung ist.

Doch was war das? Welches Irdische eilte ihr entgegen? Da! – wo die Sonne goldigen Flor zwischen die Stämme wob – regte sich's dort nicht? Raschelte nicht ein Schritt im dürren Laube? Knickten nicht Zweige?

Schlug da nicht eine Flamme aus dem Boden und loderte vor ihr auf, ihre Brauen versengend? Zitterte nicht in ihrer Glut Himmel und Erde und ihr Herz?

Und lag sie – jetzt – wirklich jubelnd, schluchzend an einem andern Herzen?

Elftes Kapitel.

Die Tage kamen und gingen. Es wurde Herbst, es wurde Winter. Anfang Dezember machte Eduard Gernoth wieder einmal in der Stadt von sich reden. Es hieß, er müsse wegen politischer Umtriebe fliehen, wenn er nicht den Kopf verlieren wolle. Andere prophezeiten wenigstens eine längere Freiheitsstrafe. Eines Tages war er wirklich fort, kein Mensch wußte wohin.

Über diese Sache mit den Ihren zu sprechen, war Madame Gernoth zu Rhodes geeilt, wo sie das gleiche Bedürfnis fand. So hatten sie denn alle drei lange zusammengesessen, allerlei Vermutungen getauscht und unerfreuliche Schlüsse gezogen. Danach hatte man sich anderen Dingen zugekehrt, Rhode hatte lebhaft politisiert; die Wogen des Zusammenstoßes reaktionärer und demokratischer Bestrebungen gingen wieder sehr hoch und regten die Gemüter gewaltig auf. Madame Gernoth war nicht ohne Interesse dafür, aber Wanda machte nur ihre scherzhaften Glossen darüber, sie war wirklich unglaublich unpolitisch. Zuletzt wurde sie ganz ausgelassen, von einer krankhaften, krampfhaften Ausgelassenheit. Ihrer Mutter war dabei nicht recht wohl: Wandas Lustigkeit bei der Flucht ihres Vaters kam ihr unnatürlich vor und verletzte sie, obgleich ihr selbst der Mann nichts mehr galt. Ihre Tochter machte ihr überhaupt schweren Kummer. Sie war ihr einmal Abends mit Kreowski begegnet und hatte sie trotz dichtester Verschleierung erkannt. Als wenn eine Andere ihre Figur und ihre Bewegungen gehabt hätte! Später hatte sie sie zur Rede gestellt und Wanda hatte erst geleugnet, dann alles zugegeben. Dabei war dann die Sache mit dem erbrochenen Sekretär zur Sprache gekommen. Frau Gernoth hatte das alles mit einem Schmerz erfahren, der ihr fast das Herz versteinerte. Nicht zu zählen waren die schlaflosen Nächte, die die Kenntnis dieser Dinge ihr kostete. So, so hatte sich eine Ehe gestaltet, auf die sie die frohesten Erwartungen gesetzt! So suchte sich ihre Tochter zu helfen, zu trösten! Das war das Resultat ihres harten Entschlusses, Wanda dem Einfluß des Vaters zu entziehen, daß sie nun neben einem andern Manne alle Eigenschaften dieses Vaters entfaltete.

Aber indem sie gegen ihre Tochter Partei nahm, konnte sie deshalb noch keine für Rhode nehmen.

Der Mann hatte sich entwaffnet. Die Spargroschen aus der Mädchenzeit einer Frau, mühsam mit Stickereien beim Talglicht erworben, anzugreifen – pfui! Sie den Gefahren, die in ihrer Natur lagen, zu überlassen, sie gerade in ihren besten Eigenschaften, der ängstlichen Rechtschaffenheit, dem haushälterischen Sinn zu treffen – thöricht bis zur Verächtlichkeit! Und wenn sie hier auch nicht ganz gerecht war, da sie nichts ahnte von jener unpersönlichen Selbstsucht eines starken idealen Triebes, um so sicherer erkannte sie die Unwahrheit eines Solidaritätsgefühles, das einseitige Interessen solidarische nannte.

Wie häuslicher und geselliger Zwang so tausendmal im Leben seine Schleier über Abgründe breitet! Unter ernstem, ruhigem Gespräch, unter Plaudern und Scherzen – wieviel verheimlichtes Mißtrauen, wieviel verstecktes Schuldgefühl, wieviel übertünchte Lüge!

So auch hier.

Man saß zusammen, mutmaßte und folgerte, lachte und lächelte, und in der hellen Sonne, im traulichen Lampenschein, saßen zwischen den drei sich so nahe Stehenden Gespenster, die der eine nicht sah und die beiden andern ignorierten. Frau Florentine hatte plötzlich den Eindruck, als ob Wanda auch ihr etwas verheimliche, als ob eine Unruhe sie foltere, eine Niedergeschlagenheit sie drücke, die sich weder auf ihr Verhältnis zu dem Doktor noch auf diese unselige Liebelei bezöge. Diese jungen Frauen – ob am Ende – Jesus, das fehlte nun grade noch!

Gegen sieben wollte Madame Gernoth gehen, blieb aber und ließ sich von Rhode ein paar gelehrte Geschichten vormachen, Experimente, die damals neu waren, während Wanda sehr eilfertig das Abendbrot rüstete. Dann aßen sie zusammen und schließlich bat die Großmutter, Clärchen zu Bett bringen zu dürfen.

Es war erst halb acht, da man von Tische aufstand.

»Es ist mir sehr lieb, Mutter, wenn Du mir Clärchen abnimmst,« sagte Wanda hastig, »ich muß schnell noch mal zur Kleideranprobe.«

»Jetzt?«

»Ja.

Die Mädchen nah'n im Flittertand 
Mit bunter Bänder Wallen,
Ach! wer giebt ein Festgewand,
Dem Liebsten zu gefallen!

– oder auch:

Und den goldgestickten Schleier
Legt sie an, das Glanzgeschmeide,
Zu des Tages hoher Feier
Rauscht ihr Gang von stolzer Seide.

– kurz gesagt: ich habe kaum mehr meine Blöße zu decken, und also addio! – Kuß das Kind? Ja, mein Clärchen, mein kleines artiges Mädelchen.« Sie küßte das Kind mit der Heftigkeit irgend einer seltsamen Erregung.

Mann und Mutter wollten sie trotz ihrer Schnaken nicht gehen lassen, aber da kam es heraus, daß sie oft des Abends kleine Besorgungen mache oder ein Stück an die Luft gehe, wenn das Kind zu Bett und der Doktor in seinem Klub sei, und daß ihr noch niemals eine Unannehmlichkeit widerfahren.

Und damit hatte sie auch schon Hut und Mantel angelegt, küßte das Kind nochmals, sagte den andern: »In einer halben Stunde bin ich wieder da,« und eilte fort. Die Mutter seufzte und schloß die Reste des Abendbrotes weg, der Doktor ging in sein Zimmer. Er hatte die Absicht gehabt, noch in eine politische Versammlung zu gehen, aber er wollte Frau Gernoth beweisen, daß er bisweilen abends zu Hause sei.

In seinem Zimmer überkam ihn eine sonderbare Unruhe, er ging wieder in die Wohnstube, öffnete das Fenster und sah hinaus, um Wanda zurückzurufen. Aber in dem schwachen Dämmerlicht und den tiefen Schatten, die ein paar Öllämpchen auf den Schnee draußen warfen, war nichts mehr von ihr zu sehen. So kehrte er zurück und nahm sich vor, jetzt öfter des Abends zu Hause zu bleiben. Er hatte sie am Flügel und mit ihren Gedichtbüchern immer sehr gut aufgehoben geglaubt und nicht daran gedacht, daß das Alleinsein, einen Abend wie den andern, Gift für ihr unruhiges Gemüt war. Jetzt machte er sich Vorwürfe, daß die Einsamkeit sie noch oft spät auf die Straßen trieb, um irgend welche Lappalien einzukaufen.

Unterdessen trug die Großmutter das Kind, das schon auf ihrem Arme eingeschlafen war, in das Schlafkabinett, in dem eine schmauchende Nachtlampe an Wände und Decke groteske Schatten warf, kleidete ihr Enkeltöchterchen aus, indem sie beständig in jener zärtlichen und zugleich monoton einschläfernden Weise zu ihm sprach, mit der man übermüdetes kleines Volk zur Ruhe bringt, und sah dabei in Gedanken immerfort ihre Tochter mit schnellen Füßen über den Schnee laufen, immerfort, ohne Ziel und Ende. Sie seufzte, lüftete dem Kinde nochmals die Kissen, deckte es zu und faltete die Hände, aber das Bild vor ihren Augen wich nicht.

»Beten, mein Clärchen!«

Die Kleine war so verschlafen, daß sie nur mit den Augen blinzelte, den Kopf wieder fallen ließ und sich hinlegte. Doch die Großmutter, der Pünktlichkeit und Ordnung auch der höchsten Instanz gegenüber über alles ging, richtete das kleine Mädel abermals auf und prägte ihr die Notwendigkeit seines Nachtgebetes dringlichst ein.

»Ja,« sagte das Kind gehorsam, aber von Schläfrigkeit ganz verwirrt, schlug die Augen weit auf, legte die Fingerchen ineinander und sagte dann feierlich:

»Mein dunkles Herze lieb' Dich,
Es lieb' Dich und es bicht –«

»Schon gut, schon gut!«

»Amen, gute Nacht, Großel.«

Und da schlief sie auch schon.

»Großer Gott, was für Zeug,« flüsterte die Frau und sah gramerfüllt auf das kleine Ding nieder. »Rechne es ihr nicht an, mein Gott. Und behüte sie, mein Gott, behüte sie vor – vor –«

Ach! man spricht nicht alles aus, was man denkt, nicht einmal vor Gott.

Es kam ihr heiß und schwül im Zimmer vor. Sie stand auf, ließ das trübe Nachtlichtchen etwas höher aufflammen und wollte sich eben mit einem Strickzeug wieder an das Bett des Kindes setzen, als eine klaffende Schrankthür ihren Ordnungssinn beleidigte. Sie suchte sie zu schließen, öffnete sie, weil sie klemmte, weiter und sah das Kleid, zu dessen Anprobe Wanda gegangen, fertig dahängen; ein Anblick, der der graden Frau die Schamröte für ihre Tochter ins Gesicht trieb.

Wanda hatte also gelogen. Das Lügen gehörte sonst nicht zu ihren Fehlern, sie war sogar wahrhafter und offenherziger, als zu sein klug ist. Wenn sie hier die Unwahrheit gesagt, konnte es nur einen Grund haben: sie war gegangen, ihren Liebhaber zu treffen.

Sie schloß den Schrank wieder, setzte sich steif in den Stuhl und starrte vor sich hin. Ihr sonst noch regelmäßig schönes und keineswegs ältliches Gesicht sah aus, wie das eines bekümmerten alten Mannes.

Nebenan hörte sie den Doktor mit Papieren knistern, den Stuhl rücken, auf- und abgehen und endlich mit seinen Apparaten hantieren. Ein eigentümlicher Geruch verriet ihren empfindlichen Sinnen, daß er die Zink-Kohlenelemente eingesetzt hatte. Er hatte ihr das vorhin gezeigt und sie belehrt, wie man in einem Augenblicke den Strom her- und die Verbindung wieder abstellen könne. Und sie lächelte vor sich hin. Unzweifelhaft: in der Tiefe seines Herzens war ein Strom von Liebe für ihre Tochter – aber der Mann verstand es nicht, die Verbindung zwischen dem praktischen Leben und diesem Strome herzustellen. Der Thor!

Er verstand es nicht, weil da etwas war, das eine Binde um seine Augen legte, seine Hände fesselte, seinen Sinn bethörte, und ihn hinderte, diesen Strom herzustellen. Ach – sie wußte recht gut, was das war, sie hatte es selbst erfahren! Es war der Mangel an höchster Achtung, den der Mann der Frau als einer ihm nicht Gleichstehenden bezeigt, und der der verderbliche Dämon ist, der alle Paradiese in Wüsten verwandelt, die Ströme der Liebe versiegen und die Funken lebendigen Lebens verlöschen läßt. Wenigstens war das die Meinung von Madame Gernoth. –

Wenn sie ihm das alles sagte? ihn warnte, ihn beschwor, ihm alles rückhaltlos mitteilte?

Sie stand auf, zögerte – und ließ es.

Es war eine so verhaßte Rolle, die der warnenden, scheltenden Schwiegermutter.

Und warum vorzeitig Unfrieden erwecken? Kam er, so kam er früh genug. Warum ihr Kind anklagen vor diesem Thoren, der selbst nicht schuldlos war, der seine Hände befleckt hatte, mit einem Eingriff, der Unrecht war, auch wenn ihn tausend Gesetze ein Recht nannten? So wenigstens empfand sie.

Sie war nicht unfähig, sich seine Not, die Heftigkeit seiner Wünsche vor Augen zu halten, aber ihr Herz schrie darnach, ihr Kind, obschon sie es verurteilte, zu verteidigen, und dieses Verlangen entsprang dem verletzten Rechtsgefühl der Frau, die selbst Unrecht gelitten, wo ihr Schutz verheißen worden war.

Die Hälfte der Schuld lag auf ihm – mochte er ihren Fluch tragen.

Als Wanda Rhode die Straße betrat, wunderte sie sich, daß es so kalt geworden war. Es war zwar nicht mehr als drei Grad unter Null, aber die Luft war rauh und scharf. Auf den Straßen lag ein dünner, trockener Schnee, der im Mondschein schimmerte. Glitzernd standen Brunnen und Laternenpfähle, Bäume und Sträucher, alle von buntem Rauhreif überzogen. Doch es sollte noch schöner kommen. Sie mußte das Stück Promenade nehmen, das sich von der Ziegelbastion bis zur Universitätsbrücke den Strom entlang hinzieht. Dort, in geringer Entfernung von der Brücke, erhob sich ein anderer vom Festungswall stehen gebliebener Hügel, der Eisberg. Auf ihm war die Begegnung verabredet.

Es war ein öder, menschenleerer und schlecht beleuchteter Weg, doch bei Vollmond sehr gut passierbar und verklärt von zauberhafter Schönheit. Unwillkürlich verlangsamten sich ihre Schritte. Man betritt nur bebenden Fußes ein Feenland, in dem, dem traumhaften, bleichen, doch alles zuckt in millionenfachem, buntem Geflimmer. Da waren die großen, feierlichen Platanen, die ihr undichtes, hellfarbiges Astwerk, daran im Sommer die großen tiefschattigen Blätter prangen, weit ausbreiteten wie glänzende Arme, da die ehrwürdigen Nußbäume und traulichen Linden, die stämmigen Kastanien und zierlich verästelten Buchen, und alle hatten sich die gleißende Verzauberung gefallen lassen müssen, so gut wie die Flieder- und Goldregenhecken, wie die Reste dürftigen Grases und das niedrige Fichtengesträuch am Wege, wie Weg und Steg selber.

Die Oder war fest gefroren und auf ihrer bläulich-silbernen und doch bunt überflimmerten Decke zogen ein paar einsame Schlittschuhläufer ihre Kurven.

Es war so schön, daß sie sich fragte, ob irgend ein Sommertag mit goldigen Lüften und prangendem Grün sich damit vergleichen ließe, so fremdartig, so märchenhaft schön wie die Welt verbotenen Glückes, die ihre Liebe war, mitten in dieser kahlen, nüchternen Alltagswelt.

Und da kam der Erwartete auch schon! In einen weiten, faltenreichen Burnuß gewickelt, die viereckige Polenmütze auf dem Kopfe, die ihm so gut stand, kam er ihr entgegen.

»Mein Lieb, mein Lieb,« flüsterte er und schloß sie in die Arme. Wie poetisch und romantisch das war, im Mondenschein über knisternde Stege durch den knirschenden, leuchtenden Schnee zu gehen und zu hören, daß man geliebt werde, daß man schön sei, genial und hinreißend, daß jeder Gedanke eines andern, jeder Vers, jede Melodie, jede Empfindung einem gehören, und versichern zu dürfen, wie man dieser kurzen Stunde entgegengejubelt, wie sie das Glück und der Glanz des Lebens sei.

Und wie ernsthaft-heimlich es war, sich dazu aus dem grellen Mondlicht in den Schatten der ehrwürdigen Alma Mater zu ducken, die fromme Jesuitenpatres erbaut, um verbotener Liebe Schirm zu gewähren.

»Was hast Du heute getrieben, mein Glück?« fragte er.

»Ein bischen genäht, Wäsche gefaltet, mit Clärchen gespielt, nach dem Himmel gesehen und immer an Dich gedacht. Und was Du?«

»Meine Serenade ins Reine geschrieben, eine Chorübung abgehalten, ein Stück spazieren gegangen und mich auf Dich gefreut. Macht es Dich glücklich, an mich zu denken?«

»Über alles glücklich! Ewald hegt irgend einen großen Plan, ich glaube, er bildet sich ein, man könne Leute mit elektrischen Funken gesund machen – das macht ihn ganz geistesabwesend, oder entgeistert mich oder macht mich zu einem Gespenst, ich weiß nicht: er sieht mich, scheint es, überhaupt nicht mehr. Aber freilich, ich sehe ihn auch nicht mehr, ich sah nur Dich, immer nur Dich, Lieber, immer nur Dich.«

»Meine Fee, meine Göttin, mein Engel! Daß ich doch neue, süße, hohe Namen erfinden könnte. Dich zu ehren – aber nun ist meine Phantasie zu arm. Viel, viel zu arm. Und ich kann nur kläglich nachstammeln, was andere vor mir gestammelt. Du über alles Geliebte.«

»Das ist das liebste, was ich höre.«

Aus dem Austausch zärtlicher Versicherungen wurde die Unterhaltung schließlich ein allerliebstes kleines Fachgespräch. Es war so langweilig, an diesen einsamen langen Winterabenden immer bloß zu lesen und zu singen. Wanda Rhode beschäftigte sich neuerdings damit, englische Gedichte zu übersetzen. Das war eine anmutige kleine Anstrengung, die sie unterhielt und davor bewahrte, zu viel eigene Verse zu machen, die ihr allzu leicht von statten gingen und die gewissenhaft zu feilen sie noch nicht kritisch genug war, so daß die Arbeit daran das Gefährliche, Gefühlen starke Wendungen zu suchen, aufgehoben hätte. Aber das Übersetzen war richtige Arbeit, die sie von ihrer Subjektivität und der schwankenden Unruhe ihres Inneren abzog. Sie trug dem sanften und verständnisvollen Witold daher gern Text und deutsche Fassung vor, und dann hatten sie ihre kleinen Diskussionen über ihren und den Urtext, die sehr ernsthaft und lebhaft geführt wurden und von denen man dann zu musikalischen überging.

Wanda Rhode wollte heute schwören, daß eine Melodie, die sie zu summen anfing, aus einer Mozart'schen Symphonie sei, Kreowski schwur auf Beethoven.

»Wenn Du jetzt ein Mann und mein guter Freund wärest,« sagte er scherzend, – »wir sind keine fünfzig Schritte mehr von meinem Hause – wie hübsch, wenn ich jetzt sagen könnte: komm' mit herauf, ich habe den Klavierauszug oben – und Du wärest geschlagen.«

Sie lächelte, und still gingen sie weiter. Leise sang sie die Stelle wieder. »Es ist nicht einmal ganz richtig so, es ist so: la – la – la – lalala, lala.«

Da standen sie vor seinem Hause.

Sie zuckte an seinem Arm:

»Zeig mir den Klavierauszug.«

»Wirklich?«

»Was ist da auch Schlimmes!«

»Wanda –«

»Du willst wohl nicht?«

Er lächelte seltsam, sah sie an und flüsterte endlich:

»Ein Mann – sagt da nicht nein.«

Sie zögerte einen Augenblick. »Ich komme bloß als guter Freund.«

»Hm, – Du bist es aber nicht. Willst Du wirklich?«

»Ja.« Er gab ihr den Arm, an den sie sich leise lachend hing. »Ich glaube, das ist ein Abenteuer, wie?«

»Ja, es ist eins.«

»Ist das drollig. Weißt Du: ich habe mir immer schon gewünscht, einmal ein kleines Abenteuer zu erleben.«

Er drückte ihren Arm: »Leise, ganz leise. Und vorsichtig! Flur und Treppen sind finster –«

»Das seh ich wohl.«

»Halte Dich ganz fest an mich.«

»Ganz fest.« So stiegen sie hinauf, zwei sich wendende Treppen, auf die die Mondhelle des Himmels ein leises Dämmerlicht fallen ließ. Dann schloß er eine Thür auf. Als sie in dem dunkeln kleinen Vorzimmer standen, drückte er sie an sich und küßte sie heftig.

Es wurde ihr ein wenig schwül und, sich losmachend, sagte sie eifrig: »Mache Licht.«

Er zündete eine Kerze an und dann eine schlechtgeputzte messingene Öllampe; und er that es mit zitternden Händen, fahrig, unsicher.

Wanda merkte es nicht. Das Herz klopfte ihr ein wenig, denn was sie that, war nicht in der Ordnung, aber sie war mehr belustigt von ihrer Keckheit, als fassungslos. Mit der Harmlosigkeit eines genialen Kindes, das sie war, stand sie in der Stube des Mannes, den sie liebte und der sie liebte, und betrachtete das sehr einfache Möblement, die nicht sehr sauberen Gardinen, die Musikinstrumente und Lithographien, die an den Wänden hingen: eine Guitarre, ein Waldhorn, eine Geige in grünem Flanellbeutel, ein Tod Kosziuskos und Sobieskis Sieg über die Türken.

Indessen blätterte und suchte er in einem Noten-Folianten und schien nicht finden zu können, was er suchte. »Endlich! Da!« Er drehte sich nach ihr um und sah sie mit einem seltsamen Lächeln an, die, da es heiß im Zimmer war, eben den Mantel aufknöpfte. Er sprang hinzu und nahm ihn ihr ab. »Du bist so blaß,« sagte sie.

»Ja, mein Gott« – und immer wieder mußte er eine rebellische Locke aus dem Gesicht schieben, die zu tief hineinfiel. »Ich – ja – ich werde das jetzt spielen. Siehst Du: Beethoven.«

»Ich bin geschlagen.«

»Soll ich spielen?«

»Aber natürlich.«

Er schlug den Deckel des kleinen Pianos auf, das in einem Winkel stand, stellte Notenbuch und Lampe darauf: »Ich kann es auswendig, aber – damit Du Dich überzeugst,« sagte er heiser.

»Ja. Ach, Deine Lampe! Die muß Dir die Wirtin einmal blank putzen.«

»So?«

»Und dieser Staub hier! Du, Du, weißt Du, wie man das nennt: polnische Wirtschaft.« Sie lachte leise.

Er lächelte mit schmerzlicher Ironie.

»Man muß heiraten – nicht wahr? – man sollte – – hier ist die Stelle!«

»Fang nur an.« Und da spielte er, schlecht zuerst, mit klammen, zitternden Fingern danebengreifend, ausdruckslos; dann wunderschön, singend, schwellend, jubelnd, groß und edel.

Wanda Rhode hatte in einem Rohrlehnstuhl Platz genommen und hörte ganz verloren zu. Ihr kleines Abenteuer war beinahe feierlich, ja wirklich, es war feierlich, die Thränen traten ihr in die Augen, während sie auf die grün schablonierte Wand und den Sieg Sobieskis starrte. Als er aufschaute, war eine Pause zwischen ihnen.

»Spiel' jetzt was Lustiges,« sagte sie; »ich bin ganz traurig geworden, ganz traurig. Spiel' einen Krakowiak.«

»Gewiß.« Und er spielte. Er spielte glühend, er spielte seine ganze Leidenschaft in die Wirbel eines Nationaltanzes, sein ganzes heißes Mannesbegehren, das ihr harmlos-kecker Besuch heraufbeschworen.

Es zuckte Wanda durch alle Glieder, sie bewegte den Kopf nach der Melodie, fing an, sie mitzusingen und endlich mit den Füßen leicht den Takt dazu zu treten. Mit einem Mal brach er ab und sprang auf, auch Wanda erhob sich, Zärtlichkeit, Lust und Übermut sprühte aus ihren Augen. »Ich danke Dir sehr, es war schön. Und nun geh' ich wieder,« sagte sie.

Der Pole aber stürzte vor ihr nieder, umklammerte ihre Kniee und drückte den Kopf in die Falten ihres Kleides. »Du – bist zu mir gekommen – Du –«

»Steh' doch auf, Witold,« bat sie ängstlich.

Da stand er auf. »Liebst Du mich aber? Sehr!? Sehr?«

»Ich lieb' Dich sehr.«

Aber während sie sich an ihn lehnte, überkam sie ein Angstgefühl und eine heiße Unruhe, und sie suchte sich wieder los zu machen. »Laß mich, Witold.«

Doch er umschloß sie nur fester, und während er sie an seine schweratmende Brust drückte, knüpften die Finger seiner Rechten an einem kleinen Tuch, das sie, um den Hals trug, und an den Bändern ihres Hutes. »Laß' doch das.«

»Laß'? – ja – laß' nur, gieb – Deinen Hut – und das auch – das – Du mein, mein, mein!«

»Witold, was thust Du denn, was fällt Dir ein!«

»Ich lieb' Dich, ich lieb' Dich! und Du – wirst mir angehören, ganz mir, mir, süßestes Weib!«

Sie gab ihm einen Stoß vor die Brust, daß er zurücktaumelte, griff nach ihrem Mantel, den sie schnell umwarf und rannte hinaus, die dunkeldämmerigen Treppen hinunter, zitternd, mit einem Herzklopfen, das ihr den Atem benahm, ganz aufgelöst von Scham und Zorn. »Diese – Bestien, ob sie weiter nichts wissen! Diese Bestien!«

Jetzt – rechts oder links? – rechts – dort die Hausthür – – Gottlob, sie war gerettet!

Gerettet – ja. Die Liebe in Feiertagsgewändern hatte ihre Schleier abgeworfen und sich frech und hohnvoll gewandelt, die Himmlische hatte die Engelslarve abgethan und sie angestiert mit brutalem Grinsen. Warum hatte er ihr das angethan! Was sie bei ihm gesucht, war ja doch nur die Poesie der Liebe, das selige Wandeln in ihren lichteren Vorhöfen, war gerade das, was die Ehe nicht war.

Und dann – überkam sie mit einem Male das gräßlichste Gefühl, wie ein Glutstrom, der sich aus seinem Begehren in ihr Blut ergoß: sie wäre vielleicht eines Tages – nicht heute, nicht morgen – doch wer kann für alle Zeiten gut für sich sagen? – vielleicht – diesem Begehren gewichen –

Nein! nein! gewiß nicht! nie!

Aber schon daß sie es einen Augenblick lang denken gekonnt, war möglich, weil er ihre Liebe in den Staub getreten und den Boden, auf dem sie gewandelt, unter ihr fortgezogen!


Wanda war etwa eine Viertelstunde fort, als Rhode mit einem Licht in den Händen bei Madame Gernoth eintrat, die im Wohnzimmer am Fenster stand und in die Schneenacht hinaussah.

Er sah blaß und aufgeregt aus.

»Ich habe keine Ruhe – es war Unrecht, sie allein fortgehen zu lassen – und sie sagte, sie gehe manchmal des Abends allein fort – wohin geht sie, da es sich nicht immer um ein Kleid handeln kann?«

»Sie ist auch heut nicht um das Kleid gegangen,« sagte Frau Florentine hart, »es hängt fertig im Schrank.«

»Mein Gott, was soll das denn heißen? und warum machen Sie so unheimliche Augen, Mama? Sprechen Sie doch.«

Sie zögerte. »Soll ich zur Verräterin meines Kindes werden?« sagte sie dann.

»Um alle Barmherzigkeit, foltern Sie mich nicht so! Ich habe ein Recht zu wissen, was Sie wissen.«

»O ja,« sagte die Frau bitter, »Rechte haben Sie immer, ob Sie auch Pflichten haben, größere Pflichten, als Ihre Frau dürftig satt zu machen, darnach fragen Sie nicht. Also denn: sie hat ein Liebesverhältnis mit dem Musiker Kreowski.«

»Nein!« schrie er.

»Ja.«

»Seit wann?«

Madame Gernoth tupfte ein paarmal leicht auf den verhängnisvollen Sekretär und sagte: »Seit Sie – das Geld hier herausgenommen haben.«

Einen Moment lang war eine Totenstille zwischen ihnen. »Es ist dennoch nicht wahr,« sagte er endlich gequält.

»Ich traf sie jüngst zusammen, unweit des Kaiserthores am Eisberge. Ich glaube, sie treffen sich öfter dort. Gehen Sie sie suchen.«

»Ich gehe,« sagte er heiser.

»Vergessen Sie indes nicht, welcher Teil der Schuld an Ihnen liegt. Ich möchte mein Kind nicht einem uneinsichtigen Richter verraten haben, sondern einem, der fühlt, daß er –«

»Mitschuldiger ist. Ich begreife.«

Sie leuchtete ihm, Hut und Mantel zu finden. Beide zitterten. Es war kalt und eine große Qual in beider Seelen. Dann ging er.

Die Luft war rauh, bunt glitzerte der hartgefrorene Schnee und knirschte unter seinen Tritten.

»Es ist ja nicht möglich, nicht möglich!« dachte er immerfort. Er sah sie ganz deutlich vor sich, ganz nahe, mit diesem geistreichen Nixenlächeln, mit diesen leuchtenden Augen, mit dieser schmalen, leicht geschwungenen Nase, dem edlen Oval, dem Rhythmus aller Linien und Bewegungen: das »Wunder eines Weibes,« das er sich langsam gewöhnt hatte, zur Haushälterin und zum Objekt seiner gewohnheitsmäßigen, pflichtmäßigen, handwerksmäßigen Zärtlichkeiten herabzudrücken, denen alles Impulsive, alles Innerliche, alles Tiefe und Verehrungsvolle abhanden gekommen war. Und mit dieser Art Zärtlichkeit hatte er sie von sich gedrängt, der Zärtlichkeit eines andern entgegen – – bis – wohin?

Bis – bis –? Er mochte es nicht ausdenken?

Bis zur Vernichtung ihrer und seiner Ehre ....

Nein, nein – das war unmöglich! so weit verlor sie sich nicht, so weit hatte er sie nicht verloren!

»Gott, mein Gott!« schrie es in ihm, während heiße Glutwellen ihm zum Herzen schossen. »Gott im Himmel – das nicht!«

Da war der Eisberg – da das Kaiserthor! Er blieb einen Augenblick stehen; wohin sich wenden?

Da sah er eine weibliche Gestalt die Burgstraße herunter fliehen. »Wanda!«

»Ah! – Du?«

»Was thust Du hier?«

»Ich bin auf dem Nachhausewege.«

»Warum bist Du so sehr gerannt? Deine Wangen glühen und alles zittert an Dir.«

Da brach sie in Thränen aus. Er nahm ihren Arm und zog ihn unter seinen. »Wanda, um Gottes willen, was ist vorgefallen, verschweige mir nichts.«

»Dieser unverschämte Mensch, dieser –«

»Kreowski?«

»Woher weißt Du –?«

»Genug, ich weiß, daß Du mit diesem Manne – ein – ist es denn wirklich wahr?«

»Nun – ich hatt' ein bischen eine Liebelei mit ihm – ja! Man will eben auch irgend etwas vom Leben haben, wenn man – doch eigentlich – keinen Mann hat!«

»Du hast keinen?«

»Nein. Gerade zum Suppe kochen, Socken stricken und – und – na ja, prachtvoll! Und Kreowski, der liebte mich wirklich und ehrte mich so hoch und war immer so zart und rücksichtsvoll, und nun – – ach!«

»Sprich doch bloß, sprich!«

»Nun stritten wir uns, ob Mozart oder Beethoven – und sind gerade vor seiner Wohnung – und ich sag: ich werde mit hinauf gehen, da können Sie nachsehen. Und so gehen wir hinauf. Und dann – wird er eben unverschämt! Wo ich mit keiner Seele an so was – Greuliches gedacht hab! – Jesus – das, ja das kann ich freilich zu Hause auch haben! Und ich wollte doch Liebe, Liebe, richtige Liebe! Ach wie ich ihn hasse!«

Er atmete auf. Sie war doch ein Kind, ein glänzendes, geistreiches Kind. »Hassest Du mich auch?« fragte er zärtlich.

Sie antwortete nicht. Schluchzend ließ sie den Kopf auf seine Schulter sinken, im Schmerz über ihre gekränkte und verlorene Liebe in dem Gatten den Freund suchend, dem sie ihre Klagen darum ausschütten dürfe.

Doktor Rhode nahm ihren Schmerz für Reue und eheliche Zärtlichkeit. Ohne weiter zu sprechen, gingen sie nach Hause. Als Madame Gernoth, die angstvoll am Fenster harrte, sie Arm in Arm in die mondbeglänzte Straße einbiegen sah, verließ sie die Wohnung und schlüpfte nach der andern Seite hinunter. Sie war nicht die Person, die Dritte abzugeben, wo zwei Eheleute miteinander fertig werden mußten. Genug, daß sie zusammen kamen. –

Er führte sie in sein Studierzimmer, das die Wärme am besten zu halten pflegte, nahm ihr Hut und Mantel ab, rieb ihr die erstarrten Hände und braute ihr über der Berzeliuslampe einen Thee. Dann setzte er sich neben sie, umschlang sie, strich ihr das Haar aus der Stirn und trocknete ihre Thränen.

Sie ließ ihn schweigend gewähren, merkwürdig schnell beruhigt und ohne auf seine Zärtlichkeit zu reagieren.

Endlich sagte er weich:

»Wanda, laß' mir Dir etwas erzählen. Es war einmal ein Mann, der besaß einen köstlichen Diamanten, auf den war er über die Maßen stolz, steckte ihn in einen ledernen Beutel, den Beutel in die Tasche und zog seines Weges, Kiesel zu suchen. Wie er sich aber nach einem gar großen, blanken Kiesel bückte, fiel ihm der Beutel samt Kleinod hinaus, und er merkte es nicht. Da kam einer des Weges, der hob den Schatz auf und hätte ihn – beinahe – zu sich gesteckt, wenn der andere es nicht plötzlich gemerkt und ihm den Demant noch rechtzeitig entrissen hätte. Wanda – und war der Mann sehr dumm oder – sehr schlecht?«

»Sehr dumm.«

»Und wenn der Dumme fortan ein ganz, ganz kluger Mann sein will und sein Kleinod allezeit an seiner Brust hegen als das größte Gut und den einzigen Schmuck seines Lebens – Wanda?«

Sie schwieg und lächelte seltsam. Er dachte sich das so billig, so leicht. Glaubte er mit einer Parabel und ein paar Küssen, glaubte er mit einem Versprechen die Schuld jahrelanger Vernachlässigung, all' der egoistischen Rücksichtslosigkeit, die sich mit der Neigung eines Mannes zu verschmelzen weiß, vergessen zu machen? Es ist der Nachteil des Mannes in der Ehe, daß er zu wenig über sie nachdenkt, indes die Frau, der sie einziger Beruf ist, den Wert aller ihrer Beziehungen und Stimmungen, jedes Mißverständnisses, jedes schwebenden Wortes durchzudenken Gelegenheit nimmt. Oder vielleicht auch ist das sein Vorteil, diese größere Plumpheit des Empfindens.

»Warum lächelst Du so seltsam, so ironisch?« fragte er unsicher und von ihrem Schweigen verletzt.

Wanda Rhode nahm einen Streifen Papier, der auf dem Tische lag, wickelte ihn über die Finger und wieder ab und sagte dann:

»Diese Parabel, die Du da erzähltest, klang ja sehr schön und war gewiß ehrlich gemeint, schließlich – war sie doch nur Phrase. Denn jenem Manne mit dem Kleinod, das er fernerhin hüten und ehren will, wird diese gute Absicht nicht lange nützen. Bei nächster Gelegenheit werden ihm die Kiesel doch wieder als Brillanten gelten, und er wird sich nach ihnen bücken und den »Demant,« wie Du sagtest, vergessen. Wie denn keiner für seine Augen kann und alle Dinge den Wert haben, den unsere Augen ihnen geben.«

»Wage es immerhin noch einmal auf meine Augen!« bat er. »Versuche es noch einmal, mich ein bischen lieb zu haben, mich zu verstehen, Dich in meine Interessen einzuleben und so Nachsicht mit mir zu haben. Und Du wirst mir nie mehr verloren gehen, noch ich Dir.« Sie sah ihn an, der bittend die Hände nach ihr ausstreckte, und eine Rührung überkam sie, ein Zittern und Aufschluchzen. »Wanda!«

»Ach, es ist zu, zu gräßlich!«

»Was?«

Sie stand auf, stützte die Hände auf die Tischkante und starrte gequält in eine Ferne, die nicht da war.

»Was ist Dir, Kind? sprich doch! Sage mir, was ich thun soll, daß alles wieder gut würde! Habe doch noch einmal Vertrauen zu mir!«

Sie lächelte trübe.

»Habe mich doch noch ein einziges Mal lieb!« Die Stimme brach ihm fast vor Schmerz, und Thränen traten ihm in die Augen. »Wanda!«

Da sprach sie.

»Dies wäre die Stunde, könnte sie sein, die uns alles wiedergäbe, alles verlorene Vertrauen, alles verlorene Glück, jene goldnen Tage, jene junge Seligkeit –«

»Und warum kann sie es nicht? Laß' sie uns das doch wiedergeben. Liebste! Warum sollte uns das alles nicht wieder werden?«

»Weil – ach Gott! – weil – das wieder ist ... Alle diese Qualen, diese Not und dieses Elend. Und ich will nicht, will nicht! Lieben? man liebt doch nicht seinen Peiniger und Verderber!«

»Deinen Peiniger –«

»Neben Kreowski konnte ich es wenigstens vergessen. Aber hier, hier, wo die Angst vor dem Ende in jedem Winkel lauert! Und wenn ich nur wenigstens diesmal stürbe, daß ich es nicht ein fünftes Mal erleben müßte! wenn ich lieber vorher stürbe!«

»Also das ist es? – Und das ist Dir so schrecklich?«

»Es zerreißt mir die Seele! Ich will nicht! Es wird auch wieder sterben! Ewald, hörst Du denn nicht? ich will nicht! Ich will lieber sterben!«

Er schloß sie in die Arme, gab ihr hundert gute, zärtliche Worte und suchte sie zu beruhigen. Aber ein Dunst von Bier und Tabak, der von seinen Lippen und aus seinen Kleidern auf sie eindrang, erregte ihr ein widriges Gefühl und machte jedes Wort von vornherein zu einem verlorenen.

Sie machte sich los von ihm, der verzweifelnd wahrnahm, wie ihre Erregung sich zur Ekstase steigerte. »Da hinten, ganz dort in der Ferne, siehst Du, da lauert es – und kommt heran – immer näher – das – und das andere Gräßliche: die Geldnot, der Ärger, der Schmutz und das Schrecklichste, – – der Tod! Und da wieder – da! – die Sehnsucht nach Glück und Leben, nach Schönheit, nach Rhythmen und Tönen – und nach Liebe, Liebe, Liebe

»Wanda!«

»Und wenn es mich nicht tötet, wird es meine Seele verderben, hörst Du? meine Seele! Denn wer, wer ist Herr seiner Seele, wer von uns, die wir nicht einmal Herren unseres Leibes sind? wer Herr seines Hungers, seiner Sehnsucht?« –

Er zuckte die Achseln. Er beklagte sie, aber zugleich verletzte ihn ihr Abscheu vor einem Zustande, der ihr ihn selber abscheulich machte, der ihm Freude verhieß und der doch manche andere Frau selbst sogar beglückte.

»Es ist nutzlos und thöricht, sich gegen göttliche Einrichtungen aufzulehnen,« sagte er.

»Göttliche? Das ist kein Gott, dieser Schöpfer, der die Hälfte der Menschheit dem Manne in die Hände gespielt und mit der Mutterschaft geschlagen hat!«

»Du bist schrecklich.«

»Ich? nein. Jener!«

Er war allein.

Dumpf erschüttert, schweratmend, gefoltert von einem ungeheuren Schmerz, stand er lange inmitten des Zimmers und starrte auf die Thür, die sich hinter ihr geschlossen.

Dann trat er ans Fenster. Kein Mondstrahl traf das enge Gewinkel von Höfen und Hinterhäusern da draußen. Es war ganz dunkel. Dunkel wie diese ewigen Daseinsfragen, die der in glücklicher Geistesenge Lebende nicht kennt, und an denen der ringende Geist, das leidenschaftliche Gefühl zur eigenen Qual herumrätselt, um nur einen, einen Strahl zu erhaschen von dem ewigen Lichte, das er ahnt, einen Strahl, der seine Finsternis erhellte.

Aber es blieb dunkel, wie sehr er auch an den Falten des Mantels zerrte, in denen die Gottheit sich verhüllt; und seine Wünsche, seine Empfindungen blieben, die sie waren, wie sehr er an den Fasern des eigenen Herzens riß, das sein Verlangen dem Weibe zuwandte, die ihn ihren Peiniger und Verderber genannt.

Was war nun das Leben?

Nichts, nichts als ein beständiger Konflikt! Nichts als ein ewiges Gewühl von Täuschungen und Irrtümern des Kopfes und des Herzens! Nichts als ein Kampf, der hier vernichtet, um dort leben zu lassen!

Es blieb dunkel. –

Indessen hatte sich von einem Seitentische her ein feiner scharfer Geruch verbreitet, der jetzt seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er ging dorthin und beugte sich über den aufgestellten Apparat.

»Ah – die Zersetzung schreitet fort, schon entwickelt sich Strom. Es wird gut werden!« Und damit überkam ihn etwas wie frohe Zuversicht überhaupt. »Alles wird gut werden, alles! wird der Anfang neuen Glückes werden und herrlichen Gelingens.«

Er nahm es an mit dem Optimismus der moralischen Bequemlichkeitsliebe, des Ruhebedürfnisses; obgleich er ihn selbst anders nannte: ein neuerwachtes Gottvertrauen und einen starken Glauben an den Sieg des Guten in der Welt.

Adolf Niese, Saalfeld i. Th.


Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Darstellung abweichender Schriftarten: gesperrt, Antiqua, fett.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen,

Seite 20:
"aus" eingefügt
(einer Ode an den Frühling aus der Affäre zog)

Seite 32:
"Rythmus" geändert in "Rhythmus"
(sie summte, mit dem Kopfe den Rhythmus angebend)

Seite 34:
"weifelhaft" geändert in "zweifelhaft"
(die Richtigkeit Ihrer Auffassung zweifelhaft)

Seite 40:
"ebenbürtg" geändert in "ebenbürtig"
(geistig war er ihr durchaus ebenbürtig)

Seite 42:
"," eingefügt
(Teilnahme, Verständnis)

Seite 49:
"Réuinon" geändert in "Réunion"
(dämmerte der Morgen nach jener Réunion)

Seite 52:
"ge-gewesen" geändert in "gewesen"
(und das Wogen der ziehenden Nebel gewesen)

Seite 52:
"leichtbe-bewegten" geändert in "leichtbewegten"
(ihrer leichtbewegten Natur fiel das nicht schwer)

Seite 62:
"verlästert" geändert in "verlästerst"
(obgleich Du das Theater immer verlästerst)

Seite 76:
"," entfernt hinter "schlanke"
(ganz deutlich sah er die hohe, schlanke Gestalt)

Seite 82:
"daß" geändert in "das"
(dasselbe Gefühl sei, das er für sie trug)







End of the Project Gutenberg EBook of Eheglück, by Bianca Bobertag

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violates the law of the state applicable to this agreement, the
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trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    gbnewby@pglaf.org

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

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facility: www.gutenberg.org

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