Project Gutenberg's Die schwarzen Brüder. III. (of 3), by Heinrich Zschokke

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Title: Die schwarzen Brüder. III. (of 3)
       Eine abentheuerliche Geschichte

Author: Heinrich Zschokke

Release Date: July 9, 2013 [EBook #43165]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Die

schwarzen Brüder.


Eine abentheuerliche Geschichte
von
M. J. R.

Drittes und leztes Bändchen.

Leipzig und Frankfurt an der Oder,
bei Christian Ludw. Friedr. Apitz. 1795.

An
Wilhelm Burgheim.

 

Lieber,

Man las weiland so gern die wundervollen Märchen des Orients, und konnte sich nicht müde hören an den Plaudereien der schwatzhaften Scheherazade. — Aladins magische Lampe und seine ebentheuerliche Bewerbung um die schöne Prinzessin Badrulbudur entzückten mich, als Knaben, und, ich läugne es nicht, behagen mir in mancher Stunde noch izt.

Statt des orientalischen Märchens schrieb ich ein deutsches; statt der Zauberer und Elfen, an deren Existenz in Deutschland der Glaube selten geworden ist, erwählt’ ich den geheimen Bund einer ausgebreiteten Gesellschaft, und wo mir der Wunder noch nicht genug waren, schuf ich neue.

Ich schrieb dies Märchen in einer Periode meines Lebens, worin sich die üppige Phantasie noch nicht vor dem Gesetz der Kunsttheorien beugt, sondern gern, und darum oft, aus dem Lande des Wahrscheinlichen in die Labyrinthe des Wunderbaren hinübereilt. Ich kannte kein Gesetz und keine Sitte, sondern nur die Inspirationen meiner eigensinnigen Laune. Ich schrieb, und gewiß mehr zu meinem, als anderer Vergnügen. Es sollte Probearbeit seyn, meinen Pinsel zu prüfen, meiner Hand Festigkeit zu geben in der poetischen Zeichnung, und mich in den Farbenmischungen zu üben.

Ueberzeugt von dem wenigen Werth dieser Arbeit, die schon vor mehrern Jahren beendigt war, stand ich lange an, den Rest derselben herauszugeben. Es geschieht izt, wiewohl die lesende Welt gewiß durch diese Gutwilligkeit nichts gewinnt; es geschieht, theils um das schmeichelnde Verlangen meiner Freunde und mancher Unbekannten zu erfüllen, theils um eine Gelegenheit zu haben, öffentlich zu gestehn: daß das schönste Loos, welches ich diesem Märchen wünsche, sey — Vergessenheit! — Ist dieses erfüllt: so wird mir manche brennende Schaamröthe erspart seyn.

Nimm inzwischen, Du, mein Lieber, dieser Gemälde Schluß; lies und sinn, lächle und denke, wenn hie und da sich ein bekanntes Schauspiel vor Deine Seele hindrängt: es war und wird nicht wieder seyn!

Nimm diese Gemälde, aber nicht, als ein Ganzes, mit den nothwendigen Parthien kunstgerecht ausgesteuert, oder worin Licht und Schatten sorgfältig nach der Regel abgemessen wären; sondern denke, daß sie nur, als hingeworfne Linien, nie blinde Umrisse gelten können, an sich selbst ohne Werth, nur reich an Spielräumen für eine geschäftige Phantasie.

Nimm und denke, manches dieser Bilder sey ein Leichenstein erstorbner Freuden; ein kleines Monument grosser, seeligkeitsvoller Augenblicke, die wir einst unser nannten; ein trauriges Mementomori für die Himmeltage, welche für uns beide noch auf Erden, vielleicht in den paradiesischen Thälern der Schweiz oder Italiens anbrechen dürften.

Hinfällig sind aber diese Monumente, wie die Freuden selber waren, auf welche sie hindeuten. Mancher wird sie betrachten, sie tadeln, sie loben — aber gewiß, jeder wird sie vergessen. Nur Dich mögen sie in einer einsamen Stunde oft erinnern an Deinen Freund, den

Verfasser

Inhalt
des dritten Bändchens.

Erster Abschnitt.
Erstes Kapitel. Die Auferstehung.1
Zweites Kapitel. Idalla’s Hütte.11
Drittes Kapitel. Ein halbes Jahr.16
Viertes Kapitel. Die Erzählung.20
Fünftes Kapitel. Die Verwandlung.25
Sechstes Kapitel. Der Wechselgesang.29
Siebentes Kapitel. Das Abentheuer im Walde.37
Achtes Kapitel. Louisens Erscheinung.42
Neuntes Kapitel. Imada.49
Zehntes Kapitel. Der Winter.56
Zweiter Abschnitt.
Erstes Kapitel. Auswanderung in die neue Welt.60
Zweites Kapitel. Das Abentheuer am Schlagbaum.65
Drittes Kapitel. Der Commendant.68
Viertes Kapitel. Für keinen Freund des achtzehnten Jahrhunderts.73
Fünftes Kapitel. Fortsetzung, oder: der Commendant plaudert.77
Sechstes Kapitel. Rosalia medisirt.88
Siebentes Kapitel. Die Spazierfahrt.92
Achtes Kapitel. Gobby.102
Neuntes Kapitel. Der Kupferstich.109
Zehntes Kapitel. Der Salomonismus.114
Eilftes Kapitel. Josselin.125
Zwölftes Kapitel. Brüderschaft.129
Dreizehntes Kapitel. Erscheinungen.137
Vierzehntes Kapitel. Traumwunder.145
Funfzehntes Kapitel. Die schwarzen Brüder.154
Sechzehntes Kapitel. Dialog. Aufklärungen.164
Dritter Abschnitt.
Erstes Kapitel. Nur Einleitung.169
Zweites Kapitel. Verzweiflung.172
Drittes Kapitel. Sie wandern alle in ihre Heimath.184
Viertes Kapitel. Sie reisen zur Hochzeit.187
Fünftes Kapitel. Zuerst ins Tollhaus.190
Sechstes Kapitel. Was ist der Mensch!204
Siebentes Kapitel. Das Fest der Menschheit.215
Achtes Kapitel. Ach!227
Neuntes Kapitel. Hoffnungen. — Die Todtenfeier.234
Zehntes Kapitel. Die Fußtapfen der schwarzen Brüder.252
Eilftes Kapitel. Sie wandern weiter.263
Zwölftes Kapitel. Die Heimath.271
Vierter Abschnitt.
Erstes Kapitel. Mont-Rousseau.276
Zweites Kapitel. Das Willkommen.279
Drittes Kapitel. Die Flucht.286
Viertes Kapitel. Der Bräutigam erscheint.295
Fünftes Kapitel. Epilog an die Leser.299

Die
schwarzen Brüder.

Erster Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Die Auferstehung.

Wie das Gras auf dem Felde duftet und verdorret zu seiner Zeit: so veraltern und verschwinden die Geschlechter der Menschen. Knaben spielen mit den Hirnschädeln ihrer Ahnen, und nach hundert Jahren tanzt ein neues Geschlecht über ihren Gräbern.

Mit rüstiger Schwinge stürmen Jahrhunderte an Jahrhunderten unserm Erdstern vorbei. Wer hört ihr Sausen? wer mißt ihre Schnelle? Unter ihrem zerstörenden Flügelschlage fallen Gebürge und Maulwurfshügel, Pyramiden und Gräberkreuze; Strohhütten und Königsstädte vernichtet zusammen; die schönsten Geburten der Natur zerstieben und der fruchtbare Schoos dieser Allmutter gebiert aufs neue, um von neuem ihre Schöpfungen sterben zu sehn.

Dies ist der alte, einförmige Lauf der Dinge während des gegenwärtigen Augenblicks und durch Jahrhunderte hinab und durch Jahrtausende.

Auch das achtzehnte Jahrhundert war nun hineingegangen in den stillen Pallast der Vergangenheit; seines Gewandes Saum trof vom Blute der Edeln, die für und wider Barbarei und Menschheitswürde fochten. Eine Republik war untergesunken eine neue erstanden!

Vier bis fünf Secula folgten, und waren gewesen; Könige und Kaiser hatten regiert, Bettler gebettelt, Schriftsteller sich müde geschrieben, und Vergessenheit war ihr Loos; denn die Nachkommen lassen sich so wenig, als ihre Vorfahren den schönen Wahn rauben, daß sie am besten regieren, betteln und schreiben.

Aber auch nach einem halben Jahrtausend blühte noch ein herrlicher Morgen auf; so herrlich ihn nur immer die Bürger des achtzehnten Jahrhunderts sahn. Noch standen die Alpen, noch grünten die Fluren, noch dufteten die Blumen, noch hörte man die Vöglein singen — alles schien noch immer die alte Welt zu seyn und doch schrieben die christlichen Calender schon das Jahr 2222 nach unsers Herrn Geburt.

„O, mein Gott!“ — — rief Florentin plötzlich in der Alpenhöhle aus; „ich erwache — zu früh!“

Es schwebte seinem Gedächtniß das Bild der lezten Scene in dieser Höhle aus dem achtzehnten Jahrhundert, wie eine Geschichte von Gestern, vor; er gedachte des Holderschen Gelübdes erst nach fünfhundert Jahren zu erwachen, und fand zwischen izt und der Vergangenheit das ohngefähre Intermezzo einer Nacht.

„Wahrscheinlich zur rechten Zeit!“ entgegnete ihm eine Stimme. Holder war erwacht und lächelnd rieb er sich den Tod von den Wimpern.

„Wie Du mich getäuscht hast!“ sagte Florentin mit unzufriednem Tone.

„Getäuscht?“ stammelte Holder, und tappte wie in einem dumpfen Traume um sich: „getäuscht? — getäuscht? Nein, nein, es ist überstanden: nein das achtzehnte Jahrhundert ist vorüber — wir haben lange — lange hier gelegen; das fühl’ ich.“

„Eine Nacht!“

Eine Nacht freilich für uns, aber sie muß wenigstens, ich sage wenigstens, die Dauer eines halben Jahrtausends gehabt haben.“

„Wollte Gott, mein Holder, dem wäre so. Wollte Gott, ich trät hinaus aus dem Gebürg in eine neue Welt! — o, die Schwärmerei gefällt mir, und noch izt, da ich ihre Unmöglichkeiten, ihre Widersprüche lebendiger, als je, erblicke.“

„Wie befindest Du Dich?“

„Matt, sehr matt, Freund, und Fieberfrost in allen Gebeinen.“

„Oheim! Oheim!“ rief Karlchen.

„Mein Sohn!“ schrie Florentin und raffte sich mühsam auf. Er wollte seinen Karl umarmen, und fühlte schaudernd sein Gewand rein abgemodert vom Körper; die Nägel ausgewachsen, wie Greifenklauen, und den langen Bart hinunterfliessen bis zum Nabel.

Ein kalter Schauder belief ihn.

„Holder! lieber Holder!“

„Was ist Dir?“

„Verwandlung! — Holder, wenn Du recht hättest! Beinah möcht’ ich an Deine Wunder glauben lernen.“ —

„Laß uns aufbrechen. Jezt ist jede Minute unsers Lebens kostbar! — Freilich, Bruder, haben wir nun eine kleine Ungemächlichkeit zu bestehn. Wir werden ein ganzes Weilchen die Rolle des Rousseauschen Favoritmenschen spielen, oder uns mit Feigenblättern bekleiden müssen, als weiland unsre Stammeltern. Doch wenn die Genossen dieses Zeitalters noch mit eben der Lüsternheit an Gold und Juwelen hangen; so haben wir nicht Ursach die Zukunft zu fürchten; Hier steht ja noch das eiserne Kästlein, zerfressen vom Rost.“

„Meinst Du, Holder, wir werden durch unsre Juwelen auch in dieser Welt die Herzen der Menschen unterthan machen? — Wie, wenn — — —“

„Närrchen! — versezte Holder: — so lange der Erdball von Menschenkindern bewohnt wird, bleibt Geld das große Losungswort; welches man unter allen Zonen verstehe, der Schlüssel zum Paradiese gesellschaftlicher Freuden, die Leiter zur Unsterblichkeit, der Talisman, mit welchem wir Oberherrschaften erringen, das Centnergewicht in der Waagschale des Verdienstes! — und Armuth? ach, sie ist und bleibt die gefährlichste Klippe, woran die ehrwürdigsten Bündnisse scheitern, sie ist das Schwerdt, welches die Eisenbanden der Freundschaft, wie einen losen Zwirn zerschneidet, ist der Riese, welcher die natürliche Freiheit und Gleichheit der Menschen zerstöhrte und die alte Ordnung aus ihren Fugen schlug!“

So redeten sie noch manches unter einander. Endlich machten sie ernsthafte Anstalten zum Aufbruch aus der Höhle. Mühsam erhoben sich die Männer des achtzehnten Jahrhunderts; mühsam schlichen sie an den Felsenwänden in der Finsterniß hin, und der holde Sohn Louisens taumelte wie ein Schlaftrunkner zwischen ihnen.

Sie mußten öfters stille stehn; theils um auszuruhn, theils um nach und nach ihr Auge an die beginnende Dämmerung zu gewöhnen.

„Siehe!“ rief Holder in einer solchen Pause: „wenn unsre Seele unsterblich ist, und diese Seele Bewußtsein und Gedächtnis und Empfindungsvermögen behält, so wird es uns dann seyn, wie izt, wenn wir den Todeskampf bestanden haben und einer neuen Welt entgegen reisen. — Gestorben sind wir vor fünfhundert Jahren, hinter uns liegt unser Grab, vor uns nun die neue Welt mit ihren neuen Leiden und Freuden. Vielleicht erwartet uns eine Hölle dort, vielleicht ein Elysium!“

„Vielleicht — — — Elysium!“ seufzte Duur!

„Verstorben sind für uns alle Freunde, alle Bekannte der ehmaligen Welt; zerrissen sind alle seeligen und unseeligen Verhältnisse, worin Liebe, Freundschaft, Ehrgeiz, Eitelkeit, Nervenkützel und Ohngefähr uns versponnen; es hängt von uns ab, andre einzufädeln!“

„Und so werd’ ich Louisen nicht wiedersehn? keine Spur von den Ruinen meines väterlichen Schlosses mehr finden? — Fünfhundert Jahre schlummerte nun sanft die Asche meines Onkels, meiner guten Schwester? Ich werde nicht mehr Rikchens Grab entdecken; von Louisens Schönheit nicht mehr reden und Herzog Adolfs Lob nicht mehr singen hören?“

„Es ist nun alles vorüber, Florentin, alles. Du bist der Bürger einer fremden Erde. Der Strom der Zeit, der über uns hinwegrauschte, hat allen meinen Kummer fortgespült, aber Dir scheint er Deine Schwärmerei gelassen zu haben.“

„Ich bin ruhig, Holder, sehr ruhig. Vielleicht geht in dieser neuen Welt der Stern meines Glückes ungetrübter auf. Ich will Dir dann mit Thränen danken.“ —

„Nun vorwärts!“

„Glück zu!“ murmelte Florentin und zog seinen Sohn mit heimlichem Grauen näher an sich.

Schon dämmerte es durch die Felsengänge von der Oberwelt herunter; schon athmeten die unterirrdischen Pilger eine andre Luftart; schon hörten sie aus der Ferne das süße Zwitschern der Bergschwalben und das Herz verdoppelte seine Schläge in allen.

Nach langem Tappen und Schleichen gewannen sie der Grotte Ausgang — — das helle Tageslicht strömte ihnen entgegen — — — entgegen scholl ihnen der Vögel liebliche Melodei aus dem drei und zwanzigsten Jahrhundert; entgegen ihnen der Eichenzweiche Lispeln im Morgenhauche. Schwelgend hing ihr Blick am grünen Teppich des Erdbodens, schwelgend an den Gruppen der leichten Gebüsche und Felsen, schimmernd in Aurorens Herrlichkeit — — — Alles, alles war den Bürgern dieser Welt neu, und und alles, alles so schön!

„Elysium!“ schrie Florentin, übermannt von unaussprechlicher Seeligkeit, hintaumelnd in das hohe duftige Gras, und abküssend den Thau vom zitternden Halme.

„Elysium!“ jauchzte Holder und sank auf seine Knieen, und der Mann weinte, wie ein Kind, der sonst von keiner Thräne zu sagen wuste. Gefaltet streckte er seine Hände gen Himmel; sein Blick, seine Miene, sein Seufzer, seine Thräne war Gebet — heisses, glühndes Gebet zum ewiglebenden, ewigsorgenden Schöpfer des Schönen und Guten.

Elysium!“ rief der Knabe und tauchte sich in das wogende Gras unter. Er verstand das fremde Wort nicht, aber den Ton der Wonne darin.

Zweites Kapitel.
Idalla’s Hütte.

Wer hätte es glauben sollen, daß der Herr von Sorbenburg jemals in Gesellschaft seines Schwagers so nackt, als sie beide vor fünfhundert Jahren den Händen der Mutter Natur entsprungen waren, am Alpengebürge umherstreifen würden? Ein seltsamer Kontrast! Die ehmaligen feinen gewandten Hofmänner zogen in ziemlich patriarchalischem Kostum umher, und suchten Menschen; lagen bald an einer Quelle, sich zu baden, oder ihren Durst zu löschen, bald unter einem Baum, um vor der Sonnenglut geschirmt, von ihren Wanderungen auszuruhn, oder die aufgefundnen Wurzeln zu verzehren; Inzwischen hatten sie Zeit genug, sich nach und nach des entstellenden Bartes und der Greifenklauen zu entledigen, und wahrzunehmen, daß ihre Gesichtszüge so wenig, als ihr ganzer Körper veraltet sei.

Ihre erste Sorge war Menschen zu entdecken. Es war ihnen nicht unbekannt, daß am Fuße eines hohen Felsen, der Kubbi hieß, ein Dörfchen gleichen Namens gelegen war. Den Felsen fanden sie, aber das Dorf war verschwunden. Neben einer kleinen Anhöhe entdeckten sie verwittertes hinter Dornenhecken und Wacholdergesträuchen verborgnes Mauerwerk. Trostlos sezten sich die beiden Abentheurer auf den Ruinen nieder, inzwischen der kleine Karl umherjagte, einen Schmetterling zu fangen. Wie von einem guten Geist geführt, entdeckte dieser von ohngefähr ein Bündel Matten, aus Bast zusammengeflochten. Er schleppte es herbei; man trennte es und theilte sich lachend in den Fund, der jezt die Stelle der seidnen Kleider ersetzen mußte.

„Wahrhaftig,“ sagte Duur: „die neue Welt ist gegen uns sehr geizig; inzwischen bin ich doch froh, Spuren von Menschenhänden zu erblicken; denn beinah glaubt ich, der ganze Erdball sei während unseres Schlafs entvölkert und wir wankten noch allein auf dem ausgestorbnen Stern herum. Geduld, nun können wir uns doch keuschen Augen präsentiren!“

Sie gingen zu der Stätte zurück, wo Karl das Bündelchen gefunden hatte, vielleicht in der Hoffnung noch mehr zu finden. Wirklich überraschte sie eine angenehme Erscheinung; nämlich ein halb verwischter Fußsteig schlich über einer Wiese dem benachbarten Gehölz entgegen. Man beschloß ihn zu verfolgen. Der Wald umfing sie mit seiner Kühlung und der Weg verlor sich. Die Wandrer liessen sich nicht irren; sie trabten mit Muth und Glauben weiter und fanden sich endlich am andern Tage an einem anmuthigen See, der mitten im Walde sich ausdehnte und viele kleine Inseln bildete. —

Die größte von diesen Inseln zeigte ihnen ein hinter krausen Gebüschen hervorragendes Hüttendach — eine Entdeckung, welche sie alle vor Freude wirbeln machte.

So jauchzten, so sprangen nicht die Entdecker Amerikas auf Colombs Schiffe durch einander, da nach der langen fürchterlichen Seefahrt vom Mastbaume heruntergeschrien wurde: Land! Land! als hier unsre Abentheurer jauchzten und tanzten.

„Eine Hütte! eine Hütte! — Glück zu! — wir haben überwunden!“ so schrieen sie durch einander und fielen sich um den Hals, küßten sich und hüpften her und hin, und bemerkten nicht, daß ein allerliebstes, junges, weibliches Geschöpf ihren Sprüngen mit Wohlgefallen zusah.

Holder gewahrte der schönsten unter allen schönen Erscheinungen in der neuen Welt zuerst.

„Bruder!“ rief er und zeigte auf das Mädchen, welches wie eine Nympfe dieses Hains, in idealischer Pracht des alten Roms, mit freien lockigten Haar vor ihnen stand, zur Hälfte hinter einem wilden blühenden Rosenbusch versteckt.

„Elysium!“ rief Florentin, und näherte sich mit bittender Geberde dem Mädchen des drei und zwanzigsten Jahrhunderts.

Ach, und das Mädchen verstand ihn nicht. Sie sprach, und was sie sprach, war gewiß der Mühe werth, es zu hören, aber keiner verstand sie.

Eine neue und keine geringe Verlegenheit! Die Pilger machten Blicke, Mienen und Hände zur Zunge, und es gelang. Tiefen Mitleides voll trat die junge Schöne näher, beantlizte sie schweigend, küßte den Knaben, und führte die Fremdlinge durch einige Gebüsche an das Ufer des Sees, wo in einer Bucht ein Kähnchen angebunden lag. —

Sie stiegen ein. Die niedliche Schifferin stieß vom Ufer ab. Hin tanzte der Kahn freiwillig über die silbernen Spitzen der krausen Wellen und nach einigen Minuten nahm sie alle das wildbewachsne Ufer der kleinen Insel auf.

Ausser einem Pudel und einem schwarzen Kater schien die Insel und die Hütte kein geselliges Wesen zu umfassen. Aber doch brachte die gefällige Wirthin ihren entzückten Gästen männliche Kleider. — Florentin und sein Gefährte benuzten die Güte der wohlthätigen Insulanerin, und vertauschten ihre patriarchalische Tracht mit Matrosenkleidern.

Daß die Wandrer nicht sobald das liebliche Eiland und die schöne Bewohnerin desselben verliessen, darf ich wohl nicht sagen. Und weil die Sprache der Insulanerin eine entfernte Aehnlichkeit mit der deutschen des achtzehnten Jahrhunderts besaß: so wurd’ es ihnen leicht sie zu lernen, und bald konnten sie ihrer Freundin sagen: „Ich heisse Florentin von Duur!“ — „ich heisse Ludwig Holder!“ — „ich Karlchen!“

„Und ich bin Idalla!“ entgegnete die freundliche Wirthin.

Drittes Kapitel.
Ein halbes Jahr.

Ein halbes Jahr verstrich den Kindern des achtzehnten Jahrhunderts in dieser romantischen Insel, wie ein halber Frühtraum.

Idalla eine andre Calypso wuste durch den Zauber ihrer Unschuld und Schönheit mächtiger zu fesseln, als weiland ihre Vorgängerin den Sohn des schlauen Odysseus.

„Ist es möglich!“ — rufen die Leserinnen: „also darum schliefen sie ein halbes Jahrtausend auf harter Streu, um im drei und zwanzigsten Jahrhundert bei einem hübschen Mädchen zu tändeln, ohne sich um die neue Welt zu bekümmern. Das glaube, wer da will. Hätten sie am Ende des achtzehnten Jahrhunderts nur die schlechteste deutsche Provinzialzeitung mitgehalten: so würden sie den Augenblick nach Paris gewandert seyn, um zu sehn, wohin die Franzosen mit ihrer Revolution gekommen wären. Wenigstens hätten sie eine alte Chronik, oder dergleichen nachschlagen können, um zu erfahren, wie weit es dem alliirten Europa gelang, die Neufranken von ihrem Revolutionsräuschchen nüchtern zu machen. Es ist nicht möglich!“

Nun, warum nicht. Holder, Florentin, Karlchen, Idalla, der Pudel und der schwarze Kater lebten in einer so beneidenswürdigen Harmonie beisammen, daß unsre Abentheurer nicht selten in den verzeihlichen Wahn versanken, das wundersame Getränk in der Alpenhöhle habe sie in die elysischen Gefilde gesandt, statt in das drei und zwanzigste Seculum.

Zwar war das Leben auf dieser Zauberinsel so einfach, jeder Tag in seinen Begebenheiten dem andern so ähnlich, daß, so wie sich Tag und Nacht, sich auch die täglichen Begebenheiten der Inselbewohner wiederholten. Aber dies Einerlei war nie ermüdend, denn es war nie das Einerlei der Empfindungen.

Goß die Morgensonne ihre Purpurstrahlen über die Hütte, Eichen, Gebüsche, Blumen, und Halme der Insel aus: so enthüpfte frohlockend jeder seinem Gemache. Zärtlich war die Umarmung, als wäre eine Trennung durch die Nacht, die Trennung durch ein Jahr gewesen. Karlchen umklammerte jeden; jedem bellte der Pudel seinen „guten Morgen“ zu: der ernsthafte Kater wandelte gnurrend vom Schoos des einen zum Schoos des andern und wedelte mit dem Schwanze und schmeichelte.

Nun ging Florentin, die Flinte über die Schulter geworfen, auf die Jagd; der Pudel begleitete ihn. — Holder verbesserte den Bau der Hütte, drechselte nützliche Maschinen zusammen, sah zuweilen nach — — — Idalla, welche im Garten entweder, oder am Heerde in Gesellschaft ihres Katers geschäftig war, oder das Hühnervolk fütterte, oder ihre Ziegen und Schafe auf grasreiche Plätze trieb.

Unter solcher Arkadischen Lebensart schmolzen Minuten, Stunden und Tage hinweg.

Am Abend lagerte sich, nach vollendetem Tagewerk, die glückliche Familie unter den großen Nußbaum neben der einsiedlerischen Hütte, dann mußten wohl Holder, oder Florentin ihre Schicksale erzählen und die gute Idalla glaubte ihnen alles gern, nur der fünfhundertjährige Schlaf machte sie ungläubig.

„Aber Du, schöne Idalla,“ fragte dann Holder und Florentin: „wie bist Du so unglücklich oder glücklich gewesen, Dich in diese Einsamkeit verschlagen zu sehn? Du hast uns noch nie davon erzählt.“ —

„Noch nie?“ entgegnete sie: „o, das sollt Ihr leicht erfahren. — Ich erzähle gern. Aber es wird Euch ermüden.“

„Ermüden? Idalla, Du uns ermüden?“ sprach Holder in einem zärtlichstrafenden Ton.

„Nein, nein, es war mein Scherz!“ erwiederte sie und sah ihm ins Auge, als fürchtete sie, er zürne. Sie rückte ihm näher, ergriff seine Hand, und lehnte sich an ihn.

„Hier will ich erzählen,“ sagte sie: „hier will ich erzählen. Aber aufmerksam müßt Ihr seyn!“

Sie warens alle. Holder fühlte sich nie glücklicher, als in diesen Augenblicken, wo Idalla, die fromme, unschuldige Idalla, in seinem Arm wohnend, plauderte. Florentin saß dem glücklichen Paar gegenüber, in seinem Arme den kleinen Karl, seiner Louise Sohn. Zu seinen Füßen lag der treue Pudel, und um die Reihe voll zu machen, hatte sich der ehrsame Kater eingefunden, der gesellschaftlich Platz nahm und mit verschlossenen Augen schnurrte.

Viertes Kapitel.
Die Erzählung.

Ihr wißt doch, wie es jezt Krieg und Kriegesgeschrei ist im ganzen deutschen Lande?“ hub die süßstimmigte Idalla an: „Nun, und da sich das traurige Unwesen anspann, sagte mein Vater — doch Ihr werdet nicht wissen, wer mein Vater gewesen? Er war der reichste Mann im ganzen Dorfe Eldern, und war ein sanfter, lieber, seelenguter Mann. — Das Dorf Eldern haben die Nordmänner abgebrannt, dort ist alles Wüstenei — ach und glaubt es, mein Vater würde bettelarm geworden seyn, hätte er nicht zur glücklichsten Stunde die Flucht ergriffen.“

„Kinder, sagte er zu uns — denn ich hatte noch zwei Brüder — Kinder, die Deutschen sind schlaffe, entnervte, mark- und saftlose Geschöpfe — die Nordmänner kommen mit eisernen Gliedern und schlagen die Deutschen, und ehe wirs erwarten, dringen sie bis zu uns vor. Ja, vor alten Zeiten, vor vielen hundert Jahren — da wars anders! Da lebte ein gewisser König — nun, wie heißt er denn, der Vater wußte ihn zu nennen — und dieser soll die Deutschen zu Helden gemacht haben — soll — o, was soll er nicht alles gethan haben! — Drum, Kinder, fuhr der Vater fort, laßt uns von hinnen ziehn, gebt acht, die Deutschen werden unterliegen!“

„Der Vater hatte Recht. Wir flüchteten. Ich war damals noch ein Kind. Wie, das weiß ich nicht, kamen wir endlich auf diese Insel her, und sicher lebten wir vor jedem Ueberfall. Aber“ —

„Aber mein armer Vater wurde endlich so schwach, so matt, daß ich ihn führen mußte. O, hättet Ihr ihn nur gesehn, Ihr hättet ihn wahrlich lieb gewonnen. — Einen solchen ehrlichen sanften Blick und die zarten Falten, die von den Winkelspitzen seiner Augen ausliefen und bei jedem Lächeln sichtbarer wurden, einen solchen Mund, der noch nie Ursach gehabt hatte, begangne Sünden zu bekennen — ach, solchen Mann habt Ihr gewiß noch nicht gesehn. — Es war ein heisser Mittag. — Vater, fragt’ ich ihn, willst du nicht draussen ruhn in dem kühlen Schatten des hohen Eichbaums? — Ich will, gab er zur Antwort, und hurtig führt ich ihn hieher, sezte mich neben ihn nieder und hielt sein Haupt in meinem Schoos — Idalla, sagte er, Gott lohne Dirs, im bessern Leben sehn wir uns wieder. — Da sehn wir uns wieder! entgegnete ich, und schluchzte.“

„Der Vater schlief. Ich ward still wie eine Maus, hörte auf zu weinen, athmete nur kaum, um den holden Greis nicht zu erwecken.“

„Es rückte der Abend heran. Meine Brüder erschienen mit ihm, sahen mich und den Vater und lachten, lachten ob meiner Einfalt, denn der Vater schlief den Schlaf des Todes. — O, meine Brüder, wie sie so grausam waren! Sie lachten ein lautes, schallendes Gelächter — indeß ich mich weinend über den Leichnam meines lieben Vaters hinbog. — Der Mond ging auf, aber sehr blaß, als hätte er auch geweint. — So viel Sterne am Himmel blinkten, so viel Thränen weint’ ich in dieser Nacht, und meine unbarmherzigen Brüder gruben eine tiefe Gruft. — Und der Morgen erwachte, aber mein Vater, nicht, da weinte ich noch mehr. Und die Brüder rissen mir den alten Mann, ach, denkt doch, rissen ihn mir aus dem Schoos — und stürzten ihn hinunter in die Gruft. — Ich lag auf den Knien vor den harten Männern, und bat für den armen lieben Vater, aber sie verstießen mich. — Ich wollte mich hineinwerfen zum Vater in die Gruft, doch man zerrte mich bei den Haaren zurück. — O weh, wie hatt’ ich so grausame Brüder!“

„Gutes Kind!“ rief Holder bewegt, und drückte die unschuldige Erzählerin an sich.

„Aber“ fuhr Idalla fort: „aber ich härmte mich endlich nicht mehr so sehr. Ich wurde wieder munter und sprang umher. — Da kamen meine Brüder zu mir und sagten: es wird uns das Leben hier unerträglich. Folg’ uns in die weite Welt hinein, oder wir gehn allein. — Geht allein! sagt’ ich, denn unser Vater prieß sich glücklich hier zu wohnen — ich bleibe hier.“

„Sie verließen mich. — Ich habe sie nicht wieder gesehn. Draußen ist Krieg und Kriegsgeschrei, Gott steh ihnen bei! — und ich — ach ich war zufrieden in meiner Einsamkeit, die wilden Brüder thaten mir nicht mehr weh. — Ich fing mir meine Fische, fütterte meine Ziegen, plauderte mit meinem Pudel, badete mich in schönen Stunden, und in einer derselben — nun das wißt ihr ja!“

„Ich sah Euch, und glaubte, Ihr wäret meine Brüder. Ich war bestürzt und froh. — Ihr sahet meine Hütte, zeigtet auf sie. Ha, dacht ich, sie haben gewiß nichts sich zu bedecken, gieb ihnen die Kleider deiner Brüder. Und nun führt ich Euch hieher, und gab Euch die Kleider, und das war meine Geschichte. Mehr weiß ich nicht. — Seid Ihrs zufrieden?“

Holder küßte ihre Stirne.

Solche Scenen hatte Florentin, hatte Holder noch nie gekannt; wären ihnen izt Königskronen für die Insel der schönen Idalla geboten; sie hättest keinen Tausch gewagt. — Auch weiter hinaus in die Welt wagte sich keiner von ihnen; wie ein Paar Schiffbrüchige, die so eben den schäumenden Wirbeln des Oceans entwischt sind, angespült daliegen auf einer freundlichen Uferklippe, und sich dankbar und froh fest anschmiegen an diese, und nicht weiter forschen und fragen, ob dahinter blühnde Fluren wohnen: so Florentin und Holder.

Zufrieden mit dem Leben, zufrieden nur noch dazusein, sehnten sie sich nach keinem Futter für ihre Neugier.

Holder war gar nicht mehr der ernste, düstre Mann, sondern das wahre Muster einer feinen Jovialität. Die fünf Jahrhunderte hatten keine Spur ihrer Gewesenheit auf seinem Antlitz hinterlassen; mit frischer, bräunlicher Wange, hellem, brennenden Auge, hoher, lachender Stirn, webte er in voller, männlicher Schöne, und keine Krankheit, keine Leidenschaft blies die Schminke der Gesundheit von seiner Wange ab. Bei alle dem hatte er jenen interessanten, merkwürdigen Zug der Mienen verloren, welcher Männer- und Weiberherzen magnetisch an sich zog, welchen Rikchen einst verführerisch fand, und dessen Gewalt auch — Idalla eingestand, ohne sich dessen bewußt zu seyn.

Fünftes Kapitel.
Die Verwandlung.

Idalla schlich hinter dem Garten im Mondenschein umher und dachte und nannte — Ludwig Holdern. Und Holder schlich an der Hütte diesseits des Gartens, und dachte — an wen? — an Rikchen und Idalla.

„Nein, Florentin, nein!“ rief er: „ich verlasse diese Insel und diese Idalla nicht! — Und hinge der Weltlauf dieses Jahrhunderts in einem Spiegel vor mir, ich höbe meine Augen nicht zum Spiegel auf. Ruhe der Seelen ist ein Kleinod, welches mit keiner Monarchie bezahlt, mit aller Stubenweisheit nicht erphilosophirt werden kann. Ich habe dies Kleinod gefunden und vertausch es nicht für die Befriedigung meiner Neugier.“

„Zwar mißfällt mir dies idealische Schäferleben nicht,“ entgegnete dann gewöhnlich Florentin: „Aber, Holder, dies Jahrhundert zu betrachten, und seinen Kontrast mit dem unsern — dies wär’ eine Seligkeit mehr. Ich gehöre nun einmal schon zu den Alltagsmenschen, die das Leben bloß aus Neugier lieben.“

Holder. Ach, glaube mir, es werden die Menschen dieses Zeitalters um nichts besser, um nichts glücklicher seyn, als ihre Brüder in der Vorwelt. Die Weltordnung wird keine Revolutionen erleben; das Wesen bleibt, wenn gleich das Kleid veraltet; die Dinge verlieren nichts, sondern wechseln nur Farb’ und Namen. Ist dies Jahrhundert reich an Philosophen: so ists gewiß auch reich an gediegnen Narren; erblickst du starkes Licht, so fehlt gewiß auch der grelle Schatten nicht.

Florentin. So hätten wir unsern Schlaf ersparen können.

Holder. Nein, er war nothwendig zu unsrer Ruhe. Siehe, izt schwimmt die Vergangenheit nur in nebelhaften Gestalten vor mir, wie ein halbvergeßner Traum. Alle meine Wunden sind geheilt; ich fühle in mir nichts, als Anlagen, glücklich zu werden. Weg nun mit der Welt, weg mit ihrer Herrlichkeit, ihren Lorbeerkronen; sie lockt mich nicht mehr, denn ich kenne sie.

Florentin. (mit Verwunderung.) Holder, bist du es wirklich?

Holder. Ich habe gelebt; habe gerungen, gearbeitet, gelacht und geblutet und der ganze Schatz welchen ich mir endlich eroberte, ist nur ein kleines, goldnes Sprüchlein: Glücklich zu seyn ist unser großer Beruf: suche dein Heil nicht auf den Schlachtfeldern als Held, denn die Lorbeern, welche du dort pflückest, wurden begossen mit Thränen und Blut, und höchstens die feile Fama der Zeitungen, höchstens ein gewässertes Band — ist dein Lohn. Suche dein Glück nicht neben den Thronen; dort gedeiht die zarte Pflanze des ächten Glücks nicht; zwar lockt der Sonnenstrahl der Fürstengunst das Pflänzchen schnell hervor aus dem Boden, aber es verwelkt auch eben so leicht an diesem heißen Strahl; Suche deinen Himmel nicht in dem buhlerischen Blick der Weiber; deine Nerven werden stumpfer und dein Himmel wird trübe. Berechne deine Seligkeit nicht nach der Summe deiner Goldstücken; wer den Schlüssel zum Thor der Freuden hat, versteht darum noch nicht das Zauberschloß zu öffnen, sondern friert oft zeitlebens an der Schwelle von außen. — Losgekettet von der sogenannten großen Welt, wo der Zufall über das Verdienst, die Narrheit über die Vernunft, der Geldbeutel über die Tugend, die Mode über die Wahrheit siegt, eben so fern vom Mangel, als vom Ueberfluß, in unverdorbner Gesundheit des Leibes und der Seele leben, nicht von tausenden bewundert, aber von einem freundlichen Herzen recht heiß geliebet werden, — Bruder, dies ist Erdenseligkeit!

Florentin. Ich widerspreche dir nicht.

Holder. Topp, folge mir! Glaube mir, daß alle Erfahrungen, welche wir über dieses Zeitalter einsammeln werden, mehr unsre glückliche Laune tödten, als nähren werden. Ich mag von der Iztwelt grade nicht mehr und nicht weniger wissen, als mir das Ohngefähr davon zu Ohren bringt. — Wenn mich ja einmal der Dämon Neugier zu sehr foltert, ei nun, so wird sich ja wohl ein historisches Compendium auftreiben lassen, worin die Genealogien, Rathen und Thaten der Könige, Kaiser, Fürsten, Republiken, Helden, Narren, Scribler und Queerköpfe erzählt sind. Damit will ich mich gern begnügen. —

Florentin. Aber Kanella, und Frankreich, und Pohlen, und Preussen — — —

Holder. (lächelnd.) Und Dänemark, Otaheite, die ottomanische Pforte, Abessynien, China, Rußland und Spanien!

Florentin. Wo ist meine Flinte und mein Pudel?

Holder. Du wirst doch nicht Knall und Fall in diesem Augenblick — — —

Florentin. Wenigstens ein Schmalthier!

Sechstes Kapitel.
Der Wechselgesang.

Der späte Abend kömmt, aber Florentin nicht!“ lispelte die kleine Idalla, indem sie im Mondenschein stand vor Holder. Sie schlug ihr grosses Auge traurig nieder zur Erde; ein loser Abendwind wehte die Locken ihres braunen Haars vom Scheitel und Nacken zum Angesicht vor, als wollt’ er ein Thränchen verstecken, welches im Begriff war, dem schönen Auge zu entfallen.

„Vielleicht hat er sich verirrt.“ Entgegnete Holder und sein Auge verirrte sich unwillkührlich in Idalla’s Reize und in die Nacht der Zukunft. Wie ein Engel der Unschuld stand die kleine Liebenswürdige vor ihm; sie war um so verführerischer, je weniger sie es wußte, daß sie es sey. —

Er ergriff ihre Hand — er küßte sie. Idalla sah lächelnd und schwermüthig zu dem Fremdling auf, mit einem Blick, so reich an Liebe, so reich an Zweifeln.

„Er wird und verlassen.“ Seufzte sie, und ihr Auge sezte hinzu: „auch Du mich bald!“

„Das glaub’ ich nicht!“ antwortete Holder: „wer wollte Dich verlassen?“ sagte sein Auge und ein Kuß auf ihre blühnde Wange.

Als sie zurückkam, war er verschwunden; Tiefer hinein in einzelnes Gebüsch hatt’ er sich verloren, dem Ufer des umschilften Sees näher. Hier saß er und rauschte er mit leichtem Finger über die Saiten seiner Laute, und sank mit seinem Geist hinunter in dass stille Grab der fernen Vergangenheit.

Hier waren Rikchen und ihr trauter Oheim in der Sorbenburg die Gespielen seiner Seele. Er gedachte mit leiser Wehmuth jener elysischen Zeiten, da sie noch sein waren auf Erden, und der Tod ihren Himmel zerstöhrt hatte.

Er griff stärker in die Saiten, und sang wie sein Herz ihm diktirte:

Ergieß Dich in die Adern, süsse Schwermuth

Dränge mein Herz, bis das Auge thränt,

Und eine Zähr auf blasser Wange

Im Mondenschein zittert!

Der Abend ward stiller. Kein Lüftchen säuselte durch der Bäume schlummernde Zweige; das Ufer des Sees drüben hauchte sanft über die Wellen den sterbenden Ton der Stimm’ und Saiten zurück.

Idalla horchte vor der Hütte. Holder hatte sie das Spiel der Laute, die Natur aber sie Empfindung und Gesang gelehrt. Kaum herrschte die alte Stille, so hub sie an, in Begleitung der Saitenakkorde:

Freud’ und Ruhe sind Geschwister,

Sie nennen dich Mutter, Natur!

Sie flüstern im hangenden Maibusch,

Sie wohnen im Busen

Des duftenden Veilchenthals;

Sie tanzen vertraulich auf deinen

Zitternden Wellen, o See!

Holder. Weinend gedenk’ ich deiner,

Heilige Vergangenheit!

Weinend gedenk’ ich eurer,

Heilige Minuten der Freundschaft,

Heilge Momente der Liebe. — —

Entblätterte Rosen

Blühen nicht wieder, —

Und ihrem Grabe entsteiget

Nicht die gestorbene Freude.

Idalla. Im weichen Arm der Ruhe

Schläft die Vergangenheit;

Am Arm der Freude tanzet

Die junge Gegenwart!

Und Ruh und Freude wohnen

In deinem Schoos, Natur!

Holder. Und euer Staub,

Und eure Gräber

Sind längst verweht,

Ihr, meines Lebens Engel,

Verwandte meines Herzens!

Ach, euer Geist

Durchwandert fremde Sterne.

Und denkt nicht mehr

Des Weinenden im Staube.

Idalla. Was Grab sonst war

Wird eine Freudengrotte;

Wo sonst die Freude schwärmte

Ist nun der Ruhe Schlummerbett.

Was hier verblüht,

Blüht herrlich drüben auf.

Denn Freud’ und Ruhe

Sind zärtliche Geschwister.

Holder. (indem er sich Idallen nähert.)

Laß uns, so lange sie uns lächelt,

Die Freude küssen,

Und dann ermüdet sinken

In ihrer Schwester Arm!

Idalla eilte ihm entgegen: „Du hast das Lied mich gelehrt, Holder, und so straf’ ich Dich mit Deiner eignen Lehre. Hättest Du Dich nicht bald bekehrt und mein Lied gesungen: so hätt’ ich Dir die Laute genommen.“

„Aber Deine Augen sind ja feucht, Idalla. Hast Du geweint?“ fragte Holder.

„Beinah.“

„Warum denn?“

„Warum? Dich machte die Vergangenheit, mich die Zukunft traurig. Ach, Holder, wenn ich Dir die Vergangenheit vergessen machen könnte, und Du Idallen in Schutz nähmest für die Zukunft! — Ich hab so allerlei bei mir gedacht — meine Brüder haben mich verlassen, dem guten Florentin gefällts bei mir nicht mehr, und, dacht’ ich dann, wenn Holder mich — — —“

„Was denn?“ fragt’ er zärtlich.

„Mich nicht mehr — — — ach, lieber Holder!“ sagte sie stockend und schlug ihren Arm um seinen Nacken.

„Würde mich Idalla gern verlieren?“

„Ich antworte Dir nicht.“

„Gute Idalla!“ seufzte er, und starrte ihr ins freundlich-traurige Auge.

„Was willst Du?“ lispelte sie unruhig, und ihr Busen erhob sich. Der Mond brach in diesem Augenblick durch ein falbes Gewölk und überströmte die unbefangne Engelsmiene dieser kleinen Heiligin mit einem verklärenden Glanz. Holdern ward, als wär er verzaubert in eine wunderbare Feenwelt; als wandelt er neben einer Ueberirrdischen. Das feierliche Schweigen allgemein umher; nur dann und wann ein melancholisches Aufmurmeln der fernen Wellen; das magische Helldunkel der Landschaft, der grelle Wechsel und Contrast des tiefsten Schattens und hellsten Silberlichts — alles wirkte sonderbar auf sein empfindsames Herz.

„Holder, lieber Holder!“ sagte endlich nach einer langen Pause die schöne Insulanerin, und wußte nicht, oder sehnte sich nicht, mehr zu fragen. Aber unwillkürlich entschlüpfen ihren Lippen die Worte: „Ich mögte wohl etwas wissen von Dir.“

„Und was denn?“

„Ob ich — ob Du — ob Du meines Vaters Grab weißt?“

„Eine seltsame Frage. Nein ich weiß es nicht.“

„Hier, hier unter uns, am jungen Eichbaum hier.“

„Laß ihn ruhn!“

„O, wenn er doch noch lebte, wenn er Dich doch auch sähe, wenn — — — er würde Dir gewiß auch recht herzlich gut seyn.“

„Idalla ist mit also herzlich gut?“

„O, Holder, so hätte ich Dich nicht fragen mögen. Wenn ich nur alles, alles Dir so sagen könnte. Wenn ich nur — — o, Du verstehst Idallen niemals!“

„Ich versteh Idalla’s Sprache dennoch!“

„Aber ist Dir denn auch so zu Muth bei Idallen, wie Idallen bei Dir?“

„Eben so, und ewig so.“

Ewig so? das ist ein kleines Wörtchen mit unermeßlichem Sinn. Ach, dann könntest Du auch Idallen nie verlassen, denn Idalla kann Dich nicht verlassen.“

„Ich will es nie.“

„Holder! Holder!“ schluchzte sie und warf sich an sein Herz und weinte heiße Thränen.

„Und Idalla weint?“

„Ach, Idalla muß weinen, denn sie ist Holdern zu gut!“ rief sie, und klettete sich fest an ihn, und es war ihr, als ständ’ ihr Vater ihr zur Seiten und segnete sie.

Holder sank an Idallens Busen. „Ich glaub’ eine Seelenwanderung,“ rief er mit nassen Augen: „ich höre Rikchens Stimme; aus dir spricht wieder meiner Friedrike Geist zu mir!“

Er schwieg. Die Eichen summsten im Winde. Die abendliche Natur feierte mitempfindend das Fest der schönen Seelen. Rikchens Geist schien auf einer Wolke niedersinkend, ihrem Holder Beifall zu lächeln.

Siebentes Kapitel.
Das Abentheuer im Walde.

Erst am Abend des folgenden Tages kam Duur von seiner Jagd heim. Aengstlich und bekümmert hatten Holder und Idalla den ganzen Tag vergebens seine Zurückkunft gehofft.

Wie heiter lachte ihm Holder nun entgegen; wie freundlich drückt’ ihm Idalla die Hand! Er kam aber nicht allein, sondern ein fremder Mann mit ihm.

Florentin war finster. Er warf die Flinte in einen Winkel nieder und bat für den Fremdling um Speis’ und Trank und Nachtlager.

Gastfreundlich trug die liebe Wirthin ihr Bestes auf. Florentin warf sich in einen Sessel, und lachte bald und knirschte bald mit den Zähnen.

Holder lehnte sich ihm gegenüber an die Wand, und betrachtete das seltsame Mienenspiel seines Freundes mit Verwunderung.

Alles schwieg. Holder wollte doch ein Gespräch anknüpfen, und fragte, um etwas zu fragen, den Fremden: „was giebts neues in der Welt?“

„Neues?“ entgegnete der Gast: „Das Neuste wäre nun wohl, daß der deutsche Kaiser in der vorgen Woche zu Berlin gestorben ist.“

„Wie? sind Preußen und Oesterreich so gute Freunde und Nachbarn?“

„Ich verstehe Sie nicht?“

„Ihr sagtet, der Kaiser sey in Berlin gestorben.“

„Freilich — in der Residenz.“

„In der Residenz? residiren die Kaiser in der preußischen Residenz?“ fragte Holder und sah den Gast mit verdächtigem Lächeln an.

„Nun ja, wo denn anders? Ach, Sie scherzen — ja, ja, ich besinne mich. Vor dreihundert Jahren sollen sie noch in Wien gewohnt haben. Ich weiß das noch von der Schule her, wenn wir das dürre Namenregister der deutschen Kaiser auswendig lernen mußten.“

Holdern schoß bei diesen Worten das Blut ins Gesicht — er erinnerte sich der Alpen, und das, woran er unterweilen selbst noch zu zweifeln gewohnt war, bestätigte sich ihm immer mehr und auf neue Art zur sonderbaren Gewißheit.

Aber Florentin saß da, starr und unbeweglich, sah und hörte nicht. Sein räthselhaftes Betragen ward mit jedem Augenblick auffallender.

Es war ein langweiliger Abend. Der Fremde sehnte sich endlich zur Ruhe. Idalla wies ihm sein Lager.

„Was fehlt Dir, Florentin?“ fragte Holder endlich in einem herzlichen Tone, indem er die Hand des Sonderlings ergriff: „Du bist niedergeschlagen!“

„Laß mich!“

„Nein, ich kann unmöglich länger ein verlegner Zuschauer deines Mißmuths seyn. Erkläre Dich. Sey offenherzig. Was hast Du vor?“

Florentin antwortete nicht, sondern ein tiefer Seufzer drängte sich aus seiner Brust auf. Holder schüttelte den Kopf. Idalla warf den Arm um ihren Liebling, und sah, das Haupt traulich an seine Achsel gelehnt, der ungewohnten Szene zu.

„Bruder!“ rief Florentin endlich, stand auf und ergriff Holders Hand mit Ungestüm: „Hast Du mich betrogen? — Bei dem ewigen Gott, bei unsrer Freundschaft, bei der Asche meiner Schwester, die Du einst so sehr liebtest, bei allem was dir theuer war und noch ist, sei beschworen: hast Du mich betrogen?“

Holder. (kalt.) Ich Dich betrogen?

Florentin. (mit glühndem Gesicht.) Hast Du mich betrogen?

Holder. Ich verstehe Dich nicht.

Florentin. Triebst Du Gaukelei mit mir in der Alpenhöhle? wirkte Dein Schlaftrunk auf fünf Jahrhunderte oder fünf Tage?

Holder. Wie kömmst Du erst jezt auf die Frage?

Florentin. (wilder.) Antworte mir! es liegt mir alles daran — mein Leben, meine Seligkeit; antworte!

Holder. Nach meinem Willen auf fünf Jahrhunderte.

Florentin. So hintergehn mich Verstand und Sinne. Denn, Holder, — Holder! ich, habe sie gesehn!

Holder. Wen hast Du gesehn?

Florentin. O, daß Du so fragen kannst; ich habe Louisen, — Louisen, Adolphs Schwester — gesehn! Wir leben noch im achtzehnten Jahrhundert! Ich habe sie gesehn!

Holder. (verwirrt.) Du die Prinzessin?

Florentin. Eben die, welche mich an Adolphs Hofe liebte, eben die, welche ich im Garten von Dosa gesehn!

Holder. Das ist unnatürlich! —

Florentin. Meinst Du? — O, ich war beinahe zufrieden, hatte das achtzehnte Jahrhundert mit seinen Leiden und Freuden schon halb vergessen; mein Onkel, mein Rikchen, mein Badner, Louise, Adolph, Kanella, — alles hing nur noch in verbleichten Farben vor meiner Seele. Ich glaubte die Wunden meines Herzens schon zugeheilt; kein Gram nagte mehr an meiner Ruhe — o, mein Gott, und das alles hatt’ ich mir nur vorgelogen. — Louise lebt noch, und ich mit ihr in einem Jahrhundert.

Holder. Dich betrügt ein Traumbild.

Florentin. Sprich lieber, es hatte mich betrogen, und daß ich so — so, davon erwachen mußte! — —

Idalla. (mitleidig.) Du bist unglücklich?

Florentin. Ja, liebe Idalla, ich bin sehr unglücklich.

Idalla. Armer Florentin!

Florentin. Ja wohl, ärmer bin ich zu keiner Zeit gewesen!

Holder. Es bleibt mir alles ein Räthsel, ehe Du mir nicht umständlich Dein Abentheuer im Walde erzählst.

Florentin. Ich wills erzählen — vielleicht machts mich ruhiger. O, klaube aus meiner Erzählung jedes Mögliche heraus, um mir nur zu beweisen, ich habe Louisen nicht gesehn. Hörst Du? — Ach, ich liebe sie noch, ich muß sie lieben, trotz ihrer Untreue!

Holder wußte nicht, was er glauben sollte, und sah seinem Freunde mit einer unbeschreiblichen Verlegenheit ins Gesicht.

Achtes Kapitel.
Louisens Erscheinung.

Idalla zündete die Lampe an; sie und ihr Liebling nahmen den Schwärmer in die Mitte, der endlich ihre Neugier stillte und seine Erzählung begann:

„Gestern verließ ich Euch; ich war etwas düster; Gott weiß, was ich dachte, was ich empfand. — Ich war noch keine Stunde umhergetrabt, als ich mich mißvergnügt unter einem Baum niederwarf, und mich in die Tage der Vorwelt heimträumte. — Ist er nicht wunderbar zusammengesponnen der Traum meines Lebens, dacht’ ich.“

„Ich war ein Kind, und war glücklich. Ich blühte zum Jüngling auf, und hoffte auf einstige Seligkeiten! — Ich wurde ein Mann, und — war unglücklich. Louise machte mich unglücklich, oder vielmehr ich mich selber. Dem Tode nahe, wurd’ ich errettet. Ich war der Verzweiflung nahe, und die Hand der schwarzen Brüder führte mich von dem Abgrunde hinweg, über dessen Tiefen ich schwebte, Ich suchte Ruhe, suchte Zerstreuung, und befreite Kanella mit Lebensgefahr. Lorbeern erndtete ich, aber keine Ruhe des Herzens. Meine Wünsche, meinen Lohn, welchen ich mir ersah, konnte mir des schwarzen Bundes Allgewalt nicht verleihen. Das Schicksal kämpfte wider mich mit eiserner Faust. Ich war elend, schmachtete nach einem bessern Leben — die schwarzen Brüder wollten mich belohnen und ertheilten wir zum Geschenk — ein andres Jahrhundert.“ —

„Ich bin noch nicht glücklich, dacht’ ich weiter. Und woher meine Unzufriedenheit? wohinaus will dies unaufhörliche Sehnen? — Ich wollte in mein Innres hinunterschaun, und fand — und fand die Phantasie mir Louisens Bildniß vorhaltend.“ —

„Also dahin willst du? Unmöglichkeit ist dein Ziel? — o, rief ich mir selber zu, so unmöglich ist denn auch dein Glück hienieden! — Verdammt sey der Schlaftrunk, der mich um den Rest des Zeitalters plünderte, in welchem noch eine Louise wohnte. Verdammt sey die Stunde, in welcher ich den ungeheuren Riesensprung in der Zeit wagte, welcher eine Ewigkeit zwischen mir und Louisen wälzte. — So dacht ich. In dem Augenblick rauschte etwas hinter mir auf; mein Pudel bellte — dies erweckte mich. Ich sah mich um; eine Hündin sprang neben mir vorbei. — Ich fuhr auf, verfolgte das Thier, welches vielleicht noch von keinem Jäger verfolgt worden war, denn es blieb oft stehn und neckte mich immer weiter.“ —

„Du sollst mein werden! rief ich und dachte an Louisen: Du sollst mein werden, denn uns scheidet noch nicht die unüberspringliche Kluft von Jahrhunderten! — ich verfolgte das Thier Stundenlang und erreichte es nie!“

„Der Mittag mochte noch nicht vorüber sehn, als ich, von der fatalen Hündin verführt, ziemlich entfernt von dieser Gegend, mich mit einemmale aus des Waldes Dunkel in einen grünen, zirkelförmigen Platz stürzte, in dessen Mitte zwei niedliche mit Wimpeln und Segeln versehne Kähne auf trocknem Boden standen!“

„Ich blieb stehn. Ich wähnte in der Feenwelt zu wohnen. — Die Hündin entwischte, ich dachte nicht mehr an sie.“

„Nun, bei Gott!“ sagte Holder: „läßt sich doch Deine Erzählung so drolligt an, wie irgend ein Märchen aus Gallands Tausend und einer Nacht. — Zulezt glaub ich gar, die Weltbegebenheiten laufen aus und repetiren sich, wie ein Uhrwerk. — Wir leben und weben wieder in den Tagen, die Wieland und Ariost so schön besangen.“

„Das wird mir immer wahrscheinlicher!“ sezte Holder muthwillig hinzu, indem er sich in Idallens großen blauen Augen spiegelte, die ihn so liebevoll anblickten.

„Erzähle Du weiter, armer Florentin!“ sagte Idalla, und faltete ihre Hand in Holders Hand.

„Indem ich,“ fuhr Florentin erzählend fort: „versteinert dastand, und die beiden prachtvoll ausgeschmückten Kähne mit der waldigten Wildniß zu paaren suchte, flüsterten die Zweige eines nahen Wacholdergebüsches neben mir. Ich wandte meine Augen dahin, und, o Gott, wie wurde mir, als ich — Louisen vor mir stehn sah!“ —

„Sie bebte vor mir zurück — ich vor ihr. Wir starrten uns lange an — ich fand sie schöner, als ich sie je gesehn hatte — ich wollte sprechen, wollte ihr Vorwürfe machen — meine Lippen bewegten sich, aber die Worte erstarben in ihrem Werben.“ —

„Unwillkührlich fühlt’ ich mich zu ihr hingezogen, zu ihr, die wie eine Gottheit da vor mir stand. Ich wähnte ihren Geist zu erblicken, sank zu ihren Füßen nieder, umarmte die Kniee eines irrdischen Weibes, die Kniee meiner Louise! — Schreck, Hoffnung, Entzücken, alles umfing mich mit gränzenloser Kraft; meine Vorstellungen wurden dunkel, die Welt verschmolz vor meinen Sinnen in Nichts — ich ward ohnmächtig!“

„Gott im Himmel!“ rief die weichgeschaffne Idalla: „was ist das!“

„O, wär’ ich so vernichtet, so ganz ausgestrichen geblieben aus der Liste der Schöpfung, ich wäre vielleicht glücklicher! — — Aber ich erwachte — wie — von einem Kusse. Ich schlug die Augen auf. Louise kniete neben mir auf dem Erdboden, sie schien sich mit mir beschäftigt zu haben. — Ihr Auge sprach etwas, das — ach, wer hat Worte dafür?“ —

„Und plötzlich entstand ein Geräusch im Walde von Männerstimmen. Es drang immer näher. Louise drückte mir die Hand, sah mich noch einmal an, und lief zum nächsten Kahn. Es liessen sich verschiedne Männer sehn, die sich in die beiden Kähne vertheilten. Sie sprachen heftig unter einander, aber ich verstand sie nicht. — Plötzlich schwollen die Kähne von allen Seiten auf, und vergrößerten sich in einigen Minuten ungeheuer; in eben den Augenblicken stiegen sie in die Luft empor und mit Vogelschnelle schwammen sie über den Wipfeln der höchsten Bäume hin — und verschwanden meinem Gesicht.“

„Noch immer lag ich auf dem Erdboden; meine Augen starrten auf den Luftpunkt hin, in welchem mir Louise entflog. — Hier lag ich im dumpfen Hinbrüten, ich empfand vieles und nichts, ich dachte an Louisens lezten Blick, an ihren lezten Händedruck; So übereilte mich der Abend, und ich konnte mich nicht trennen von dem Orte, an welchem Louise mir erschienen war. Ich sah das Laub des Waldes, die Wolken des Himmels verrinnen ins nächtliche Schwarz, allein ich blieb, wo ich war. Ein leichter Schlummer erquickte mich; er war mir wohlthätig.“

„Ich erwachte eher, als die Sonne. Ich dachte an das Gestrige, und mir wars, wie Rückerinnrung an einen Traum. Louise kam nicht heim; vergebens erwartete ich sie. Ich stand auf und begab mich, in düstre Melancholien verloren, hieher zurück. — Unterwegs ward ich des Mannes gewahr, der mich um Gotteswillen bat, ihn im Walde zurechtzuweisen. Ich winkte ihm, mir nachzufolgen. Er wollte mir mit seinem Gewäsche die Zeit vertreiben, ich hörte nicht auf ihn.“ —

„Versetze Dich im Geist in meine Lage, Holder, und zweifle noch, ob ich unglücklich, ob ich wahnsinnig sey, wenn ich mich noch im achtzehnten Jahrhundert zu befinden glaube. Louise lebt ja noch!“ —

„Desto besser!“ entgegnete Holder: „so lebt Dir auch noch die Hoffnung, wieder glücklich werden zu können, wenn denn Louise einmal Deinen Himmel enthält.“

Neuntes Kapitel.
Imada.

Das ganze Räthsel löste sich zum Theil am folgenden Tage, als die kleine arkadische Familie beim Frühstück versammelt sas. —

Der Fremde nemlich, welcher sich Matthias nennen ließ, erzählte seinen neugierigen Zuhörern auf Holders Verlangen die Begebenheit, durch welche er in das benachbarte Gehölz und zu Florentin gekommen sey.

„Meiner Kunst und Profession nach“ sagte er: „bin ich eigentlich ein Luftgondler. Mein Vater und Großvater, und deren Ahnen, so weit sie mir bekannt sind, trieben dies Geschäft. Ich lebte dabei sehr gemächlich, bis der unselige Krieg ausbrach, welcher izt einen Theil meines Vaterlandes verwüstet. Wider meinen Willen ward ich bei der Armee als Luftgondler angeworben. Ich mußte mich in mein Geschick ergeben, und konnt’ es um so leichter, da ich zu Hause weder Weib noch Kind zu ernähren hatte.“

„Eines Tags wurd’ ich mit meiner Gondel zur Recognoscirung des feindlichen Lagers commandirt. In meiner Barke befand sich der General nebst mehrern Offizieren. Zwei Nebengondeln waren mit uns zur Beschützung. Es war ein trüber, neblichter Morgen. Das Wetter kam uns zu Statten, um unvermerkt aufsteigen, und beim fallenden Nebel das ganze Lager den Norder überschaun zu können. Allein, wie erschraken wir, als wir in den höhern Revieren der wolkigten Luft auf feindliche Segel stießen, die in gleicher Absicht dort schwebten und an Zahl uns beiweiten überlegen waren. Wir hatten uns noch kaum besonnen: so umzingelten sie uns, und der Luftscharmützel begann.“ —

„Von allem, was Ihr da saget, versteh ich kein Wort, Herr Luftgondler!“ rief Holder mit Lächeln des Erstaunens: „führt man denn izt Kriege in der Luft, wie die Vögel?“

„Sie scheinen auf Ihrer Insel hier in einer glücklichen Unwissenheit zu leben, mein Herr!“ entgegnete der Luftschiffer: „eine Unwissenheit, die mir ans Unbegreifliche gränzt, da Sie doch übrigens so viel Kenntnisse zu verrathen scheinen.“ —

„Wir leben hier“ erwiederte Holder mit lustiger Verlegenheit: „wir leben hier zu Lande ohne Umgang mit andern Menschen, ohne Bücher, ohne Zeitungen. Kurz und gut, ich glaubs Euch. Die Europäer bekriegen sich nicht nur auf Erden, auf dem Wasser, sondern auch in der Luft.“

„Ich sagte vorhin,“ fuhr der Gondler fort: „daß wir von den Nordern umzingelt wurden; wir schossen tapfer auf einander, allein die Uebermacht war zu groß. Zum Unglück hatten wir uns nicht einmal mit Lärmgeschütz versehn, um ein Nothzeichen zu geben. Unten hörte man und wußte man von nichts.“

„Erlaubet,“ fiel Holder ein: „unten hörte man nichts? War man denn so weit von der Erde entfernt, daß der Flintendonner unten nicht mehr hörbar war?“

Der Gondler lächelte: „Sie müssen wissen, mein Herr, daß zu geheimen Expeditionen, Ueberfällen, Recognoscirungen u. s. f. im Kriege die Patronen mit stillem Pulver gefüllt werden. Der Schuß ist ohne Lärmen, und am Tage kaum sichtbar. Vor Zeiten, da die Kriegskunst noch in der Wiege lag, wußte man von den schrecklichen Wirkungen und Vortheilen des stillen Pulvers nichts. — Doch zur Sache. Meine Barke verlor die Luft. Der General warf sich in den Nothschirm, und stürzte auf gut Glück hinunter — einige Offiziere folgten. Wir übrigen ergaben uns.“

„Ich ward als Kriegsgefangner einem nordischen Heerführer, dem Grafen von Gabonne, zu Theil. Dieser behandelte mich sehr menschlich — allein ich schmachtete doch nach Freiheit und Vaterland. Und die Gelegenheit erschien endlich vor kurzem. Der Friede ist izt so gut, als unterzeichnet — Preussens Adler ist diesmal Deutschlands Genius geworden. Der Waffenstillstand war schon längst geschlossen zwischen beiden Herren. Mein Herr, der Graf von Gabonne, konnte es also vom Oberfeldherrn um so leichter erhalten, die Armee auf einige Zeit zu verlassen. Er benuzte diese, um seine Beute in Sicherheit zu bringen.“

„Diese Beute war ein schönes, liebenswürdiges Mädchen, von welchem ich nicht mehr, als den Namen, Imada, weiß. Daß diese Imada von bedeutender Herkunft war, konnte man gar nicht bezweifeln. Sie soll dem Gabonne durch einen seltsamen Zufall in die Hände gerathen seyn; man erzählte sich im Lager davon allerlei Anekdoten. Kurz, er beschloß, sein Liebchen in Verwahrung zu bringen; es wurden einige Luftgondeln ausgerüstet und unsre Fahrt ging anfangs nach der Lombardei; von da wieder, warum? ward mir nicht gesagt, zurück nach Mont-Rousseau, an den Gränzen der fränkischen Republik. Als wir uns eines Tages in jenem Walde niederliessen, entschlüpft’ ich meinen Feinden und entkam glücklich. Aber gewiß hätt’ ich meinen Tod in jenen Wildnissen gefunden, wenn dieser Herr nicht das Werk der Barmherzigkeit gethan, und mich hieher geführt hätte.“

Florentin, der diese Erzählung anhörte, sas unbeweglich da, wie ein Marmorbild. — „Nicht Louise also wars, sondern eine unbekannte Imada!“ rief er, und sank Holdern in die Arme.

Unaufhörlich schwebte ihm nun Imada’s und Louisens Bildniß vor der Seele. Imada und Louise waren eins; die Erscheinung trug nur einen doppelten Namen.

Diese Imada wich nicht an Reizen der Louise des achtzehnten Jahrhunderts. Ihr Hervorschweben aus dem Gebüsch war das Hervorschweben einer Göttin, den ätherischen Hallen der Oberwelt entschlüpft. Zwar ihren Lippen war kein Laut entflossen, aber welche Sprache ging nicht aus ihren Mienen, ihren Blicken? Mit welcher Theilnehmung fand er die Seltne nicht über sich hingebogen, und was verrieth ihm ihr lezter Blick, ihr Händedruck?

„Sie ists wohl werth, solch eine Körperform, wie die Louisens war,“ dachte der gute Graf bei sich selber: „daß die Natur sie der Welt mehr als einmal vorzeigt. Und mein Herz ist geschaffen, solche Form zu lieben.“

Freilich war der Gang der Geschichte, und noch mehr der Gang seiner Empfindungen etwas abentheuerlich — allein er lebte nun einmal in einer Welt von Unbegreiflichkeiten, und es fiel ihm daher um so weniger bei, sein Empfinden, Denken und Wollen systematisch zu ordnen.

Es ward beschlossen, die Louise dieses Zeitalters aufzusuchen, in welchem Winkel der Welt sie auch versteckt leben möchte. Es war ihm überdem noch immer so unwahrscheinlich die Begebenheit in der Alpenhöhle — und räumte er Holdern viele Kunst ein: so glaubte er höchstens an den widernatürlichen Schlaf einger Jahre, aber nicht einger Jahrhunderte.

Auch im Verlauf einger Jahre konnten die Gewänder abmodern, und die Schicksale der Welt ungehoffte Veränderungen erleiden — aber Louise konnte auch noch leben! — konnte noch! und neugeboren fühlte sich Duur bei diesem Gedanken. Er athmete dann freier und tiefer, als wär er von einem dumpfen Traum erwacht, worin eine despotische Einbildungskraft ihn an wüste, menschenlose Inseln warf, und er kämpfen mußte mit wüthenden Brandungen und schrofen Klippen, getrennt durch einen unermeßlichen Ocean auf ewig von seinen Geliebten. — Es ward ihm dann wieder so wohl, so heimisch. Das Zeitalter hatte nichts Fremdes, Entlegnes mehr; er schmeichelte sich noch, bald hie und da, auf seinen Wanderungen durchs Vaterland, einen Freund, ein altes, bekanntes Gesicht wieder zu finden. — Ungern ließ er sich aus diesen Träumereien aufstören.

Daß sich Duur von nun an mit dem Luftgondler in öftere Plaudereien vertiefte; daß Imada-Louise, Gabonne und Mont-Rousseau allein ihrer Gespräche ewiger Text war; daß er jede Kleinigkeit, welche die Unbekannte betraf, genau und mit kritischer Aengstlichkeit erforschte; daß ihm Idalla’s schöne, einsiedlerische Insel immer trauriger, wüstenhaftiger, unerträglicher wurde — alles dies läßt sich errathen. Ich darf davon nichts erzählen.

Kaum nur, und mit ungeheurer Ueberwindung, gab er Holders und Idalla’s zärtlichen Bitten nach, seine Reise bis zum künftigen Frühling zu verschieben und den Winter über in ihrer Gesellschaft zu bleiben.

Herr Matthias, der Luftgondler, fing an, sich in diesem schönen Cirkel zu gefallen. Man behielt ihn auch gern bei, weil er ein guter, ehrlicher Schlag von Menschen war, der weiter keinen Fehler hatte, als daß er gar zu gern philosophirte und docirte, wozu ihn wahrscheinlich die Unwissenheit der Insulaner verführte. Er versprach auch, den Grafen auf seinen Reisen als ein getreuer Sancho zu begleiten, und, wo möglich, den Badner des achtzehnten Jahrhunderts vergessen zu machen.

Zehntes Kapitel.
Der Winter.

Es brach der Winter ein; die Silberflocken des Schnees gaukelten lustig um die kleinen Scheiben der Hüttenfenster, und die blätterlosen Gesträuche und Bäume strahlten im funkelnden Reif. Der See erstarrte im kalten Hauch des Dezembers; das Wild brüllte durch den Forst und vor der Hütte schwärmten vertraulich kleine Schaaren von Sperlingen und Meisen, Idalla’s Wohlthätigkeit in Versuchung zu führen.

Duur wurde in seinem Innern ruhiger; er durchstreifte, mit seinem Pudel, fleissig die Waldung und versorgte Idalla’s Heerd mit Wild. — Imada-Louise stand freilich noch immer in einsamen Stunden vor seinem Geiste, umgeben mit aller Pracht, zu deren Erfindung eine schwärmerische Phantasie fähig ist. Allein er betrachtete dies schöne Bild mit immer kältern Blute, und überließ es dem gütigen Zufall, ob je noch seine Lieblingswünsche erfüllt werden sollten.

Auch hatt’ er sich allmählig für die Zukunft schon sein Plänchen entworfen, einfach und nützlich. Er wollte mit dem Frühlinge auswandern in die Welt, um die Verwandlungen der Welt zu studieren, seiner Neugier zu gnügen und zu erfahren, ob der Favorittraum seines guten Oheims von der glücklichen Nachwelt realisirt wäre. — Nebenbei wollt’ er dann umhersuchen unter den Töchtern des Landes — Imada-Louise! um eine Theilnehmerin seiner Leiden und Freuden mit sich in Idalla’s Insel zu führen, seinem Abgott, seinem Karlchen, eine Mutter zu geben, und der lieben Idalla eine schwesterliche Gesellschaft.

Denn fest hatte ers beschlossen, sich nimmer wieder verwickeln zu lassen in die quälenden Verhältnisse der großen Welt, sondern die Seligkeiten des häuslichen Lebens und der Einsamkeit jenem leeren Geräusch vorzuziehn, welches nur den Unwissenden entzücken, und die Thoren beschäftigen kann.

Holder war von seiner Seite ebenfalls nicht müssig, sich den traurigen Winter zu verschönern. Er nannte Idalla Weib, Idalla war glücklich durch ihn und ahndete Mutterfreuden.

Jeder, vom ersten bis zum lezten in dieser kleinen Republik, sann, wünschte, empfand nicht für sich, sondern nur für die andern. Jeder Tag war ein kleines Fest. Man liebte und wurde geliebt. Man war erfinderisch in neuen überraschenden Freuden für die übrigen, und sah den schönsten Theil der Lust auf sich selbst wieder zurück strömen.

Und versammelte sich Abends die liebenswürdige Familie um das lodernde Feuer des Camins; schien die Unterhaltung stocken zu wollen, und die Fröhlichkeit zu schweigen: so rief Holder zur Aufmerksamkeit, und erzählte die seltsam verwickelten Begebenheiten seines frühern Lebens, die ihn zu dem herrlichen Manne machten, der er war.

Dann schmiegte sich schauderndfroh Idalla an den Arm ihres Gattens; dann drückte Duur sein schlummerndes Kind fester an seine Brust und Matthias der Luftgondler starrte mit Verwundrung und Entsetzen den Mann an, welcher als Jüngling Thaten vollendete, woneben seine Bataille in den Wolken wie Kinderspielerei aussah.

Es thut mir viel zu leid, hier den Faden der Geschichte abzureissen und die Begebenheiten des wilden, großen Holders in einer Episode dürr zu skizziren — sie verdienen wohl, eigen behandelt zu werden.

Vielleicht erzähl ich sie meinen Lesern zu einer andern Zeit — vielleicht bald!

Zweiter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Auswanderung in die neue Welt.

So verlor sich der Winter unter Lust und Arbeit. Die Flocken des leuchtenden Schnees zerschmolzen am milden Hauch des Aprils, und die erwachenden Gesträuch’ und Bäume trieben Knospen an Knospen und Blüten an Blüten. Der Grund der Wiesen und Anhöhn und Thäler vertauschte das falbe, veraltete Kleid mit einem duftigen Grün, und die Lerchen schwangen sich mit süßem Wirbelton dem mildern Himmel entgegen.

„Das war ein Jahr!“ rief Holder an einem schönen Maitage: „Ein schönes, einförmiges Jahr, ohne Sturm und Drang, und doch so üppig reich an stiller Lust! — Gewährt der Himmel mir eines Wunsches Erfüllung: so sey der Rest meines Lebens dieser kleinen Vergangenheit gleich.“

„Ich will werden, wie Du“ — lächelte Duur: „darum will ich hinaus und mir eine Idalla suchen.“

„Und ich will auch nicht müssig bleiben während Deiner Entfernung,“ entgegnete Holder: „eine Hütte will ich Dir und Deiner Idalla inzwischen bauen, und wenn Du heimkömmst sollst Du alles vollendet finden, um ein patriarchalisches Leben zu führen.“

Die Anstalten und Zurüstungen zum Ausfluge in die neue Welt wurden gemacht; Florentin belud sich mit einem Theil der Juwelen und Steine des achtzehnten Jahrhunderts; Matthias der Luftgondler ließ sich von der geschäftigen Idalla den Renzel füllen mit Speis’ und Trank; jeder nahm seinen Wanderstab zur Hand und der treue Pudel sprang hoch und freundlich an dem Grafen auf.

„Lebt wohl!“ tief Florentin, und preßte Holdern und Idallen in einer langen Umarmung an seine Brust und seine Augen funkelten von einer Thräne, als er den weinenden Karl zu sich empor hob.

Holder geleitete die Wandrer bis zum jenseitigen Ufer des Sees, und schied dann von ihnen mitWehmuth. Idalla und Karlchen standen am Inselufer und riefen tausendmal Lebewohl und warfen tausend Küßchen hinüber, bis die Theuren unter dem Laube der Gebüsche ihnen aus den Augen verschwanden.

Der Graf kannte dies Revier meilenweit umher durch seine Jagden. Er wanderte gen Nordost, wo er am ehsten Weg und Steg und Menschen zu finden hoffte.

Gegen Abend trafen sie wirklich in der Wildniß eine Spur von befahrnem Wege, und ohne Zögern ward die glückliche Entdeckung benuzt. Die Waldung schien sich allmählig zu verdünnen; die Gegend wurde unebner, felsichter. Auf dem Gipfel eins Berges hielten sie zulezt an, um auszuruhn, denn die Nacht war schon eingebrochen.

Matthias schnürte den Renzel auf und that sich gütlich; nur Florentin konnte noch nicht rasten. Er kletterte von einem Fels zum andern in die Höhe, um wo möglich noch eine frohe Entdeckung zu machen.

Allein die wilden Berg und Klippen

Stehn, wie ein Lanzenheer vor ihm gedrängt;

Kein Moos, kein Laub; nur daß an Felsenrippen

Noch hie und da ein ödes Strauchwerk hängt.

Geborstne Schlünde, schrofe Mauern,

Kühnhangende Stücke drohnde Last,

Untiefen den dem Tag gehaßt,

Des Stralen matt zurücke schauern. —

Dies war seine ganze Aussicht. Traurig schlich er zurück zum Reisegefährten, der neben dem treuen Pudel und offnen Renzel in süßer Ruhe schlief. Der Graf betrachtete Beide mit wohlgefälligem Lächeln, und warf sich in ihre Mitte nieder.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen am folgenden Tage, als die kleine Caravane schon ihre Straße weiter zog im Gebürge; allein mit ziemlich übeln Humor, weil sie den Weg verloren hatte, der zu Menschen zu führen versprach.

Eine Stunde mochten sie schon zurückgelegt haben, als sie den Gipfel eines benachbarten Berges erstiegen hatten. Müd’ und odemlos langten sie oben an — aber ihre Mühseligkeit wurd’ ihnen überraschend vergolten, als sie den Blick von der andern Seite des Gebürgs hinunterwarfen.

Ein junges Eden lag hier ausgegossen,

Vom Arm der Felsen eingeschlossen,

Die mit dem tiefsten Schwarz das helle Grün

Der Landschaft hoben. Her und hin

Sahn sie ein fliessend Silber unter Bäumen

Sich schlängeln; dort von schrofen Höhn

Kaskaden brausend niederschäumen,

Die unten sich in weiten Wirbeln drehn.

Um jeden Baum, um Strauch und Hügel,

Um jeden kleinen Blütenwald,

Weit über stiller Seen Spiegel,

Der dann und wann im Lüftchen wallt;

Tief über Blumenschwangern Gründen,

Sanft über hangende Gebüsch’,

Die ihr Gebild in reinen Wellen finden,

Schwamm, allverklärend, lächelnd frisch

Aurorens Schleier ausgebreitet,

Von Glanz und Rosenlicht bereitet.

Doch reizender als alles war den Pilgern der Prospekt eines fernen Dörfchens, welches im Hintergrunde aus dem Duft des Morgens hervorstieg.

„Frisch auf!“ rief der Graf, in einer Art von Begeisterung, wie damals, als er mit Badner einst beim Sonnenuntergang auf dem Felsen an der Gränze des deutschen Vaterlandes lag.

Der Pudel ging voran und zeigte den Weg. Gegen Abend war das Dorf erreicht. — Nun hatte Duur überwunden. Er erkundigte sich nach dem Namen der Gegend und der Herrschaft, kaufte dem Gutsbesitzer einen bequemen Reisewagen nebst zwei prächtigen Wallachen ab und Matthias, der Luftkutscher, machte von nun an den Fuhrmann auf Erden.

Zweites Kapitel.
Das Abentheuer am Schlagbaum.

Wer sind Sie?“ fragte ein wohlgekleideter Mann, der mit vieler Bescheidenheit zum Wagen trat, als sie eben vor einer ansehnlichen Stadt ankamen.

Matthias hielt die Pferde an.

„Ich bin der Graf von Duur.“

Florentin hatte kaum seinen Namen genannt, als sich der Examinator ehrfurchtsvoll verbeugte, und eine Schildwacht den Schlagbaum niederzog, auf welches Signal die ganze Thorwache heraus unter Gewehr trat.

Der Graf, welcher sich nicht einbildete, daß diese Achtungsbezeugungen seinetwillen geschahn, würdigte sie kaum eines Blicks, sondern sah nur auf den Examinator, welcher in ehrfurchtsvoller Stellung fragte:

„Aus Deutschland?“

„Allerdings.“

„In Diensten welches Fürsten?“

„Keines einzigen.“

„Oder gewesen?“

„Keines einzigen.“

Der Thorschreiber schüttelte den Kopf lächelnd und ging zum wachthabenden Offizier.

„Ich muß gestehn, Matthias,“ sagte der Graf: „daß die Thorschreiber dieses Jahrhunderts in der Cultur richtige fünfhundert Jahre voraus haben vor den Thorschreibern meiner Zeit. Vom Thorschreiber auf die Obern dieser Stadt, und von dieser Stadt auf das ganze Reich zu schliessen, muß unterdessen eine gewaltige Revolution der Sitten vorgegangen seyn.“

„Ei!“ rief Matthias: „und ich muß gestehn, daß ich mir nicht geträumt habe, einen Grafen von Duur zu fahren!“

Der Offizier kam an den Wagen. „Mein Herr, Sie geben sich für einen Grafen aus, ohne weder in Diensten zu seyn, noch gewesen zu seyn. Erlauben Sie, wie hängt das zusammen? Womit legitimiren Sie sich?“

Florentin ward bestürzt.

„Sie verzeihn,“ fuhr der Offizier fort: „der Krieg im Lande hat das strengste Examen nothwendig gemacht. Also?“ —

„Ich kann doch unmöglich meine Diplomen bei mir führen, oder meinen Stammbaum.“

Stammbaum? Was wollen Sie damit sagen?“

„Um Ihnen meine Herkunft zu beweisen.“

Herkunft? reden Sie deutlicher. Was intressirt uns Ihr Stammbaum und Ihre Herkunft?“

Duur fand sich in einer häßlichen Verlegenheit; er sah leicht ein, daß hier ein Mißverständniß herrsche, nur wußte er nicht, auf welcher Seite. Der Thorschreiber blinzelte den Offizier seitwärts an, mit einem bedeutenden Blick, der so viel sagen sollte, als: bei dem Herrn ists nicht richtig im Kopf, oder im Herzen.

„Sie wollen wissen, woher ich Graf sey?“

„Richtig, und durch wen?“

„Durch wen? ei durch meine Geburt. Mein Vater und Großvater waren im Grafenstand.“

„Sie sind doch aus Deutschland?“

„Ganz gewiß.“

„Mein Herr, Grafen werden hier zu Lande nicht geboren.“ —

„Nicht geboren?“ stotterte Duur verwirrt.

Der Offizier lachte laut auf, winkte einem Soldaten, und befahl diesem, den Wagen zu folgen. „Mögen Sie seyn, wer Sie wollen, so muß ich Sie dem Commendanten melden. Wo treten Sie ab?“

„Im ersten besten Gasthof.“

„Zur goldnen Hoffnung!“ tief der Offizier und Matthias fuhr bin zur goldnen Hoffnung, wo der Soldat den Grafen bewachte.

Drittes Kapitel.
Der Commendant.

Duur war etwas ärgerlich über den Empfang in der Welt des drei und zwanzigsten Jahrhunderts. Er ward sich fremd mitten im Vaterlande, und schien sich in seinen eignen Augen, wie ein unwissender Knabe.

„Wein her?“ rief er. Ein niedliches, gefälliges Mädchen brachte Wein. „Befehlen Sie mehr?“ fragte die Zofe mit einem lockenden Lächeln.

Matthias soll zu mir aufs Zimmer kommen.“

Das Mädchen ging. Matthias kam.

„Aber Matthias — — —“ seufzte Duur mit einem tragischen Lächeln.

„Aber mein Herr“ seufzte der Luftgondler: „ich bitte Sie, besinnen Sie sich doch, was haben Sie dort alles am Schlagbaum gesprochen? — Beinah möcht’ ich Ihnen Ihren Spas glauben, daß Sie fünfhundert Jahre geschlafen haben.“

„Ich sehe nur nicht ein, was ich Böses gesprochen?“

„He, he, he! Sie sagten zum Beispiel, Sie wären ein Graf von Geburt — wie in aller Welt kann man denn gräflich, oder auch nur edel geboren werden? Besinnen Sie sich doch! Freilich, vor alten Zeiten, da die Menschen noch kindisch genug waren, sich einzubilden, daß die Sünden erblich wären, glaubte man auch noch, die Tugend wäre so erblich, wie ein Geldkasten. Damals wurden noch die edeln Leute geboren! he, he, he! aber izt ist man kein Kind mehr.“

„Die Geburt von adlichen Eltern adelt also nicht mehr?“

„Sie wollen mich zum Besten haben. Verstellen Sie sich doch nicht. Ein Schulknabe kann ja das berechnen.“

„So, so!“ murmelte Florentin und ahndete, daß es in dieser Welt um seinen Adel gethan sey.

Die Bouteille war noch nicht leer, als er zum Commendanten gerufen wurde.

Er ging und fand einen liebenswürdigen Greis, dessen sanfte Miene ihm alles Liebe voraus versprach.

„Setzen Sie sich, mein Freund;“ sagte der gute Commendant, indem er ihm einen Stuhl zuschob.

„Gnädiger Herr, Sie müssen verzeihn — — —“

Der alte Herr lächelte, und winkte mit der Hand und dem Schütteln des Kopfs zum Stillschweigen.

„Wofür halten Sie mich, lieber Freund, daß Sie mich wie einen Fürsten des Landes anreden? Ich bin ja nur Commendant dieser Stadt. — Allein der wachthabende Offizier hat mir schon von Ihrem sonderbaren Betragen Nachricht gegeben. Gestehn Sie offenherzig. Sie kommen entweder aus der Krim, oder aus Portugal; denn ich kann Sie weder für blödsinnig noch boshaft nehmen.“

Duurs Bestürzung wurde immer größer. Er unterstand sich kein Wort von seinem langen Schlaf zu erzählen, um nicht für vollkommen verrückt gehalten zu werden. Und doch sah er auf der andern Seite keinen einzigen Weg, um sich aus den immer neu anwachsenden Verlegenheiten zu erretten.

„Sie schweigen?“

„Gnädger Herr — —“

„Still! ich bitte Sie! erholen Sie sich. Ich bin, wie gesagt, nur Commendant.“

„Herr Commendant — —“

„Nun?“

„Wie ich endlich wohl einsehe aus allen den seltsamen Verhältnissen, worin ich durch mein Betragen verstrickt werde: so hab’ ich von meinem Vater die albernste Erziehung erhalten. Ich bin in allen meinen Kenntnissen und Handlungen noch um ein paar Jahrhundert zurück.“

„Wer ist Ihr Vater.“

„Er lebte mit mir, ausser eingen Bedienten, abgesondert von der Welt auf seinem Landschlosse an den Alpen, studierte die ältere Geschichte und erzog mich so, als wär’ ich ein Bürger des achtzehnten Jahrhunderts. So brachte er mir von allen Dingen die absurdesten, schiefsten Vorstellungen bei, bis die Ausschweifungen seines kranken Verstandes sichtbarer wurden. Er starb unter den Händen der Aerzte und ich wurde von meiner Familie auf Reisen geschickt, um mich selbst auszubilden.“

Duur gab sich alle Mühe, seine Nothlüge noch mehr auszuschmücken und wahrscheinlicher zu machen. Der alte Commendant zweifelte so lange, bis ihn der Inquisit offenbare Beweise von der speciellsten Kenntniß des achtzehnten Jahrhunderts lieferte.

„Nun muß ichs endlich glauben, was Sie mir da sagten; aber ich gestehe auch, daß dies der wunderlichste Fall sey, der mir in meinem Leben vorgekommen ist. Seyn Sie ruhig, Sie sind frei. Aller hüten Sie sich in Zukunft, von Ihrer Grafenwürde zu reden.“

Der Ex-Graf gratulirte sich im Stillen, diesmal so entschlüpft zu seyn. Er unterhielt sich mit dem humanen Commendanten noch einige Zeit, und dieser, der den gewizten Bürger des achtzehnten Jahrhunderts Geschmack abzugewinnen schien, nöthigte ihn, zum Abendessen zu bleiben. Duur schlugs nicht ab.

Viertes Kapitel.
Für keinen Freund des achtzehnten Jahrhunderts.

Der Commendant führte seinen Gast in ein größeres Zimmer, worin sich mehrere Damen, größtentheils Verwandtinnen des alten Herrn, befanden. Florentin Duur wurde ihnen vorgestellt, und von allen mit zuvorkommender Liebe aufgenommen. Es dauerte nicht lange: so hatte er sich in diesem Cirkel orientirt. Jeder und jede gewann den Abentheurer lieb; an Unterhaltung konnt’ es nicht mangeln.

An der Seite stand ein prächtiges Euphon, dessen Aussenseite in allem einem Claviere glich. Duur vermuthete auch nichts anders darin und darunter. Er mußte sich setzen und spielen, weil er das Können schon gestanden hatte.

Aber welche Töne entzückten hier sein Ohr — er war ausser sich. Nie hatte er die Möglichkeit eines solchen sanftdurchdringenden Klanges gekannt; er phantasirte leicht und wirbelte durch Moll und Dur, und sein Geist lebte in einer andern Region.

„O welch ein Jahrhundert!“ seufzte er leise bei sich, und ahndete eine Reihe von Seligkeiten, welche ihm bevorstanden bei der nähern Erkenntniß des großen Fortschrittes der Menschheit.

Die Damen umringten ihn lächelnd und beobachteten nur den schwärmerischen Blick des liebenswürdigen Gastes.

Zuweilen berührte sein Auge sie, und der Anblick dieses schönen Halbzirkels erhöhte die Grade seiner angenehmen, unerklärlichen Empfindungen. Hier sah er keine Buffanten, Trompeusen, Cü de Paris, und künstliche Pendüles — sondern Einfalt und Natur, wiewohl die anwesenden Schönen gallamässig kostbar gekleidet waren.

Ein einfarbiges, leichtes Uebergewand floß hinab bis zu den Füßen, unterm Busen zusammengeschlossen von einem gestickten Gürtel. — Keine Schnürbrust, keine Poschen gaben dem Körper ein steifes, gedrechseltes, eckigtes Aeußere — sondern die ganze schöne, weiche Bildung den Weibes stand unverrathen da. Ein Schleier verhüllte mit tausend Falten des Busens Heiligthum, von keinen fischbeinernen Stützen und Drathbügeln aufgebläht. Das Haupt trug keinen sinnlosen Tok, kein gothisches Gebäude von Haarwulsten und Locken oder Flor und Spitzen, Drathskelets und Straussenfedern; sondern das Haar lief ungepudert in natürlichen Locken um Nacken und Hals. Die jüngern Damen schmückten ihr Haupt mit einer schimmernden Tiara, die ältern verhüllten es mit einem weissen Schleier.

Er war die Tracht der griechischen Grazien.

Duur sas noch immer am Euphon, und sein Ohr konnte sich nicht sättigen im Genuß dieser süßen Tone. Er spielte einige Symphonien von Reichard und Rolle und Graun, und erndtete dafür den verbindlichsten Dank ein. Was ihn am meisten freute, war, daß die Namen jener Tonkünstler den Genossinnen des drei und zwanzigsten Jahrhunderts nicht unbekannt waren. Die reizende Tochter des Commendanten nannte ihm sogar die Namen eines Händel und Bach mit einer gewissen Begeisterung, wie man sie nur für Lieblinge fühlt. Noch mehr, sie spielte ihm selbst Theile von den Arbeiten dieser Meister mit vieler Geschicklichkeit vor.

„Ist Ihnen auch Dittersdorf, Martin, Salieri bekannt?“ fragte Duur nach einem Weilchen.

Die Spielerin schüttelte den Kopf. Die Namen waren ihr fremd.

„Aber was halten Sie von unsern neuem Komponisten, denn alle, die wir bisher kritisirten, gehören zu den uralten Vätern in der Musik. Es ist wahr, man muß erstaunen, wie weit es jene Patriarchen der Tonkunst schon im achtzehnten Jahrhundert brachten — allein, man kann doch auch nicht läugnen, daß ihre Manieren gewaltig altfränkisch und ängstlich sind, wiewohl unsre jungen Künstler ihre Werke noch immer studieren müssen.“

„Das wollen wir auf ein andermal verschieben!“ rief lächelnd der Commendant, welcher sich an der Verwunderung seines Gastes weidete: „Jezt zu Tische, ehe die Suppe erkaltet. Ueberhaupt, Rosalia, muß ich Dich im voraus daran erinnern, daß Du unserm Gaste keine Fragen über die Produkte unsers Zeitalters vorlegst, denn er ist nur im achtzehnten Jahrhundert, und wahrhaftig sonst nirgends zu Hause.“

Duur ward feuerroth. Rosalia lächelte ihn an, und ihr Lächeln machte alles wieder gut. Sie sezte sich am Tische neben ihn, und noch hatte Florentin in diesem Jahrhundert keinen fröhlichern Abend für seinen Geist gehabt, als diesen.

Es war schon Dämmerung. Der Commendant sah sich allenthalben um, klingelte endlich und — eine krystallene Sonne sank aus der Mitte der Zimmerdecke, um den ganzen Saal mit Tageshelle zu überströmen.

Unser Pilger fühlte sich bei allen diesen zauberhaften Erscheinungen recht wohl. Er hätte bei jeder Kleinigkeit fragen mögen, wie ein Kind: „wie ist das? wie heißt dies? wodurch entspringt jenes?“ — Aber eine Empfindung der Schaam und Furcht, dieser Gesellschaft, und besonders der gefälligen Rosalia lächerlich zu werden, fesselte seine Zunge und ließ ihm die beste Belehrung vom gewognen Zufall erwarten.

Fünftes Kapitel.
Fortsetzung, oder: der Commendant plaudert.

Nach aufgehobner Tafel zog der brave Commendant (dessen Namen ich nicht länger verschweigen will) Silberot den Mann des achtzehnten Jahrhunderts zu sich auf einen elastischen Divan.

Die Damen, deren Geist durch Wein und geselligen Scherz zur Freude gestimmt war, spielten, plauderten und tändelten unter einander; eine von ihnen behauptete immer den Sitz am Euphon; nur Rosalia entwischte öfter ihren Freundinnen und dem Euphon, um dem sonderbaren Fremdling etwas näher zu kommen.

Der alte Commendant verwickelte sich aber bald mit seinem Gaste in ein neues Gespräch, wozu besonders Florentins Abentheuer am Schlagbaum den meisten Anlas gab.

„Zwar bin ich kein Gelehrter,“ sagte er: „aber ich habe doch sonst gern, besonders in meinen jüngern Jahren, von alten Geschichten gelesen, und besonders von einem preussischen König Friedrich, den seine Zeitgenossen den Einzigen nannten. Wahrhaftig, der Mann war zu früh in die Welt gekommen. Man muß erstaunen, nicht sowohl über das, was er gethan hat, sondern was er, wenn er in einem polizirtern Zeitalter gelebt hätte, gewiß gethan haben würde, und was sein ganzes Wesen auch ahnden ließ. Fürwahr! dieser Einzige hat den Beinahmen des Großen in den Annalen der Weltgeschichte theuer gemacht, da man ihn vorher an jedem Menschenschlächter und bigotten Narren zu verschwenden gewohnt war.“

Duur. Sie haben recht. Aber Sie sagten, er sey zu früh geboren worden. Ich möchte behaupten: grade zur rechten Zeit.

Commendant. Nun ja. Christus und Luther kamen auch zur rechten Zeit, wenn sie gleich unter blinden Barbaren leben mußten. Das Licht brennt dann immer zur rechten Zeit, wenns dunkel umher ist. Ich gebs zu.

Duur. Halten Sie denn das Zeitalter jenes preussischen Königs für so dunkel?

Commendant. Für hell wenigstens nicht. Sie haben heut an unserm Thore sich selbst den Beweis geliefert, als Sie von Ihrer — nehmen Sie’s mir nicht übel, wenn ich lache, denn der Spas war einzig in seiner Art! — als Sie von Ihrer adlichen Geburt sprachen, ha, ha, ha!

Duur. Ich räum es ein, daß — — — allein — —

Commendant. Ich bitte Sie um des Himmels willen, liebster bester Schatz, die gesunde Vernunft giebts ja an die Hand, daß wir alle, groß und klein, arm und reich, wie wir da sind — allzumal als elende Krüppelchen in die Welt treten! — Freilich auf die grausamen, finstern, barbarischen Zeiten der Vorwelt müssen wir nicht sehn, denn damals wußte die liebe Menschheit noch blutwenig von der Vernunft; ja, die Menschen sind damals so toll gewesen und haben die Vernunft verschrien, wie wir heutiges Tages die Verrücktheit. — Nun freilich, da gings denn unter den Sterblichen nicht viel besser, als unter den wilden Thieren; wer die schärfsten Zähne und derbsten Fäuste besas, der hatte das Recht immer zur Seite.

Duur. Sie sprechen von den Ritterzeiten.

Commendant. Nun ja. Damals gabs Freie und Sklaven; pfui, Blut und Galle möchte man speien, wenn man daran denkt, daß der Mensch vorzeiten ein Thier war! — Die Freien bildeten sich ein, sie wären bessere Menschen, wie die armen Unterjochten, und nannten sich Edle. Die Könige und Fürsten machten diese Leute zu ihren Freunden, Räthen und Unterbefehlshabern. Das konnte man den Fürsten gar nicht verargen, denn der gemeine Mann, der sogenannte Unedle, war abgeschnitten von aller guten Erziehung und Bildung. — Als aber endlich die Aufklärung allmählig zum Durchbruch kam, fingen auch die Unedeln an sich in Künsten und Wissenschaften hervorzuthun, und im Durchschnitt genommen waren am Ende die Bürgerlichen reicher, klüger, gelehrter als die Edeln, noch mehr, sie waren auch biederer, als diese. Trotz dem allen behauptete sich dass alte barbarische Herkommen noch lange. Die Edelleute erhielten sich, trotz ihres auffallenden Minderwerths, oben an, und hatten den spashaften Einfall, den sie auch männiglich verfochten: daß sie mit mehrern Rechten geboren würden, als die Unedeln. — Nun fragte man freilich: Wie könnt ihr denn, ohne Verdienst, blos durch Geburt, mehr Rechte haben, als andre ehrliche Menschen, eure Brüder? Aber darauf hörte man nicht. — Kurz, man behielt die barbarische, vernunftwidrige Grille der Vorwelt bei.

Duur. Im achtzehnten Jahrhundert?

Commendant. Im achtzehnten und neunzehnten.

Duur. Verzeihn Sie, Herr Commendant, daß ich das achtzehnte im Schutz nehme. Schon damals beschnitt man die alten Vorrechte des Erbadels sehr, und der Bürgerliche genoß, wenn er Verdienste besaß, mit dem Adlichen gleiche Achtung, nur mit dem Unterschiede, wie Sie selbst schon bemerkt haben, daß der Adliche die höchsten Würden und Aemter des Staats allein besezte.

Commendant. Sie sind diesmal ein nachgiebiger Advokat von der Lieblingsperiode Ihres Vaters. Eben dies, daß man zu der Zeit schon einsah, die Natur oder Gottheit habe einen Menschen mit so vielen Anrechten ausgestattet, als den andern; daß man einsah, des Vaters Genie erbe nicht auf die Kinder, macht jene Zeit noch lächerlicher. Dem besten Kopf und dem besten Herzen, nicht dem besten Stammbaum gehören die ersten Posten des Reichs. — Unter uns gesagt, liebster Mann, ich war in meinem Leben immer ein elender Wortfechter, aber bei diesem Streit würd’ ich siegen, wenn ich Ihre Einwürfe auch gar nicht widerlegte.

Duur. Sie meinen, die Sache spräche für sich.

Commendant. Meinen Sie anders? — Apropos, lebte nicht der alte Balladendichter Bürger so ungefähr in jenen Zeiten? Wie mirs deuchtet, so ums neunzehnte oder zwanzigste Seculum.

Duur. Ich bitt’ um Verzeihung, im achtzehnten schon.

Commendant. Er schrieb eine Ballade: des Pfarrers Tochter von Taubenhain. Ein sogenannter Edelmann verführt und verläßt um seines Standes willen ein Mädchen, welches in der Verzweiflung das Kind ermordet und selbst nachher aufs Rad geflochten wird. — Wahrhaftig, heutiges Tages, wenn wir noch Räder hätten, würde der Kerl und nicht das Mädchen aufs Rad geflochten seyn. — Gabs wirklich im achtzehnten Jahrhundert solche unmenschliche Szenen und Verhältnisse?

Duur. (stockend) Sehr viel.

Commendant. Gabs wirklich edle Leute, die einem armen Mädchen alles — alles nahmen, um Ruhe, Ehr’ und Liebe der Menschen brachten, und dann satanisch genug waren, sich hinter ihren Stammbaum zu verstecken?

Duur. O viel! viel!

Commendant. Viel? — nun mein Gott, so dank ich Dir, daß ich nicht geboren ward unter den Barbaren, die edel genannt wurden, und schändlich sich wälzten in Lastern, deren Geburt Adel, deren Leben Unadel war. Hätt’ ich damals gelebt — beim Himmel, ich hätte Mordthaten begehn müssen! —

Duur. Und izt?

Commendant. O, ich möchte den Bösewicht sehn, der ein Mädchen entehren, und dann es nicht wieder zu Ehren bringen wollte, weil er — edler wäre, als die Unglückliche! — Doch lassen Sie sich erzählen, wie’s späterhin ward.

Duur. Ich bin sehr begierig.

Commendant. Der Bürger stieg immer mehr durch seine Verdienste, der Erbadel sank. Er sank, weil die gesunde Vernunft siegreicher wurde. In Frankreich war er schon im achtzehnten Jahrhundert vernichtet — weit später in Deutschland. Hier schien er sogar wieder zu steigen im neunzehnten Jahrhundert, denn die Könige und Fürsten adelten in solcher Menge, und so ohne Unterschied, daß es zulezt eine Ehre war — unadlich zu seyn. Ich erinnre mich, in einem alten Historienbuche gelesen zu haben, daß die Könige sogar ihren Köchen und Leibschustern, wegen einer guten Suppe, oder eines schönen Stiefelschnitts, die erblichen, unnatürlichen Vorrechte verliehen haben.

Duur. Ich erstaune.

Commendant. Aber so mußt’ es kommen, wenn die Deutschen ihre Thorheit endlich einsehn sollten. Man konnte sich zulezt vor allen Edelleuten nicht mehr retten. Man hatte nicht mehr Aemter genug für sie. Die Aermern bequemten sich zu äusserst bürgerlichen Handthierungen; verdienstvolle Bürger betraten, ohne Adel, die erhabensten Ehrenstufen im Militair- und Civilwesen, und da man endlich bemerkte, wie sich das Land dabei sehr wohl befand, so — — —

Duur. Und das ging ohne Gährungen und Revolten ab?

Commendant. Ohne Geräusch. Freilich, die Edelleute schrien wohl dagegen und prophezeihten, daß mit ihrem Untergang alle Monarchien einstürzen würden, aber dies war eben so lächerlich, als da die Mönche in den uralten katholischen Zeiten, bei Schmälerung ihrer Rechte, schrien: die Welt würde untergehn und der Antichrist sich von seinen Ketten losrütteln und die Erde verwüsten.

Duur. Sonderdar!

Commendant. Nein, sagen Sie lieber, sehr natürlich. Dännemark machte endlich den Anfang zur Reformation des Adels. Der Erbadel ward durchgängig aufgehoben, und statt dessen der Verdienstadel eingeführt. — Das deutsche Reich, um allen Verwirrungen abzuhelfen, bequemte sich endlich auch zu dieser Reforme.

Duur. Also giebts noch einen Adel?

Commendant. Freilich. Machen Sie sich um das Vaterland durch eine große That, durch Lebensrettung des Monarchen, durch Erhebung und sichtbare Vermehrung der Wissenschaft und Kunst, durch wohlthätige, große Erfindungen, die der Menschheit willkommen sind, um den Staat, um die Menschheit verdient: so werden Sie in die Reihe der Edeln des Volks versezt; ganz Deutschland wird Sie schätzen, und im Ein- und Auslande erhalten Sie Freundschaft und Ehrenbezeugungen, als wären Sie der Sohn eines Fürsten.

Duur. (mit Rührung) Ich erstaune.

Commendant. Der Adel ist daher selten, und jeder strebt nach ihm — aber Kinder erben ihn nicht vom Vater, so wenig, als sein Verdienst, wodurch er ihn gewann. Sollte auch nun ja einmal bei Ertheilung des Adels menschlich verfahren werden, so hat dies doch für die Nachwelt keinen Schaden. Es giebt izt unadliche Feldherrn und adliche Künstler. Zudem würde man den, der seinen Adel erschlichen hätte, leicht und auffallend bemerken, da erwiesen werden müßte, daß er allgemein bekannte, öffentliche Verdienste errungen habe; auf geheime Verdienste bei den Königen wird nicht reflektirt.

Duur. Wer erhebt denn aber in den Adelstand?

Commendant. Ich sehe, Sie sind in allen ziemlich unwissend — verzeihn Sie mir diese Bemerkung, denn Sie sind mir das auffallendste Räthsel, was ich kenne. — Das Land und der allgemeine Ruf schlägt den Candidaten vor; das Collegium der Edeln wählt und der Landesherr bestätigt. —

Duur. Man hat auch Grafen und — — —

Commendant. O ja, allein diese sind in Würden nicht mehr, als andre Edle. Der Landesherr hat das Recht, einen verdienstvollen Adlichen — blos auf seine Lebenszeit — mit Gütern, kleinen Grafschaften zu belehnen. Daher denn der Name. Nach dem Tode des Adlichen fällt das Gut einem andern zu.

Duur. Glückseliges Zeitalter!

Commendant. Glückselig möcht’ ichs nun wohl nicht nennen. Aber freilich, wenn Sie an Ihr achtzehntes Jahrhundert denken: so muß ich Ihnen Recht geben. Allein wie können Sie auch zwischen diesen Zeitaltern eine Paralelle ziehn?

Duur. Ich fühls beinah, die Paralelle würde sehr gedehnt ausfallen. — So kann ich mir nun auch das Betragen derer erklären, die mich am Thore empfingen.

Commendant. Ha, ha, ha! —

Duur. Ich glaubte nicht, daß die Ehrenbezeugungen mir gelten könnten; ich bildete mir ein, man verwechsle mich.

Commendant. Ha, ha, ha, ha!

Duur. Ich wills mir nie wieder beikommen lassen, mich Graf zu nennen.

Sechstes Kapitel.
Rosalia medisirt.

Die schöne Tochter des Commendanten konnt’s unmöglich länger dulden, daß der Fremde auf dem Divan wie geschmiedet sas. Sie mischte sich ins Gespräch, wiegelte auch die andern Damen auf, und der ehrliche Commendant mußte in dieser allgemeinen Revolution seinen aufmerksamen Schüler fahren lassen.

Die Unterhaltung ward mit diesem Augenblick gemeinschaftlicher und lebhafter; Florentin mischte sich unter die lieben Schwätzerinnen, und ohne daß er es wußte, drängte er sich Rosalien näher.

„Um Verzeihung, mein Herr!“ fing das Fräulein an, mit einem ironischen Lächeln, worin doch noch so viel Seelengüte wohnte:

„Sie sind wohl gar Professor der Alterthumskunde auf einer Akademie?“

„Beinah errathen, mein Fräulein.“

„Wirklich? Sie sehn doch aber so jung? Ich dachte mir unter solchen Alterthumsprofessoren wenigstens Graubärte von sechzig Jahren.“

„Sie wissen mein Alter nicht.“

„Aber sagen Sie offenherzig, gehören Sie denn wirklich zu den sonderbaren Leuten, die in der Vorwelt alles besser finden, als in der Iztwelt?“

„Wer könnte bei Ihnen die Vorwelt schöner finden?“

„Das kam nicht von Herzen.“ —

„Gewiß. Darin war die Vorwelt besser, daß sie nicht halb so mißtrauisch war.“

„O ja, sie war gläubig — leichtgläubig, abergläubig, übergläubig, wie Sie wollen, dafür ist sie bekannt.“

„Sie sind eine bittre Spötterin, und grade die Damen sollten die Vorwelt am meisten lieben, weil sie von ihr am meisten vergöttert wurden.“

„Sie haben recht; allein ich weiß nicht, ob unser Geschlecht Ursach hat, auf solche Vergötterung stolz zu seyn. Ein Weib, das mit Schönheit und List das schwache Gehirn unter einem fürstlichen Schädel in Gährung brachte, konnte im Ueberfluß schwelgen, und würdige, verdienstvolle Männer mußten unterdessen in Armuth darben und umkommen.“

„Man schäzte auch damals schon das Verdienst.“

„O ja, aber immer zu spät, wie die Narren gewöhnlich pflegen. Nach ihrem Tode erbaute man den braven Männern Ehrensäulen und Statüen, denen man, so lange sie lebten, kaum ein abgelegtes Kleid und ein Stück Brod zuwarf.“

„Die Ehrensäulen waren nicht — —“

„O ich weiß, was Sie sagen wollen, aber damit entwischen Sie nicht, Herr Professor. — Waren die Monumente und Statüen für die Todten? O Himmel, wer konnte sich denn einbilden, daß sich die Schlummernden im Grabe über diese kahlen Ehrenbezeugungen freun würden? Sie ruhn und wissen nicht, ob über ihren Aschenhügel ein Schandpfahl, oder ein Triumpfbogen errichtet steht. Sie werden damit nicht mehr gereizt, nicht bestraft, nicht belohnt. — Oder sorgte man mit solchen Ehrenbezeugungen für die Lebendigen? Ach, mein lieber Herr Professor, so sorgte man schlecht; die Lebendigen verlangten gewiß nicht Steine nach dem Tode, sondern Brod im Leben; sie rangen nicht nach jenem, sondern nach diesem, und mit diesem hätte man sie belohnen müssen. — Was hilfts, wenn ich meinen Kanarienvogel, trotz seinem süßen Gesang, verhungern und verdursten lasse, und ihm, wenn er tod ist, von einem Gelegenheitsdichter lobpreisen lasse? Wäre das nicht närrisch? Nun, mein Herr, was waren nun die dankbaren Menschen in Ihrem beliebten Alterthum?“

„Ich würde besiegt seyn, wenn ich wider Sie hätte zu Felde ziehn wollen, mein Fräulein. Ich bin Ihr treuer Bundesgenosse. Aber baut man nicht auch in unsern Zeiten den Todten noch Ehrensäulen und Obelisken?“

„Gewiß, aber sie werden gebaut, nicht den Todten, sondern den Lebendigen zur Nacheiferung; und heutiges Tages Verdienst ums Vaterland zu haben, ist wahrlich der Mühe werther, als vor fünf, sechshundert Jahren.“

„Ständ es in meiner Macht, so sollte auch Ihnen ein Denkmal gesezt werden, um recht viel so schöne Vertheidigerinnen dieses Zeitalters zu erwecken.“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden; der Ruhm gehört Ihnen, weil Sie allenthalben zur Vertheidigung Anlaß geben.“

So stritten Beide noch ein Weilchen hin, unter Scherz und Lachen. Die Gesellschaft theilte sich in Partheien und söhnte sich erst mit Anbruch der Mitternacht aus.

„Wir sehn uns doch wieder?“ rief Rosalia beim Abschiede, und der alte, biederbe Silberot drückte dem entzückten Duur freundlich die Hand.

Siebentes Kapitel.
Die Spazierfahrt.

O mein Oheim! mein guter, lieber Oheim, wenn Du izt lebtest — wenn Du nun so herrlich verwandelt sähest Deine Träume von der glücklichen Nachwelt in Wirklichkeit!“ rief der ehmalige Graf, als er nach Mitternacht in sein Quartier ankam, wo ihn der treue Pudel nach so langer Trennung mit freundlichem Gebell empfing.

Matthias schlief süß und fest.

„Holder, was werd’ ich Dir alles zu erzählen haben, was werd’ ich noch alles erleben! Ich war in meinem Jahrhundert keiner der unvollkommensten, und gleiche in der neuen Welt einem unwissenden Schüler, der allenthalben lernen muß. Ach, könnt’ ich sie aus ihren Gräbern rufen, die begeisterten Apologeten und Lobredner meines Zeitalters, könnten sie hören das Urtheil der Nachwelt über unser hochgepriesenes, aufgeklärtes Jahrhundert!“

Mit solchen Apostrophen entschlief er, und erwachte er wieder.

Einige Juwelen von bedeutendem Werth wurden sogleich am andern Tage in die Welt gesandt und in klingende Münze verwandelt. Duur kleidete sich dem damaligen Geschmack gemäs vom Kopf bis zu den Füßen neu; wer ihn izt sah, hätte nicht vermuthet, daß dieser Elegant ein Sohn der frühern Vorwelt war.

Rosalia sah ihn einige Tage später, und bemerkte mit einem gutmüthigen Lächeln, daß der Professor der Alterthumskunde schlechterdings für sein antikes Fach nicht geschaffen sey.

„Wissen Sie was Neues, Freundchen?“ rief ihm eins Morgens der Commendant entgegen, welcher ihn hatte zu sich bitten lassen: „wir haben so viel von Edelleuten gesprochen, aber noch haben Sie keinen gesehn. Hier in der Stadt ist kein einziger — aber drei Meilen von hier auf dem Lande wohnt ein Edler; er ist mein guter Freund, wir wollen ihn besuchen. Der Wind ist trefflich, in einer halben Stunde können wir da sehn.“

Florentin war willig.

„Es ist ein simpler, schlichter Biedermann; Sie müssen ihm keine Complimente machen. Vielleicht kennen Sie ihn schon, es ist der brave Gobby.“

„Ich kenn’ ihn nicht.“

„Als Gelehrter müßten Sie ihn doch kennen.“

„Ich versichre, er ist mir durchaus unbekannt.“

„Hm! nun seine Geschichte ist kürzlich folgende, denn die müssen Sie wissen, um ihn schätzen zu können. Er ist der einzige Sohn und Erbe des reichsten und filzigsten Bankiers; sein Vater starb und hinterließ ihm ein ungeheures Vermögen, von welchem er gemächlich, wie ein Fürst leben konnte. Statt das Gold in den Kisten und Kasten gefangen zu halten, wie sein Vater, verschwendete ers auf die wohlthätigste Weise. In fünf deutschen Städten legte er fünf gleich große Kapitalien nieder, von welchen der Arbeit unfähige Greise, Krüppel, arme Wittwen, Waisen, Findelkinder und andre Unglückliche, so lange sie der Unterstützung bedürftig sind, erhalten werden sollten. Für sich selbst behielt er nur so viel, daß er ein mässiges Auskommen hatte und eine Reise vollenden konnte, die schon längst projectirt ward. — Nämlich, er ging nach Amsterdam, kaufte ein batavisches Schiff, warb auf eigne Unkosten Freiwillige und segelte nach den Sandwichsländern. Von hier aus steuerte er dem Südpol zu, so weit er konnte, versorgte sich mit Proviant und andern Bedürfnissen, und segelte mit zwanzig Luftgondeln und fünf geschickten Matrosen über den unbekannten Südpol, von welchem er uns die erste gute Karte geliefert hat. — Seine Reisebeschreibung läßt sich nicht ohne Schaudern lesen; drei von seinen Gefährten erfroren am Pol, weil sie im Genuß des Feuergeistes zu nachlässig waren.“

„Des Feuergeistes? was verstehn Sie darunter?“

„Was ich darunter verstehe? haben Sie noch keinen Feuergeist gesehn in den Apotheken?“ Der Commendant klingelte, ein Bedienter erschien und brachte nach einger Zeit auf dessen Befehl ein Fläschchen, welches, ins Dunkele gehalten, phosphorisch schimmerte.

„Sehn Sie,“ fuhr er fort: „dies chemische Produkt ist ausser dem gröbern Feuer das einzige, welches die Wirkungen der Kälte besiegt. Es erhält das Blut im warmen Kreislauf beim höchsten Grad der Kälte, und ein Tropfen davon in einen Becher voll Wassers, bewahrt dieses mitten im Winter auf dem höchsten Gebürge vor dem Frost.“

Florentin starrte bald das Fläschchen, bald den Commendanten mit einer Miene an, wie sie im achtzehnten Jahrhundert die Einwohner Australiens hatten, als sie zum erstenmal der Explosion einer Flinte beiwohnten.

„Ist es möglich!“ rief er.

„Kurz!“ fuhr der alte Silberot mit einem sanften Lächeln in seiner Erzählung fort: „Gobby kam glücklich mit seinen beiden Reisegefährten zurück zu dem Schiffe. Ein Jahr nachher theilte er den Europäern seine Entdeckungen mit. Ganz Europa zollte dem kühnen Mann den wärmsten Dank, und daß man ihn unter die verdienstvollen Edeln des Landes sezte, war Schuldigkeit.“

Rosalia, heut schöner, als je, trat in diesem Augenblick mit einer ihrer Freundinnen ins Zimmer. Florentin hätte gern noch Stundenlang dem gastfreundlichen Lehrer zugehört. Aber er mußte auch nur so in seiner Unterhaltung gestört werden, um freundlich zu bleiben.

„Es ist alles bereit!“ rief Rosalia ihrem Vater entgegen. Der Commendant nahm die fremde Dame und führte sie in den Hof hinunter; Rosalia bot lächelnd dem träumenden Duur ihren Arm.

In einem geräumigen, mit Quadersteinen gepflasterten Hof standen zwei Gondeln, mit Segeln von rosenfarbner Seide, und Fischbeinrudern von Taffent, die viele Aehnlichkeit mit Flosfedern des Wallfisches hatten.

Rosalia sprang in einen dieser Kähne, und winkte dem versteinerten Duur, der nun wohl merkte, wohin es mit ihm sollte. — Er betrachtete das leichte, magische Gebäu mit einer sonderbaren Aengstlichkeit, und würde alles darum gegeben haben, wenn man ihn mit dieser Promenade verschont hätte.

„Kommen Sie, kommen Sie, lieber Duur!“ rief Rosalia, und streckte die Hand ihm entgegen. Ein leichter Schauer überlief ihn; zitternd faßte er des Fräuleins Hand und — hätte ein herzliches ex profundis beten mögen — und sezte sich. Der Gondelier stieg ein. Der Kahn schwoll auf allen Seiten an. Florentin sah sich verlegen nach allen Seiten um und preßte sich dichter an Rosalien.

In diesem Augenblick sanken vor seinen erstaunten Augen die hohen, massiven Mauern und Gebäude rechte und links neben ihm nieder, wie auf der Bühne beim Klingeln des Soufleurs die gemalten Straßen; schon dampften, in gleicher Richtung mit ihm, die Schornsteine; bald verloren sie sich unter ihm, und die hohen Kuppeln der Kirchthürme näherten sich ihm vertraulich. Der Kahn gaukelte izt noch um die funkelnde Spitze des Thurmgipfels, wie ein Schmetterling um die Blume, und die aufgescheuchten Dohlen flatterten mit ängstlichem Geschrei an den Wimpeln der Gondel vorüber. Aber bald verloren sich auch die Thürme unter ihm hinab und wurden wie kleine Stäbe, und die Dohlen darum wie Fliegen.

„Mein Gott!“ rief Duur: „wohin mit uns?“

„In den Himmel!“ antwortete Rosalia mit einem schalkhaften Blick.

„Sie haben Recht, denn ich habe ja schon einen Engel an meiner Seite,“ erwiederte er und drückte Rosaliens Hand fester an sich.

Ein falber Nebel umfing sie. Die Nebengondel, worin sich der Commendant mit der Fremden befand, verschwand vor ihren Blicken. Sie schwebten allein über der stillen, furchtbaren Tiefe im unendlichen Raum.

Plötzlich scholl aus den Nebeln herüber eine Stimme: „Rosalia, versieh Deine Pflicht! Duur passirt die Linie zum erstenmal!“ — Es war die Stimme des Commendanten.

„Hören Sie wohl, was mein Vater sagt? Sie befahren diese Gegenden zum erstenmal; und wissen Sie wohl, was da Sitte ist?“

„Ich weiß wahrhaftig nichts.“

„Wenn ein Reisender zur See zum erstenmal die Linie passirt, wird er von den Schiffern nach Schifferbrauch getauft — das heißt, nur ein paarmal ins kühle Meer untergetaucht.“ —

„Das war schon vor alten Zeiten ein grausamer — — —“

„Kommen Sie mir schon wieder mit Ihren alten Zeiten? Ich will davon gar nichts mehr wissen. — Mit einem Worte, Sie müssen sich alles gefallen lassen, was ich hier mit Ihnen vorzunehmen das Recht habe.“

„Nur — Liebe — nur nicht tauchen!“

„O Scherz, es ist noch dreimal ärger!“

„Noch dreimal ärger? Sie wollen mich doch nicht hinauswerfen? — es ist verdammt tief unten, und ich kann für meinen Hals nicht bürgen.“

„Alles Protestiren hilft Ihnen nichts. Sie müssens sich nun einmal schlechterdings gefallen lassen — — —“

„Was denn?“

„Von mir — —“

„Haben Sie Erbarmen!“

Drei — Küsse anzunehmen.“

„Milder Genius dieses Jahrhunderts, ich erkenne Dich!“ rief Duur, und hing an Rosaliens Lippen.

„Duur!“ rief sie endlich halbböse: „wissen Sie nicht mehr, wie viel drei ist? Oder bedeutete drei in Ihrem achtzehnten Jahrhundert mehr, wie bei uns? — Sie haben nun wohl zehnmal geküßt.“

„Ich bin im Himmel!“ rief er: „und im Himmel soll ja Seligkeit seyn ohne Aufhören!“

„So werden sich dereinst die zehntausend Jungfraun vor Ihnen in Acht zu nehmen haben.“

„Nur eine, und die wären Sie!“

Sie wollte antworten, aber — die Sylben erstarben in einem langen Kusse.

Die Gondel schwebte langsam über eine unabsehbare wellenförmigte Ebne falben Dufts, und des Aethers reines Ultramarin wölbte sich oberwärts herab.

Duur wähnte sich in die Zauberwelt der Träume verirrt zu haben.

Majestätisch tauchte sich der Kahn wieder hinunter in die zerfliehenden Wollen — ha! und mit niegesehner Pracht zeigte sich in tiefer Ferne unten ein Weltkörper, welchen Duur nicht für die Erde anerkennen wollte.

„Wir sind nach dem Mond hin verschlagen!“ jauchzte er an Rosaliens Seite, die den naiven Mann und sein anhaltendes Erstaunen mit stiller Freude beobachtete.

Reglos, wie eine buntilluminirte Landcharte mit ihren Meeren und Provinzen, lags unter ihm ausgespannt. Wald und Wiese, Gebürg und Bach schwammen einförmig in einander verschmolzen in der Tiefe.

Mit jedem Augenblick aber dehnten sich die kleinen Gestalten immer weiter und größer aus einander, wie unterm Vergrößerungsglase; aus grünen Flecken entfalteten sich Wälder, das schimmernde Pünktchen rollte sich aus und ward ein Landsee; der schwarze Stumpf verlängerte sich zum Dorfthurm und aus den Maulwurfshügeln erstanden Häuser. —

Schon begrüßten die Vögel in der Luft die fremde Erscheinung in ihren Revieren; schon rührte den Geruchssinn ein aromatischer Duft, welcher die Nähe junger Blüten verrieth; schon rauschten seitwärts an den Gondelrudern die Wipfel der Fichten und Eichen — ein prächtiges, regelmäßiges Landschloß stieg in der Mitte eines Gartens auf — sie waren zur Stelle. —

Achtes Kapitel.
Gobby.

Wie gefällts Ihnen im Himmel?“ rief unserm Luftfahrer der alte Commendant mit herzlichem Lachen entgegen.

„Besser noch, als mirs die Bibel versprochen hat;“ antwortete Florentin, indem er auf Rosalien hinblickte.

„O Väterchen!“ sezte diese hinzu: „unser Alterthumsprofessor sündigt oben, wie unten. Schicken Sie ihn nur erst ins Fegefeuer.“

Bei diesen Worten öffneten sich die Pforten — ein blasser, hagrer Mann, mehr klein, als groß, einfach gekleidet, trat heraus. Hinter ihm zeigte sich im festlichen Kleide, von Goldstickereien blitzend, der wahrscheinliche Herr des Gebiets, mit einem ernsten, feierlichen Wesen.

Florentin freute sich wirklich, den Umflieger und Bewandler des Südpols, den Freund und Schutzgeist der leidenden Armuth kennen zu lernen, als er bemerkte, daß der kleine, hagre Mann die Umarmung des Commendanten verließ, um Rosalien zu küssen.

„Dieser also?“ lächelte Florentin, dem die Phantasie ihr gewöhnliches Späschen gespielt hatte, die nur große Geister in großen Gestalten und schöne Seelen in schönen Körpern sucht.

Gobby — er wars — näherte sich endlich auch ihm, mit einem Blick voll gastfreundlicher Liebe und Vertraulichkeit; — der Commendant war im Begriff, seinen Gast zu präsentiren, als Gobby, wie mit Entsetzen, einen Schritt zurückprallte.

„Herr Duur, ein neuer Bekannter und Freund!“ rief der Commendant.

„Und unser ehrenfester Professor der Antiquitäten“ — sezte Rosalia hinzu, und, indem sie Florentinen argwöhnisch anlächelte: „unser — Freund?“

„Sie sind mir bekannt, Herr Duur — — wir haben uns irgendwo gesehn, gesprochen — ich weiß nicht wo? und nicht wie?“ sagte Gobby: „seyn Sie mir willkommen!“

Man trat in einen Saal, der vom Geschmack und Reichthum des Besitzers zeugte.

Die Wände waren Spiegel, und jede Wand, wie ein einziger Guß, ohne Reifen und Fugen; oben hingen sich an goldnen Stäben und Ringen Blumenguirlanden, so täuschend, so frisch, als wären sie erst vor einem Augenblick den Beeten geraubt. Ausser den nothwendigsten Meublen erblickte man vier Nischen in den vier Wänden; in jeder einen Marmoraltar, worauf sich paarweise Gobby’s Penaten befanden — Bronzebüsten. Ein Sokrates- und Christuskopf standen vertraulich beisammen, ein Aristoteles und Kant, ein Friedrich der Große und ein Unbekannter, ein Rousseau und ein Unbekannter.

Es war schon mehrere Gesellschaft gegenwärtig; man mischte sich freundlich durch einander und sprach von diesem und jenen — Gobby aber entfernte sich mit dem Commendanten.

Am meisten unterhielt eine Note des verstorbnen Kaisers an seine Unterthanen, welche wenige Monate vor seinem Tode ans Licht getreten war. Man debattirte lange darüber, und schien sich nicht vereinigen zu können, ob der Kaiser billig gedacht habe, oder nicht. Florentin mischte sich in die kleine Fehde, und, um richtig zu urtheilen, las man ihm die Note vor:

„An meine Unterthanen.“

„Da die vorliegenden nördlichen Provinzen durch den langen Krieg fast gänzlich verwüstet sind, und ich, ohne Noth, Euch durch keine Auflagen drücken wollte, um den Flor jener Provinzen wieder herzustellen: so entschlos ich mich, die kostbaren Feierlichkeiten, Opern, Feuerwerke und dergleichen an meinem Hofe einzustellen, auch die Gehalte der Prinzen und Prinzessinnen um die Hälfte zu verringern, bis die verwüsteten Dörfer und Städte wieder erbauet und die verarmten Familien gerettet seyn werden. Es war dies von meiner Seite ein freiwilliger Beitrag zur Linderung der allgemeinen Noth — Aber daß man mich wegen meiner erfüllten Pflicht so unaufhörlich mit öffentlichen Lobreden und Lobgedichten heimsucht, find’ ich von meinen Unterthanen nicht schön, weil damit nichts gesagt zu seyn scheint, als: es ist sehr ungewöhnlich, daß Fürsten auch Menschenpflichten erfüllen! — Wie viel Elogen und Hymnen hätt’ ich auf diejenigen von meinen Unterthanen zu verfertigen, die so viel nach Verhältniß ihrer Kräfte thaten, als ich?“ —

„Nun sagen Sie Ihre Meinung!“ rief man, nach Durchlesung der Note, dem bestürzten Florentin zu.

„Ist es nicht hart, wenn der Vater seiner Kinder Dank nicht hören will?“ riefen einige.

„Ist es nicht billig und vernünftig vom Kaiser?“ schrie die Gegenfaction.

Florentin las das Blatt noch einmal und wollte seinen Augen nicht trauen. „Meine Herrn und Damen,“ sagte, er endlich: „ich muß gestehn, solche Denkart eines Fürsten, solche Aeusserung des feinsten moralischen Gefühls ist nur allein dem drei und zwanzigsten Jahrhundert eigen.“

„Dies Urtheil konnt’ ich voraussehn!“ sagte Rosalia lachend: „der Herr wird uns so gleich mit einen Beispiel vom Gegentheil aus der Vorwelt aufwarten.“

„Mit mehr, als einem!“ erwiederte Duur: „ich erstaune izt weder über die Billigkeit noch Härte des kaiserlichen Wunsches, sondern darüber, daß Sie noch getheilte Meinungen hegen können.“

„Bravo!“ rief eine Parthei.

„Welch ein edler Ton herrscht in der Sprache. Schon daß er von allen Curialwust abläßt, und seine Person mit dem simpeln Ich bezeichnet, schildert den Kaiser“ — — —

Ein verworrnes Gelächter unterbrach ihn. „Wie soll er denn von sich anders reden?“

„Es wird Ihnen bekannt seyn, daß sonst große und kleine Fürsten nie anders ihre Vielheit bezeichneten, als durch ein großes Wir.“

„O!“ rief einer aus der Gesellschaft lachend: „das war in dem finstern Zeitalter guter Ton, als die Fürsten noch böse wurden, wenn man sie nicht die allergnädigsten, großmächtigsten, unüberwindlichsten nannte. Seitdem aber diese unüberwindlichsten Herrn mehr als einmal überwunden wurden, und die allergnädigsten sich mehr als einmal sehr ungnädig fanden: waren sie selbst so billig, ihre Titel in mildere zu verwandeln, um die Suppliken der Unterthanen für keine Satyre zu halten.“

„Erlauben Sie,“ fiel dem Redner ein andrer ins Wort: „ich weiß nicht, ob die itzigen Titel: — unser guter, menschenfreundlicher König, oder Kaiser, oder Fürst und Herr — nicht weit schmeichelnder sind, als die vorzeiten gebräuchlichen, welche man noch in alten Chroniken und Urkundensammlungen findet: denn unsre bestimmen den fürstlichen Charakter sehr deutlich, zwar nicht immer als das, was er ist, sondern als das, was er eigentlich seyn sollte; allein die alten waren oft ganz unverständlich, wobei sich weder der Unterthan, welcher sie schrieb, noch der Fürst, welcher sie las, etwas denken konnte — zum Beispiel, wenn es hieß: allerdurchlauchtigster — — —“

„Dagegen bemerk ich“ erwiederte der Gegner: „daß es die Alten verstanden, aber wir freilich nicht, da unsre Sprache sich unterdessen sehr verändert hat.“

„Ich bitte um Verzeihung, daß ich Ihnen widersprechen muß,“ entgegnete Duur: „auch die Alten wußten von solchen Ausdrücken keinen Sinn — schon im achtzehnten Jahrhundert nicht.“

„Und dieser Herr“ rief Rosalia, indem sie muthwillig auf Florentinen deutete: „hat Autorität; er ist in der Vorwelt zu Hause, wie bei uns.“

„Ich geb es zu,“ antwortete der Widerlegte: „allein dann wär es ja wunderlich gewesen von unsern Ur-Großvätern, wenn sie sich Redensarten bedient hätten, welche weder die verstanden, so sie gaben, noch die, welche sie nahmen?“

„Was erwiedern Sie darauf, lieber Professor?“ fragte Rosalia?

Duur wischte sich leise über die Stirn.

Neuntes Kapitel.
Der Kupferstich.

Eine Rarität, meine Herrn!“ rief der edle Gobby, welcher mit einem Quartanten unterm Arm in Gesellschaft des alten Silberot hereintrat.

Neugierig wandte sich jedes Auge auf den achtungswürdigen Mann hin, von welchem man, selbst wenn er scherzte, nichts ganz Gewöhnliches zu hoffen hatte. Die Versammlung schloß einen Kreis um ihn.

„Wers erräth sit mihi magnus Apollo!“ sagte er mit einem bedeutenden Lächeln.

„Den Nachsatz erbitten wir Ungelehrte deutsch!“ rief eine Dame.

Der oder die soll heut König oder Königin unsers Cirkels seyn und von jedem Anwesenden einen Kuß empfangen!“

„Da ists der Mühe werth, zu rathen.“

„Der lezte Theil Ihrer Reise zum Südpol!“ rief ein Gelehrter.

„Eine neue Ausgabe!“ ein andrer.

„Das Buch vom Stein der Weisen!“ ein dritter. Und so riethen sie alle und Gobby schüttelte zu allem den Kopf.

Rosalia lächelte ihren Reisegefährten an: „Merkwürdige Rathen, Thaten und Faten aus dem achtzehnten oder neunzehnten Seculum für Lehrer der Alterthumskunde!“

„Getroffen!“ rief Gobby und schlug das Buch von einander: „Eine äußerst seltsame Erscheinung muß ich Ihnen bekannt machen, die freilich nur für diese Versammlung ein anziehendes Intresse hat; Dies Buch enthält eine Kupferstichsammlung; unter derselben befindet sich auch ein gewisser Florentin von Duur — — —“

Florentin wurde feuerroth; das Blut pickte laut in allen Pulsen und Fingerspitzen.

„Und dieser Herr“ fuhr Gobby fort, indem er auf Florentinen zeigte: „trägt denselben Namen. Er heißt Florentin Duur. Vor ohngefähr vier bis fünfhundert Jahren warf sich jener Florentin von Duur in Kanella auf, und bewirkte eine sehr schlau eingefädelte Revolution wider den damaligen Beherrscher Kanella’s. Das Volk nahm eine republikanische Verfassung von seiner Hand an, aber diese Regierungsform war von kurzer Dauer; das Reich ward in sich selbst uneins; ehrsüchtige und gelddürstige Egoisten schwangen sich wechselnd empor, zerrütteten das Land, welches endlich wieder zertheilt unter den Zepter der benachbarten Monarchen kam. Florentin von Duur ward von den Geschichtschreibern in die Gesellschaft der Masaniello’s, Kosciuskos, Fayette’s und Mirabeau’s gesezt.“

„Ich selbst habe neulich noch in einem Traktate seiner gedacht,“ sagte hierauf ein Gelehrter: „worin ich unter andern die Meinungen derjenigen Scribenten mit neuen Gründen unterstüzte, welche sehr wahrscheinlich behaupten, daß er nur den Namen hergeliehen habe zu der Revolution, deren Plan und Vollendung eigentlich dem versteckt gebliebenen, und mit ihm verbundnen Badner angehörte. Der berühmte Ocellius in seiner Dissertation de Badnero vindicato bezieht sich allein auf die Statüe des Badner, und leitet von ihr seine Gründe her.“

Duur spizte die Ohren mächtig; ein Wort von ihm wäre hinreichend gewesen, die gelehrten historischen Hypothesen der äußerst schlauen Geschichtsklitterer dieses Zeitalters zu zerstören1), wenn er nur irgend hätte Hoffnung hegen können, mit seinem fünfhundertjährigen Schlummer Glauben zu finden.

„In der Geschichte darf nicht philosophirt, sondern nur Datum an Datum gekettet werden, wenn sie uns mehr als Roman seyn soll;“ sagte er, um den Mann doch einigermaßen zu widerlegen, und sein kleiner Ehrgeiz erwachte unter jener Beleidigung.

„So wird uns die Geschichte nicht mehr, als Zahlen, Namen und dürre Begebenheiten, ohne Zusammenhang, wie Glieder einer zerrissenen Kette, liefern;“ erwiederte der Gelehrte.

„Es ist die Frage: ob die Geschichte mehr zu leisten berechtigt sey?“ antwortete Duur.

Der edle Gobby unterbrach den beginnenden Streit. „Zur Sache. Der Kanellesische Revolutionair hat nicht nur mit unserm Freunde hier gleichen Namen, sondern — sehen Sie her, meine Herrn und Damen! — sondern auch dasselbe Gesicht gemein!“

Ein tiefes Erstaunen ergriff die ganze Versammlung; man gaffte den Kupferstich bald, und bald dessen lebendiges Ebenbild an; das Spiel des Zufalls war hier mehr, als seltsam.

Duur stellte sich nicht weniger betroffen; er konnte ein anhaltendes Erröthen nicht verbergen, und wagte es nicht, das Stillschweigen zuerst zu unterbrechen.

„Das ist wunderbares Zusammentreffen der Umstände!“ rief endlich einer.

„Etwas Unerhörtes, Niegesehnes!“ ein andrer.

„Und scheint wahrhaftig mehr, denn absichtslose Tändelei der Natur zu seyn!“ ein dritter.

Jeder gab endlich seine Meinung darüber, und Gobby machte das Ganze zulezt zum Scherz. „Sie könnten,“ sagte er zum bestürzten Florentin: „Sie könnten nach Kanella gehn, und dort mit Glück den Pseudo-Duur spielen. Wenn die Kanelleser noch den Enthusiasmus der Vorältern für die Revolution haben: so wird es Ihnen leicht seyn, aus dem unbekannten Privatmann ein bedeutender Diktator zu werden, um Kanella zu erobern.“

„Würden Sie das?“ fragte Rosalia.

„Wenn Sie Kanella wären — gewiß.“ antwortete Duur.

Zehntes Kapitel.
Der Salomonismus.

Gobby’s Einsiedelei war so anmuthig, sein Ton so herzlich und einladend, die Gesellschaft, welche er um sich versammelt hatte, so intressant, der Wind zum Zurückschiffen den Luftgondeln so wenig günstig, daß der Commendant mit seinen Gefährten sich sehr bald entschloß, mehrere Tage bei dem wackern Gobby zu verweilen.

Florentinen war diese Verzögerung nichts weniger, als ungelegen. — Er blieb gern, denn fast alles, was ein Herz, wie das seinige, zu fesseln im Stande war, fesselt es in Gobbys lieblichen Bezirk. — Der Abentheurer des achtzehnten Jahrhunderts schwamm in einer niegefühlten Seligkeit — er sah die Nachwelt, sah die weissagenden Träume von ihr erfüllt, und sich unter den glückseligen Bewohnern einer gebildeten Welt.

Noch hatt’ er nirgends einem melancholischen Gesicht begegnet, worauf Gram und Verzweiflung, Hunger und Bettlersorgen ihren Empfehlungsbrief geschrieben; noch hatt’ er keiner weinenden Unschuld Thränen gesehn, noch keines Unterthanen Flüche gehört unter den Druck eiserner Gesetze — aber noch hatt’ er auch nur wenige Menschen erblickt, und wenige beobachtet.

Hier in Gobby’s fröhlichem Cirkel, wo man Unzufriedenheit und Kummer zulezt gesucht hatte, erblickte Duur den ersten Mann des glücklichen Zeitalters, der unglücklich, und wie es sich anließ, durch sein Zeitalter unglücklich zu seyn schien. — Josselin war sein Name, und die Erscheinung viel zu fremdartig, als daß sie nicht von unserm philosophischen Kundschafter aufs genauste hätte beobachtet werden sollen.

Josselin war ein junger Mann von fünf und zwanzig Jahren, der, wenn er sich gleich keiner apollonischen Schönheit rühmen konnte, doch durch gewisse, intressante Züge seines Gesichts, den vielsagenden Blick seines Auges, das Angenehme seines Betragens und das Geistvolle seiner Unterhaltung allen Kennerinnen das Geständniß ablockte, er sey ein liebenswürdiger Mann. Der auffallendste Beweis seiner Gewalt über daß weibliche Herz war für Florentinen dieser, daß Rosalia von ihm bezaubert wurde, ehe sie es selbst wußte, so daß ihr ganzes Wesen an jedem Tage deutlicher von gewissen Empfindungen predigte, die ganz verschieden von denen waren, welche sie bisher für Florentinen hatte.

Josselin wurde geliebt von allen Weibern, geliebt von allen Männern, und nur er schien es nicht zu wissen, sondern stand ernst und melancholisch da, wie ein Verbannter aus dem Lande des Glücks.

Florentin konnte bei diesem Anblick sich nicht einer unwillkührlichen Erinnrung an Holder, den Jüngling im achtzehnten Jahrhunderte erwehren. Er drängte sich näher an den Schwermüthigen; Josselin selbst kam ihm immer entgegen — beide sympathisirten, ehe sie sich kannten.

„Aber wer ist Josselin?“ fragte Duur den edeln Gobby in einer vertraulichen Stunde.

„Er war Lehrer der Weltweisheit an einer Akademie, hatte einen ausserordentlichen Anhang und Beifall, näherte sich aber endlich dem Salomonismus und legte eben deswegen sein Amt nieder.“

„Und er scheint sehr unglücklich.“

„Haben Sie je einen Salomonisten gesehn, der sich ganz glücklich fühlte?“

„Sie sprechen immer von Salomonisten und Salomonismus — — — verzeihn Sie, wenn ich meine Unwissenheit gestehe — was soll ich mir darunter denken?“

„Sind Sie in der Geschichte der Philosophie so unbewandert?“

„Ich reiche, wie Sie schon wissen, nicht weiter mit meinen Kenntnissen herunter, als zum achtzehnten Jahrhundert. Damals ward die kritische Schule von Kant gestiftet, und die größten Denker jener Zeit gingen aus ihr hervor. Hat die Welt seitdem einen neuen Kant gehabt?“

„Ich bekenn’ es Ihnen frei, daß ich selbst nur Dilettant in der Philosophie und ihrer Geschichte bin. Ich wag es also auch nicht über Kants Geist zu urtheilen, und ob die Welt schon wieder einen Mann seines Gleichen gehabt. Aber dies weiß ich Ihnen zu sagen, daß Kant einer der merkwürdigsten Reformatoren in der Geisterwelt gewesen, der zwar selbst zu der großen Reformation nichts mehr, als das erste Signal gab, aber durch seine Schüler auf das kultivirte Europa und Amerika einen seltnen Einfluß gewann. Selbst die Wissenschaften, welche außer dem Gebiet der eigentlichen Philosophie gelegen sind, empfingen neues Licht und eine gewisse Vollendung, die ihnen vorher mangelte; die edeln Künste wurden erhabnern Zielen entgegengeführt.“

„Deutschland hatte schon glänzende Fortschritte auf der Bahn gemacht, welche Kants Genie vorzeichnete, als man außer seinem Namen im Auslande noch wenig von ihm wußte, und von seiner ehrenvollen Revolution. Erst im neunzehnten Jahrhundert breiteten sich die Grundsätze der kritischen Schule in England und bald darauf in der Republik Frankreich aus. Früher zwar als in beiden Staaten war der Kantianismus unter den Dänen aufgenommen, aber wenig gepflegt worden.“

„Erhielt sich die kritische Schule lange in ihrer Oberherrschaft?“ fragte Duur.

„Ein Paar Jahrhunderte;“ antwortete Gobby: „sie verdrängte allmählig alle übrige Schulen und Systeme, so heftig man sie auch, bald mit den Waffen des Dogmatismus, bald mit denen des Skepticismus bekriegte. In England ward der spekulative, in Frankreich besondere der praktische Theil der Philosophie nach Kantischen Grundsätzen bearbeitet. — Deutschland blieb inzwischen immer die Mutterschule der kritischen Philosophie, bis diese endlich allmählig von ihrem gefährlichsten Feinde, dem Salomonismus, größtentheils zerstört ward.“

„Sie machen mich neugierig! Im achtzehnten Jahrhundert glaubte man durch die Kantische Philosophie das Nonplusultra aller menschlichen Weisheit erreicht zu haben. Wär es möglich, daß auch Kant seinen Ueberwinder gefunden?“

„Sehn Sie nur, dies nahm einen sehr natürlichen Gang. Die Verbreitung der kritischen Philosophie regte bald allenthalben einen allgemeinen Skepticismus auf, der zulezt so weit um sich griff, daß die Sekte der Skeptiker im zwei und zwanzigsten Jahrhundert mächtiger, als jemals auf Erden war. Aus den Skeptikern entwickelte sich zu Ende des vorigen Seculums eine neue Parthei, welche allen übrigen den Krieg ankündigte, und wirklich nicht ohne Glück kämpfte; spottweise nannte man diese Schule die Salomonische, welchen Namen die Sekte zulezt, als ihr Eigenthum, beibehielt. Herr Josselin könnte Sie mit den Grundsätzen der Salomonisten vertrauter machen, inzwischen, da wir einmal im Gespräch sind, geb’ ich Ihnen soviel, als ich selbst habe. Es kann Ihnen dies um so willkommner seyn, weil Sie dadurch Gelegenheit erhalten, selbst Josselins Charakter näher zu kennen.“

„Dies wäre mir sehr lieb, denn ich läugne es nicht, daß mir der liebenswürdige Mann seit meiner ersten Unterhaltung mit ihm das Herz abgenommen habe. Es ist mein Vorsatz, mich dichter an ihn zu schließen, wenn er mich anders nicht zurückstoßen wird.“

„Seyn Sie ruhig. Er liebt Sie — er hats mir gestanden. Doch, lassen Sie uns mit einander in die Laube drüben am Kanal treten. Die Sonne ist heut brennend; wir wollen im Schatten weiter philosophiren.“

Sie wanderten Arm in Arm mit einander durch den Garten, der Laube entgegen. Die Hitze war drückend; kein Lüftchen kühlte den Wandrer und das Laub hing welk und schmachtend von Zweigen und Blumen und Stauden.

„Ich wollte Ihnen einen ohngefähren Begriff von dem Lehrgebäude der Salomonisten geben,“ — hub der sanfte Gobby an: „nehmen Sie also mit meinen kleinen Notizen vorlieb, wie sie mir beifallen. Das System dieser neuen, herrschendwerdenden philosophischen Parthei ist ein sonderbares Gewebe von Dogmatismus und Skepticismus, daß man glauben sollte, es könne unmöglich von Festigkeit seyn; und doch ist dies nicht nur der Fall, sondern, wie mirs scheint, auch die Ursach an dem wunderbar schnellen Wachsthum der Sekte, indem Dogmatiker und Skeptiker zu ihr übertreten, weil sie zwischen beiden Faktionen mitten inne liegt.“

„Die Salomonisten behaupten, wiewohl es nützlich seyn könne, im gemeinen Leben Wahrscheinlichkeiten, Hypothesen, Meinungen, Glauben und dergl. mehr zu hegen: so müßten diese doch gänzlich aus dem Gebiet der Philosophie verwiesen werden, und man dürfe und könne, als vernünftiges Wesen, durchaus nichts anders glauben, als was für uns den Stämpel der apodiktischen Gewißheit trüge — oder Wahrheit.“ —

„Das Gebiet der Wahrheit, sagen sie, ist sehr klein und in sich selbst unsicher, weil das, was der Mensch für Wahrheit halten muß, nur eine nothwendige Folge seiner ihm eigenthümlichen feinern Nervenorganisation, oder Produkt seiner Gemüthseinrichtung ist. Dazu kömmt noch, daß die Kenntniß dieser wenigen Wahrheiten nicht einmal etwas zu seiner Glückseligkeit beiträgt.“

„Der Mensch kennt die Aussenwelt an sich nicht, er weiß nichts von dem da draussen, und die Erscheinungen, welche ihm durch den Kanal der Sinne zugeführt werden, beweisen von der Beschaffenheit der Aussenwelt nichts, weil sie nur Zeugungen der Sinne, berührt durch äussere Gegenstände, seyn können. Eine andre Construktion der Sinnorgane würde eine andre Welt vors Gemüth führen.“

„Der Mensch kennt sich nicht. Die Lehren vom Materialismus und Immaterialismus, Substanz, Kraft, Einfachheit u. s. f. sind lächerliche Hirngespinnste. Wir kennen die sogenannte Materie nicht und das Immaterielle gar nicht.“

„Die Vernunft lebt mit sich selber in einem unaufhörlichen Widerstreit, besonders wo sie sich auf das Praktische bezieht. So lange z. B. die Lehren von der Freiheit, von Gott, der Seelenunsterblichkeit und der moralischen Welteinrichtung zu einem Moralsystem nothwendig sind, werden wir nie die Moral zu einem festen System erheben, denn wir wissen nicht, ob wirklich so etwas existirt, als wir uns unter Gott, Unsterblichkeit und moralischer Welteinrichtung vorträumen.“

„Die Philosophie stößt alles, was Religion heißt, von sich aus, betrachtet aber Religion und Moral als ein nothwendiges Gängelband für die Menschheit, damit sie unter einander in Frieden beisammen lebe.“

„Was von Vervollkommnerung des Menschen und der Menschheit gelehrt wird, ist nichts als eine liebliche Schwärmerei. Der erleuchtete Philosoph spielt im achtzigsten Jahre wiederum kindisch mit seinen Windeln; die aufgeklärtesten Nationen morden sich wechselsweise um leere Chimären, die nichts zur Seligkeit des Einzelnen und des Ganzen beitragen.“

„Mit einem Worte: es ist alles eitel unterm Monde! wie Salomo bei den Juden sagte. Wir wissen nichts von der Aussenwelt, noch weniger von uns selbst. Wir wissen nicht, was wir sind, noch warum wir sind, noch seitwann wir waren, noch wie lange wir seyn werden; ob wir als Zwecke, oder als Mittel hier umherirren in der räthselhaften Dämmerung. — Der Mensch bildet sich aber ein, mehr zu seyn, als er wirklich ist; er läßt die Welt für sich geschaffen, und einen Gott für sich gekreuzigt seyn. Der Mensch bildet sich ein, mehr zu wissen, als er weiß, und zu den bisherigen Systemen der Philosophie hat die Phantasie mehr Materialien geliefert, als die Vernunft. Weil die Menschheit aber sich in den kindischen Träumereien von ihrer Hoheit glücklich fühlt so lasse man ihr den seligmachenden Eigendünkel.“

„Das ist ein gefährliches System!“ tief Duur: „Religion und Moral, bürgerliche Glückseligkeit, Ruhe der Seelen — alles wird von diesem Ungeheuer verschlungen. Wird der Salomonismus geduldet vom Staate?“

„Er wird geduldet, weil er wirklich keinen offenbaren Schaden stiftet und immer nur das Eigenthum der hellsten und scharfsinnigsten Köpfe ist. Zudem ist er noch nicht widerlegt; ja man hat die Beispiele erlebt, daß zwei der berühmtesten Philosophen und eifrigsten Antisalomonisten, durch das Gefühl ihrer Ohnmacht beim Widerlegen bewogen, zur Gegenparthei übergegangen sind.“

„Die Sekte lehrt an sich wenig neues; einzelne Sätze sind längst schon behauptet worden — nur daß hier alles in einer so fürchterlichen Verbindung zusammengedrängt ist. Es ist eine Philosophie, die zur Verzweiflung führt.“

„Das ist sie, sagen die Salomonisten, so lange man noch nicht von der Ammenmilch der bisherigen Phantasiephilosophie entwöhnt ist.“

„Aber man fühlt sich glücklicher bei dieser Ammenmilch.“

„Dies gestehn die Philosophen selber ein, und erklären auch dies für einen der vielen unauflöslichen Widersprüche in unsrer Natur, daß wir den drängenden Trieb in uns fühlen, so weit, als möglich, vorwärts zu eilen, und dann doch dreimal elender, als vorher, werden.“

Eilftes Kapitel.
Josselin.

Ein muthwilliger Schwarm junger Damen umringte mit lautem Gelächter die heimliche Laube und führte den sanften Gobby und Duur gefangen, wie im Triumphe zum Schlosse zurück, wo die übrigen versammelten Männer dasselbe Schicksal erfahren hatten.

Auch Josselin war unter den Gefangnen. Er schien nur für die frohsten Scherze in der Welt zu seyn; er war die Seele der Gesellschaft; alle Weiber horchten auf ihn und die Männer bewunderten lächelnd seine Gewandtheit, sich als Gefangner mitten unter den Weibern aus der Sklaverei zur Souverainetät über dieselben zu heben.

Der Abend nahte sich mit lieblicher Kühlung; man floh die Zimmer, um sich im Freien unterm blauen Himmel zu belustigen; Gesellschaftliche Spiele von allerlei Art wurden angegeben und ausgeführt — keine Kinderspiele des achtzehnten Jahrhunderts!

Duur hatte anfangs im Sinn, auch ein Spielchen aus seinem Zeitalter vorzuschlagen — etwa ein unterhaltendes Pfandspiel, wo zulezt Küsse, gegeben und geraubt, die Würze der Unterhaltung seyn mußten. Aber beschämt zog er sich zurück, als er wahrnahm, wie auch in gesellschaftlichen Vergnügungen der gebildete Geist dieses Jahrhunderts webte.

Man entlehnte Süjets aus der Geschichte der Vorwelt, und gab sie aus dem Stegreif in dramatischen Darstellungen wieder, oder drückte in Pantomimen und charakteristischen Tänzen eine liebliche Reihe von Empfindungen aus. Ermüdet von der schönen Arbeit ruhten dann die Spieler, und das Chor der Zuschauer bezahlte das genossne Vergnügen mit Absingung einiger Hymnen auf die großen Männer des Alterthums. Barmherzigkeit und Liebe, Großmuth, heldenmüthige Selbstaufopferung, und andre bewundernswürdige Tugenden waren der Gesänge Inhalt. Dann wurden extemporirte Melodramen aufgetischt — Rosalia entwickelte die Empfindungen der Charlotte Corday unter dem reifenden Entschluß, Marats Ermordung zu wagen für das Vaterland. Rosalia’s Deklamation war Gesang; in den Pausen phantasirte Josselin auf einer Art von Harfe durch Moll und Dur in reizenden Tönen den Empfindungen Rosaliens nach.

Gesang und Freude stimmten alle Seelen zu einem zärtlichen Verein. Josselin ergriff einen vollen Becher Weins, mit lebendigen Rosen umkränzt, eilte Florentinen entgegen und rief: „Freundschaft! Freundschaft!“ Er trank den Becher zur Hälfte leer. Begierig nahm Duur ihn von Josselins Hand und trank und rief mit einem unnennbaren Entzücken: „Freundschaft! Freundschaft!

Beide sanken einander in die Arme. Duur fühlte eine Thräne in seinem Auge zittern und Josselin küsste ihn. „O laß uns einen Gott glauben! es ist so schön!“ schrie Josselin in einer begeistrungsvollen Ekstase.

„Laß uns einen Gott glauben!“ rief der liebenswürdige Gobby, indem er sich, einen Becher Weins in der emporgehobnen Hand, den beiden Freunden näherte und sie beide küßte.

„O!“ entgegnete Josselin schluchzend: „könnt’ ich mich ewig so vertiefen in den schönen Rausch der Sinnlichkeit — könnt’ ich einen Schleier ziehn vor den unseligen Offenbarungen der vorwitzigen Vernunft — könnt’ ich werden wieder ein Kind und arglos spielen im Schoos meiner Mutter Natur!“

Die Gesellschaft sah, schweigend um diese Gruppe versammelt, dem Spiele dieses Auftrittes zu, und, wie von einem Geist ergriffen, von einem Gefühl gerührt, ertönte plötzlich von allen Lippen der Gesang eines uralten deutschen Volksliedes: „Freude schöner Götterfunken!“

Eine liebliche Schwärmerei verbreitete sich über die Versammelten. — „Den heiligen Manen des alten Dichters dieses Glas!“ rief Gobby: „ihm, der nach Jahrhunderten noch erfreut und tröstet!“

„Schiller!“ rief Duur. Alles rief ihm den Namen nach — eine große Thräne stürzte aus Florentins Augen.

Zwölftes Kapitel
Brüderschaft.

Duur bemerkte am folgenden Tage eine sonderbare Veränderung in Gobbys und Josselins Mienen. Es schien, als drücke irgend ein schönes Geheimniß ihr Herz; auch der brave Commendant, stimmte in den wunderlichen Ton jener Beiden ein.

Demungeachtet war diese Verwandlung so auffallend nicht, daß Duur mit guter Art nach den Ursachen derselben kundschaften konnte. Er wars zufrieden, daß man ihn nicht nur nicht kälter oder fremder, sondern weit liebkosender behandelte, denn sonst. Gobby trat zuweilen schweigend vor ihm hin, starrte ihn mit einem Blick voller Liebe und Bewunderung an und schloß ihn in seine Arme. — Josselin drückte ihm öfter die Hand, und küßte ihn öfter. Silberot lächelte, so oft er ihn erblickte.

Am Nachmittage fuhren einige Karossen vor — die Gesellschaft wollte einen benachbarten Freund des edeln Gobbys besuchen. Nur Josselin schloß sich aus, unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit, und ersuchte Florentinen ihm zur Gesellschaft ebenfalls zurück zu bleiben.

Wer willigte lieber in Josselins Wunsch ein, als Duur, der diesem einnehmenden Mann unmöglich etwas abschlagen konnte.

„Laß uns Bruderschaft trinken, du Lieber!“ rief Josselin am Abend dieses Tages, als sich Beide in einer schönen Jelängerjelieberlaube befanden, wohin ein Diener zwei Flaschen Weins brachte.

„Ach, es ist doch so schön, sich in dem Feenarm der Sinnlichkeit zu wiegen und zu entsagen dem Hinblick auf die schauerlichen Wüsteneien, welche die Vernunft entschleiert! Was haben wir vom Leben, wenn wir nicht pflücken die sparsam blühnden Rosen, und in dem Götterrausche der Lieb’ oder Freundschaft vergessen, welche erbärmliche, elende Wesen wir sind!“

Josselin schwang bei diesen Worten den Becher seinem Freunde entgegen. Sie tranken. Das Abendroth schimmerte durch die Fugen der Laube über ihre Wangen; ein kühles Lüftchen flüsterte unter den Blumen herüber, und im benachbarten Gesträuch schlug eine Nachtigall.

„Wenn der Mensch auf Erden elend ist, so klag’ er nicht den Himmel, sondern sich selber an!“ rief Duur: „Wohlauf! Brüderschaft, Josselin — verdammt sey die schwarze Philosophie des Salomonismus, es leben die schönen Träume der Phantasie!“

Josselin. (düster.) Wohl dem, ders rufen kann vom Herzen.

Duur. Jede Blume hat hienieden ihren Honig, jede ihren Gift — ich nenne, den weise, welcher nur vom Honig zu naschen weiß.

Josselin. Hast recht!

Duur. O Josselin, Du bist so unglücklich — Du, und Du ein Bürger des drei und zwanzigsten Jahrhunderts?

Josselin. Eben darum, Duur! hätt’ ich gelebt in der barbarischen Vorwelt, als die Wissenschaften kaum noch der Wiege entschlüpft waren, so wär’ ich glücklicher. Die Wissenschaften ziehn den Menschen ab von der Welt und auf sich zurück — ach, und je mehr er abläßt von jener, je enger er mit sich vertraut wird, je elender er wird; denn er erkennt dann, daß die Gottheit seines Wesens ein disharmonisches Nervenspiel, sein Himmel ein eitler Traum sey. Glaube nicht, Duur, daß die Menschheit vollkommner werde, je länger sie auf dem Stern dieser Erde lebet und webet. Sie bleibt ewig, die sie von Anbeginn war. Ihre Gränzen sind unabänderlich festgesezt von der strengen Hand der Nothwendigkeit. Sie kann ihr Gebiet nicht erweitern, Seligkeit und Elend liegen ihr immer auf beiden Seiten; sie gewinnt nie ohne Verlust, verliert nie ohne Gewinnst. Wir vertauschen nur die Namen und Moden, aber behalten die Sache.

Duur. Du salomonisirst!

Josselin. Das Gebäude der menschlichen Glückseligkeit ist eine elende Flickerei, lieber Duur — und doch flickt und bessert man immer so gern daran. Sieh Dich um, Duur, und Du wirst allenthalben mit Entsetzen die Spuren des Elendes finden, wo Du es am wenigsten suchest. — Doch ich will Deine frohen Einbildungen Dir nicht zerstören — sey, wer Du willst, glaube, was Du willst — nur hüte Dich vor dem Einfall, die Hoheit und Seligkeit der menschlichen Natur zu anatomiren. — Trink!

Duur. Ich glaube Dir nicht, Josselin. So weit ich die Welt izt gesehn habe, hab’ ich auch allenthalben die herrlichen Fortschritte der Menschheit bemerkt.

Josselin. Du hast die Welt nur eine kleine Weile gesehn.

Duur. Die Sterblichen haben sich ihrer thierischen Natur mit Glück entwunden — Gefühle und Empfindungen sind gereinigter, sind verfeinerter — — —

Josselin. Ist damit gewonnen?

Duur. Die dichterischen Träume vom schönen grichischen Sinn und Geist verwandeln sich in Wirklichkeit.

Josselin. Es ist wahr, das Empfindungsvermögen ist zärter, und durch den Fleiß der edeln Künste verfeinerter; die groben Belustigungen der Vorwelt sind uns ein Greuel; wir schwelgen izt da in Seligkeiten, wo man vorzeiten kaum ihr Daseyn ahndetet. Aber eben diese gebildetere Empfindsamkeit läßt uns auch doppelt fühlen jedes Leiden; wir empfinden izt da einen namenlosen Schmerz, wo die Männer der Vorwelt nicht einmal die Möglichkeit eines Uebels vermuthen konnten. Wo man sonst lächelte, in glücklicher Taubheit der Sinne, da weint man izt; wo man sonst weinte, verzweifelt man heutiges Tages.

Duur. Dafür hat aber auch die Vernunft an Stärke und Bildung gewonnen — sie giebt dem duldenden Wandrer izt einen sichern Eisenstab, worauf er sich lehnen kann im Ungewitter des Lebens; die schändlichen Ketten der Priesterherrschaft und des Aberglaubens sind zerbrochen, in welchen der größte Theil der Sterblichen noch vor einem halben Jahrtausend keuchte.

Josselin. Freund, Du redest wie ein Mann, der die Welt nur aus Romanen kennt. Wo ist der Eisenstab der Vernunft? welchen Stab kann die Vernunft gewähren? Wenn sie sich selber nur aufrecht erhalten will, muß sie sich demüthig auf ihren verkrüppelten Bruder, den Glauben, stützen. — Geh hin, und wo Du die Vernunft am gebildetsten findest, siehst Du trostlose Atheisten, die nicht wissen, warum sie sich in dieser Welt herumplagen sollen, die verzweiflungsvoll hinausstarren in die Gegend jenseits des Grabes, wo es nur immer dunkler wird, je länger ihr Auge dort verweilt. (Indem er die Gläser füllt) Trink, die Flaschen müssen leer werden! die Sonne geht unter — einst, Bruder, wir, wie sie!

Duur. Du bist sehr verstimmt.

Josselin. Nein, Lieber, wohlgestimmt bin ich, wie ichs lange nicht war. — Man hat viel darüber gefochten, wie weit in der Kultur und Aufklärung der Nationen gegangen werden müsse. Einige behaupteten, hier dürfe, keine Gränze bestimmt werden; man könne ein Volk nie genug aufklären, nie genug kultiviren; man müsse nie still stehn, sondern unermüdet vorwärts eilen. — Andre stritten für das Gegentheil, meinten, daß Aufklärung und Kultur zulezt der Glückseligkeit des Ganzen Gift werde, daß Religionen und Staatsverfassungen an diesen Klippen nothwendig scheitern müßten und jeder Reformator daher als ein Friedensstörer anzusehn sey. — Beide Partheien hatten recht und unrecht, aber wie überall in der empyrischen Welt, wo die Vernunft a priori durchaus nichts zu sagen hat, mußte auch hier die Erfahrung die beste Schiedsrichterin seyn.

Duur. Und wie hat sie entschieden?

Josselin. Der Mensch ohne Kultur ist ein erbärmliches, freudenloses Geschöpf, und immer um einen halben Grad elender, wie das vernunftlose Thier. Die Menschheit konnte sich, der ihr beiwohnenden, ewig regen Triebe willen, nicht lange in der Finsterniß erhalten — sie strebte nach einem Ausgang, nach Licht. — Allzuweitgetriebne Verfeinerung, höchste Kultur der Vernunft, besonders im speculativen Gebrauch, bewirkt aber einen furchtbaren Indifferentismus, Erschlaffung der wichtigsten Triebfedern zum moralischen Handeln, Verleihung der süssesten Lebensfreuden, allzufrühen Ueberdruß und Ekel der Welt — oder stürzte den Menschen wieder hinab zum Hang nach gröberer Sinnenlust und thierischen Dumpfheit. — Dies lehrt die Erfahrung. Betrachte die Menschen, und Du wirst entweder hypochondrische Gerippe erblicken, welche mit der Naturnothwendigkeit wegen ihres Daseyns hadern möchten, oder — Thierseelen in Menschenhaut.

Nein, Duur, es ist und bleibt gewißlich wahr, der Mensch ward nicht geboren für die Nacht der blinden Sinnlichkeit, nicht für das blendende Licht der Vernunft, durch welches wir uns in einer schrecklichen Lage zwischen Abgründen und Felsenmauern gewahren — sondern für eine wohlthätige, sanfte Dämmerung, zusammengeschmolzen aus den Schatten der Sinnlichkeit und den Lichtstrahlen der Vernunft, wo wir mehr ahnden, als sehn, mehr hoffen, als besitzen, mehr träumen, als wissen.

Duur versank in ein tiefes Schweigen; Josselin lächelte — er füllte die Gläser von neuem und trank auf das Wohl der glücklichen Nachwelt!

„Immer der glücklichen Nachwelt, und immer der Nachwelt!“ rief Duur mit einem Seufzer und erinnerte sich seines längstverwesten Oheims und seiner Favoritgrille.

Es ward still um sie her. Sie plauderten noch vieles, und verloren sich in schwermüthige Betrachtungen.

Duur schwieg. Josselin klagte über Schläfrigkeit, und Florentin hatte schon längst mit einer unnatürlichen Müdigkeit gekämpft. Es ward immer stiller, immer dunkler. Sie sanken Arm in Arm auf eine Rasenbank nieder, um sich dem Schlummer zu überlassen und dann mit einander in Gesellschaft eine schöne Sommernacht zu durchwachen.

Dreizehntes Kapitel.
Erscheinungen.

Der Exgraf erwachte erst spät — es war schon so hell rings herum; die schönste Sommernacht, war ungenossen verschlafen. Er wollte nach Josselin greifen, als er bemerkte, daß man ihn, um ihn nicht der kühlen, feuchten Nachtluft preiß zu geben, in ein Zimmer und Bett gebracht habe.

Aber welches Zimmer? welches Bette? er erinnerte sich nie, ein solches Zimmer im Gobbyschen Pallaste gesehn zu haben. — Er sprang lächelnd und bestürzt vom Bett’ auf, fand sich noch vollkommen angekleidet, nur daß sein Ueberrock auf eine Ottomanne hingeworfen lag.

Er trat in die Schuhe, hüllte sich in den Ueberrock. — Der Nebel seiner Schlaftrunkenheit verlor sich immer mehr, und seine Verwunderung wuchs mit jedem Augenblick. Es war nicht Tageslicht, was ihn so hell umleuchtete, sondern der Schimmer einger Krystallsonnen oben an der Decke des Zimmers.

Mit dieser Entdeckung eilte er zu den Fenstern, riß die Gardinen zurück und sah hinaus. Es war Nacht — der Vollmond schwebte in freundlicher Majestät durchs Gewölk — die Sterne funkelten am dunkeln Gewölbe des Himmels — und die ganze Gegend unten, vom Mond verklärt, war still und fremd.

Ein kleiner See dehnte sich zwischen einigen Hügeln aus, und spielte mit den Schatten überhangender Maien und dem Silberglanz des Mondes — und überall, zur Rechten und zur Linken, dichter, hoher Wald, dann und wann aufbrausend durch die feierliche Stille.

Florentin stand bestürzt da, wie in ein Feenland bezaubert. Er begriff die Wahrnehmungen seiner Sinne nicht — er hätte sich gern eingebildet, in einem Traum zu leben, wenn ihn nicht jede Kleinigkeit laut und unwiderstehlich von seinem Wachen überredet hätte.

„Josselin! Josselin! treibst Du Gaukelspielerei mit Deinem Freunde?“ tief der Graf verdrüßlich, und fühlte sich immer muntrer und überzeugter, daß man sich mit ihm einen Scherz vorgenommen haben müsse.

Er stand lange an, welchen Entschluß zu ergreifen izt am schicklichsten wäre, ob er Lärmen machen, oder den anbrechenden Morgen erwarten solle?

In diesen Ueberlegungen machte er einige Gänge durchs Zimmer. Mit verbissnen Lippen, gerunzelter Stirn, verschränkten Armen blieb er endlich in der Nähe eines Spiegels stehn — er sah sich selbst, und erschrak, ohne zu wissen warum? — Er machte eine Wendung, um sich vom Spiegel abzudrehn, als er in eben dem Augenblick unter demselben das Bildniß eines Frauenzimmers erblickte. Sein Auge haftete unveränderlich an dem Gemälde; er fand gewisse Aehnlichleiten — bekannte Züge — überraschende Spuren von — — —

Er trat näher — immer näher — es war Louisens Bild! — er streckte die Hände nach dem kostbaren Bilde und blieb unwillkührlich eine Weile in dieser Stellung. Sein Herz schlug lauter; seine Arme zitterten; sein Blick verdunkelte sich.

„Schönes Gespenst!“ — sprach er leise bei sich: „schönes Gespenst, verfolgst Du mich allenthalben durch die Irrgänge meines verworrnen Schicksals? — Sind es fünf Jahrhunderte, die sich zwischen dieser und der Götternacht im Dosanischen Garten lagern, wie kommst Du dann hieher? — Louise! Imada! — es wird mir immer unerträglicher dieses Blendwerk. Länger darfs nicht anhalten. O Josselin! Josselin! — aber ich hab’ ihm ja nie von einer Imada erzählt; nur der alte Silberot weiß darum — er ist ausser mir und Matthias hier der Einzige!“ —

Er nahm das Gemälde von der Wand und betrachtete es genauer mit scharfem Blick; alle Freuden der seligen Vergangenheit wachten mit diesem Blicke von neuem in seinem Busen auf. Louise an Adolfs Hofe — wie das erste bange Gefühl der Liebe in ihm aufkeimte — wie er einstmals zu ihren Füßen sas im Schloßgarten, und die reizende Fürstin auf der alten, hölzernen Bank; unter seinen Füßen das stille Thal, zur Rechten die Eremitage mit dem schimmernden Kreuze im Mondschein — über ihm der Himmel, und mehr, als Himmel, in Louisens schönen, liebereichen Augen; — wie er sie sah, sie hörte im Walde von Riedelsheim, einer Erscheinung ähnlich aus der Oberwelt; — wie er sie wiederfand im romantischen Paradiese von Dosa, und dann — dann wieder im Haine in der Nachbarschaft von Idalla’s Insel! — das alles gaukelte izt vor seinem Geiste in verschöntem Farbenspiele — er fing an seinen Verstand zu bezweifeln, zu fürchten, er rase in einem lieblichen Wahnsinn.

Unter dem Spiegel stand auf einem Tischchen eine silberne Klingel. Er hob sie auf — klingelte. Zur Rechten eröffnete sich eine Thür; ein Mensch erschien, dem mans an der demüthigen Stellung ansah, daß er zur Bedienung geschaffen sey.

Florentin gaffte ihn einige Augenblicke mit Verlegenheit an. Er erinnerte sich nicht, auch dieses Menschen Angesicht je gesehn zu haben.

„Befehlen Sie etwas?“ fragte der Diener.

„Wo ist Herr Josselin?“

„Herr Josselin? — Wen meinen Sie?“

„Kennest Du ihn nicht?“

„Der Name ist mir unbekannt. Erklären Sie sich nur deutlicher.“

„Wie soll ich mich deutlicher machen? — Wer hat mich in dies Zimmer bringen lassen?“

„Unser Herr. Sie lagen im Garten und schliefen; wir fürchteten, Sie würden sich erkälten.“

„Nun ja, und wo ist Josselin geblieben?“

„Ich habe schon gesagt, ich kenne keinen Josselin.“

Duur sah den Menschen mit einem Blick voll unaussprechlicher Verwirrung an.

„Nun was ist denn das? wo bin ich? wer ist Dein Herr?“

„Der Graf von Gabonne.“

Der Graf von Gabonne?“ schrie Duur, und fing izt wirklich an, entweder sich, oder seinen Gegner für unsinnig zu halten.

„Bist Du auch gesund, Bursche?“ sagte Florentin, indem er dem bestürzten Diener näher trat und dessen Puls berührte.

„Wie Sie;“ antwortete jener.

„Nun wo bin ich denn? Ich bitte Dich, antworte mit ehrlich — ich bin erkenntlich. Wo bin ich?“

„Das sollten Sie nicht wissen? Sind Sie nicht schon seit eingen Tagen bei uns? Sehn Sie sich doch um!“

„Wo bin ich? frag ich!“ tief Florentin etwas aufgebracht.

„Sie befinden sich nicht wohl. Der Hausarzt ist noch wach in seinem Zimmer.“

„Mensch, ich flehe Dich an, um Gotteswillen, quäle mich nicht — antworte, wie ich frage, oder ich werde im ganzen Hause Lärmen machen.“

„Ei nun — Sie sind im Schlosse des Grafen von Gabonne, einen Spaziergang weit von Mont-Rousseau.“

„Wie bin ich hieher gekommen?“

Der Diener lächelte ihn schweigend mit einem verdachtvollen Blick an, ging endlich auf ihn zu, und sagte mit vertraulichem Tone:

„Gedulden Sie sich nur ein Augenblickchen, mein Herr, nur ein Augenblickchen. Ich bin sogleich wieder hier.“

„Wo willst Du hin?“

„Ich will den Herrn Charly herbeiholen.“

„Wer ist der Herr Charly?“

„Der Hausarzt. Er wacht noch. Ich habs Licht an seinem Fenster gesehn.“

„Mensch, ich bitte Dich, willst Du mich mit Gewalt um meine Geduld bringen, mich überreden, ich habe meinen Verstand eingebüßt! — Steh und rede, wie bin ich hieher gekommen?“

„In dies Zimmer?“

„Freilich.“

„Sie schliefen unten in der Jelängerjelieberlaube am Teiche — die Abendluft ist ungesund. Der Herr Graf befahl, Sie auf Ihr Zimmer zu tragen.“

Duur hörte dies und brach in ein lautes Gelächter aus. Montrousseau war von Gobbys Gute sechzig und etliche Meilen entfernt — dies wußte er: „Josselin, willst Du Scherz mit mir treiben: so mußt Du wenigstens das Gesetz des Wahrscheinlichen beobachten!“ dachte er bei sich, und sah das Portrait an, welches er noch immer in der Hand trug.

„Kennst Du dies Gemälde? weißt Du, wer dies seyn soll?“ fragte er.

„Sie ist zum Sprechen getroffen — das Fräulein Imada, des Grafen Nichte.“

„Wie hoch ists an der Zeit?“

„Ein Uhr mag es seyn.“

„Das ist mit unbegreiflich! — ich unten in der Jelängerjelieberlaube geschlafen, und wäre nicht bei Gobby, sondern in Mont-Rousseau gewesen — ich mögte die Laube sehn — — Höre, hast Du selber mich aus der Laube tragen helfen?“

„Freilich.“

„Was befand sich außer Mir drinnen?“

„Nichts. Auf dem Tische standen zwei Weinflaschen und zwei Becher.“

„Du lügst. — Es ist mir draussen alles fremd. — Hast Du das Herz, mich hinunter zu führen in den Garten und zur Laube?“

„Warum nicht?“

„Da wär’ ich neugierig!“ sagte Duur und drehte sich um, seinen Hut zu holen, der auf dem Stuhle lag.

In eben dem Augenblick wards stockfinster um ihn herum. Die Krystallsonnen an der Zimmerdecke waren verschwunden; Geräusch ließ sich rechts und links um ihn hören. Er rief dem Diener, aber ohne Antwort zu erhalten.

Vierzehntes Kapitel.
Traumwunder.

In allem Ernst hätte unser Abentheurer izt böse werden mögen, wenn er nur irgend gewußt, sich damit aus seinen Verwirrungen zu retten. Offenbar trieb, wie er glaubte, Josselin sein Spiel mit ihm; er gedachte izt des sonderbaten, räthselhaften Betragens, welches Gobby und der biedre Silberot am vorigen Tage gegen ihn so unwillkührlich annahmen, und er zweifelte keineswegs daran, daß nicht auch sie ihren gewissen Antheil an diesen Spiegelfechtereien hätten, von welchen sich nur kein Zweck einsehn ließ.

Das Geräusch um ihn her verlor sich. Er tappte durch die Dunkelheit, um ans Fenster zu treten, und sich wenigstens durch den Mond einige Erleuchtung zu verschaffen. Aber sein Erstaunen vermehrte sich, als er die Fenster von dieser Seite verschwunden, und auf der ganz entgegenliegenden Seite des Zimmers erschienen sah. Es ging alles mit ihm im Ringe herum; alles war ihm verdreht.

Plötzlich gossen die Krystallsonnen ihr blendendes Licht wieder herab — er erkannte wieder alles um sich her — aber das war nicht mehr dasselbe Zimmer, worin er sich vor eingen Minuten befand, und doch hatte er kaum ein Paar Schritt von seiner Stelle gethan.

Dies Kabinet war beinah um die Hälfte größer, als das vorige; das vorige war dunkelroth, dieses blaßgelb; Spiegel und Fenster ließen sich in einer ganz andern Gegend sehn — der Diener war verschwunden.

Unmöglich konnte er sich bei dieser Zauberei des Lächelns erwehren. Er drehte sich rings herum und erblickte hinter sich — hinter sich — o, izt hätt’ er zu Boden sinken mögen; es flirrten alle sieben Farben des Regenbogens um seine Augen; sein Odem stockte; seine Knien zitterten; seine ganze Besinnung verlor sich; er sah nichts, als hinter sich — Imada, wie sie leibte und lebte.

„Mein Gott!“ — mehr konnte er nicht stammeln.

Wie eine Ueberirrdische schwebte das Phantom seines Herzens, der Abgott seiner Träume, ihm entgegen, in der emporgehobnen Hand eine Schaale dampfenden Weines tragend.

„Was ist aus mir geworden?“ lallte er in halber Ohnmacht.

„Trinken Sie!“ lispelte der weibliche Engel mit einem unbeschreiblich süßen Ton.

„Wo bin ich?“

„Wohl aufgehoben!“

„O gewiß! — ist hier nicht Elysium? Ich möchte izt an die Wunder berauschter Dichter, an die Fabelwelt Griechenlands glauben lernen.“

„Glauben Sie!“

„Ich wandre in Plutons schönsten Hallen, und Imada ist die Unsterbliche, welche mir den Lethebecher bringt.“

Imada lächelte des Schwärmers. Er nahm zitternd die Schaale aus ihrer schönen Hand, sein Auge verlor sich trunken in ihren Blick.

„Geben Sie mir Vergessenheit? — Vergessenheit für all die tausend Jammerstunden meines elenden Lebens; Vergessenheit für meine tausend Seufzer und Thränen?“

„Wünschen Sie Vergessenheit? Es ist Ihr Ernst nicht.“

„Gewiß! gewiß! — wen freut das Ueberlebte noch, wenn man Imada sieht?“

„Trinken Sie! die Schaale giebt Vergessenheit — zur Strafe soll nun alles Gut und Böse von Ihres Gedächtnisses Tafel gewischt werden — auch die Erinnrung an Louisen!“

„An Louisen?“ lallte Duur mit starrer Verwunderung, von Imada’s Lippen diesen Namen zu hören. „Welche Louise?“

Imada. (lächelnd.) Die Sie zum leztenmal in Dosa sahn.

Florentin. (sie anstarrend.) Sagen Sie — ich bitte Sie, — glauben Sie, daß ein Gott sey — um Gotteswillen bitt’ ich, beschwör’ ich Sie: wie kommen Sie darauf? — wie wissen Sie — — —? Wo bin ich?

Imada. In Mont-Rousseau.

Florentin. Soll ich von Sinnen kommen?

Imada. Gefällt es Ihnen nicht bei uns?

Florentin. Imada — nein, izt ist der Scherz zu weit getrieben — ach, und daß auch Sie, auch Sie Vergnügen daran finden, mich zu quälen.

Imada. Behüte Gott — Vergnügen, Sie zu quälen? — O, wenn Sie mich kennten!

Florentin. Ach, daß — ich sie kenne! wohler wäre mir, ich hätte solche reizende Gestalt — ein solch Gesicht nie wieder gesehn.

Imada. Das klingt nicht schmeichelhaft — — —

Florentin. Vielleicht dann mehr, wenn Sie mit dieses Wunsches Gründen vertrauter wären. (heiter.) Und sey es, wie es sey. Gefällt es meinen Freunden, sich an meinen Bestürzungen zu weiden, und mich mit Seltsamkeiten zu überraschen, wie die Einbildungskraft sie kaum in unsern Träumen zusammenschleppt: so mögen sie es immer thun. Ich bin zufrieden, daß auch Imada — Imada zu den seltnen Dingen gehört, die ich in diesem Traum mit offnen Augen sehe.

Imada. Wer weiß, ob alles hier wohl mehr, als Traum ist!

Florentin. Das wäre schrecklich, wäre boshaft! das verzieh ich meiner Phantasie in diesem Leben nicht. — Von ohngefähr, beinahe ists ein Jahr, verirrt’ ich mich in einem Walde — mir träumte, oder träumte nicht — mir wars — ach Gott, Imada, Sie erschienen mir, und ich, in Ohnmacht, Seligkeit und Bangigkeit versunken — Imada, liebe, schöne Imada — träumte Ihnen nie von einem lächerlichen Abentheur, als auf der Reise nach Mont-Rousseau ein Gondler Ihnen entwischt war?

Imada. (mit schalkhaftem Lächeln) Beinahe ist mirs so.

Florentin. Ists Ihnen so? — Wars Ihnen auch wie mir? — Doch welche Frage! Sagen Sie, soll alles dies Traum seyn, und nicht mehr?

Imada. Es kömmt darauf an, wie Sie zufrieden sind mit diesem Traum.

Florentin. O dann, dann träum’ ich ewig; Dann erwach ich in dieser Welt nicht wieder; dann lege man mit meinem Traum mich in das Grab, ich werde den Himmel nicht vermissen.

Imada. Schwärmer!

Florentin. Dann geb ich mein ganzes Leben, und noch zehn Leben, wie das meinige, dazu für solchen Traum. Gute Nacht, Vergangenheit — (er sezt die Schaale an den Mund) Imada, ich trinke Vergessenheit! — Sie können, wollen mich doch schadlos halten für das, was ich vergessen will?

Imada. Wenn ich denn auch das Wollen hätte, kann ich auch

Florentin. Wenns daran nur allein liegt — — (er trinkt.)

Imada. Auch für Louisen schadlos?

Florentin, (mit Schwärmerei) Sie sind Louise; nein, mehr, als Louise!

Imada. Und — für Holdern?

Florentin. (läßt bestürzt die Hand mit der Schaale sinken) Gott im Himmel! was ist das? — Wie kommen Sie zur Kenntniß aller derer, die meinem Herzen am nächsten wohnen? — Sie sind mit mir, mit meinen schönsten Geheimnissen vertraut, wie ich es bin. O Imada, izt wird die schöne Täuschung mir zur Last — es ist mir zu viel Unbegreifliches darin — Imada, fühlen Sie, wie ich — Imada, wenn Sie mich nur ein wenig lieben: so zerreissen Sie den Schleier, welcher mir vor den Dingen dieser sonderbaren Nacht hängt. —

Imada. (lächelnd) Sie sind des Traums so früh schon satt und müde? wollen Sie so bald, so gern erwachen?

Florentin. Nur Sie nicht mit dem Traum verlieren. (Indem er ihre Hand ergreift und sie an seine Lippen drückt) So schön — so schön bin ich noch nie gefoltert worden!

Imada. Noch nie? Ich dächte doch, vor alten. Zeiten schon einmal.

Florentin. Noch nie!

Imada. (lächelnd) Besinnen Sie sich nur, Vinzenz!

Florentin. (läßt erschrocken ihre Hand fahren) Was war das? Imada, noch einmal — wie nannten Sie mich da?

Imada. Ist Ihnen in diesem Traum Ihr eigner Name fremd geworden? — Vinzenz!

Florentin. (nachlallend) Vinzenz! — Jezt sind die Räthsel mir gelöst. So streckt sich euer Arm durch alle Jahrhunderte hinab, ihr sonderbaren Weltregierer! Imada — mein Traum ist hin — nun alles hin! — Ach Gott, so werd’ ich göttlich noch belohnt — Imada, eine goldne Hoffnung geht mir auf; die Macht, die uns zusammenführte, kann noch mehr. Ich glaub an ihre Wunder. — Verzeihn Sie, ich rede etwas verwirrt —

Imada. Und doch versteh ich Sie.

Florentin. Verstehen Sie auch das, was ich nicht sage, was mein Herz nur im Geheimen sich von Ihnen plaudert?

Imada. (verwirrt) Von mir?

Florentin. Kann izt mein Herz von etwas anderm plaudern? —

Imada. Die Antwort — auf ein andermal.

Florentin hatte eine Wiederholung seiner Frage auf den Lippen — er ergriff Imada’s Hand — und die Sonnen verschwanden von oben — die alte Finsterniß war zurückgekehrt.

„Folgen Sie mir nur nach!“ flüsterte Imada, indem sie ihm an der Hand mit sich führte.

Er ging. Der Weg führte durch eitel Nacht, Trepp auf, Trepp ab, bis zu einem schmalen Gang.

„Gehn Sie nur getrost voran,“ lispelte Imada, und wollte sich von seiner Hand losmachen, weil zwei Personen neben einander nicht gehen konnten. — Sie blieben stehn. — Ein leiser Kuß streifte über Florentins Wange. „Still!“ flüsterte Imada, und sie gingen weiter.

Florentins Herz befand sich in einem Gedränge wunderbarer Empfindungen. Er war glücklich — so glücklich, daß er hätte laut aufjubeln mögen, und doch — unterdrückte er alles. Seine Hand zitterte ihm in Imada’s Hand.

Der Weg erweiterte sich — einige Zimmersonnen strahlten urplözlich herab — Florentin stand still, und fand an seiner Hand — einen schwarzen Bruder.

Funfzehntes Kapitel.
Die schwarzen Brüder.

In einem großen ovalen Saal, dessen schimmernde Gewölbdecke sich auf hohen Marmorsäulen lehnte, mit goldnen Kapiteelen und Reifen mit goldnen Eichblattkränzen geschmückt, stand der Verzauberte. In der Ferne erhob sich ein fünf Stufen hoher Thron, beschirmt von einem goldgestickten Baldachin, umringt von einer Versammlung ernster Männer, sämmtlich schwarz gekleidet und dennoch kostbar.

Und auf dem Throne sas — Duur glaubte versinken zu müssen im Erstaunen — sas Holder, in königlicher Pracht, still und schweigend, wie ein Bild — Holder, welchen er nirgends anders, als auf Idalla’s schöner Insel wähnte.

„Julius! Regent Julius!“ rief Duur. Alle Gesichter wandten sich um zu dem Bestürzten. Zwei aus der Versammlung traten ihm entgegen, hingen ihm einen langen schwarzen, mit Silber und Perlen köstlich geschmückten Mantel um, und führten ihn in feierlicher Stille zum Thron hinauf, wo er sich neben Julius zu setzen genöthigt ward.

Er ergriff die Hand seines Freundes; ein leiser Gegendruck verkündigte ihm: du hast dich nicht geirrt! — Still und horchend, mit einem bangen Wohlgefallen, sah Florentin vor sich hinab auf die feierliche Versammlung, die den Thron umringte, und aus deren Mitte nach einer Weile ein Greis hervortrath. Dieser verneigte sich dreimal vor den Männern des achtzehnten Jahrhunderts, und sprach mit der Würde, welche seinem Alter eigen war, mit dem Feuer eines Jünglings, folgende Worte:

„Seid uns willkommen, Ihr wunderbaren Söhne der Vorwelt, deren endlichen Erscheinung auch wir mit Zweifeln entgegensahn. Es ist keine Täuschung; wir haben Euch in unsrer Mitte; die ehrwürdigen Orakel unsrer Vorwelt logen nicht, und Ihr habt das sonderbarste Unternehmen, welches jemals der menschliche Geist ausbrüten konnte, mit bewundernswürdiger Kühnheit begonnen und mit noch bewundernswürdigerm Glück vollendet. Die Möglichkeit ist in der Natur nun erwiesen, die geizige Zeit um ihre Jahrhunderte zu betrügen und Vorwelt und Nachwelt auf eine seltsame Weise in Verbindung zu bringen.“

„Seid uns willkommen, Söhne, des achtzehnten Jahrhunderts, Ihr einzigen und ersten Menschen Eurer Art, nehmt von uns im Namen der Brüder dieses Zeitalters, im Namen der Menschheit den Dank für Eure große That an. So weit die Kräfte der Sterblichen reichen, sollen Eure Wünsche erfüllt werden, um Euch die überstandne Gefahr zu versüßen; Ihr sollt nur fodern, wir wollen erfüllen; Ihr seid, Fremdlinge, Gäste dieses Jahrhunderts.“

„Wir entlassen Euch hiemit feierlich Eurer Pflicht und Arbeiten für den Orden — für Euch sey izt die Zeit der Ruhe.“

„Freilich habt Ihr nun das vollkommenste Recht zu der Frage: was hat die Menschheit im Allgemeinen seit einem halben Jahrtausend gewonnen? Ist sie glücklicher geworden, als sie es sonst war? Finden wir der Thränen weniger unterm Monde, der Freuden mehr?“

„Ach, daß ich mit gutem Gewissen ein herzliches Ja! erwiedern könnte — aber — — — das Loos der Menschheit ist und bleibt durch alle Weltalter, in allen Graden der Cultur, unter allen Zonen immer dasselbe, und verwandelt sich nicht; Lust und Jammer bleiben die ewigen Gefährten der Menschheit, und auch über sechstausend Jahren werden keine Rosen wachsen ohne Dornen.“

„Wahr ists, Künste und Wissenschaften sind seit fünfhundert Jahren zu einer Höhe emporgestiegen, welche unsern Vorfahren gewiß ungedenkbar seyn mußte; eine ungeheure Zahl von Entdeckungen und Erfindungen in allen Gebieten der Erkenntniß hat die Summe unsers Wissens so vermehrt, daß izt das Erlernen einer einzigen Wissenschaft hinreichend ist, einen Menschen durch sein ganzes Leben zu beschäftigen, da vor einem halben Jahrtausend ein Gelehrter noch im Besitz vieler Wissenschaften seyn, und sie alle gründlich studirt haben konnte; wahr ists, Cultur, Aufklärung, Wissenschaftsliebe ist nicht mehr, wie sonst, das Eigenthum einiger Nationen; Deutschland, Frankreich, England, Schweiz, Batavien sind nicht mehr die alleinglänzenden Gestirne, welche Europa und die übrigen Welttheile erleuchten, sondern Amerika und Ostindien, selbst Australien haben ihre Staaten, ihre Gelehrte, welche mit uns um den Vorrang wetteifern, über den verwehten Pyramiden Aegyptens sind izt Schulen der Philosophie errichtet, aus welchen große Männer hervorgingen, deren Einfluß das barbarische Afrika und Asien ehrt; und jene Fürstenthümer und Republiken, welche man sonst unter dem Namen der Russischen Monarchie begriff, wo sonst Bären und Wölfe durch die Wälder heulten, und Unwissenheit und Aberglaube nisteten unter den Zellen und Hirnschädeln der Pfaffen, sehen izt mit Stolz auf die traurige Vergangenheit zurück. Allein was ist damit für die Glückseligkeit und Zufriedenheit der Sterblichen gewonnen? Nichts. Denn wenn wir auch Engel würden dem Geiste nach, so bleiben wir doch immer elende, gebrechliche, leidende Wesen durch den Einfluß der Sinnlichkeit. Sinnlichkeit ist die unverwüstliche Kette, welche uns ewiglich mit Unvollkommenheit und Elend verbindet!“

„Vor Zeiten glaubte man, und es war ein verzeihungswürdiger Glaube, daß die Art der Regierungsformen keinen geringen Einfluß auf das Glück, auf die Zufriedenheit der Nationen habe. Es gab eine Zeit, wo man begierig wünschte alle Monarchien in Republiken zu verwandeln, und selbst unser Orden, benebelt von dem Rausche seines Jahrhunderts, neigte sich zu jenem Wunsche.“

„Allein die Erfahrung hat uns endlich gelehrt, daß nicht die Art, sondern die Beschaffenheit der Regierungsformen die Aufmerksamkeit der Völker verdiene; wir hörten Republiken seufzen unterm Despotismus ihrer Gesetzgeber, wir sahen monarchische Staaten Freudenthränen weinen ihren Königen. Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß nicht Liebe und Achtung für die Menschheit, sondern Egoismus und Stolz, die Stifter und Zerstörer gewisser Regierungsformen beseelten; das Wohl der Sterblichen war nur Deckmantel ihrer mörderischen Pläne, der Epheu ihres vergifteten Weins. — Ehrgeiz und Habsucht der Großen waren die Eltern der Monarchien, Geldgeiz und Bettelstolz des Pöbels die Urquelle des Republikanismus.“

„Die Erfahrung hat uns gelehrt, daß so lange die Erde um die Sonne tanzt, und tanzen wird, selbst die besten und weisesten Menschen die Thorheit als ihr Schooskindchen pflegen und hegen. Die Fürsten raffiniren noch immer izt, wie sonst, auf Vergrößerung ihrer Macht, auf Ausdehnung ihrer Reichsgränzen. Die blutigsten Kriege werden noch immer dieser unedeln Maxime willen geführt, aber doch heißt es: es geschehe alles zum Besten des Volks; man sezt die Vaterlandsliebe der Unterthanen für die Grillen ihrer Beherrscher in Contribution, ungeachtet das Volk keine Minute an Freude mehr dadurch gewinnt, wenn sein Regent eine Provinz mehr in seinem Titel trägt. — Welteroberungsträume waren von jeher eine Erbsünde der monarchischen und republikanischen Regenten; man unterjochte sich Land auf Land, bis der Körper des Staats zu einem Ungeheuer anschwoll und in eine Menge kleinerer Reiche auseinanderfiel. Dann begannen diese kleinern Staaten das alte Spiel von neuem, arbeiteten sich wieder zu einer gewissen Grösse hinan, und stürzten wieder auseinander. Was ist izt noch von der alten persischen, römischen, fränkischen, oder russischen Allgemeinherrschaft übrig? — kaum ein matter Schatten in den Büchern der Weltgeschichte — der Name! — Dafür wurden tausend gute Menschen, die sich ihres Daseyns auf Erden weit länger erfreuen konnten, hingeschlachtet? Dafür wurden tausend Familien in Elend gejagt? Dafür wurden die ruhigen Wohnungen glücklicher, stiller Bürger und Bauern mit Feuerkugeln, Bomben und Pechkränzen in Aschenhügel verwandelt — dafür die zahllosen Thränen und Blutstropfen vergossen?“

„Ach, es ist bitter, sich an alles dies zu erinnern — zu übersehen das große Jammerfeld des menschlichen Elendes und dabei zu fühlen, daß man zu ohnmächtig sei, um zu ändern, zu bessern, zu helfen. Es ist bitter daran zu denken, daß doch am Ende niemals das gute Herz und die veredelte Vernunft, sondern List und Gewalt und die aufgewiegelte Leidenschaft im Kampfe obsiegten; daß wir in fünf Jahrhunderten, mit fünfhundertjährigem Fleis nur immer wenig zur Genesung der Sterblichen beitrugen. Wir ersparen mit aller unsrer Arbeit höchstens der allesheilenden Zeit einige Mühe; wir stillen am Körper der menschlichen Gesellschaft einige blutende Wunden früher, können aber nicht verhindern, daß immer neue geschlagen werden!“

„Was frommt also unser Dichten und Trachten, unser Ringen und Streben? — eitel wenig! und der Salomonismus hört auf für eine melancholische Schwärmerei zu gelten, wenn man sich diesen Betrachtungen weiter überläßt.“

„Für Euch, Ihr edeln Söhne des achtzehnten Jahrhunderts, Julius und Vinzenz! die Ihr Euer Zeitalter freiwillig verliesset, um ein glücklicheres aufzusuchen, muß diese Nachricht, welche ihr von uns empfanget, wenig tröstend seyn, da sie Euern schönen Traum von einer frohen Nachwelt unwiederbringlich zerstört. Allein Ihr seid Männer — wir geben Euch den herben Trank der Wahrheit, wie er ist, und wollen ihn nicht mit dem Honig der Lüge verzuckern.“

„Wir sind vollkommner und elender geworden; wir haben tausend neue Erfindungen gemacht, und tausend neue Räthsel in der Natur gefunden; wir haben neue Wissenschaften, Lehrsätze und Wahrheiten, aber auch eben so viel neue Irrthümer; wir haben unzählige neue Produkte der edeln und unedeln Künste, aber auch eben so viel neue Bedürfnisse; wir haben viele sonst unbekannte Speisen und Getränke und Bequemlichkeiten, aber auch viele sonst unbekannte Krankheiten — seht, dies ist alles, was wir Euch über die Fortschritte der Menschheit sagen können.“

„Seyd glücklich, Ihr Beide, so sehr Ihrs nach der Disposition Eures Körpers und Geistes seyn könnet. An uns soll es nicht liegen, wenn Eure Wünsche nicht erfüllt werden.“

So sprach der ehrwürdige Redner, und schwieg. Eine tiefe, schwermüthige Stille folgte seinen Worten.

Vinzenz und Julius verliessen ihren Thron und mischten sich unter die Versammelten. Gern hätte Florentin tausend Fragen an Holdern gethan, aber theils war dieser von vielen andern Fragern umringt, theils hatte er selbst für sich genug den neugierigen Schwarzen zu beantworten. — Die Becher wurden mit Wein gefüllt; alles überließ sich der Freude, und Florentinen erstarben allmählig die Gegenstände dieser Versammlung, wie die Bilder eines Traums.

Er erwachte von einem festen, tiefen Schlafe. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien warm durch die Zweige der Jelängerjelieberlaube, wo Freund Josselin, auf die Rasenbank hingeworfen, noch ruhig fortschlummerte.

Florentin rieb sich die Augen, und sah sich wild um. —

„Was ist das?“ rief er: „hab’ ich wirklich nur geträumt, oder war dies eine Spielerei der schwarzen Brüder?“

Josselin schnarchte, und lies sich nicht stöhren. „He Josselin! Josselin!“

Josselin erwachte; er sah sich bestürzt um; „Nun, wahrhaftig!“ fing er lächelnd an: „wir können doch in der Welt noch für Schläfer gelten!“

„Und zur Noth auch für Träumer!“

„Auch das, wenn Du willst.“

„Aber ich sehe nicht ein warum die Schwarzen mit mir den Scherz trieben?“

„Nothwendig war es freilich nicht — aber man wollte Dir wahrscheinlich beweisen, daß man im drei und zwanzigsten Jahrhundert sich noch eben so gut auf Sinnenspiel und Gaukelei verstände, als vor fünf Jahrhunderten.“

„Und wahrhaftig man hat es in der Kunst sehr weit gebracht.“

Sechzehntes Kapitel.
Dialog. Aufklärungen.

In diesem Augenblick erschien ein Bedienter, welcher ungerufen ein willkommnes Frühstück brachte; bald nach ihm meldete ein andrer, daß der Edle von Gobby mit seiner Gesellschaft binnen einer Stunde eintreffen würde.

Florentin saß still vor sich da, mit seinem Geiste bei den Abentheuern dieser Nacht, — beschäftigt mit Holder — mit Imada.

Josselin. Wie gefiel Dir der Inhalt Deines Traums?

Florentin. Verschieden, wie er selber war; ich muß gestehn, er hatte viel Zauberartiges und Du erwiesest mir einen Gefallen, wenn Du mir die Magie der schwarzen Brüder enthülltest.

Josselin. Eine gute Unterhaltung beim Frühstück. Der Commendant Silberot, selbst ein Schwarzer, war der erste, welcher Deine Erscheinung dem Orden bekannt machte, die anfangs wenig Glauben fand. Dein Bedienter, der Gondler Matthias, verrieth dem Commendanten Holders Aufenthalt und Verhältnisse; auch dies erfuhr der Bund, und es wurde sogleich eine Gesandschaft und Einladung an Holdern abgeschickt. Dein Abentheuer im Walde mit der schönen Nichte des Grafen von Gabonne kam auf eben diese Weise zu unsrer Kenntniß. Gobby, ein vertrauter Freund desselben, meldete ihm die Erscheinung eines Mannes aus dem achtzehnten Jahrhundert, bat ihn mit Imada zu sich, und alles ging nach Wunsch. Gabonne, Imada und Holder kamen; die Versammlung der schwarzen Brüder ward berufen und ich gab Dir den Schlaftrunk, der Dich zwei Stunden ums Bewußtseyn brachte. — Man hatte es einmal beschlossen, Dich mit Wundern zu überraschen, folglich gehorcht’ ich.

Florentin. Und Holder ward nicht in die Zaubereien verwickelt?

Josselin. Nein; er hat drei Tage mit den Obern der schwarzen Brüder conferirt; gestern eilte auch Gobby und die andre Gesellschaft zu ihm. Ich hab’ ihn diese Nacht gesprochen. Es ist ein äusserst intressanter Mann. — Bruder, ich reise mit Dir nach Idallas Insel — ich will meine übrigen Tage bei Euch verträumen in einer himmlischen Zufriedenheit.

Florentin. Nun wird mirs schon licht! wohin bin ich in dieser Nacht gebracht worden?

Josselin. Eine halbe Meile von hier, auf das Landgut eines Edeln, und Obern. Du schliefst in seinem Doppelzimmer, bei dessen Verwandlung Dir Imada zugeführt ward, welche überhaupt Deine Feindin nicht zu seyn scheint.

Florentin. Doppelzimmer? — Du mußt mich immer, als ein Kind betrachten, welches unwissend und neugierig vor allen Kleinigkeiten stehn bleibt. Was nennst Du ein Doppelzimmer?

Josselin. Wahrhaftig, ich hätt’ es nie geglaubt; dermaleinst noch der Lehrer eines canellesischen Revolutionairs zu werden. — Sieh nur, die Landhäuser unsrer Vornehmen werden so gebaut, daß die eine Fassade der Flügel, welche immer im Durchschnitt nur ein Zimmer breit sind, gen Morgen, die andre gen Abend sieht. Gegen Morgen und Abend sind Fenster. Die Wände sind mit Tapeten bekleidet, welche mit leichter Mühe aufgerollt werden. Daher kann man nun aus einem Zimmer gleichsam zwei machen; das Morgenzimmer hat Fenstern nach Osten, das Abendzimmer Fenstern nach Westen. So wie man an einem Tage oft gern verschiedne Kleider trägt, so kann man sich auch in ganz verschiednen Zimmern befinden, ohne einen Fuß von der Stelle zu rühren.

Florentin. Eine mir ganz neue Art des Luxus!

Josselin. Imada führte Dich in den grossen Saal der Brüderloge, wo Dir nun nichts Unbegreifliches gewesen seyn wird. Ich trank mit Dir zugleich einen kleinen Schlaftrunk und wurde bei Sonnenuntergang mit Dir hiehergeschafft.

Florentin. Die Räthsel waren kurz und bündig gelöst.

Josselin. Elende Spielereien, für den vielleicht noch zu gebrauchen, der an ihnen einen Gefallen finden kann. Für mich sind sie ohne Reiz. Ich ziehe mit Dir in Holders und Idallas Einsamkeit; ich will mich meiner Tage freuen, so sehr ichs noch kann; die Welt, mit allen ihren Tändeleien kann mich nicht mehr ergötzen und fesseln. Laß uns eilen nach Idalla’s romantischer Insel; da wollen wir eine freie, unabhängige Colonie gründen und man soll sie weit und breit die Colonie der Glücklichen nennen.

Florentin. Aber, lieber, bester Josselin — — —

Josselin. (lächelnd.) Imada?

Florentin. Kannst Du in mein Herz sehen?

Josselin. Ruhig! ich habe Lust an Sympathien zu glauben, denn in der vergangnen Nacht sagte Imada, als sie Dich verlassen hatte, zu ihrem Oheim: Vinzenz glaubte in Elysium zu seyn, und mir wars beinah auch so!

Florentin. (indem er Josselin feurig umarmt.) Josselin! Josselin! dann hin nach Idallas Insel, um ein Götterleben und die Colonie der Glücklichen zu beginnen, deren Patriarchen wir seyn wollen!

Dritter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Nur Einleitung.

Mit Schüchternheit und Sehnsucht erwartete Duur die Ankunft der Gesellschaft. Er zitterte, die schöne Imada wieder zu sehn; noch mehr aber vor seinen verwegnen Wünschen.

Die Stunde schlug; hoch wirbelten die Staubwolken daher vom Wege, welcher sich aus dem Walde hervorzog; die nahen Bachbrücken dröhnten unterm Huf der Rosse; man hielt still und die fröhliche Gesellschaft umringte in wengen Augenblicken unsern Abentheurer.

Auch Holder und Imada waren da; Imada, deren Blick sich durch das bunte Gewühl der Versammelten zu ihm herüberstahl. Holder, welcher seinen Freund hier mit zärtlichem Enthusiasmus umarmte.

Duur näherte sich Gabonnens schöner Nichte; wie ein Gefühl von Schaam und Verlangen preßte es ihm das Herz, röthete es seine Wangen. Josselin hing an Rosaliens Arm.

„So wollen wir die Colonie der Glücklichen gründen!“ rief Josselin lächelnd seinem Freunde zu, indem sie in das Haus traten.

Seit Florentin sich in der neuen Welt umhertummelte, hatte er für Herz und Geist nicht so anhaltende Schwelgerei gefunden. Es blühte alles um ihn her, wie ein Paradies; alles wollte sich zu seiner Seligkeit vereinen. Gobby’s ernste Weisheit, verbunden mit der liebenswürdigsten Laune, Silberots deutsche Biederkeit, Holders stille Selbstzufriedenheit, Josselins grell abwechselnde Melancholie und Frohsinn, Rosaliens tändelnder Muthwille, Imada’s Schüchternheit und Liebe bildeten den schönsten Kontrast von Karakteren, in deren Gesellschaft man gern auf Erden den Himmel vergessen hätte.

Duur überzeugte sich bald, daß Imada’s Wünsche mit den seinigen in geheimer Eintracht lebten, daß er unter allen Männern dieser Gesellschaft der einzige sey, auf welchen Imada’s Augen mit entschiednem Wohlgefallen ruhten; er hatte ihr seine Empfindungen auf mannigfache Weise kund gethan, ohne einmal das Wörtchen Liebe ihr zu nennen; erröthend hatte sie ihm bei den auffallenderen Geständnissen die Hand gedrückt — und doch wars ihm immer, als fehle zu seiner vollendeten Seligkeit etwas; als mischte sich ein fremdes Wesen zwischen ihm und Imada mitten in ihren vertraulichsten Unterhaltungen.

Seine Ahndung betrog ihn nicht. Er fühlte immer mehr, daß seine Besorgnisse gegründet seyn mußten. Begierig spürte er allen Gelegenheiten nach, um sich Imada ganz zu entdecken und ihr ein offenherziges Geständniß über ihr Herz zu entlocken.

Zehnmal des Tages fand er die Gelegenheit, aber niemals wagte er sie zu benutzen. Schüchtern wich er von seinem Vorsatz zurück, wenn er seiner Erfüllung am nächsten stand.

So verstrich ein Tag nach dem andern. Es wurden allmählig von allen Seiten Anstalten zur Abreise getroffen. Florentin bemerkte dies und verlor seine Heiterkeit.

Müde, sich mit den ewigen Zweifeln und Besorgnissen zu quälen, entschloß er sich endlich, am lezten Abend vor der Abreise den entscheidenden Gang zu wagen; er machte sich selber wegen seiner kindischen Zaghaftigkeit die heftigsten Vorwürfe, und niemand hatte auch wichtigere Ursachen dazu, als er, der in den Fehden und Irrgängen der Liebe kein Neuling war.

Zweites Kapitel.
Verzweiflung.

ES war ein prächtiger Abend; frisch duftete das Grün der Gebüsche und Halmen rings umher; die Lerchen wirbelten ihr leztes Lied der halbversunknen Sonne nach, und die Wipfel der Bäume strahlten in feuriger Verklärung des Abendroths.

Imada sas im Garten am Teiche.

Ein wildes Pflaumengebüsch, durchwachsen vom freundlichen Epheu, hatte sich um und über dem schönen Weibe zu einer natürlichen Laube gebildet; zu Füßen plätscherten die kleinen Wellen am Blumenufer, und spielten die Fische sorglos ihr Spiel. — Buchfinken und Meisen sangen von allen Zweigen herab; Schmetterlinge verfolgten sich in weiten tändelnden Ringen umher, und im tiefsten Dunkel eines alten Nußbaums girrte ein Turteltaubenpaar.

Imada sas in sich selbst geschmiegt, tief in Betrachtungen verloren da, die weissen Arme nachlässig auf den blumigten Rasen hingeworfen, die Augen unverwandt auf die schimmernden Furchen des Wassers.

Florentin sah sie — kaum hundert Schritt stand er entfernt von ihr. Es war ihm vor den Augen, wie ein prächtiges Sommerstück von West. Sein Odem verengte sich; er hätte die schöne Imada, umgeben von allen Schönheiten der ländlichen Natur, hinzeichnen mögen auf ein Blatt zum ewigen Andenken dieser kostbaren Minute.

Er ging einige Schritte vor. Die Sonne verlor sich hinter dem Hügel; Imada schlug die Augen auf.

„Duur!“ rief sie mit einer sanften Stimme, die Löwen und Tyger gebändigt hätte.

Duur stand dicht vor ihr.

„Wo schwärmen Sie umher, Schmetterling?“ fragte Imada und reichte ihm lächelnd die Hand.

„Ich schwärmte nach meiner Lieblingsblume und fand sie nicht.“

„Hat ein Schmetterling auch eine Lieblingsblume? — mir ists, als nascht der Luftprinz gern von allen.“

„Von allen, wenn er naschen will; von einer, wenn er geniessen, schwelgen will.“

„Schmetterlinge können nur naschen.“

„Dann bin ich kein Schmetterling — ich sehne mich nach einem bleibenden Genuß.“

„Man sagt, dies sey nicht Männerart. — Sie werden doch nun nicht behaupten: dann bin ich kein Mann?“

„Wenn die Männer Schmetterlingsnatur haben, so liegt die Schuld an den Weibern und ihrer Blumennatur, die sich jedem öffnet, und keinen verstößt.“

„Wir sind das schwächere Geschlecht — die armen Blumen müssen ja wohl geduldig jeden Räuber leiden.“

Das ist eben das Unglück der Männer!“

„Sie werden boshaft.“

„Gewiß nicht. Gestehen Sie nur ein, daß wir so wenig Aehnlichkeit mit den Schmetterlingen, als die Damen mit den Blumen haben.“

„Das lezte gern, das erste nie.“

„Wohlan, ich schwärmte nach meiner Lieblingsblume — und nun hab ich sie gefunden — nun bleib ich — hier! (indem er ihre Hand an seine Lippen drückt.) hier!“

„Ob wohl auch die Blume gewinnt, wenn der Schmetterling wirklich bei ihr bleibt und an ihren Zweigen sein Wohnhaus zusammenspinnt? Was wird aus dem schönen, kosenden Liebhaber? — eine häßliche, giftige Raupe — ich wollte sagen, — ein Ehemann.“

„Wer hat nun Ursach, über Bosheit zu klagen?“

„Ach wie manche Blume hat schon mit Entsetzen die Verwandlung ihres Liebhabers erlebt!“

„Imada! — Bosheit um Bosheit, so wünsch’ ich Ihnen nie einen treuen Freund, einen treuen Liebhaber!“

„Der Wunsch kann leicht erfüllt werden; weil treue Freunde und treue Liebhaber ohnedem zu den Seltenheiten unterm Monde gehören?“

„Salomonisiren Sie auch schon?“

„Nichts weniger, als dies. Und doch möchte manche Blume ihren Favoritschmetterling gern aufnehmen und beherbergen, wenn sie gleich voraussähe, daß er dereinst ihr Mörder werden würde, denn es soll ja süs seyn, zu sterben von geliebter Hand — aber wie, wenn sich nun ein häßlicher Nachtvogel bei ihr einnistet, und sie wider ihren Willen seine Beute wird?“ —

„Wenn mir ein Nachtvogel meine Blume stehlen wollte, bei Gott, so verwandelt’ ich mich aus dem Schmetterling in eine Wespe.“

„Das war eine lächerliche Hyperbel! — Kann der Schmetterling seine Natur vertauschen? Sie würden traurig umherflattern und sich ein andres Blümchen suchen.“

„Das könnt’ ich nicht; bei Gott das könnt’ ich nicht! — Zum Beispiel — liebe, theure Imada — zum Beispiel — Sie, Sie wären meine Lieblingsblume — — —?“

„So würden Sie ein fremdes Eigenthum verletzen.“

„Fremdes Eigenthum?“ stammelte Florentin und wurde todtenblas.

„Was fehlt Ihnen, Duur? Sie verwandeln die Farbe?“ fragte Imada, und schloß mit zärtlicher Bekümmerniß seine kalte Hand in die ihre: „Reden Sie doch! was fehlt Ihnen?“

„O, fragen Sie mich nicht! — Es fehlt mir alles! Imada — liebe, einzige Imada — fremdes Eigenthum, Sie?“

„Bekümmert Sie das so sehr?“

„O mein Gott, wie sollts nicht! — Imada, war das Ernst? — Imada! Gehören Sie schon einem andern an?“

„Ja.“

„Entsetzlich! — dies Ja schlägt meine Hoffnungen auf immer zernichtet zu Boden, und stößt mich aus dem Paradiese, wo ich schon so sicher zu wohnen glaubte.“

Das Mädchen sah ihn lange und schweigend an; sah den Sturm seiner Seele sich wiedermalen in dem düstern Spiel seiner Mienen und Blicke, sah wie er so gern sich verstellen, wie seine Lippe so gern Entschuldigungen seines sonderbaren Betragens hervorbringen wollte, aber nicht einen Laut ertönen ließ. —

„Das ist entsetzlich!“ rief er endlich mit beklemmter Brust, und seine Augen funkelten feucht.

Imada zitterte neben ihm. Unwillkührlich drückte sie seine Hand fester an sich, unwillkührlich stürzte eine Thräne aus ihren schönen Augen über die Wange herab.

„Was soll ichs Ihnen verheelen,“ sagte Florentin nach einer langen Pause mit verhaltner Wehmuth: „was soll ichs Ihnen verheelen, Imada, daß ich — Sie unaussprechlich liebgewonnen habe? warum soll ichs Ihnen nicht gestehn, daß ich mir eine goldne Zukunft durch Ihre Gegenliebe vorschmeichelte? — Ach, ja, Imada, Sie — Sie waren mein lezter Wunsch in dieser Welt, weiter hatt’ ich keinen, dann hätt’ ich ruhig Grab und Tod erwartet. — Morgen reisen Sie ab — morgen will ich auch zurück von der Welt, und mich flüchten in Holders Einsiedelei — — — O, Imada, was haben Sie aus mir gemacht!“

„Lieber Duur — beruhigen Sie sich. Ich hätte geglaubt, Sie wären mehr Mann. Ich habe gehört, Sie sollen schon der Leiden so viel getragen haben, — wie, und Sie sind noch so schwach, so hinfällig?“

„Eben darum. Ich bin ein junger Baum, den alle Stürme, alle Ungewitter zu ihrem schadenfrohen Spiel erwählt haben. Meine Blüte ist verwüstet; ich bin zerrissen, zerschmettert; wie soll ich noch stehn können, unter einem neuen Sturm.“

„Was gäb’ ich darum, Sie zu beruhigen!“

„Sie können nichts geben; Sie haben nichts, mir zu geben — Sie sind fremdes Eigenthum!“

„Würd’ es zu Ihrem Troste beitragen, wenn ich Ihnen gestände, daß ich Ihnen herzlich — herzlich gut sey? — Ihnen hold ward beim ersten Anblick, als ich Sie im Walde traf?“

„Das ist ein matter Abendschein auf zerknickte Saaten, die ein schwarzes Hagelwetter zu Boden schlug. Dies Abendlicht richtet die hingeworfnen Saaten nicht wieder auf, sondern macht höchstens durch seine Erleuchtung das Bild der Verwüstung noch lebhafter. — Nein, Imada, lassen Sie mich! — Es ist so gut! ich bin es schon gewohnt, daß immer meine theuersten Wünsche vernichtet wurden auf eine schreckliche Weise.“

„Aber, so — in dieser Stimmung lass’ ich Sie nicht von mir! Sie müssen wieder heitrer werden. Sehn Sie mich an — lächeln Sie einmal! — Nein, so mit dem starren Blick, mit der finstern Stirn sind Sie gar nicht hübsch. — Weg mit den Falten hier!“ —

„O Imada, Ihre Freundlichkeit ist grausam!“

„Warum lernten wir uns nicht früher kennen?“

„O warum mußten wir uns jemals kennen lernen?“

Ein neues Stillschweigen trat ein. Imada schien mit Wehmuth und heimlichem Vergnügen den Kummer des Unglücklichen in seinem Gesicht zu studiren.

Mit heimlichen Vergnügen? Nun warum nicht? Welcher Feldherr zählt nicht mit Vergnügen auf dem gewonnenem Schlachtfelde die Leichen seiner Feinde, sieht nicht mit heimlicher Wollust vor sich auflodern die feindlichen Städte unter den wirksamen Feuerkugeln, — und doch mag ihm das Herz bluten. — Welches Mädchen, welches Weib sieht nicht mit Lust auf die verheerenden Siege, welches seine Schönheit erwirbt, selbst dann, wann es die Siege nicht geniessen darf. Denn Weibern ist es genug, gesiegt zu haben; die liebe Eitelkeit ist mit dem Opfer zufrieden und der Stolz fodert nicht mehr noch.

Ich sehe — meine Leserinnen — Sie werden böse; ich lese den Wunsch in Ihrer Seele, daß Sie mich wohl mit eben den Waffen strafen möchten, die ich izt schalt. — Aber wahrhaftig, ich hätte diesen gelegentlichen Ausfall nicht gewagt, wenn ich vor Ihnen Allen nicht viel zu sicher wäre. — Ein Greis, der beinah siebzig Jahre zählt, und des Morgens sein Haupthaar, ohne Puder, weisser, als das Haar manches Stutzers, findet — der fürchtet sich nicht mehr vor schönen Augen, den locken nicht mehr blühnde Wangen, den führt kein stürmischer Busen irre. — Welche Rache wollen Sie nun an mir nehmen?

Es ist nicht artig, sagen die Kunstrichter, wenn ein Erzähler mitten im Text abbricht, und mit seinen Lesern von sich und ihnen spricht. Es ist eben so wenig fein, als wenn ein Prediger mitten in seinem Eifer wider die eitle Lust der Welt seinen Kragen in Ordnung zupft und den Locken eine bessre Richtung giebt.

Also still!

Unterdessen, daß wir hier mit einander schwazten, hatten Florentin und Imada ebenfalls nicht geschwiegen. Inzwischen was sie gesprochen haben, weiß ich wirklich nicht; nur izt, da wir sie wieder ansehn und anhören wollen, finden wir sie nicht mehr in der vorigen Lage, auf dem moosigten Erdboden sitzen, sondern sie stehn — und das sonderbarste ist, sie stehn so, wie ich ebenfalls in meinen jüngern Jahren oft gestanden habe, und mancher meiner Leser vielleicht in diesem Moment um alles in der Welt gern stehen möchte. — Nämlich? — Arm in Arm verschlungen, Aug in Auge gesenkt, Mund an Mund gepreßt — das heißt mit einem Worte: küssend. —

Wie sie zu dieser wirklich unvermutheten Stellung in allmähligen Uebergängen des Gesprächs gekommen seyn mögen, weiß ich selber nicht. An alle dem sind unsre episodischen, unzeitigen Plappereien Schuld gewesen. Künftig wollen wir uns besser in Acht nehmen.

Also: küssend — —

„Und nun ists gewiß?“ sagte Imada, indem sie den Traurigfrohen sanft zurückdrängte.

„Gewiß! ich komme zu Ihnen nach Mont-Rousseau, und zwar zu Ihrem Vermählungsfeste, und wenn mich der Schmerz beim Anblick des Glücklichen tödten sollte. — Ich komme!“

„Das soll mir die reinste, entscheidendste Probe Ihrer Freundschaft seyn. — Mein Vermählungstag ist der erste September!“

„Gott, so bald?“

„Schon wieder der alte Ton? — Mit einem Worte, Sie kommen. Dann wird doch der unglückselige Tag eine Freude für mich haben, und die ist — Sie zu sehn. O, Duur, lieber Duur — ich hätte Sie nicht so sehr liebgewinnen müssen, wenn meine einstige Ehe nur halbleidlich für mich seyn sollte — — — Duur, Sie lieben mich, ich Sie —, Freundschaft ist oft zur Liebe ausgeartet, lassen Sie bei uns izt die Liebe zur Freundschaft werden.“

„Freundschaft ist der schönsten Lebenslust erster Sprösling; der Sprösling treibt unter glücklichen Verhältnissen weiter auf, wird Blume, heißt Liebe. — Unsre Liebe in Freundschaft verwandeln, heißt der Blume ihre Krone abschlagen, und sie dem Sprösling ähnlich machen — ach sie wird nie Sprösling werden, sondern bleibt der traurige Stumpf — einer zerstörten Blume.“

„Und auch dann noch dem, der sie kennet, lieb und theuer!“

„Wie ein Schattenriß von verstorbnen Freunden!“

„Still davon — wir sehn uns wieder!“

„Wir sehn uns wieder!“ rief Duur mit Wehmuth und sank an Imada’s Herz.

Es war dunkler und kühler geworden. Man vermißte die Beiden schon längst in der Gesellschaft. — Es ließ sich ein Räuspern in der Nähe hören.

„Man sucht uns auf!“ lispelte Imada; und indem sie dies sagte, trat ihr Oheim, der Graf von Gabonne — ein alter, freundlicher Krieger mit narbenvoller Stirn und schneeweissem Haupte — aus dem Gebüsch am Teich hervor.

Imada flog ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen; sie warf sich an seinen Hals; ihre ganze Bewegung schien dem bestürzten Duur Ausbruch eines verhaltnen Entzückens, ihre Stimme ein seliges Jauchzen zu seyn.

Er rieb sich die Stirn — diese Verwandlung hatt’ er nicht erwartet; eine solche Freude verrieth mehr, als Liebe für den Oheim, oder Vergnügen an seinem Hieherkommen.

„Weiber! wer ergründet Euer Herz, wer studirt Eure Laune aus, wer die Falten Eures Charakters? Niemand in der Welt, auch der erfahrenste Menschenkenner nicht — und Ihr selbst? — am allerwenigsten!“ — rief Duur mit eingem Unwillen.

Drittes Kapitel.
Sie wandern alle in ihre Heimath.

Leb wohl! und folg mir bald!“ rief Holder, indem er seinen Bruder noch einmal in die Arme schloß und an sein redliches Herz drückte.

„Leb wohl! tausend Küsse Deiner Idalla, und meinem Karl, die in der Einsamkeit Dir entgegen seufzen. Leb wohl! Ich folge Dir bald!“ entgegnete Florentin, dems weh und bang ums Herz ward, ungeachtet die Scheidung nicht auf ewig gelten sollte.

Holder umarmte izt den ehrwürdigen Grafen von Gabonne — und Beide, statt einige Rührung bei ihrer Trennung zu empfinden, und zu äussern, da sie sich doch einander so theuer geworden waren, Beide, sag ich, brachen statt in Thränen, — in ein lautes schallendes Gelächter, aus.

Florentin machte ein paar große Augen. — Aber die Herrn liessen sich nicht stöhren, sondern lachten so herzlich und so anhaltend fort, daß die ganze Versammlung bald darauf mit einstimmte und Florentin, der auf keine Weise errathen konnte, warum sich das Zwergfell dieser scheidenden Freunde so unwillkührlich erschütterte, geneigt ward, selbst mit zu lachen.

Er erkundigte sich endlich, mit sehr verzeihlicher Neugier, nach dem Grund dieser unerwarteten Erscheinung, aber statt aller Antwort — lachte man. — Lachend stieg Holder in die für ihn bereitete Luftgondel; lachend empfahl er sich nochmals und in einigen Minuten war er in der Luft ihren Blicken entführt.

Weinend stand Imada an eine Mauer gelehnt — eben sie, die vor wenigen Augenblicken selbst an dem Gelächter ihren grossen Antheil nahm. Schluchzend wankte sie Florentinen entgegen, schweigend küßte sie ihn, verhüllte sich das Gesicht, und nahm in einer andern Montgolfiere ihren Platz.

Florentin verbiß seinen Schmerz.

„Am ersten September sind Sie doch bei uns?“ fragte sie mit einem wehmüthigen Lächeln.

„Gewiß!“ antwortete bebend Duur.

„Das müssen Sie,“ rief der alte Graf von Gabonne, indem er Florentins Hand schüttelte: „das müssen Sie mir feierlich noch einmal vor dieser ganzen lieben Gesellschaft angeloben. Es soll Ihr Schade nicht seyn; ich will alles dran wenden, Sie vollkommen vergnügt zu machen!“

„Ich werde erscheinen — gewiß erscheinen!“ antwortete Duur mit stockender Stimme.

„Verlassen Sie sich auf mich!“ rief Josselin dazwischen: „ich bürge für ihn; er trifft mit mir zugleich bei Ihnen ein!“

Der Bund ward mit Küssen und Händedrücken wechselseitig bestätigt — der alte Graf sezte sich zu seiner reizenden Nichte — die Gondel flog auf und ruderte langsam und majestätisch durch die Luft hin, wie ein Schwan in den Wellen.

So riß sich einer nach dem andern von Gobby los. Der Commendant und Rosalia mit ihrer Freundin, Josselin und Duur waren in einigen Stunden wieder in der alten Heimath.

„Wie behagte Ihnen die kleine Spazierfahrt?“ fragte der biedre Commendant den träumenden Duur.

„Sie war reicher an Intresse, als das ganze Leben manches Menschen!“ erwiederte der Träumer, nicht um seine Meinung, sondern um eine Antwort zu geben.

Viertes Kapitel.
Sie reisen zur Hochzeit.

Duur war niedergeschlagen und so mißvergnügt, nach seiner Heimkunft, daß er keine kleine Lust hatte, sich in den Salomonismus einweihen zu lassen.

Er verließ ungern sein Zimmer; floh alle Gesellschaften, so sehr es thunlich war; nachtwandelte in seinem Zimmer, träumte, schwärmte, seufzte, klagte und zankte mit dem Schicksal, wie es seit dem achtzehnten Jahrhundert noch immer die Sitte der unglücklichen Liebhaber war.

Josselin hingegen schien seinen Trübsinn zu verlieren und seinen Vorsatz ausführen zu wollen, in Zukunft sich ganz dem schönen Spiel der Sinnlichkeit zu überlassen. — Rosalia war ein reizendes Mädchen; das wußte Josselin, er wußte auch noch mehr, daß er — von ihr geliebt wurde.

Es dauerte nicht lange: so kam es zwischen ihm und ihr zu umständlichen Erklärungen; der alte brave Silberot hatte gegen diese Erklärungen keine Sylbe einzuwenden, und — eh mans sich versah, hieß Josselin des braven Commendanten Schwiegersohn.

Florentin wünschte seinem Freunde Glück — mit schwerem, traurigen Herzen wünschte er Glück, freuen konnt’ er sich nicht.

„Damit die Lust vollkommen werde,“ sagte der brave Commendant: „so soll die Vermählung ebenfalls am ersten September, und zwar auf dem Gute des Grafen von Gabonne vollzogen werden. Rosalia und Imada sind Freundinnen; — das giebt ein Doppelfest, eine Doppelhochzeit.“

Josselin und Rosalia nickten freundlich und schweigend mit dem Kopf.

„Damit aber,“ sezte Josselin hinzu, indem er Florentinens Hand faßte: „unser lieber Freund dort heitrer sey, als ers bei uns izt ist; so werd’ ich mit ihm zu Fuß nach Mont-Rousseau reisen, kreuz und quer durch Deutschland. — Das vertreibt die hypochondrischen Grillen. Vielleicht finden wir unterwegs ein niedliches Mädchen, das sich nicht schämen darf, neben Rosalia und Imada vor dem Altar zu stehn, das nehmen wir mit uns, wenn Florentin will — und die Triple-Allianz ist da. Zum ersten September treffen wir gewiß in Mont-Rousseau ein.“

Rosalia wollte freilich bei diesem Vorschlage etwas böse seyn — aber dann fiel ihr Blick auf den schwermüthigen Duur, und sie wars zufrieden.

Florentin hatte Josselinen selbst gebeten, mit ihm eine solche Wanderung zu unternehmen, weil er doch, vor seinem Rückzuge nach Holders Einsiedelei, die Genossen des dreiundzwanzigsten Jahrhundertes noch ein wenig näher kennen zu lernen wünschte.

Es wurden also die besten Anstalten zu der Pilgerschaft getroffen, und —

Warum soll ich meinen Lesern vorerzählen von den Thränen der schönen Rosalia, die sie beim Abschiede ihrem lieben Josselin und Duur nachweinte? — Warum soll ich die Küsse berechnen, die wechselseitig gegeben und genommen wurden? —

Man reiste ab.

Fünftes Kapitel.
Zuerst ins Tollhaus!

Die Reise hatte für den Bürger des achtzehnten Jahrhunderts kein gemeines Intresse, denn, wo Josselin nichts, als alltägliche Dinge, erblickte, fand Duur bewundernswürdige Neuigkeiten. Jener mußte es sich daher oft gefallen lassen, bei den unbedeutendsten Quisquilien, wie vor ausgemachten Seltenheiten stehn zu bleiben.

Florentin lebte ganz auf; er vergaß beinah seines eignen Leidens über den Reichthum an Glückseligkeit, welchen sich vorzugsweise selbst der ärmste Landmann vor den Zeitgenossen des achtzehnten Jahrhunderts zu freuen hatte; er wünschte tausendmal, daß sein ehrwürdiger Oheim izt ihn unsichtbar begleiten, und die Wunderdinge dieses Zeitalters mit ihm betrachten möchte; er bildete sich ein, auf dem Boden einer idealischen Republik zu wandern.

Von allen Seiten her lachte von den schönbepflanzten Weinbergen, von den unermeßlichen Saatfeldern, von den schiffreichen Flüssen ihm Freude entgegen; wohin er sah, fand er die goldnen Spuren der dankbaren Industrie — und zwar das alles in einer Gegend des deutschen Vaterlandes, wo vor fünf Jahrhunderten noch kein Geist herrschte, wie er damals schon in der preussischen Monarchie sich regte.

Die Dörfer waren zierlich gebaut; sie glichen kleinen Städten. Auf den Gesichtern der Einwohner las man Zufriedenheit und Lust. Ländliche Einfalt und städtische Wohlhabenheit paarten sich freundlich in jedem Hause; wohin sie kamen, fanden sie, selbst in den Hütten der Armuth, einen großen Schatz — Reinlichkeit.

„Wie sich das alles so schön verändert hat!“ tief Duur in einer frohen Ekstase seinem Gefährten zu: „um wie viel glücklicher ist doch, bei allen ihren Mängeln, dennoch diese Nachwelt! — Zu meiner Zeit hätt’ ichs nicht einmal wagen mögen, in die Hütten armer Landleute zu treten. Ich glaube, die Gefängnisse sind izt Palläste gegen die meisten Dorfhütten des achtzehnten Jahrhunderts.“ —

„Nun wahrhaftig,“ entgegnete Josselin: „schilderst Du doch das Vaterland Deiner Zeit wie ein Kamschatka.“

„Es ist die Frage, ob ich daran Unrecht thäte? — Denke Dir einen Haufen unordentlich durch einander geworfner Hütten, als hätte sie ein Sturm zusammengeführt und ein Wirbelwind geordnet — diesen Haufen nannte man sonst ein Dorf. Denke Dir eine alte, kothige Cajütte, mit Schmuz austapeziert, mit einem Fenster, zwei Spannen lang und breit; ein niedriges, enges, dumpfes Gemach, worin drei Odemzüge die Luft verpesten konnten — dazu Kinder und Eltern im Schmuz erzogen, mit Schmuz bekleidet — und Du hast das anschauliche Bild von den meisten Bauerwohnungen jener Zeit.“

„Dann hast Du Recht. So sind unsre Kerker wahre Palläste.“

„Der Bauer meiner Zeit war in vielen Gegenden nichts mehr, als das nützlichste Vieh der Gutsherrschaft. Er mußte für die Ueppigkeiten seines Herrn im blutigen Schweiß seines Angesichts arbeiten, und hatte nichts — gar nichts davon, als einen kümmerlichen Unterhalt — Kartoffeln, und Lumpen.“

„Warum duldete es der Bauer?“

„Weil er mußte. Es kam freilich hin und wieder zu Aufständen und Tumulten; die Sklaven rüttelten an ihren Ketten, und foderten Entlassung von dem grausamen Frohndienst, der Ursach daran war, daß sie nie ihrer Tage froh, und ihrer Arbeit Früchte mächtig wurden — allein selten halfs. Die Edelleute und Gutsbesitzer hatten Geld, Gönner und einen Schein des Rechts.“

„Was? einen Schein des Rechts? willst Du mir von Deinem Jahrhundert Märchen aufbinden? einen Schein des Rechts Menschen für sich, die ihre Mitmenschen statt des Lastviehs gebrauchten und sie nothdürftig dafür mit Kartoffeln und Lumpen bezahlten?“

„Warum nicht? die Gutsbesitzer beriefen sich zum Beispiel auf alte Verträge, und sagten: unsre Vorfahren luden vorzeiten diesen und jenen ein, ihr Land zu bauen. Dafür wollten sie eine Hütte, und soviel Acker geben, daß man sich davon nähren konnte. Der Vertrag war geschlossen, und erbte auf Kinder und Kindeslinder fort. Daher schwelgte der Gutsbesitzer immer in Ueberfluß und sein armer Unterthan mußte sich bei Wasser und Brodrinden quid iuris lehren lassen, wenn es ihm zur unrechten Zeit beifiel, daß er doch auch ein Mensch sey. Ja, der Gutsbesitzer ließ sich wohl gar noch einen Menschenfreund und Wohlthäter schelten, wenn er bei schlechten Erndten seinen armen Unterthanen aushalf, damit sie nicht — verhungerten. Im Grunde that er ihnen nicht mehr Gutes, als seinem Vieh, welches er füttern mußte, wenn er seine Felder in der Zukunft damit bestellen wollte.“

„Das ist traurig!“

„Wenn nun so ein armer Schelm vier saure Tage in der Woche für seinen Herrn, und einen, oder zwei für sich gearbeitet hatte, so war der siebente Tag — Ruhetag. Dann ging er in die Kirche, und ließ sich von seinem oft herzlich unwissenden Pfarrer etwas über die Leiden der Gerechten in diesem Jammerthal, oder einige Geheimnisse der Dogmatik vorpredigen. — Du kannst leicht denken, wie es da um die Bildung des Geistes und des Herzens der Bedauernswürdigen stand. Die wenigsten konnten lesen und schreiben.“

„Schändlich! und doch haben die Genossen jenes Zeitalters ihr Jahrhundert das philosophische nennen können?“

„Scherz! es gab damals noch Philosophen, die sogar in Barbara und Ferio bewiesen, daß es höchst schädlich seyn würde, dem größten Theil derselben vernünftige Begriffe beizubringen, behaupteten: der Landmann müsse in seiner dumpfen Unwissenheit gelassen werden; die Frohndienste wären das fruchtbarste Befördrungsmittel der ländlichen Industrie, besonders da man dann und wann fände, daß freie Bauern weit armer und lüderlicher wären, als die frohnenden.“

„Ich mag nichts weiter hören von der Barbarei Deiner Philosophen — so was kömmt mir in bösen Träumen wieder vor!“ rief Josselin bewegt: „so dank ich dem Schicksal, welches mich ein halbes Jahrtausend später in die Welt warf.“

Mit solchen Gesprächen verkürzten sich unsre Pilger den Weg. Josselin fühlte sich dann jedesmal einen Grad trauriger, Florentin einen Grad fröhlicher.

Sie kehrten unterwegs gewöhnlich bei den Pfarrern auf dem Lande ein, welche im Durchschnitt Männer von Kenntniß und Erfahrung waren, die so viel Gehalt besaßen, daß sie ohne Nahrungssorgen gemächlich leben und sich ihrem wichtigen Amte ganz widmen konnten.

Die Wichtigkeit ihres Amtes bestand aber nicht darin, daß sie ihre Catechismusschüler zu Papageichristen bildeten, sich magre Predigten und fette Aecker besorgten, auf Beichtgroschen lauschten oder in träger Muße ihre Tage gedankenlos hinhungerten: sondern sie waren die Sittenrichter, die Lehrer, die Seelenärzte ihrer Gemeinde, und ausserdem die leiblichen Aerzte derselben. Jeder Landprediger mußte Medicin studirt, und so gründlich studirt haben, daß er im Collegio medico der Hauptstadt reif befunden wurde. Dies gab den guten Pfarrern in ihren Bezirken einen doppelten Werth und doppeltes Verdienst. — Statt der Septuaginta, Concordanz und hebräischen Bibel fand man in ihren Zimmern ein Arzneischränkchen, welches auf Unkosten der Gemeinde immer im Stande gehalten ward.

Aber unsre Wandrer entdeckten auch auf ihrer ganzen Reise kein Dorf, in welchem der Leib- und Seelenarzt nicht der Liebling, der Allgemeinverehrte war; wo nicht mit Freundlichkeit und kindlichen Vertrauen sich ihm jechlicher nahte. Mit welchem Gefühl mußte so ein Mann auf der Kanzel stehn, wenn er die um sich versammelt sah, welche ihm oft die Rettung des Lebens, oft die Rettung der Seele zu danken hatten!

„Ja, meine Herrn,“ sagte einstmals ein Landgeistlicher im Gefühl seines Werths zu unsern Abentheurern: „ich gesteh es gern, daß der Stand, in welchem ich lebe, ein beneidenswürdiges Glück mit sich führt für jedes gute Herz. Wer in der Welt kann sich der Freude rühmen, so täglich mit eignen Augen die Saat reifen zu sehn, welche er auswarf? Meine Gemeinde ist meine Familie; ich bin ihr Vater, ihr Vertrauter zu dem sie in Verlegenheit flieht, der Schöpfer ihres guten Herzens, der Beschirmer ihrer Gesundheit.“

„Ein schönes Loos!“ rief Florentin: „vorzeiten wars nicht so. Da mußte der Landgeistliche hebräisch und grichisch verstehn; man hätte ihn ausgelacht, wenn er statt dessen seine medicinischen Kenntnisse zeigen wollte.“

„Das war vorzeiten! Gott seys gedankt, wir leben in einem vernünftigern Jahrhundert, wo die Lehrer des Volks den ersten Lehrern des Christenthums ähnlicher werden. Waren nicht auch Christus und die meisten seiner Apostel Leib- und Seelenärzte? — So lange man in den Kirchen noch hölzerne Kelche besaß, hatte man noch goldene Priester; seitdem die Christen sich goldner Kelche freuten, hatten sie hölzerne Priester. — Sehn Sie, es wäre ja traurig wenn mir uns nicht endlich wieder über das barbarische Alterthum emporschwingen wollten.“

Nicht genug, sich nur mit den Honoratioren in den Dörfern vertrauter zu machen, besuchte Florentin auch die glücklichen Landleute in ihren Wohnungen. — Ueberall ward er mit Höflichkeit und patriarchalischer Gastfreundschaft empfangen; niemand fragte auch nur mit einem scheelen Blick: wer bist du? was willst du? — Selbst der Aermste sezte ihm ein reinliches Butterbrod, ein klares Glas Wassers vor.

„Gott! welch ein herrliches Volk ist das!“ rief Duur mehr, als einmal: „und Du, Josselin, kannst da so ruhig, so gefühllos stehn, — auch nicht einmal eine Spur von Freude äussern?“

„Ich sehe nicht ein, warum ich immer, wie Du, den Entzückten spielen soll?“ entgegnete Josselin: „ists denn so was Wunderbares, daß der Bauer kein Vieh, sondern ein Mensch ist?“

Einigemal hatten unsre Pilger das Vergnügen, einem Bauernexamen beizuwohnen, einer Sitte, welche Josselinen selbst neu war, weil sie erst auf landesherrlichen Befehl seit Kurzem eingeführt war.

Jeder Bauer nämlich, welcher sich in einem Dorfe häuslich niederlassen, oder sich verheurathen wollte, mußte sich vorher einer gewissen Prüfung unterwerfen, die der Prediger und der Oberbauer des Dorfes führten. Er mußte beweisen, daß er Kenntnisse genug habe, um ein guter Mensch, ein guter Unterthan, ein guter Gatte, ein guter Landmann zu seyn.

Diese Kenntnisse konnten leicht erworben werden, theils durch den Schulunterricht, theils durch das Lesen nützlicher Bücher, welche für den Landmann geschrieben waren.

In den Schulen lehrten nun freilich keine Invaliden, keine verlaufne Schneidergesellen, wie im philosophischen, achtzehnten Jahrhundert, sondern zu diesem Unterricht gebildete Männer. Ihre Schüler lernten nicht nur lesen, schreiben, rechnen, Religions- und Sittenlehren, sondern auch allerlei nützliche Haus- und Wirthschaftsregeln, und andre im gemeinen Leben heilsame Dinge.

Dazu kam noch, daß jeder Hausvater für seine Familie einige vom Landesherrn vorgeschriebne Bücher halten mußte, die deutlich und faßlich über allerlei Gegenstände der Natur und des häuslichen Lebens, vom Benehmen bei Feuer- und Wassergefahr, bei Gewittern, bei Kranken und Sterbenden, u. s. w. handelten. Ohne diese Bücher konnte kein Bauer so wenig ein Hausvater, als vordem ohne Bibel, Catechismus und Gesangbuch ein Christ werden.

„Schmäle, so viel Du willst,“ sagte Duur: „meine Freude ist eben so gränzenlos, als meine Verwunderung! Ich begreif es in Ewigkeit nicht, wie man den Landmann zu einer solchen Stufe der Polizirung hinanbringen konnte.“

Josselin. (lächelnd.) Das find ich nicht unbegreiflich. Kann man doch Bären tanzen und Hunde exerziren lehren.

Duur. An der Fähigkeit des Bauern, ein Mensch zu werden, zweifle ich nicht. Ich wundre mich nur über den Willen, — daß man ihn zum Menschen zu machen gewollt habe.

Josselin. Gewollt? ich verstehe Dich nicht.

Duur. Das glaub’ ich gern. Zu meiner Zeit hieß es noch: wozu hat der Bauer die Bildung des Herzens und des Verstandes nöthig? — das ist Ueberfluß. Es ist genug, wenn er sein Feld bestellen und zur gehörigen Zeit seine Abgaben entrichten kann. — Ob so ein wirklich unglückliches Wesen nicht eben so gut Ansprüche auf die höhern Freuden der Menschheit, auf die Freuden des Herzens und des Geistes, auf gewisse Bequemlichkeiten u. s. w. habe, als der Stadtbewohner, darauf ward gar nicht einmal Rücksicht genommen. Kurz, er war ein Bauer, ein gebornes Lastvieh in der Welt.

Josselin. Das ist schändlich gedacht.

Duur. Glaube mir, daß ich ausgelacht geworden wäre, wenn ich im achtzehnten Jahrhundert nur prophezeit und vorgeschlagen hätte, was izt Wirklichkeit ist.

Josselin. Das sieht dem achtzehnten Jahrhundert ähnlich.

Duur. Freilich entdeck’ ich nicht, woher die Kosten zur Besoldung der Schulmeister, Prediger, Anschaffung der Bücher und dergleichen mehr gewonnen sind.

Josselin. Ich bin zu unbewandert in der speciellen Geschichte der Staaten und ihrer Finanzveränderungen, um Dir das Räthsel zu lösen. So viel aber weiß ich, unsre Fürsten füttern an ihren Höfen keine Ceremonienmeister, Hofmarschälle und Castraten mehr, wie sonst; sie vertheilen das ungeheure Gehalt solcher unnützen Staatsfiguranten, und befördern damit die Cultur ihrer Unterthanen.

Duur. (ihn anstarrend.) Bist Du — — — ach, verzeih, ich lebe ja im dreiundzwanzigsten Jahrhundert! — So ist wirklich also die Polizirung der obern und niedern Glieder des Staatskörpers in gleichen Verhältnissen gewachsen.

Josselin. Ei nun, die Welt wird ja mit jeder Periode älter, sollte sie nicht auch klüger werden? Man hat ja traurige Erfahrungen genug erlebt; sollte man sie nicht benutzen? Der Staat wurde schon von den alten Politikern mit dem menschlichen Körper verglichen, aber sie umfaßten den großen Sinn des schönen Vergleichs nicht. — Wenn der Kopf alles Blut aus dem Leibe an sich ziehn will: so entsteht aus diesem falschen Verhältniß gewöhnlich Schwindel und Ohnmacht; die Füße schwanken und versagen beim besten Willen den Dienst — ein Schlagfluß zerstört dann am Ende wohl die ganze Maschine. So ists mit dem Staat. Der regierende Stand ist das Haupt; Bauer und Bürger tragen und erhalten den Körper; das cirkulirende Geld ist das Blut. Das Haupt muß freilich verhältnißmäßig immer das meiste Blut, der regierende Stand den meisten Reichthum haben. Zerstört dieser aber die Ordnung der Natur, zieht er den Reichthum allein an sich, schmachtet der erwerbende und ernährende Stand in Armuth: so verlieren die Füße ihre Kraft, und der Körper stürzt unter dem falschen Verhältniß ohnmächtig nieder. — Eine Reihe schrecklicher Revolutionen hat endlich im Catechismus der Politiker mit blutiger Schrift das richtige Verhältniß der verzehrenden und ernährenden Volksklasse bestimmt.

Duur. Es ist traurig, daß die Menschen keine andre Lehren lieben können, als solche, die unter Donner und Blitz von Sinai herab gegeben, oder von der Erfahrung mit blutigem Finger geschrieben wurden.

Josselin. Das ist Menschenloos bis an der Welt Ende! Die Sterblichen gebrauchen die Vernunft, wie ihre Taschenuhren, mehr um mit den Berloken derselben zu glänzen und zu spielen, als sich nach ihrem Weiser zu richten. Daher sind die wenigsten Uhren aufgezogen, noch weniger richtig gestellt. Mit der menschlichen Vernunft stehts nicht besser.

Florentin seufzte tief auf.

Sie erreichten endlich eine ansehnliche Stadt, worin Florentin für seine Wißbegierde keine gemeine Nahrung zu finden hoffte.

„Zuerst ins Tollhaus!“ rief Josselin: „damit Du Dich von Deinem Entzücken über die Menschheit etwas erholest.“

Sechstes Kapitel.
Was ist der Mensch!

Am folgenden Tage, als sie sich von den Ermüdungen der Reise etwas erholt hatten, wanderten sie wirklich, Josselins Vorschlag gemäß, den Behausungen des Elendes zu.

Abgesondert von der Stadt, auf einer Anhöhe lag, umgeben von hohen, unübersteiglichen Mauern, der Ort, welcher von den Einwohnern des Landes die Jammerburg genannt wurde — ein charakteristischer Name für das Aeussre und Innre dieser Stätte.

Der Weg führte über eine schmale Zugbrücke zum Eingang durch die Ringmauer. Ueber dem Thore lag, in Stein gehauen, der trauernde Genius der Menschheit, mit erloschner Fackel, die er an dem Altarfeuer, bei welchem die Tugend und Vernunft wachen, wieder anzünden zu wollen scheint. — Darunter stand die goldne Inschrift: Eingang zum Siechenhause des menschlichen Verstandes.

„Du darfst aber nicht glauben,“ sagte Josselin: „daß hier nur der Aufenthalt der Wahnsinnigen und Rasenden sey; nein, hier werden auch Verbrecher jeder Art aufbewahrt, die, abgesondert von der glücklichen Menschheit, ihre Sünden mit dem Verlust der Freiheit und bitter schwerer Arbeit büßen müssen. — Man rechnet also auch die unmoralischen Handlungen und Gesinnungen zu den Krankheiten des Verstandes.“

Der Aufseher der Jammerburg, ein dem Anscheine nach sehr menschenfreundlicher Mann, führte unsre Pilger, so lange sie wollten, durch alle Zimmer der Unglücklichen, die nach den verschiednen Arten ihrer Krankheiten in verschiednen Revieren wohnten.

Am auffallendsten waren unserm Duur zwei Erscheinungen, nämlich, das der größte Theil der Wahnwitzigen in der Jammerburg die Rolle der Philosophen spielte, und daß die meisten von denen, welche in theologische Narrheiten verfallen waren, entweder Schuster oder Mediciner gewesen.

Unter den philosophischen Narren zeichnete sich vorzüglich ein gewisses Faulthier aus, welches nichts anders that, als as und trank, schlief und träumte, und auch mit den größten Martern zu keiner nützlichen Arbeit bewogen werden konnte. Es war ein Mann in den besten Jahren, reich an Kenntnissen, aber ohne Gefühl für Ehr und Schande, für Tugend und Laster — und das sonderbarste von allem, er war, was er war, aus Grundsätzen.

Wenn er sich ja noch einer Beschäftigung unterzog, so war es die, zu schriftstellern, nicht aber damit der Welt, sondern nur der Ausbildung seines eignen Ichs zu nützen, wie er vorgab. Seine Gedanken waren schön gesagt, zusammengreifend, oft sehr scharfsinnig. Er duldete es auch, daß sie gedruckt wurden, aber bald duldete es die Landesregierung nicht mehr. Denn sein philosophisches System, welches er aus den Systemen des Idealismus und Salomonismus zusammengeflickt hatte, machte Proselyten, und ein Dutzend Narren mehr, von seinem Schlage.

Er bildete sich ein, daß er ein höheres Etwas, ein Lieblingswesen des unbekannten Welturhebers sey, welcher ihn dazu bestimmt habe, ihn zu sich und zur seligen Theilnahme an seinen Vollkommenheiten zu erheben. Zu diesem Zwecke führe das höchste Wesen ihn durch die Schule des Universums, um ihn zu der großen Stufe auszubilden, welche er dereinst betreten solle. Er behauptete, schon früher existirt zu haben, als auf dem Wandelstern, welchen wir Erde nennen; allein von dieser Präexistenz seines Ichs sey nur eine dumpfe Ahndung in dem Gedächtniß heimgeblieben.

Die Welt, mit allen ihren Theilen, sagte er ferner, sey — nicht für das höchste Wesen, denn dieses bedarf keiner Schule, keiner elenden Sinnenlust für sich, sondern — für ihn erschaffen. Alle Gegenstände, ausser ihm, wären nur Erscheinungen, und für ihn da, um seinen Verstand daran zu üben. Diese vergänglichen Erscheinungen — welche bei seinen Uebergang in eine höhere Schule auf immer verschwinden, wie die belustigenden Bilder einer Laterna magica, nachdem sie nicht mehr nöthig sind — wären ein Spiel der Nothwendigkeit, nach dem Plan des höchsten Wesens, zu seiner Bildung; es habe daher eigentlich nichts einer wirklichen Freiheit sich zu rühmen — Tugend und Laster, Ehr’ und Schande sehen nichts als Begriffe, an deren Bearbeitung und Pflegung sein Ich nichts, als mehr subjektive Fertigkeit des Denkvermögens in ihm, gewönne. Die Begebenheiten der Vorwelt seyen nicht wirklich geschehn, sondern gehörten mit zu dem Schein, zu den Bildern, welche zur Veredlung seines Ichs aufgestellt, und in andern Mittelwesen eingepflanzt wären, um sie ihm vorzuhalten. — Der Zweck seines Daseyns sey daher, nicht etwa zu arbeiten und mit dem ihm umgebenden Schein sich, als mit Realitäten, einzulassen, sondern nur in contemplativer Ruhe das für ihn aufgeführte Schauspiel zu betrachten, und darüber weiter nachzugrübeln. — Was man ihm vom Tode sagte, sey nichts anders, als ein Wink, welchen ihm das höchste Wesen geben wolle über den Hintritt in eine andre Schule. Der Tod, oder die Vernichtung des gegenwärtigen Schauspiels, sey daher nichts weniger, als furchtbar, sondern ihm willkommen. Er müßte aber geduldig warten, bis ihn das große Weltwesen abrufen würde, mittelbar oder unmittelbar. — Die Schmerzen und Einschränkungen, die er in seiner gegenwärtigen Lage zu erdulden habe, müßten mit in den großen, für ihn izt noch unbegreiflichen Plan des ersten Urhebers der Dinge liegen, sonst begriffe er nicht, wie er dazu käme, noch wozu sie ihm nüzten. Die Anstalten, welche man getroffen habe, ihn von seinen Ideen zurückzubringen, seyen von seinem Erzieher angeordnet, ihn darin fester zu machen, weil er dadurch Gelegenheit gewönne, noch mehr über die Täuschung und den Schein der Dinge nachzudenken, und seine Kraft beim Widerstande zu üben.

Stellte man diesem Philosophen vor, was aus der menschlichen Gesellschaft werden würde, wenn jeder einen ähnlichen Egoismus in sich nährte, so antwortete er: die mir scheinbar ähnlichen Gestalten hängen so wenig von ihrer, als meiner Willkühr ab; sie müssen sich so bewegen, so handeln, so zu wollen scheinen, als es dem Plan des höchsten Bildners entsprechend ist. Sie können folglich nichts, können auch nicht einmal wollen.

Duur fragte ihn: „womit er sich denn bewiese, daß alles ausser ihm nur Spiel und Schein, er allein nur das Lieblingswesen des höchsten Urhebers sey? — und womit er diesen ausschliessenden Vorzug verdient habe?“

„Womit ichs verdient habe?“ antwortete der Philosoph: „da müßtest Du nicht mich, sondern das höchste Wesen fragen, wenn Du könntest. Ich bin ohne Verdienst; es ist aber nun so der Wille des grossen Weltwesens, mein Ich zu schaffen und zu bilden. — Womit ich beweise daß außer mir nur alles Spiel und Schein sey? — Dies sagt mir erstlich mein innres, vom Weltwesen mir gegebnes, leitendes Gefühl, zweitens weil ich wirklich von der Außenwelt auch durchaus nichts anders weiß, als daß sie eine Reihe vorübergehnder Erscheinungen sey, die sich auf mich bezieht. Noch hat mir das Gegentheil keiner bewiesen.“

„Warum aber sollte das Urwesen sich nur einen Liebling geschaffen haben, warum nicht mehrere glücklich machen wollen?“

„Warum sollte das Urwesen mehrere Lieblinge sich erkoren, und nicht an einem sich begnügt haben?“

„Stimmt jenes nicht harmonischer mit dem großen Ideal, welches der menschliche Geist sich von der Gottheit entwerfen muß?“

„Freilich muß! — Du kannst nicht anders, als so denken, wie Du denkest. Hast Du aber Deines Ideales reelles Objekt jemals kennen gelernt? Hast Du dem verborgnen Weltwesen in den ewigen, willkührlichen Plan geschaut?“ —

Bei diesen Worten wandte sich der Philosoph mit vieler Ruhe und Selbstzufriedenheit von dem Frager ab, wahrscheinlich, um über diese Unterredung weiter zu speculiren.

Duur konnte sich einer Verwundrung über die sonderbare Mischung von Scharfsinn und Narrheit nicht erwehren.

„O,“ rief Josselin lächelnd: „wundre Dich nicht. Es giebt der philosophischen Narren in Deutschland heuer so viele, daß nicht diese Jammerburg, und wäre sie dreimal größer, sie beherbergen könnte, wenn sie versammelt würden. Aber man läßt sie frei unter den Menschen umherwandern, wohl gar von den Cathedern predigen, weil sie zum Glück ihre Theorien nicht im gemeinen Leben anwendbar machen.“

„Sie haben recht,“ sagte der Aufseher, indem er ein andres Gemach eröffnete: „auch dieser Mensch hier hat in der Theorie noch viele seines Gleichen. Er ist ein theologischer Narr, dem die Schriften des Bischofs von Hippo den Kopf verrückt haben. Er glaubt und, lehrt, daß Gott, ohne Rücksicht auf die Handlungen der Menschen, einen Theil der Erdbürger zur ewigen Lust, den andern zur ewigen Quaal verdammt habe, und eben darum nahm ers sich nicht übel, seinen einzigen Sohn tödtlich zu verwunden, weil dieser das Gegentheil behauptet hatte.“

Duur seufzte: „treibt das Augustinische Gespenst auch noch im drei und zwanzigsten Jahrhundert seine Spuckerei?“

„Weißt Du nicht, daß von tiefen Wunden wenigstens tiefe Narben bleiben?“ entgegnete Josselin.

„O!“ fuhr dieser fort, als sie nach einigen Stunden die Jammerburg wieder verlassen, und noch immer die grausenhaften Bilder des Elendes vor der Seele schweben hatten: „wo bleibt hier des Menschen schönste Hoffnung, sein seligmachender Traum von Hoheit und Majestät der menschlichen Natur? — Worin gründet sich diese Majestät, oder der Traum von ihr? — gewißlich leider in unsre Unwissenheit über uns selbst, wo Eitelkeit und Phantasie das liebliche Lustschloß hinbauten, ohne den Boden zu prüfen! — Elend und gebrechlich erscheinen wir in der Welt, oft ohne Absicht unsrer Urheber. Wer dachte an uns in der fröhlichen Stunde, darin wir gezeugt wurden, wo nicht wir, sondern die Stillung eines wilden Nervenkützels lezter Zweck war? — daß wir erschienen, war die Folge einer Tändelei, wozu ein Gläschen Weins, Einsamkeit und Ohngefähr das Signal gaben.“

„Eben so gehn wir hinaus aus der Welt, und bleiben uns am Ende der kurzen und mühseligen Laufbahn selbst die Antwort zur Frage schuldig: wozu waren wir da? — Wir kamen, ohne unsern Willen, und müssen davon, ohne daß wirs wünschen. Wir haben im Leben kein Auge für den Tod; er wandelt uns immer zur Seite. Wir trinken seinen Gift aus Weinkelchen und Arzeneigläsern; im frohsten Tanze springt unsichtbar der Würger mit.“

„Das Beste hoffen wir freilich von unsrer unsterblichen Seele und ihrer Fortdauer in andern Welten. Aber es ist traurig, daß von den Gegenden jenseits des Grabes immer nur diejenigen erzählten, schrieben und, schwärmten, welche das goldne Eldorado selbst nur erst aus Büchern kannten. Niemand, welcher dahin wanderte, drehte sein Angesicht zu uns zurück und rief: Land! Land!“ —

„Wir schmeicheln uns unnennbare Vollkommenheiten vor, welche drüben das Eigenthum den Geistes werden sollen. Die gutwillige Einbildungskraft leiht zu dem Gemälde ihre schönsten Farben her, und unsre Philosophie behauptet mit weisem Ernst: Vervollkommnerung ist das hohe Ziel unsers Daseyns!“ —

„Aber wenn wir nun schon auf Erden abfallen sehn, nach einem gewissen Zeitpunkte, die Blüten und Früchte der Vollkommenheit? wenn wir nun sehn, wie der gereifte Mann allmählig wieder zum welken Greise abstirbt, und mit dem Körper zugleich der Geist? — Wenn wir den Mann, welcher die höchste Ausbildung in sich trug, der die Sterne und ihre Bahnen maß, die Wunder der Natur entschleierte, oder Welttheilen Gesetze schrieb, wenn wir ihn in einem Alter von siebzig, achtzig Jahren wieder entkleidet finden von seinen Vollkommenheiten, und sehn ihn wieder kindisch mit seinen Windeln spielen? — was sagen wir da? was sollen wir dann noch hoffen? Wohl dem, der dann die Augen wegdrehen kann; wehe dem, der mit dumpfen Erstaunen das Bild der Vergänglichkeit durchforscht!“

„Welch ein Bewandniß muß es mit unserm unsterblichen, zur ewigen Vervollkommnerung berufnen Geist haben, wenn eine Zerschellung des Hirnschädels seine Systeme zerrütten, sein Gedächtniß verwüsten, seine Einbildungskraft verwirren, seinen Verstand zertrümmern kann? Tödte einen Nerven in Deinem Hinterhaupte, wo man der unsterblichen Seele die Residenz anweiset, und Du tödtest mit dem Nerven eine Million Vorstellungen zugleich! — Wenn einst dieser Nerven Spiel erstarrt, und ihre Organisation im Grabe von der Fäulniß verwüstet liegt, wird dann noch dem mörderischen Arm der Verwesung etwas entrinnen, was einer Vorstellung ähnlich sieht? — Wird dann noch entfliehn, das was bis dahin in uns Kraft hieß? Wenn der Baum, welcher einst lachende Früchte trug, so lang er mit seinen Wurzeln unter der Erde sog, dieser Erde entrissen ist, hat er dann noch die Kraft zum Blütetreiben und Fruchtbringen?“

„Ach, Duur, lieber Duur, was ist der Mensch?“

Siebentes Kapitel.
Das Fest der Menschheit.

Die Wandrer kamen in die Stadt zurück. Es war schon spät. Traurig und verstimmt legten sie sich zu Bett. — „Hier ist Wohlseyn!“ rief Duur.

„Ja wohl,“ entgegnete Josselin: „Nichts haben, nichts empfinden, nichts wissen, ist auch ein Reichthum, auch ein Glück!“

„Unser ewiger Reichthum im Grabe!“ sezte Florentin hinzu.

Unter dem lärmenden Schall der Trompeten und Pauken erwachten sie am andern Morgen. Die Sonne war schon hoch herauf. Man brachte das Frühstück; Florentin und Josselin warfen sich ins Fenster um sich am bunten Getümmel der Menschen in den Straßen unten zu weiden.

„Es scheint heut ein wichtiger Tag dieser Stadt zu seyn!“ sagte Duur, indem er mit Verwundrung und Vergnügen die vielen fröhlichen Gesichter zählte.

„Das Fest der Menschheit!“ erwiederte mit lachender Miene der Aufwärter.

„Ein herrliches Volksfest!“ intonirte Josselin: „Heut wollen wir wieder selig seyn, und die düstre Jammerburg vergessen.“

„Wie so?“

„Es ist ein Tag der allgemeinen Freude, ein Festtag der Liebe, der Barmherzigkeit und jeder gesellschaftlichen Tugend! Hurtig, wir wollen uns ankleiden, und unsre Börsen füllen, um den Armen wohl zu thun.“

„Du bist ja einem Entzückten gleich.“

„Und Du einem Erstaunten. Es ist wahr, ich dachte nicht daran, daß Du ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts seyst; aber wer kann sich auch immer daran erinnern? — Ich muß Dir nun wohl erst eine umständliche Vorbereitung geben, wenn Du den heutigen Tag recht schmecken sollst. Aber wahrhaftig, ich bin grade izt zu den Vorbereitungen wenig aufgelegt.“

„Nur kurz und bündig den Inhalt und die Ursach des Festes!“

„Das ists eben, wovor ich mich fürchte; da muß ich Dir ja eine besondre Rede über unsre Feste halten.“

„Nur Skizze!“

„Wahrhaftig, mehr sollst Du auch heut nicht von mir fodern dürfen. — Also Ursach und Inhalt des Fests? — Ursachen kann ich Dir von dieser Feierlichkeit nicht mehr und nicht weniger angeben, als von jeder andern. Man will dadurch Herz und Geist des Volks erfreun, den Umlauf des Geldes rascher befördern, Gemeingeist und Brudersinn erwecken und was man nun von solchen Gelegenheiten mehr anzugeben pflegt. — Vor Zeiten wurden mehr Kirchen- als Nationalfeste gefeiert; seit anderthalbhundert Jahren sind mehr National- als Kirchenfeste. Vor Zeiten war fast jeder Sonntag ein christlicher Festtag, izt ist der Sonntag nur Ruhetag und großer Volksfeste haben wir in jedem Jahresviertel nur ein einziges.“

„Und die christlichen Kirchenfeste?“

„Sind beinah sammt und sonders secularisirt. Die Welt hat an ihnen nichts verloren; gewiß aber mit ihrem Verlust gewonnen.“

„Das möcht’ ich nicht behaupten. Die Religion der Christen hat unstreitig durch die Aufhebung oder Secularisirung der Feste von ihrer Autorität und Wirksamkeit vieles eingebüßt.“ —

„Laß doch die Religion einbüßen, wenn die Menschheit nur Vortheile erringt.“

„Ist eins ohne das andre möglich?“

„Gewiß; nur ehrlich Nach- und Vortheile gegen einander abgewogen! — Wozu wurden die Kirchenfeste angeordnet? Wir wollen den Stiftern den edelsten Zweck beimessen, wollen nicht daran denken, daß der hierarchische Sinn der ersten Anordner vielen Antheil daran hatte, sondern glauben: daß man sie einsezte, um durch die Feier der wichtigsten Begebenheiten des ersten Christenthums einen Enthusiasmus für die Religion selbst zu befördern.“

„Ich bin mit dem Zweck zufrieden.“

„Wurd’ er erreicht? — Selten war darunter ein Fest der Freude — es waren mehrentheils Buß- und Bettage, welche den durch tausend Widerwärtigkeiten niedergebeugten Geist nicht im Stande waren aufzurichten und zu erquicken für die folgenden Schicksale. Das alte Sündenregister ward unaufhörlich revidirt und in der Nachbarschaft des Himmels der höllische Flammenpfuhl gewiesen. Eine schwermüthige, düstre Schwärmerei war gewöhnlich die ganze Frucht des Festes für den, welcher es mit ganzer Seele, nach der jedesmaligen Anlage der Tagesfeier, begangen hatte.“ —

„Aber wie viele begingen es so?“

„Desto schlimmer; so ward die ganze Absicht der Stiftung verfehlt. Der Reichere, oder sich aufgeklärt Dünkende, erinnerte sich nicht an den Sinn des Festes, sondern machte dieses zu einer Gelegenheit größerer Lustbarkeiten. Man verpraßte den kostbaren Tag in dem Ringe seiner Tisch- und Kellerfreunde, und des Nothleidenden gedachte man grade dann am seltensten. Der Stolz des gemeinen Mannes feierte das Fest wieder auf eine besondre Weise; neue Kleider mußten an diesem Tage figuriren, und ein Wein- oder Brannteweinsrausch Leib und Gemüth erquicken. — Was gewann dabei die Religion, was die Menschheit?“

„Ich kann Dir nicht widersprechen.“

„So lange die Deutschen mehr Kirchen- als Volksfeste hatten, war an keinen Gemeingeist zu denken; nicht einmal an Gemeingeist in einzelnen Städten; ich will nicht von Staaten sprechen. Man ließ die bequemste Gelegenheit ungenüzt entschlüpfen, das schöne Band der Eintracht um die Herzen der Bürger zu schlingen und für Tugend und Vaterland zu begeistern. Nie wurde ein Versuch gemacht, die Menschen einander, als Brüder und Schwestern, näher zu führen; nie wurde ein Versuch gemacht, den schneidenden Unterschied der Stände zu mildern, Stolz und Neid, Egoismus und Kabale, und alle tausend Wurzeln oder Nebenzweige des Partheigeistes, trotz seiner Verderblichkeit für das gemeine Wesen, zu vernichten. Es fehlte daher den Deutschen Deiner Zeit an dem, was allein Nationen, so wie einzelne Familien, liebenswürdig macht, — Geselligkeit, Humanität! Der Vorwurf, welcher ihnen von jeher gemacht ward, gebührte ihnen rechtens; sie waren im Durchschnitt, halbpolizirte, steife, träge Thiere, unter sich selbst nie Freunde, sondern mit hündischem Geiz nur das eigne Intresse bewachend.“

Unter diesem Gespräch hatten sie sich beide angekleidet.

„Vom Inhalt des heutigen Festes magst Du Dich mit Deinen eignen Sinnen belehren!“ sagte Josselin und führte seinen Freund hinaus auf die Straße, wo alles von Fußgängern, Reutern und Wagen wimmelte.

Florentin konnte sich des Lächelns nicht erwehren beim nähern Anblick dieses bunten Getümmels — es war ihm die größte Maskerade, welche er je erlebt hatte, wenigstens einer Maskerade nicht ungleich.

Greise und Kinder, Männer und Weiber, Hohe und Niedre, Arme und Reiche tummelten sich freundlich durch einander. Jeder prangte, (so brachte es die Ordnung des Festes mit sich) mit dem besten Theil seiner Garderobe; alles erhielt dadurch einen glänzenden Anstrich von Wohlhabenheit und Feierlichkeit, und der Contrast des Reichthums und der Armuth ungemein viel Auffallendes.

Aber alles dies war das Unbedeutendste in der ganzen Erscheinung; nein die sonderbare Verbindung der Wandelnden machte das Schauspiel einer Maskerade ähnlich. Hier führte ein biedrer Handwerksbursch eine stattlich geschmückte Dame; dort führte ein junges, blühndes Mädchen einen alten, blinden Mann. Drüben schlenderte Hand in Hand ein christlicher Prediger mit einem jüdischen Lehrer; ein kraftvoller, schöner Jüngling stüzte dort einen schwachen, halbgenesenen Kranken.

„Wo bin ich?“ rief Florentin lachend.

„Unter Menschen!“ entgegnete Josselin.

„Wohin solls gehn?“

„Wohin Du willst. Hinaus zur Stadt, ins Feld, in die Gärten. Allenthalben wirst Du Gesellschaft finden. Aber izt wollen wir uns den Gesetzen dieses schönen Tages unterwerfen: wir müssen uns trennen. Bekannte und Freunde dürfen heut nicht beisammen bleiben, Familien dürfen nicht an einanderhalten, sondern müssen sich unter die Fremden zerstreuen, sich den Unbekannten nähern, Freundschaften stiften und Bekanntschaften; Freude verbreiten, wo sie können; die Armen freigebig bewirthen; Krüppel, Lahme und Blinde das Ungemach ihres traurigen Geschicks vergessen machen.“ —

„Träumst Du, oder träum’ ich?“

„Keiner von uns. Ich verspreche Dir viel Vergnügen; wer ein reines Herz und einen gesunden Menschenverstand zu diesem Feste bringt, kann hier nicht anders denn glücklich seyn. Denke doch nicht ewig an die grauen, läppischen Thorheiten Deines Jahrhunderts, wo man sichs nicht einbilden konnte, daß die Menschen, wie Brüder und Schwestern, wie Glieder einer und derselben Familie unter einander zu wohnen im Stande wären. Siehe hier ist der allgemeine Pickenick, wo jeder sein freiwilliges Contingent zur Freude des Ganzen liefert, hier sind die Agapen des ersten Christenthumes wieder, wo der Reiche dem Armen seine Noth, der Frohe dem Weinenden die Thränen vergessen macht; hier ist wahre Polizirung des Volks und eben darum natürliche Einfalt, Wegwerfung des künstlichen und natürlichen Unterschiedes — denn die lezte Sprosse auf der Leiter der Menschencultur ist wieder Natur. — Geh hin, und werde froh, indem Du andre fröhlich machst. Heut Abend, oder morgen früh finden wir uns wieder zusammen.“

Mit einem herzlichen Kusse entfernte sich Josselin, und ergriff die Hand eines vorübergehnden Bürgers, welcher sich so freundlich mit ihm unterhielt, als hätt’ er einen alten Bekannten wiedergefunden.

Florentin stand lange da, wie ein Träumer. „Mein Gott! mein Gott! welche Menschen leben izt, welch’ ein Jahrhundert ist dieses!“ sprach er bei sich, und zerdrückte mit den Augenwimpern eine Thräne, die sich unwillkührlich hervordrängte: „O, mein Oheim, könntest du mit mir feiern das Fest der Menschlichkeit und Menschheit!“

Indem er so vor sich hinstarrte, und sein Herz voll war von Rührung und Seligkeit, fühlte er den sanften Druck einer Hand auf seiner Achsel.

„So traurig?“ fragte ein wohlgekleideter, ältlicher Mann, mit biedrer Herzlichkeit.

„Nichts weniger, als das!“ antwortete Duur: „ich sah mich nach einem Gefährten um.“

„Kommen Sie mit mir.“

„Mit Vergnügen. Ich bin ein Fremdling in dieser Stadt; führen Sie mich, wohin Sie wollen.“

Der Fremde lehnte sich freundlich an ihn, und so wanderten sie durch die Stadt ins Freie hinaus, von Promenade zu Promenade, von Garten zu Garten, wo sie allenthalben Geselligkeit und Freude fanden.

„Ich wundre mich,“ sagte Duur: „daß alles in so guter Ordnung bei so gemischter Gesellschaft bleibt.“

„Vielleicht eben daher, weil die Gesellschaft zu gemischt ist; es finden keine Partheien, keine Faktionen statt. Der gemeine Mann mässigt sich und verfeinert sich selbst im Umgang mit den Vornehmern und Gebildetern; man erlaubt sich nicht so leicht auch nur die kleinsten Ausschweifungen, und vielleicht eben darum, weil man, alles Zwanges los, keine grössere Freiheit wünschen kann. — Zur Vorsicht für die Ruhestöhrer sind freilich allenthalben Wachen beordert, inzwischen hat man seit sechs Jahren keine Beschäftigung für diese gefunden.“ —

„Wird aber nicht mancher durch solche Gelegenheit zu einem übermässigen Aufwand verführt?“

„Ein Narr wäre, wer sich verführen liesse. Der Reiche giebt, der Arme empfängt. Jeder thut, so viel er kann, so weit seine Kräfte reichen. Der stockende Kreislauf des Geldes erhält hier einen neuen Anstoß; selbst der filzigste Kaufmann wird durch das allgemeine Beispiel der Humanität zur Freigebigkeit gereizt; Geldkasten, welche, sonst immer verschlossen, ihr goldnes Eingeweide sparten, öffnen sich an diesem Tage zur Wohlthätigkeit.“

In einem grossen, volkreichen Garten trennte sich im Getümmel der Fremde von unserm Pilger, welcher bald wieder neue Bekanntschaften anspann, und in der fröhlichen Gesellschaft von Männern und Frauenzimmern aus allen Ständen, Altern und Religionen sein Mittagsbrod verzehrte. Er genoß dabei das Vergnügen, einen armen Knaben, welcher in seiner Nähe war, auf eigne Kosten, zu speisen und zu tränken.

Von Wein und Freude berauscht, durchschwärmten sich die zahllosen Tausende izt wilder, welche hier allein das heilige Band der Menschheit und Menschlichkeit umschlang. —

Der braune Abend sank herab. Musik brach aus allen Gebüschen hervor; Tänze, um Mittag, beim hellen Sonnenlicht begonnen, wurden im Schimmer des Mondes, der Lampen und Fackeln fortgesezt.

Florentin, allenthalben und nirgends, ward von einer reizenden Bacchantin aus einem Cedernbüschchen entführt, worin er sich selbst überlassen, den schönen Göttergang des Menschengeschlechts übersinnend, umher lustwandelte.

Zu nahe an ihre zaubrischen Wirbel gelockt, überließ er sich der verführerischen Charybdis — tanzend verweilte er hier bis gegen Mitternacht. Dann entschlüpft er heimlich wieder um auszuruhn; aber seine Führerin verließ ihn nicht; schmachtend hing sie an seinem Arm, schmachtend sank sie neben ihm nieder auf das Rasenbänkchen einer matt erleuchteten Laube.

Achtes Kapitel.
Ach!

Nahe vor der Laube erhob sich unter einer Anzahl mehrerer Statüen eine, als einzig und vorzüglich über alle empor; beschirmt von dem gewaltigen Arm einer alten Eiche, überflossen vom Licht des Mondes. — Duur hatte sie schon, vor dem Eintritt in die Laube näher betrachtet, und die Gestalt Friedrichs des Einzigen erkannt.

Wovon sollt’ er mit der ermüdeten Führerin plaudern im heimlichen Dunkel der Laube?

„Sie heissen?“ fragte das schwarzäugigte Mädchen, indem es die düstern Haarlocken von Stirn und Nacken sich zurückwarf, und bei der Gelegenheit einen weissen, sanft gerundeten Arm an den Strahl der Lampe sichtbarer werden ließ.

„Duur!“ Antwortete der Befragte, und drückte der Fragerin die Hand: — „und Sie?“

„Imada.“

Imada? — Imada?“ fuhr Florentin auf, als wenn vom klaren wolkenlosen Himmel ein schwerer Blitz herabstürzte.

„Sie erschrecken mich!“ sagte Imada: „warum springen Sie so auf?“

„Warum? — ich — ich liebe den Namen — ich liebe alles, was ihn führt — der Name hat etwas Magisches für mein Ohr und mein Herz.“

„Dann sind Sie sehr unglücklich. Wie viele Mädchen tragen den gefährlichen Namen, wie viele Mädchen müssen Sie nicht lieben!“

„Ich hörte ihn nirgends und nirgends so oft, als in dieser Gegend, worin ich ein Fremdling bin.“

„Ein Fremdling? — So muß ich denn wohl natürlich fragen: wie Sie sich diesen Tag über bei uns gefallen haben?“ —

„Wie im Himmel.“

„Sind Sie denn schon mit dem Himmel so vertraut?“

„Seit ich bei Ihnen bin, kann ich ja sagen.“

„So haben Sie ein gnügsames Herz, wenn Sie vom Himmel nicht mehr erwarten, als von meiner Gesellschaft.“

„Sie können die Grade meiner Seligkeit versteigern, können mich weit über meine Erwartungen hinausführen.“

„Ich versteh Sie nicht. Wohin führen?“

„Wohin Gefühl und Einsamkeit in einer nächtlichen Laube führen können.“ Antwortete Duur und sah dabei dem liebenswürdigen Mädchen tief ins Auge.

Ihre Hände verstrickten sich von beiden Seiten fester in einander, ihre Blicke verloren sich in einander. — Das Mädchen lächelte ihn unbefangen an, und schüttelte den Kopf zu seinen Worten.

Duur fand sich in einer kleinen Verlegenheit; er kannte seine Gegnerin zu wenig, und zu wenig den Charakter der itzigen Zeitgenossinnen.

Er nahm sichs vor, diese Gelegenheit zur Bereicherung seiner Erfahrung zu benutzen, obwohl schüchtern; denn er wußte nicht, wer zulezt in der gefährlichen Prüfung mehr verlieren könnte, er, oder das Mädchen.

Das Umhertreiben seiner Gedanken machte ihn ein Weilchen stumm. Gott weiß, womit sich inzwischen des Mädchens Geist beschäftigte; es maß und musterte den sonderbaren Fremdling, und schien doch dabei immer mehr, mit sich, als mit ihm zu schaffen zu haben.

Beide wurden der unartigen Pause inne; beide hatten den Faden des Gesprächs verloren; beide suchten ihn ängstlich auf und keiner wußte ihn zu finden.

„Wem mag die hohe Statue vorstellen sollen unter der Eiche?“ sagte er, indem er mit der Hand auf Friedrichs Bild hinauszeigte, und nicht bemerkte, daß in eben dem Augenblick ein junger Mann und ein Mädchen, an die Bildsäule gelehnt, sich schweigend umarmten.

„Wahrscheinlich einen weissen Raben;“ antwortete Imada, und schlug die Augen nieder.

„Einen weissen Raben?“ entgegnete Duur.

„Nun ja, einen guten König aus der barbarischen Vorwelt. Das Gute muß damals, und besonders unter den Königen, äusserst selten gewesen seyn, daß man es in steinernen Denkmahlen verewigte.“

„Ist die Gruppe darunter auch ein Bild der Barbarei?“ lächelte Duur.

„Vielleicht!“ antwortete verschämt das Mädchen.

„So wünscht’ ich unaufhörlich unter Barbaren zu leben.“

„Dann würd’ ich Ihren barbarischen Geschmack bemitleiden.“

„Bemitleiden?“

„Gehn Sie hin, Sie werden noch viele Weiber, viele Mädchen Ihres Sinnes finden, die die öffentliche Tugend zum Toilettenstück machen, und sie Abends, oder in der Einsamkeit wo der Putz lästig ist, mit dem übrigen Schmuck ablegen.“

„Ich liebe die Damen nicht, welche die Schminkdose und die Tugend neben einander liegen haben.“

„Sie scheinen sich izt auch zu schminken.“

„Gewiß nicht — nie gern — bei Ihnen am aller wenigsten.“

„Ich möchte den Versuch nicht machen, Ihnen die Schminke abzublasen!“

„Ich würde bei der Prüfung nicht verlieren.“

„Held!“ antwortete das Mädchen mit ironischem Lächeln und klopfte ihm schalkhaft auf die Wangen.

Sie schwiegen.

Aus den fernen Gebüschen herüber tönte lieblich die Musik durch die Nacht; das Getümmel der Menschen ward leiser; nur hin und wieder schlich verloren durch die einsamen Gänge ein liebendes Pärchen. Wie Sterne aus schwarzen Wolken funkelten die Lampen in der Ferne aus Bäumen und hohen Gesträuchen.

„Die Tänze haben mich ermüdet!“ seufzte Imada, und lehnte sich an den Fröhlichen, der mit Sehnsucht und Schüchternheit seinen Arm um das Mädchen warf. Imada’s Stirn berührte seine Wange. Er schwieg, und ward immer unruhiger. Heiß glühten alle Adern in ihm auf, sein Odem flog schneller, denn ach, die er im Arme hielt, war wirklich schön, und wurde schöner vor seinen Augen in jeder Minute, und — Imada war ihr Name.

Draussen wards immer stiller und stiller — hier und da erstarb die Musik — aber in ihm wards immer lauter, immer stürmischer.

„Sie wagen viel, schöne Imada!“ stotterte er.

„Wagen? was wag ich?“

„Tanz, Wein und Gesang und leichtes Blut, Einsamkeit, halbe Ermüdung und Nacht, welche gefährliche Feinde unsrer Tugend!“

„Wir haben von Wein, Tanz, Gesang und Einsamkeit nichts zu fürchten — sie sind keine Feinde der Tugend — nur die Männer sinds!“ lispelte sie und lächelte mit schelmischem Blick zu ihm hinauf.

„Das war bitter! dafür verdient dieser lose Mund die härteste Strafe!“ entgegnete Duur und küßte des Mädchens Lippen. — Sie küßte zurück — wie brennendes Feuer durchliefs ihm Adern und Nerven.

Man schwieg; wie konnte in so süßen Beschäftigungen der Mund zum Plaudern gemißbraucht werden? Duur ward ungestümer — matten Widerstand leistete die Müde. Man zankte flüsternd und versöhnte sich küssend.

„Eva’s Töchter bleiben sich gleich durch alle Jahrhunderte!“ dachte Duur, und sank berauscht mit seinen Lippen auf ihren schönen Busen.

Plötzlich brach die — Unbesiegte in ein helles Gelächter aus: „Sie sind geschminkt; geschminkt! ich hab’ Ihnen abgeblasen Ihre Tugend!“ rief sie lachend, stand auf, entschlüpfte aus seinem Arm, aus der Hütte und verschwand im Gebüsch.

Tiefbeschämt und erröthend verweilte Duur einen Augenblick auf der Stelle — bald sammelte er sich wieder, flog der Fliehenden nach und rief ihren Namen.

„Imada!“

Er sah sie nicht; statt ihrer erblickte er ein andres Frauenzimmer, welches, aufmerksam durch sein Rufen sich zu ihm hindrehte. Im hellen Mondenschein erkannt’ er das Gesicht der Fremden — sie war ihm sehr bekannt — sie war — Imada, Gabonnens Nichte!

„Ach!“ rief Florentin, und blieb wie festgewurzelt stehn.

„Ach!“ rief Imada, indem sie bei Florentins Anblick einen Schritt rücklings bebte.

Neuntes Kapitel.
Hoffnungen. — Die Todtenfeier.

Solch’ ein Wiederfinden, dem einen sowohl als dem andern unvermuthet und überraschend, mußte sie Beide auf einige Augenblicke entgeistern.

Er näherte sich der schönen Erscheinung, begrüßte sie schüchtern und erinnerte sich seines schändlichen Sündenfalls in der Laube. Er freute sich, die „Theure, Liebe,“ so bald, so unerwartet wiedergefunden zu haben — und doch war ihm die plötzliche Erscheinung so demüthigend in diesem Augenblick, daß er vieles darum gegeben hätte, seinem Herzen die unangenehme Empfindung zu sparen.

„Ich suche meinen Oheim,“ sagte Imada, indem sie sich an seinen Arm lehnte: „er befindet sich drüben, in jenem Lusthause. Wollen Sie mich begleiten?“

Duur gehorchte gern.

„Mein Oheim will sich einen ruhigen Winter in Mont-Rousseau bereiten; deswegen hat er einige Reisen zu machen, auf welchen ich ihm Gesellschaft leiste. Wir fahren in einer Stunde wieder ab. — Wo haben Sie Ihren Freund Josselin?“

„Er hat mich schon heut früh verlassen; Gott weiß, wo er umherschwärmen mag.“

„Und Sie riefen meinen Namen? — galt er mir, oder einem andern Frauenzimmer?“

„Liebe Imada!“

„Sie waren so eilig — so, ich weiß nicht wie? — hatten Sie mich erkannt, wußten Sie — — —“

„Nein — ich wußte nichts — ich vermuthete Ihre Nähe nicht — — — ich war im Begriff, eine Sünde wieder gut zu machen.“

„Eine Sünde?“

Florentin wurde feuerroth; — aber die Dunkelheit verhinderte Imaden, es zu bemerken.

„Eine Sünde?“ fragte sie nochmals.

Florentin ward immer verlegener. Er wußte nicht, ob er bekennen oder schweigen sollte. Er übersann die ganze Begebenheit mit seiner Tänzerin; es lag izt viele Wahrscheinlichkeit darin, daß Gabonnens Nichte selbst bei dem verdrüßlichen Handel eine Rolle mitgespielt, wohl gar die Imada in der Laube instruirt habe, um ihn — auf die Probe zu stellen.

Auf die Probe? sehr unwahrscheinlich, da Gabonnens schöne Nichte schon die versprochne Braut eines andern war. — Aber wie wäre die unbekannte Tänzerin darauf gekommen, sich in der Nähe eines kritischen Augenblicks Imada zu nennen? — und dann, bei aller möglichen Nachgiebigkeit, zulezt so rasch zu entfliehn, und ihn auf diese Weise der eigentlichen Imada in die Hände zu liefern? — Beantworten ließ sich die Frage wohl; Imada war ein Vorname, welcher mehrern Frauenzimmern angehörte; — und daß Imada die Geliebte grade da stand, wohin die Unbekannte entfloh, konnte ja ein Spiel des Zusalls seyn.

Um sich auf jeden Fall zu sichern, beschloß Duur ein reuiges Geständniß seiner Sünde abzulegen, und Imada’s Richterspruch abzuwarten. Er beichtete also die ganze Begebenheit, und kleidete sie so behutsam, als möglich, in seine Worte, daß die ganze Begebenheit zulezt den Schein gewann, als sey er der Prüfende, die Unbekannte aber die Geprüfte gewesen.

„Man muß sich vor Ihnen in Acht nehmen,“ sagte Imada: „wer bürgt mir dafür, daß Sie mich nicht auch in Gobby’s Garten auf die Probe stellten?“ —

Die Sache, welche anfangs von schweren Folgen zu seyn schien, wurde nun vergessen; Florentin fühlte sich wieder beglückt in der Nähe der Louise des drei und zwanzigsten Jahrhunderts. Was hätt’ er darum gegeben, so Arm in Arm mit ihr durch das ganze Leben wandern zu können?

Er bat sie, nebst ihrem Oheim nur noch einige Tage in dieser Gegend zu verweilen. Imada gestand es gern, daß sie mit Vergnügen seinen Wunsch, der zugleich der ihrige wäre, erfüllen möchte, wenn die Geschäfte des alten Grafen von Gabonne nicht jeden stündlichen Verzug unerlaubt machten.

Indem sie sich so dem Lusthause näherten, bemerkten sie, ohngefähr tausend Schritt von sich, ein großes helles Feuer, von unzähligen Menschen umringt.

„Gewiß die lezte Feierlichkeit über einen Verstorbnen!“ sagte schaudernd Imada und blieb stehn: „lassen Sie uns einen Augenblick von dieser Todtenfeier einen Zuschauer abgeben.“

„Gern, sehr gern — es ist ein Trauerfest für mein eignes Herz — so werd’ ich nie wieder stehn dürfen in dieser Welt neben Imada. Ein eifersüchtiges Auge Wird sie bewachen, und mich und meine Schritte hüten, meine Blicke belauern, meine Worte auf Wagschaalen legen.“

Imada lächelte ihn schalkhaft an; ihr leiser Händedruck, der feurige Spruch ihres Auges ließ ihm alles Schöne dieses Lebens für sich sehn und hoffen, — „Nun“ — flüsterte sie: „den ersten September nicht zu vergessen!“ —

„Vergessen? — so leicht vergißt man den Sterbetag seiner Freuden nicht.“

„Nennen Sie ihn nicht so. Ich hab es beschlossen; Sie sollen ihn vergnügt feiern, und wenn sich die ganze Welt sich dawider auflehnte. Aber Sie kommen doch gewiß mit Josselin!“

„Gewiß!“

„Dann will ich Sie dreimal mehr, als heut lieben, und — — — doch ich verspreche gern weniger, um doppelt mehr zu leisten.“

„Imada!“ tief Duur und schlang seinen Arm mit Entzücken um das holde Weib: „wie dürft’ ich in meinen frechsten Träumereien wohl bis da hinausschwindeln!“ —

Es erfolgte eine Pause.

Der Mond sank in ein düstres Meer von Wolken — hin und wieder schimmerte das zitternde Licht einer verglimmenden Lampe; in der Ferne das Todtenfeuer — sonst tiefe Dunkelheit um die beiden, deren Lippen schwiegen, deren Seelen feierlich zu einander sprachen.

Vertraulicher durch Nacht, verheelte Lieb’ und das goldne Ohngefähr, welches, sonderbar genug, sie hier zusammenführte, schlossen sie sich dichter an einander, und überliessen sie sich fessellos dem sanften Drange ihrer Empfindungen.

„Du naschest von verbotner Frucht!“ lispelte Imada.

„Und sie ist so süß!“ erwiederte Duur. Er stammelte ihr dass heiligste und theuerste Wort jeder Sprache, das Wort: Liebe vor, ungeachtet er sein Unglück voraussah, wenn ein andrer dereinst Imaden vor dem Altar an sich fesseln würde. Aber eben der Gedanke an diesen möglichen Augenblick erfüllte ihn mit Muth; er wollte einen Raub begehn; er fühlte es tröstlich für sein eignes Herz Imada’s Herz zu überwinden; — „vielleicht,“ dacht’ er: „wenn ich sie abwendig mache von dem glücklichen Gegner, und das Ohngefähr einst ihren Oheim sanfter gegen mich stimmt — vielleicht giebt sie mir dann meine verwegensten Wünsche erfüllt zurück.“

Imada, viel zu schlau, nicht den glücklichen Moment zu benutzen in der Gesellschaft eines Mannes, der in ihrem schönen Herzen schon eine Stelle erobert hatte, ehe er seine Siege selber wußte, Imada stammelte „Liebe,“ und verbarg ihr Angesicht schaamhaft an seine Brust.

„Können Sie denn wirklich ein Mädchen lieben, welches dem einstigen Gemahl schon treulos wird, ehe einmal der Frühling der Ehe begonnen ist?“

„War der Frühling nicht von jeher dem Winter treulos? Sollen Sie allein die Ausnahme machen? Sie sollen einen Mann lieben, der wie Sie mir selbst sagten, an Gold und Jahren reich ist, aber von dessen Herz Sie nicht die mindeste Kundschaft besässen, wie kann man da Ihrem Herzen verargen, wenn es sich nach den goldnen Abwegen der Freiheit sehnt?“

„Duur! Duur! Sie sind ein Bösewicht, ein fürchterlicher Bösewicht, der seine Beredtsamkeit nie mit besserm Glück, als bei den Weibern verwendet. Duur ist das Recht? — Was würden Sie sagen, wenn Sie sich ein Mädchen gewählt hätten, um mit ihm das Erdenleben himmlisch hinzubringen; wenn Sie wirklich von diesem Mädchen nicht gehaßt, sondern geschäzt, wenn auch noch nicht geliebt, würden, und ein andrer käme und schwazte mit süßem Munde ihm Herz und Liebe ab — Duur, und Sie müßten eine Treulose zum Altar führen!“

„Imada!“

„Was würden Sie sagen, wenn die Gattin in Ihrem Arm entschlummerte, um von einem Geliebtern zu träumen? wenn sie sich, beim heissesten Kusse, bei der glühendsten Umarmung einen andern dächte? wenn sie in der Einsamkeit nach einem Fremdling seufzte und ihre Thränen nicht Ihnen flössen? — Und Sie spürten die traurige Verrätherei, sahen sich um die Paradiese betrogen, welche Ihnen die Liebe des Mädchens aufzuschliessen versprach.“ —

„Imada — ich fühl’ es — ich bekenne es.“ —

„Duur, Duur, es ist grausam, es ist gottlos, einen Feuerbrand in die friedliche Wohnung glücklicher Menschen zu werfen, und doch ihn nicht löschen können und wollen. Aber es ist noch unendlich grausamer, ein Herz um seinen Frieden zu betrügen, das stille Glück einer Ehe zu vergiften, ohne dafür etwas wieder geben zu können. Niedergebrannte Städte können endlich wieder erbaut werden, aber Hymens Rosenbande, einmal zerrissen, können nie wieder so innig, als vorher, zusammen geflochten werden.“

Duur war durch diese Rede bis in sein Innerstes erschüttert — er drückte wehmüthig Imada’s Hand.

„Ist wirklich Ihr einstiger Gatte zweimal und dreimal Ihnen an Jahren überlegen?“

„Er ists.“

„Sind Sie gezwungen, sich mit ihm zu vermählen?“

„Ich bins. Noch mehr, ich hab’ ihm meine Hand angetragen, selbst angetragen, und will sie ihn nicht wieder rauben.“

„Dann leben Sie wohl, Imada! — dann verzeihn Sie, daß ich die Ruhe Ihres Herzens anzugreifen wagte. — Ach, ich bin zu entschuldigen, sehr zu entschuldigen; Sie sollten meine Schicksale, und den wunderbaren Gang derselben kennen, und Sie würden mir Ihr Mitleid nicht verweigern.“

„Nur Mitleid?“ rief lachend Imada: „ich verweigre Ihnen ja meine Liebe nicht.“

„Leben Sie wohl!“ rief Duur, als sie ganz in der Nähe des Lusthauses sich befanden: „Leben Sie wohl, Imada!“

Imada wollte ihn festhalten; er aber drückte einen Kuß auf ihre Wangen und entfloh.

Jezt war ihm durch das traumhafte Abentheuer alle Lust, alle Freude dieses Tages wieder vergällt. Mismüthig schlich er vor sich hin, um Menschen zu finden, in deren Gesellschaft er zur Stadt kommen konnte.

Er erreichte den flammenden Scheiterhaufen, um welchen Tausende versammelt standen, und in ernster feierlicher Stille, bei den dumpfen Tönen einer schönen Klagemusik, dem Spiel der Flammen zusahn.

Die Scene, so grell sie auch neben den heitern Bildern des vergangnen Tages abstach, war izt seinem Herzen willkommen. Seine Seele schwelgte in den traurigen Accorden der Musik. Er fand Beruhigung und Zerstreuung, ohne sie zu suchen.

Je länger er über Imada’s Betragen nachsann, je verwickelter erschien ihm der Charakter dieses Mädchens. Imada lächelte, wo sie weinen sollte, und ihre Klagen, ihre Vorwürfe, welche sie ihm hören ließ, waren immer in einem Ton gesprochen, als triebe sie Scherz. — Unwillkührlich verband sich mit diesen Gedanken die Erinnerung an den Abschied auf Gobbys Landhause, wo ebenfalls das räthselhafte Lachen, die Stelle der Thränen ersetzen mußte.

Beinah hätt’ er an die Verwandlung der menschlichen Natur und ihre Freuden- und Schmerzäusserungen glauben mögen, um sich das Widersprechende in den sonderbaren Erfahrungen aufzulösen.

Eben so viel Widersprechendes fand er auch in diesem Augenblick bei dem gegenwärtigen Auftritt am Scheiterhaufen. Er sah in seiner Nachbarschaft betrübte Gesichter, und wer bringt diese wohl zu einem Scheiterhaufen. Er hörte Trauermusik, welche man sonst nur geliebten Verstorbnen, aber keinen bestraften Missethätern brachte.

„Er ist doch nicht lebendig verbrannt?“ sagte er zu seinem Nachbar, um ein Gespräch anzuzetteln.

Lebendig?“ gegenfragte dieser, und schüttelte den Kopf und zuckte mitleidig die Achsel: „wer wird denn Menschen lebendig verbrennen?“

Florentin wollte weiter reden, aber der Befragte wandte sich unwillig von ihm, und wollte nichts mehr hören. — Duur verließ die Stelle, und suchte einen gefälligern Mann auf.

„Was hat der Verbrannte verbrochen?“ fragte er einen andern, der ihm freundlicher aussah.

„Verbrochen?“ antwortete dieser und machte große Augen: „Bei Gott, es war ein würdiger Mann, der Liebling unsrer Stadt, der Wohlthäter aller Unglücklichen.“

„Ich bin hier ein Fremdling.“

„Das verrieth Ihre seltsame Frage.“

„Nun sagen Sie mir nur, warum läßt ihn denn die Obrigkeit nach seinem Tode noch — —“

„Nicht die Obrigkeit — seine Erben erweisen sich den Liebesdienst.“

„Das ist sonderbar.“

„Ich find’ es nicht.“

„Bei mir zu Lande pflegt man Missethäter nur auf den Scheiterhaufen zu legen und sie in Asche zu verwandeln, um — — —“

„Wo sind Sie denn zu Hause?“

Florentin gerieth in Verlegenheit und blieb die Antwort schuldig, indem er sich davonschlich.

Ein glückliches Ohngefähr leitete ihn zu seinem Freunde Josselin, welcher mitten unter den Zuschauern stand. Dieser gab ihm nun mit willigem Herzen über alles eine befriedigende Aufklärung.

„Zu Deiner Zeit,“ sagte er: „warf man nur die Leichname der gröbern Verbrecher auf den Scheiterhaufen — izt behält man diese Art der Auflösung nur den Leichnamen reicher und würdiger Personen auf. Das Verbrennen der Körper ist ein besondrer Zweig des tragischen Luxus. So verändern Schand’ und Ehre ihre willkührlichen Trachten und Beziehungen!“ —

„Ich erstaune.“

„Warum? ich gestehe, mir selbst gefällt dieser Luxus, der, wie immer, seine besondern Abstufungen hat. Das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen ist kostbar, und darum selten, unsre Verfahren haben, ihrem Egoismus zufolge, uns Nachkommen herzlich schlecht mir Holz bedacht. Sie haben ganze Wälder zerstört und in Aecker verwandelt, das Holz üppig vergeudet und selten an Ersatz gedacht. Deswegen ist der Gebrauch des Brennholzes, besonders zu den Werken des Luxus, nach den Landesgesetzen, sehr kostspielig. — Auf eine wohlfeilere und gewöhnlichere Weise werden daher die Leichname durch einen chemischen Proceß in Staub verwandelt; nur die Armen werden noch unter die Erde begraben, so auch Missethäter und Menschen, welche ihrer Familie nicht theuer genug gewesen sind, um ihre Asche aufzubewahren.“

„Das ist nun freilich einerlei, wie wie verwesen, ob im Grabe, oder in der Flamme.“

„Nein, Freund, den hinterlassnen Freunden ist es nicht so ganz gleichgültig. Ich muß bekennen, daß der heiligste Schatz für mich zwei Urnen sind, welche den Staub meines Vaters und meiner Mutter umfassen. Ich finde ein Glück darin, von diesen beiden Theuern noch die köstlichen Ueberbleibsel zu besitzen, und zu wissen, daß ihre faulenden Cadaver nach dem Tode nichts zur Verpestung der Luft beigetragen haben.“

„Wie? die Asche der Verstorbenen wird aufbewahrt?“

„Das wird sie; und ich wette hundert gegen eins, daß das Verbrennen der Leichname in der physischen und moralischen Welt ungleich mehr Vortheile bringt, als das Vergraben der Todten.“ —

„Ich kanns zwar dunkel beahnden — aber, Du thätest wohl daran, mir diese Vortheile einleuchtender zu machen. Denn unter uns gesagt, es schaudert mich, wenn ich daran denke, daß mein Leichnam — —“

„Schaudert? pfui! was ist schauderlicher und ekelhafter, durch die Flamme in reine Theile aufgelöst zu werden und als Staub in Urnen verwahrt zu ruhn — oder, mit Fleisch und Blut unter der Erde zu faulen, von schwelgenden Würmern durchwühlt zu werden, und nach funfzig Jahren nackte Knochen und hohle Schädel für den Muthwillen der Kinder zu liefern, die auf den Gräbern mit den Gebeinen ihrer gottseligen Ahnen zu spielen gekommen sind? — Antworte!“

„Freilich, es ist zulezt wohl einerlei, ob — — —“

Nicht einerlei! um Gotteswillen nicht. — Nutzen, Nutzen! Dies ist die ewiggeltende Foderung aller Lebendigen; auch die Todten müssen mehr noch nützen, als mit ihrem Fette einen unbesäeten Strich Landes düngen. — Keiner, der verbrannt oder chemisch aufgelöst seyn will, hat zu fürchten, im Grabe lebendig, von einem Scheintode wieder zu erwachen — schreckliche Fälle, die man in der Vorwelt zu oft erlebt hat. Nach den Landesgesetzen darf kein Leichnam, ohne Erlaubniß und vorherige Besichtigungen vom Land- oder Stadtphysikus zur Auflösung abgeliefert werden. Ist er einmal aufgelöst worden: so darf niemand das Wiedererwachen auch nur als eine bloße Möglichkeit fürchten.“

„Es läßt sich hören.“

„Da ich einmal die Apologie meines Zeitalters übernommen habe, so höre mich geduldig weiter an. Ehmals, in den Tagen des Aberglaubens und der Bigotterie, ließ man die Todten in der Stadt, in den Kirchen und bei den Kirchen, närrischer Hoffnungen, lächerlicher Meinungen willen beerdigen. Späterhin, als mit der fortschreitenden Kultur sich auch die Nasen zu verfeinern schienen, quartirte man die Todten ausser der Stadt, wo mans der Laune des Windes überließ, die pestilenzialischen Ausdünstungen der Aeser nach Süden oder Norden zu führen. Jezt, da die Sitte der chemischen Auflösung so allgemein geworden, und wirklich wohlfeiler ist, als das ehmalige Beerdigen mit unnützem Sang und Klang, izt, sag ich, da der gemeinste Mann seinen Erben so viel Scheidemünze hinterläßt, um ihn dafür veraschen zu lassen, izt hat man von der giftigen Athmosphäre der Leichname nichts zu befürchten. Noch mehr — — —“

„Vergiß Dich nicht; Du erwähntest auch gewisser moralischen Vortheile. Ich bin sehr neugierig, sie zu kennen; denn ich fürchte grade, vom Verbrennen zum Beispiel, das Gegentheil.“

„Unmoralische Erfolge?“

„Natürlich. Denn wenn sich die bravsten Bürger als Leichname verbrennen lassen: so ist der Scheiterhaufen für die Missethäter weder Strafe noch Schande.“

„Sonderbarer Mensch, Du wirst doch nicht glauben, daß man in unsern Tagen noch lebendige Menschen „von Gottes- und Rechtswegen“ verbrenne? Aus der Barbarei sind wir endlich heraus. — Und überdem, war der Scheiterhaufen wohl noch für den todten Verbrecher eine Strafe, oder für ihn eine Schande? — Doch, ich will Dirs auch angeben, wie die Asche der Verstorbnen noch einen, wiewohl immer nur zufälligen, moralischen Nutzen stiften könne.“

„Welches Kind liebt nicht seine Eltern? ich führe dies Beispiel an, weil es mir das rührendste und ehrwürdigste ist. Kann nach dem Tode eines zärtlichgeliebten Vaters der Sohn wohl ein köstlicheres Denkmal von ihm übrig behalten, als den Staub des Leibes, welcher ihn zeugte, und in dessen Bezirk einst ein wohlthätiger menschenfreundlicher Geist wohnte?“

„Wir haben Erfahrungen, daß der Anblick der väterlichen Asche verführte Jünglinge von ihren Irrwegen zurückgebracht habe; wir haben Erfahrungen, daß manches Mädchen ihre Unschuld gerettet hat, wenn die Stauburne ihrer Mutter und das Bild der Vergänglichkeit sie zu ernstern Vorstellungen necessitirte. — Die Vasen, welche Du fast in allen Wohnungen, mit Blumen bestreut, unter den Spiegeln findest, sind mehrentheils heilige Todtenurnen; Kann man einen bessern Prediger wider die Eitelkeit, einen beredsamern Ermahner zur Tugend dahinstellen, wohin jeden Morgen Jünglinge und Mädchen eilen?“

„Von dem Eindruck eines solchen Gegenstandes überzeugt, werden in den Gerichtshöfen die Todtenurnen auch beim Eide gebraucht. Der Sohn muß über der Asche seines Vaters schwören, der Bruder über der Asche seiner Schwester, die Gattin über den Staub ihres Geliebten, oder ihrer Kinder u. s. f. — Der muß ein verstockter, arger Bösewicht seyn, welcher ohne Gefühl die Asche seiner Lieblinge zum Spiel seiner Meineide macht!“ —

Zehntes Kapitel.
Die Fußtapfen der schwarzen Brüder.

Wie konnte Florentin müde werden, immer weiter zu fragen und zu forschen unter den Bürgern dieses Jahrhunderts? — Schon einmal, nun von einem günstigen Vorurtheil bestochen, sah er allenthalben das Gute nur und drückte gefällig das Auge zu, wenn er den Scenen des menschlichen Elendes begegnete. — Ihm wars, als wandelt’ er auf einer neuen Erde, als wölbte sich über ihn ein neuer Himmel.

Unter allem was er sah und hörte, intressirte ihn bald nichts mehr so sehr, als die Religion dieses Zeitalters. Ueberzeugt vom wechselseitigen Einfluß religiöser Meinungen auf den Charakter des Volks, und des Charakters auf die Meinungen, vertraut mit dem Geiste des Christenthums, der Geschichte und den mannigfaltigen Verwandlungen desselben, beschloß er auch hier, einen unermüdeten Forscher abzugeben. —

„Wird Jesus Christus noch verehrt in Euern Tempeln?“ — fragte er eines Tages seinen Freund und Gefährten.

„Es ist wahr, wir haben auch noch nicht einmal die Kirchen besucht;“ antwortete dieser: „Ich verwechsle noch immer mein Interesse mit dem Deinigen. Er wird verehrt!“

„Es gab eine Zeit, da der Stand der Prediger in denjenigen Provinzen, welche sich der Aufklärung rühmten, immer tiefer und tiefer in der öffentlichen Achtung sank. Wer für einen Wizling gelten wollte, mußte gewisse Waidsprüche und Anekdoten über Pfaffen auftischen können.“ —

„Wie?“ rief Josselin erstaunt: „in Euerm Zeitalter, da die römischen Fürsten sich noch Christi Statthalter nannten und als geistliche Regenten angesehn seyn wollten, in Euerm Zeitalter, da — — —“

„Halt! Du sprachst von Römerfürsten — meinst Du — —“

„Die sonst Päbste hiessen.“

„Ist es möglich?“

„Was ich Dir sage. Die Römer haben ihre Oberherrn aus eben dem Grunde secularisirt, aus welchem das Volk Gottes weiland die Theokratie in eine Monarchie verwandelte. Das Licht der Wahrheit brannte längst auch in den Klosterzellen Italiens, wenn gleich versteckt; eine starke politische Erschüttrung brachte dies Licht zur öffentlichen Erscheinung. Vor ohngefähr neunzig Jahren war das falsche Verhältniß des Reichthunis bis aufs äusserste getrieben; der Bürger war ärmer, als weiland ein Leibeigner, Adel und Geistlichkeit besaßen alles. Hier durfte nun kein neuer Cola di Rienzo wider die Colonna’s auferstehn — es erstand das ganze Volk und die Revolution war begonnen und vollendet. Eine Folge der Begebenheit, welche den witzigen Köpfen vielen Spas machte, war die Secularisirung der Pabstheit.“

„Das ist mehr, als ich erwartete.“

„Ich hoffte, Du würdest sagen: weniger.“

„Und die christliche Religion?“

„Dauert ewig fort. Freilich giebt es noch immer Partheien und Sekten ohne Zahl, denn dies liegt einmal in der Natur des Menschen und seiner Religion, aber man kennt keine Ketzer mehr.“

„Herrlich!“

„Die herrschende oder die zahlreichste Kirchparthei ist anizt die, welche sich ohne Zusatz die christliche nennt. Wir haben übrigens noch Lutheraner, Calvinisten, Katholiken und andre kleine Sekten, welche aber sämmtlich im Aussterben begriffen sind.“

„Führe mich in eine christliche Kirche.“

Sie gingen. — Es war Sonntag, und öffentliche Versammlung zum Gottesdienste.

Voll stiller Neugier trat Duur in den Tempel der Christen, welche weder Lutheraner noch Calvinisten, weder Catholiken noch Socinianer, weder Orthodoxe noch Dissenters seyn wollten, welche, wie Josselin sagte, sich von allen übrigen Sekten schelten und verdammen liessen, ohne wieder zu schelten und zu verdammen.

Ihr Tempel war einfach, ungeziert, rein, ohne Spielwerk für Aug’ und Phantasie, ohne dämmernde Tiefen und gothische Winkel — ein Symbol ihres Glaubens.

Ein kurzer, rührender Gesang ging der Predigt voran; die Predigt selbst beschäftigte sich mit der Entwickelung einer Christenpflicht, und deutete besonderes auf die verschiednen Abwege, welche sich die Menschen bei Erfüllung dieser Pflicht so gern zu erlauben pflegen. —

Man sah, man hörte, daß der Prediger vor einem Auditorium des drei und zwanzigsten Jahrhunderte stand. Eine scharfsinnige Absonderung und Verbindung der Vorstellungen und Theile der Rede; ein schönes Gewand von Seiten der Einbildungskraft über das Ganze; studirtes Mienenspiel, schwesterliche Harmonie unter Tönen und Geberden — alles verrieth die hohe Stufe der Polizirung, von welcher den Bürgern der Vorwelt kaum eine Möglichkeit im Traume anschwebte.

„Hier wirst Du nicht viel Neues erblickt haben; unser Gottesdienst ist ohne Aufwand, ohne Ceremoniel, einfach und belehrend!“ sagte Josselin.

„Eben dies ist das Neue.“

„Die Illustration der Christen durch die Taufe und die schöne Feier des Abendmahls sind allein noch üblich.“

„Desto ehrenvoller für Euch. Ceremonien und Symbole sind zur Unterstützung der sinnlichen Menschheit, ein Leitband für die noch schwache Vernunft, nothwendig in der Kindheit, überflüssig und wohl belästigend im reifern Alter des menschlichen Geistes. Ihr seid des Gängelbandes nicht mehr bedürftig, aber für die Christen des achtzehnten Jahrhunderts war es durchaus nothwendig. — Nichts fiel mir in Euern Tempel von den Zuhörern mehr auf, als daß ich unter ihnen keine Kinder entdeckte. Sind diese vom öffentlichen Gottesdienst ausgeschlossen, oder war ihre sämmtliche Abwesenheit ein Zufall?“

„Nichts weniger, denn Zufall. Wen ich mich recht erinnre: so ward einmal eine Preisfrage über die Ursachen am Verfall des öffentlichen Gottesdienstes gegeben. Sonderbar stimmten ohne Ausnahme alle Antworten auch darin überein, daß ein zu früher, gezwungner Besuch der Kirche in den Kinderjahren einen gewissen Widerwillen, eine schädliche Gleichgültigkeit gegen den öffentlichen Gottesdienst erzeuge. — Seit dieser Zeit wurden die Kinder allmählig, bis zu ihrem reifern Alter, ausgeschlossen.“

„Das gefällt mit nicht ganz. Ich fürchte, daß auch diese Sitte die Liebe und Achtung für den Gottesdienst schwäche.“

„Gewiß nicht. Die Erfahrung überzeugt uns vom Gegentheil. Eltern und Erzieher reden nur in den ehrfurchtsvollsten Ausdrücken von der öffentlichen Gottesverehrung, und flössen dadurch ihren Zöglingen eine gleiche Ehrfurcht ein, welche theils durch die Neugier und das Verlangen, endlich in das Allerheiligste eintreten zu dürfen, theils durch einen gewissen Stolz, nun dem feierlichen Schritte näher zu seyn, vergrößert wird. — Der Tag, an welchem der junge Christ zum erstenmal am Genuß des Abendmahls Theil nimmt, ist der erste Tag, an welchem er dem öffentlichen Gottesdienst beiwohnt. Eingeweiht mit den Thränen seiner Eltern, eingesegnet von seinen Lehrern, umringt von einer andachtsvollen Menge, welche einstimmig singt und betet, einmüthig höret und lernet, wird ihm dieser Tag einer der rührendsten und feierlichsten seinen Lebens. Er erinnert sich seiner nie ohne ein Wiedererwachen aller damaligen Empfindungen; er erneuert dieses Fest, so oft neue Mitglieder in die Versammlung eingeweiht werden. Er prägt seinen Kindern nachmals eben dieselben Vorstellungen ein und spannt ihr Verlangen zur Gemeinschaft und Theilnahme an der feierlichen Verehrung Gottes.“

„Ich selbst“ fuhr Josselin fort: „bin jenes heiligen Tages noch immer nicht ohne Rührung eingedenk; unauslöschlich währen jene Eindrücke in mir fort, welche damals das Ungewöhnliche erzeugte. — Und wie läßt es sich auch wohl denken, daß Kinder, welche gequält von heimlicher Langeweile, vielleicht wohl umringt von plaudernden, lachenden oder schlafenden Gefährten, Achtung und Liebe für den öffentlichen Gottesdienst erhalten sollten? Man hat Gelegenheit, hin und wieder, besonders in den lutherischen und den weiland auch sogenannten reformirten Kirchen lehrreiche Bemerkungen über diesen leztern Punkt zu machen.“

Duur wollte nicht widerstreiten, denn im Gebiet der Erfahrung ist nur die Erfahrung Schiedsrichterin; er erkundigte sich statt dessen mit brennender Neugier nach dem Lehrbegriff der Christen.

„Die Religion,“ sezte Duur hinzu: „ist wirklich für das menschliche Gemüth alles das, und mehr, als Gold und Lorbeerkränze nur jemals für die Sinnlichkeit seyn und werden können. Der heisse Trieb zum Leben, das unvergängliche, mit jedem Jahre anwachsende Verlangen unsterblich fortzudauern nach der Todesstunde; das falsche quälende Verhältniß, in welcher oft auf Erden die Tugend und das irrdische Wohlseyn stehn; die nie gerächten Thränen der Unschuld, die ungestraften, glänzenden Triumpfe der Bosheit, — alles treibet hin zum Glauben an die hohen Lehren von Gottheit, Ewigkeit, Vergeltung, — zur Umarmung einer Religion.“

„Und doch, was hat nicht oft den schönen Namen tragen müssen? der Pfaffen schlauer Witz, der Laien blinde Thorheit hieß oft Jahrhunderte hinab Religion. — Wie viele tausend glückliche Erdensöhne bluteten ihr Leben aus für ihre Religion? Wo sind noch Foltern, Todesmartern, die nicht für die Religion von Pfaffen in Requisition gesezt sind?“

Josselin hörte ihm lächelnd zu: „Wie, Mann des philosophischen Jahrhunderts, sprichst Du von Deiner Zeit?“

„Nein und Ja!“ antwortete Florentin: „Wenn selbst in protestantischen Staaten die freien Protestanten nicht von neuen in die alten Ketten der Symbole geschlagen, Inquisitionen und ew’ge Kerker, Scheiterhaufen und dergleichen eingeführt, und das Volk in seine halbverlassne Finsterniß zurückgetrieben wurde, so lag die Schuld wahrhaftig nicht am Willen der Pfaffen. Versuche sind gemacht, ob sie gelungen sind — — —“

„Wie kannst Du dieses fürchten?“ fiel Josselin ihm ins Wort: „Der Gang der Menschheit zur Vollendung ist nicht Plan, nicht freie Ausführung von Menschen selber, sondern Nothwendigkeit, Vollstreckung eines dunkeln Plans, den eine höhere Hand entwarf. Der Menschheit Gang ist Wogenbruch durch neue Ufer; mag sich hie und da doch immerhin ein Strauch, ein Baum dem Laufe widerstämmen, er hindert nichts, er macht den Strom, wenns viel ist, etwas lauter.“

„Du fragst mich nach dem Lehrbegrif der Christen? Ein fester Lehrbegrif ist hier nicht geltend. Ein jeder glaubt und meint uneingeschränkt, was nach der Disposition und Stärke oder Schwäche seines Geistes ihm das beste scheint. Glaubensformen gelten nicht mehr, denn endlich hat die Welt gelernt, daß über Glaubenssachen kein fremder Spruch entscheidend gilt, und daß der Zepter eines Herrn der halben Welt sich auch nicht über das unbedeutendste Produkt im Geisterreich erstreckt.“

„Allein ich sollte glauben, die Christen würden doch gewisse Lehren unter sich gemeinschaftlich hegen, wodurch sie sich von andern Sekten trennen.“

„Nun ja, die haben sie. Sie glauben einen Gott, der unaussprechlich, unbeschreiblich ist, das höchste Ideal der reinsten Sittlichkeit, der sich nur matt im Wesen der Vernunft und in den Wundern der Natur nach eingen Eigenschaften offenbart. Sie nennen ihn den Weltgeist, der Dinge Urkraft; in ihm leben, weben und sind wir.“

„Die Menschheit weiter in des Lebens grosser Schule zu führen, sandt’ er Lehrer, welche unter glücklichen Verhältnissen von ihm und unsern Pflichten predigten. Der Erste, Einzige und Unnachahmliche ist Jesus Christus. — Nur was er lehrte ist den Christen heilig; sie sehen nur auf ihn, als ihren Führer, sie glauben seinen Worten nur. Was andre von ihm zu andern, unter anderen Convenienzen in anderen Verbindungen predigten, das entkleiden sie vom Ausserwesentlichen, welches die Verhältnisse liehen. — Vernunft und Christenthum, Vernunft und Glauben haben unter sich die alte Zwietracht aufgehoben. Wer die Vernunft verehrt, ist heut zu Tag ein Christ, wer Christ seyn will, huldigt die Vernunft.“

„Auch hier ein großer Schritt zur allgemeinen Seligkeit, zur wahren Menschenwürde!“

„Beinah ist die Religion in unsern Tagen, was sie seyn soll — werden kann. Im Ganzen fühlt die menschliche Gesellschaft sich in ihrem Schutze sicher und getröstet. Wir haben wenigstens so viel gewonnen, daß kein blutiger Partheigeist, keine Proselytenmacherei, kein Verdammen, kein Verketzern unter uns mehr gilt. — Uebrigens haben wir noch immer Narren, Schwärmer, Seher unter uns; allein die meisten wandern endlich den Weg ins Irrenhaus. Es kränkeln freilich auch noch izt so manche Pfaffen, vom Egoismus verführt, und von den Begebenheiten der Vorwelt aufgehezt, am Hierarchenfieber; doch ihre Pfeile, auf das Herz der Menschheit gerichtet, fallen kraftlos an der vorgestreckten Aegide der Vernunft zurück.“

Josselin schwieg. Duur pries die Menschen dieser Tage glücklich, und jammerte bei der Erinnrung an die traurige Vorwelt.

Eilftes Kapitel.
Sie wandern weiter.

Der erste September näherte sich immer mehr; unsre Pilger fingen an, öftrer an Mont-Rousseau zu denken, Josselin mit Vergnügen, Duur mit heimlichen Grauen.

Zwar hatte Duur von der neuen Welt nur immer noch sehr wenig gesehn und erfahren; aber was er gesehn und gehört, machte ihn nur noch lüsterner auf das Uebrige.

„Begnüge Dich mit diesem,“ rief dann Josselin oft: „ehe Du mehr siehest und Du zu Reue Ursachen erhältst, in diesem Zeitalter zu leben. — Komm nach Mont-Rousseau, da wohnt für uns der Himmel.“

„Für mich nicht!“ seufzte Duur.

„Kannst Du der Zukunft ins Herz sehn? Damit Du inzwischen doch noch einen Deiner Wünsche stillest, so wollen wir die Gegenden aufsuchen, in welchen weiland die Sorbenburg stand, und wo Du so glücklich Deine Kinderjahre vertändelt hast.“

„Das Grab meinen Oheims! — Das Grab meines Rikchens!“ rief Duur und die Abreise war beschlossen.

Sie zogen von dannen, durch Dorf und Stadt, und allenthalben erblickte der Sohn des achtzehnten Jahrhunderts den schönsten Kontrast zwischen dieser Zeit und der Vergangenheit.

„Hier laß uns ausruhn!“ rief eines Tages Josselin, und warf sich am Fuße eines grünen Hügels nieder, auf dessen Rücken alt und baufällig Galgen und Rad standen.

„Hier? — die Aussicht ist nicht intressant.“

„Sehr!“

„Galgen und Rad über uns.“

„Eben deswegen. Weißt Du was das Merkwürdigste von jenem Gerüste ist? — betrachte es genau.“

Duur sah hinauf, aber er erblickte überall nichts, was seinen Blick fesseln konnte.

„Was denkst Du Dir dabei?“ fragte Josselin.

„Wahrhaftig wenig!“

„Es ist, was Du siehest, eine Reliquie der Vorwelt, der lezte Galgen in Deutschland und das lezte Rad!“

„Da ists der Mühe werth noch einmal hinaufzusehn. — Aber wie? Sind die Todesstrafen durchgängig aufgehoben?“

„Die Todesstrafen nicht, aber diese Arten der Todesstrafen.“

„Damit ist wenig gewonnen.“

„Immer genug für die Menschlichkeit; Muß es nicht ein abscheulicher, empörender Anblick gewesen seyn, wenn man verwesende Knochen und faules Menschenfleisch auf solchen Gerüsten, umringt von hungrigen Raben und Krähen, erblickte? — Es ist wirklich ein redender Beweis von Rohheit und Barbarei, wo solch ein grausames Schauspiel noch Beifall finden konnte.“

„Gefallen hatte gewiß niemand daran.“

„Desto schlimmer. Der Tod war für den Verbrecher genug, und hart genug. Ob sein Leichnam nachher von den Vögeln des Himmels beschmaußt, zum Ekel und Entsetzen aller Vorübergehnden dalag, oder unter der Erde verborgen ruhte, konnte ihm gleichviel gelten. Nach dem Tode sind uns Ehrensäulen und Schandpfähle gleich theuer. — Dies weiß jeder, auch jeder Bösewicht wußte es, so gut, wie ein andrer. Die ekelhafte Ansicht war folglich ganz zwecklos. Ja, die Erfahrung hat es gelehrt, daß, so wie ehmals in Italien, wo die Statthalter Christi unaufhörlich fulminirten, die meisten Freigeister lebten, eben so auch in denjenigen Staaten die meisten Verbrechen begangen wurden, wo Galgen und Rad am gewöhnlichsten waren.“

„Daran hatten Galgen und Rad wenigstens die geringste Schuld.“

„Und ich möchte sagen: die meiste. Ein Volk muß noch sehr verwildert seyn, wenn die Glieder desselben dass Landesgesetz nur aus Furcht vor Rad und Galgen respektiren. Je seltner überhaupt die Todesstrafe in einem Lande wird, jemehr kann man darauf rechnen, daß der Geist der Nation veredelter und die Gesetzgebung vernünftiger geworden seh. Wenn endlich die Todesstrafen sich ganz verlieren im Codex des Criminalwesens; wenn der Staat mehr dahinstrebt das Volk zur Tugend selbst hinzulenken statt es nur von Lastern abzuhalten, so hat die Gesetzgebung sich dort den lezten und herrlichsten Lorbeer gepflückt.“

„Ich verstehe Dich nicht ganz.“

„Daran hat vielleicht nur die Dir vom achtzehnten Jahrhundert eigenthümlich gewordne Denkart schuld. Ich will mich aber deutlicher erklären und Dir bei dieser Gelegenheit zeigen, wie weit wir wirklich das philosophische Jahrhundert hinter uns zurückgelassen haben.“

„Zu Deiner Zeit bildete man sich etwas Großes darauf ein, daß die Foltern abgeschaft wurden, nannte sie eine Erfindung der Barbarei und Grausamkeit, fand es übrigens gar nicht anstössig, an den öffentlichen Landstrassen stinkende Menschenkörper auf dem Rade geflochten zu sehn; fand es nicht anstössig, wenn Kindermörderinnen und andere Verbrecher, die den Gang ihres Verbrechens selten in kalter Ueberlegung entwarfen und vollendeten, sondern entweder in betäubender Verzweiflung oder verdorbner Erziehung sündigten, kurz und bündig vom Leben zum Tode gebracht wurden.“

„Jezt kennt man die Folter nur den Namen nach, und mit dem Tode wird nur der bestraft, dessen Leben nothwendig mit der Ruhe und dem Glücke der menschlichen Gesellschaft im Zweikampf stehen müßte. Die härteste Strafe ist eine ewige Beraubung der Freiheit; sie ist härter, als der Tod selbst; eben darum schrecklicher, als er. Der Feind des öffentlichen Wohls wird dann gezwungen, den Schaden, welchen er stiftete, auf einge Art wieder zu vergüten.“

„Der Tod ist für manchen Bösewicht ein wünschenswerthes Gut; besonders wenn er so gegeben wird, wie ehmals, da noch Priester den Delinquenten zur Schädelstätt begleiteten, und seine Phantasie mit angenehmen Bildern von den nahen Freuden der Ewigkeit erhizten, um ihm die Schauer des Todes minder empfindlich zu machen. Folglich war der Tod kaum einmal eigentliche Strafe des Sünders, und durch den Verlust seines Lebens ersprang dem gemeinen Wesen wenig Heil.“

„Man begnügte sich in Deinem Zeitalter überhaupt nur die negativen Zwecke der Staatsverbindungen zu erfüllen; man dachte nicht daran, ein glückliches, sondern nur ein ruhiges, gesichertes Volk, nicht aufgeklärte Bürger, sondern nur keine Wilden; nicht Edle und Tugendhafte, sondern nur keine Bösewichte zu haben.“

„Die Gesetzbücher Deiner Zeit prangen daher gewöhnlich mit Galgen und Rad, Schwerd und Scheiterhaufen; sie drohen überall, verheissen aber nirgends.“

„In unsern Tagen sind im Gefolge der Gesetze nicht nur die öffentlichen Strafen für den Uebertreter, sondern auch die öffentlichen Belohnungen für den Erfüller. Unsre Bürger werden weit mehr zur Umarmung der Tugend gelockt, als vom Verbrechen zurückgeschreckt. Und es kömmt darauf an, in welcher Schule die besten Kinder gezogen werden? Da, wo die Ruthe ewiglich herrscht, oder wo am Ziel eine schönvergeltende Palme weht?“

Duur starrte verwundert, mit freudiger Seele, den Mann dieses Jahrhunderts an.

„Ich schwöre Dirs!“ rief er: „ich schwöre Dirs, Josselin, so weit strebte die Kühnheit unsrer verwegensten Politiker nicht; ich schwöre Dirs, daß solch ein großer Gedanke durch die Seele der wenigsten gegangen ist — daß man im achtzehnten Jahrhundert noch an der Möglichkeit verzweifelte, ob ein Staat jemals zu solch einer idealischen Höhe der Cultur gehoben werden könne. — Ja, ich bekenne es nun gern, ich habe gelebt unter Barbaren, für welche das Gesetz nur Zuchtruthen, aber keine Palmen hatte; die menschliche Gesellschaft erscheint mir von jenen Zeiten wie ein zusammengetriebener Haufe wilder Thiere, welcher nur gezähmt werden sollte, aber nicht beglückt.“

„Du bist schon wieder hoch entzückt, und doch seh ich überall keine durchgreifende Ursachen. Verdient es denn unser Entzücken, nicht unter wilden Bestien zu wohnen, verdient es unsre Freudenthräne, wenn die Menschen endlich sich selber ähnlicher werden, oder geworden sind?“

„Diese Vorwürfe sind Dein Ernst nicht, Josselin. Gedenke der Menschheit, was sie war vor einem halben Jahrtausend, wie sie damals noch schmachtete in ihrer Knechtschaft, und zitterte unter der Ruthe des Gesetzes, und gedenke ihrer izt, wo sie wahrhaftig frei ist, selbst in den souverainesten Monarchien! — Ich müßte ohne Gefühl seyn, wenn ich hier kalt bliebe. Ach, Gott! an Belohnung des guten Bürgers, des ausgezeichneten Biedermanns dachte man selten — zum Gefängniß und zum Schaffot schickte man öfters; die Obern fragten nicht nach der Tugend und Aufklärung ihrer Unterthanen, sondern nach deren Gehorsam und richtigen Abgaben nur. Die Hirten schüzten ihre Heerden und führten sie nur darum auf gute Weiden, um bessere Wolle scheeren zu können. Die genaue Verschwisterung der Politik und Moral waren Dichterschwärmereien, und izt? — — —“

„Nun ja, wir haben die Knechtschaft verloren, und den Geist der Kindschaft empfangen. Was sonst die Ruthe bewirkte, wirkt izt das vorgehaltne Zuckerplätzchen. Es ist nichts mehr, als eine Vertauschung der Mittel in der Erziehung. Aber Männer sind wir noch nicht, die die Tugend lieben, nicht aus Furcht vor der Strafe, nicht aus Lust zur Belohnung, sondern um ihres eignen Werths, den sie für die Vernunft besizt.“

„O, Josselin, es ist noch eine große Frage: ob wir Menschen in dieser Welt jemals mehr werden können, denn gute Kinder; ob wir jemals in dieser Schule männlichen Geist empfahen können?“

Zwölftes Kapitel.
Die Heimath.

Wo nun?“ fragte Josselin nach einigen Tagen, als sie die Gegenden erreicht hatten, wohin Florentin seufzte, da wo er die Tage seiner Kindheit einst so glücklich verlebte.

„Ich kenne diese Gegend nicht mehr;“ antwortete Florentin: „Aber nun hinauf auf diesen Hügel, den ein kleiner Fichtenwald bedeckt. Einst stand dieser Wald nicht, sondern auf dem Gipfel ragte einsam ein einziger Baum nur empor. — Das ist nun so alles anders worden, und ich kenne meine Heimath nicht wieder.“

Sie klimmten den Hügel hinan. Wehmuthsvoll stand der Sohn der Vorwelt da, im Strahl der Abendsonne, und sah hinab auf die veränderte Bühne seiner Kinderzeiten. Er stand da, sprachlos und unbeweglich; große Thränen perlten ihm über die Wangen.

„Hier ists!“ rief er: „hier ists! — ich erkenne diesen Hügel, diese Landschaft wieder an matten Aehnlichkeiten mit der Vergangenheit; auch der Greis behält ja noch manchen Zug von dem Kindheitsalter, wenn er gleich schärfer und fester worden. Dies ist der Hügel, ich kenne ihn, wo ich mit Rikchen oft gesessen, und mich der schönen Aussicht freute; hier lasen wir so gern unsern Geßner, unsern Ossian und wiegte uns ein in schöne Träume unser Wieland. — Hier unten ist der kleine Bach, auf welchem ich so manche Flotte von Papier und Eichenrinde seegeln ließ und scheitern sah. — Ach alles, alles ist nun anders worden! Wo ist das Dorf geblieben, wo das väterliche Schloß von Ulmen umringt? — Dort drüben ist die Stätte, und — sie ist leer!“ —

Sie stiegen schweigend den Hügel von der andern Seit’ hinab; sie wandelten am krummen Bach entlang; sie sahn umher und suchten noch die Spuren der Vergangenheit, und fanden endlich hinter wuchernden Gesträuchen einige Ruinen vom ehemaligen Duurschen Schlosse, izt fast der Erde gleich.

Florentin konnte izt sich nicht ermannen; er weinte wie ein Kind, und stürzte nieder und küßte das kalte Gestein, die lezten Reste der väterlichen Burg.

„Mein Oheim! — o mein Rikchen!“ schluchzte er: „so ists vorüber, alles nun vorüber! — Eure Asche ist verweht, verweset euer Name im Gedächtniß der Lebendigen, verwittert eure Wohnung. Ach, und ihr waret doch so gut, — so gut! wir waren alle einst so glücklich!“

Josselin wurde durch seines Freundes bittre Wehmuth zum Mitgefühl gestimmt: — „die Welt ist ein Theater nur; ein jeder Akt hat andre Decorationen, andre Spieler, und das Vergangene läßt keine Spur; — Wir spielen noch und gehen ab, und wissen nicht, warum wir spielen mußten? — Was haben wir zulezt von unserm Seyn gerettet? Unsterblichkeit des Namens? — Das ist noch weniger, als der Schatten unsers Ichs. Fürwahr der Nachruhm ists nicht werth, daß man ihm für Jahrtausende auch eine einzige Lebenslust nur opferte.“

„Hier steh ich nun zum leztenmal!“ rief Duur: „ach wär’ es auch die lezte Thräne, die ich dir nachweinte, heilige Vergangenheit! — Auch ich werde bald meine Rolle auf diesem Theater zu Ende gespielt haben; bald wird mein Vorhang fallen — o Gott! o Gott! was bin ich dann gewesen? wofür hab’ ich die tausend Thränen dann geweint? wofür so viele Leiden, so manchen namenlosen Schmerz getragen?“ —

Die Sonne sank unter. In ihrem röthlichen Wiederschein glänzten noch die Wipfel der Gebüsche, aus welchem die Finsterniß der Nacht hervorschlich.

„Jezt hin zur neuen Heimath, Florentin!“ sagte Josselin nach einem langen Stillschweigen: „hin auf Idalla’s schöner Insel, wo in sel’gem Frieden wir unser Leben schliessen wollen. Sey doch der Zweck unsers Hierseyns auf Erden, welcher er wolle; mag jenseits des Grabes die abgestorbne Blume unsers Ichs von neuem aufblühn, oder mit Saat und Wurzel auf ewig verwesen, so wollen wir uns nicht muthlos machen lassen; Leben wollen wir, als würde jenseits nichts mehr seyn; und sterben, als hätten wir das Beste noch von drüben zu erwarten.“

Sie brachen auf, und verliessen traurig die Ruinen des Duurschen Schlosses.

„Gute Nacht; mein Oheim! gute Nacht, Rikchen! gute Nacht, du liebe, theure Heimath meiner Jugend!“ rief weinend Florentin.

Ein Westwind säuselte durch die dunkeln Gesträuche; ein leiser Schauer umwallte die Wandrer; im Flüstern des Windes wars, als lispelten die Geister der Entschlummerten ihm ein stilles Lebewohl nach.

Vierter Abschnitt.

Erstes Kapitel.
Mont-Rousseau.

So sey es denn! Ich bin des Wanderns müde. Die Reise war der Mühe werth; die kleine Mühe ist mir herrlich belohnt. — Ich bins zufrieden, Josselin, laß uns eilen nach Mont-Rousseau. Der erste September liegt nahe vor der Thür; Du sehnest Dich nach Deiner Rosalia, und ich mich endlich nach Ruhe!“ —

Herzlich stimmte Josselin in den Willen seines Reisegefährten; sie kehrten um, und zogen graden Wegs nach Mont-Rousseau.

„Die wengen bittern Stunden dort werd’ ich ja auch noch überleben, und dann weg von der Welt, aus welcher ich nichts mitnahm, als ein blutendes Herz, auf ewig in den Schoos der Einsamkeit!“

Josselin lachte bei diesen Seufzern seines Freundes. Duur sah ihn verlegen an; das Lachen war ihm räthselhaft, so räthselhaft wie einst beim Abschiede von Gobby.

Er konnte länger nicht seine Verwundrung verheelen. Er bat den Lacher um Aufschluß; aber statt dessen erhielt er eine Menge Worte mit unbedeutendem Sinn.

In der nächsten Stadt ward zur mehrern Bequemlichkeit ein Reisewagen angeschafft, und nun gings ohne Rast dem Ziel entgegen.

Glücklich trafen sie am lezten Tage des Augusts an dem erwünschten Orte ein, Schon war es gegen Abend, als ihnen die Kuppeln und Söller eines prächtigen Schlosses, hinter hohen Eichbäumen halb versteckt, entgegenfunkelten.

Sie stiegen ab vom Wagen, als sie eben aus einem kleinen Birkenwalde hervortraten. Der Wagen blieb zurück; sie wanderten zu Fuß voran, um ihre Freunde unverhofft zu überfallen, allein sie hatten sich verrechnet. —

Kaum waren sie einige Schritte vorwärts geeilt, als ein Pistolenschuß in ihrer Nähe fiel. Auf diesen Schuß folgten mehrere. Dies Signal machte bald die hohe Kastanienallee, die sie zu durchwandern hatten, lebendig von allerlei Spaziergängern.

„Wir sind verrathen!“ sagte Josselin: „der Lärmen gilt uns!“

Duur schwieg. Eine sonderbare Empfindung bemächtigte sich seiner — es waren Schmerz und Vergnügen, welche mit jedem Schlage des Pulses in ihm abwechselten. — Er sollte wiedersehn, zum leztenmale wiedersehn die Holde, welche er über alles liebte, und deren Miene, Blicke, Sprache, Kuß und Händedruck ihm Gegenliebe verheissen hatte; er sollte sie wiedersehn, an welcher sein ganzes Seyn, die ganze Seligkeit seiner Erdentage hing — um sie auf immer wieder zu verlieren.

Er ging, und jeder Schritt ward ihm ein Schritt zum unaussprechlichen Unglück. Er blieb stehn, schwankte wieder vor, blieb abermals stehn, inzwischen Josselin ihm schon weit vorausgeeilt war, und sich in einer jauchzenden Versammlung, in unaufhörlichen Umarmungen, von Brust zu Brust, von Mund zu Mund stürzte.

„Ach, es ist peinlich, dazustehn, wie ein Verwiesener aus dem Lande der Freude, und arm an aller Lust unter Glücklichen zu wohnen!“ seufzte er: „es ist peinlich, unter den Frohen mitzulächeln, inzwischen das Herz blutet und die Augen ihre Thränen mühsam verbergen müssen.“

Er schlenderte langsam weiter. Schon hörte er näher und lauter das Geräusch der Kommenden, ihr Frohlocken, ihr lustiges Geschwätz, ihr Entgegenjauchzen. — Er rieb sich hurtig von den Wimpern eine Thräne, und eilte ihnen mit verstellter Lust zu.

Zweites Kapitel.
Das Willkommen.

Willkommen!“ rief der ehrwürdige Graf von Gabonne indem er unserm Betrübten entgegenwankte, und ihn mit Jünglingskraft an seine Brust drückte. „Fast verzweifelten wir an Ihrer Heimkunft; aber — so ists recht! — nun ist die Reihe an uns, Ihre Liebe zu vergelten. Was Wetter — mir ists, als hätten Sie eine Thräne in den Augen. — Was will der ungebetne Gast in diesen Wohnungen der Freude? Weg mit ihm, wenn Freude nicht seine Mutter heißt!“

„Gewiß heißt Freude seine Mutter — ich bin ja wieder unter den Meinigen; ich sehe ja meine Lieblinge in der Welt alle wieder beisammen, und Sie an der Spitze derselben!“

„Seyn Sie uns gegrüßt, Wandersmann!“ jauchzte der wackre Commendant Silberot, und schüttelte Florentinem herzlich die Hand: „haben Sie sich endlich müde geschwärmt? — Nach der Arbeit ist die Ruhe süß! — Ich will nun auch ruhn, von meiner Arbeit. Mein Haar ist weiß worden; meine Kräfte erlahmen. — Wie gefällt Ihnen hier die Gegend?“

„Sie ist romantisch!“ antwortete Florentin.

„O, da sollten Sie sie nur erst näher kennen lernen. Ein irrdisches Paradies blüht hier. Da sind Wälder, Felsen, Thäler, Seen, Wiesen, Bäche in einer prächtigen Mischung durcheinander geworfen, daß es eine Lust ist, anzuschaun; und nun, wissen Sie was neues? Hier werd’ ich mir eine Hütte baun, und mich ansiedeln, und wohnen darin mein Lebelang. Commendant bin ich nicht mehr!“

„Ich wünsche Glück!“ lächelte Duur.

„Ihm nicht allein!“ unterbrach ihn der sanfte Gobby. „Mein Wohnhaus lehnt sich dicht an meines Silberots Hütte. Ich wohne mit ihm hier, bis er mit meiner Asche eine Urne füllt. Willkommen indessen, Herr Revolutionair, haben Sie nicht auch Kanella besucht, um die Eitelkeit des menschlichen Dichtens und Trachtens zu bejammern?“

„Nein, nimmermehr wär ich dahin gegangen! Es ist ja nichts mehr daran gelegen, ob die Staaten einen Freiheitshut, oder eine Fürstenkrone im Wapen führen; die Bürger dieser Welt sind von den Tändeleien längst zurückgekommen, und ich mit ihnen!“ sagte Florentin, und schloß den liebenswürdigen Greis in seinen Arm.

Indem er ihn küßte, hatten sich die Damen allmählig rings umher versammelt. Eine derselben hielt ihm die Augen zu. Errathen sollt’ er ihren Namen, er rieth her und hin und errieth ihren Namen nicht. — Sie ließ los.

„Ach, Gott, Idalla! Idalla!“ rief Florentin mit lebhafter Freude, und drückte das liebe Weib an sein Herz, als wär es seine Schwester.

„Endlich hat man Dich wieder, Du lieber Irrgeist, endlich!“ stammelte Idalla, voll herzlicher Rührung, und ein helles, schönes Thränenpaar funkelte in ihren Augen.

„Sieh mich nur an, Du Irrgeist, und sage mir, wie hast Du so lange fern leben können von Deinem Karlchen, von Holder und mir. Ach, tausendmal haben wir Dein gedacht an jedem Tage, und tausendmal heim Dich gewünscht zu unsrer Insel! Und Du bist nicht gekommen.“

„Nun bleib ich ewig bei Dir; nun will ich Dich nicht wieder verlassen, bis der Tod einen von uns abruft.“ Antwortete Duur und sank ihr von neuem in die Arme.

Karlchen umklammerte izt seinen Leib, und rief „Vater! Vater!“ ihm zu.

„O das ist der Seligkeit zu viel auf einmal!“ jauchzte Duur, und hob den lieblichen Knaben zu sich empor und hielt ihn Minutenlang und konnte sich an ihm nicht satt sehn, satt küssen, satt freuen.

„Aber mich wirst Du doch nicht ganz übersehn und vergessen wollen?“ tönte eine andre Stimme seitwärts. Holder, der alte treue Reisegefährte durch Leben und Tod, Holder eilte ihm mit weit ausgebreiteten Armen entgegen. —

„Nein!“ rief Duur: „wie sollt’ ich Dich übersehen, Dich meinen Genius in zweien Welten, meinen ältesten und zärtlichsten Freund! — O Holder, Holder, wieviel hab’ ich Dir zu erzählen; die Wunder dieses Zeitalters sind es werth, daß man ihrentwillen fünf Jahrhunderte verschläft; sie müssen selbst gesehn und erfahren werden, denn in der besten Beschreibung verlieren sie an Glanz, und bleiben dennoch unglaublich.“

„Desto besser, daß Du mein Referent seyn wirst, denn Dir glaub’ ich mehr, als zehn beeidigten Zeugen.“

„Auch, Bruder, auch Rikchens, Deines Rikchens Grab, — auch meines theuern Oheims Burg und Grab, den Schauplatz meiner Jugendspiele habe ich aufgesucht; und in seiner wilden Verwandlung kaum wieder entdeckt. Das alte Duursche Schloß ist izt ein kleiner Hügel verwitterten Gesteins vom Fundament; die Gräber, ihre Spuren, sind verweht.“

„Dies wäre grade noch für mich das Sehenswürdigste gewesen.“

Indem sie sprachen, und die drei biedern Greise, Gabonne, Gobby, Silberot sich in das trauliche Geschwätz mischten, erschien Idalla seitwärts, an ihrem schwesterlichen Arm gelehnt, verschämt und selig — Imada.

Duur erblaßte, als er seine Augen aufschlug und sie erkannte; ein brennendes Roth flog dann wieder über die Leichenfarbe seines Angesichts; er konnte kaum sich nur ermannen, kaum einge Höflichkeiten stammeln, kaum einen Kuß mit starren Lippen auf ihre Hand pressen.

Da stand sie nun vor ihm, die ihn allein zum Gott auf dieser Welt hätte machen können, und welche nicht die Seine werden konnte, und wollte; stand vor ihm, angethan mit allen Liebreiz, welche Jugend und Harmlosigkeit, Kunst und Natur verschwenden können; stand vor ihm, bebend und schweigend und erröthend, und sah ihn an mit einem Blick, der so unaussprechlich mild und verführerisch war und doch nicht das verheissen durfte, was Florentinen allein nur glücklich machen konnte.

Eingedenk der lezten, sonderbaren Unterredung in der Nacht, beim Schimmer des Todtenfeuers, wagte ers auch nicht, nur mit einem einzigen Blick, die quälenden Empfindungen verrathen zu geben, welche in seinem Innern tobten.

„Und so kalt?“ fragte Gabonne, der lächelnd ihnen beiden zur Seite stand: „Pflückt Rosen, so lange Ihr dürfet! — hurtig, ich weiß, daß Ihr im Leben das Küssen nicht verschworen habt, gebt Euch Küsse, eh’ der Bräutigam kommt und dem Spiel ein Ende macht.“

Er schloß beide in seine Arme. Erröthend näherten sie sich einander unter dem sanften Zwange; ihre Lippen hingen unauflöslich in einem entseelenden Kusse zusammen.

„Es verdrießt mich doch, daß die Dinge solch’ einen Gang nahmen!“ brummte der silberlockigte Gabonne halb freundlich, halb böse: „würdet Ihr beiden Leutchen nicht das beneidenswürdigste Ehepaar auf Erden geworden seyn, wenn — — — Doch, vergangene Dinge sind nicht zu ändern. Aber lieb wär mirs doch gewesen, wenn Ihr Beide so eins geworden wäret!“

Florentin warf einen schwermüthigen Blick auf den plaudernden Alten. Imada lächelte. Duur seufzte.

An Josselins Arm erschien, blühend wie eine Frühlingsrose Rosalia. —

Mit schwesterlicher Unbefangenheit umarmte sie ihren Professor der Alterthumskunde, und half ihn, wie im Triumpf, sie auf der einen, Imada auf der andern Seite, einführen in die Burg des Grafen von Gabonne.

„Wo ist Ihr Bräutigam?“ flüsterte Duur unterwegs Imada’n ins Ohr.

„Noch ist er nicht hier,“ antwortete sie: „er kennt Sie sehr gut und liebet Sie herzlich. Aber hüten Sie sich doch etwas vor ihm, denn er soll sehr eifersüchtig seyn. Bis dahin wollen wir beide unter uns allen Zwang vergessen.“

Drittes Kapitel.
Die Flucht.

Sie traten ins Schloß des Grafen von Gabonne. Leben und Freude theilte sich allen Versammelten mit; nur Florentin war allein der einzige, welcher bei allem Vergnügen düster und mißmüthig blieb. Vergebens waren alle Aufmunterungen; er konnte nicht froher werden.

An seinen sehr erklärlichen Trübsinn schloß sich eine neue Art des Mißvergnügens, welche aus der unangenehmen Bemerkung entstand, daß man sich im Grunde auch nicht zu viel Mühe zu geben schien, seine Aufheiterung zu bewerkstelligen, sondern sich sogar unter einander, lachend und flüsternd, wie heimlich, verband, ohne ihn in diesen Kreis einzuschliessen.

„Der Leidende ist der einzige Ueberflüssige in der Gesellschaft der Fröhlichen!“ dachte er bei sich und der Plan war entworfen, der Entschluß gefaßt, mit einbrechender Nacht wieder davon zu reisen, bis die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber wären, und dann zurückzukommen, um den Heimweg nach Idalla’s Insel anzutreten.

Er ging hinaus; der Fuhrmann ward in aller Stille bestellt; er kam zurück und stellte sich froher.

Der Abend schlich allmählig vorüber. Um den künftigen Morgen desto besser zu geniessen, beschloß man ein frühes Zubettegehn.

„Gute Nacht!“ sprach beim Abschiede der freundliche Graf von Gabonne zu seiner Nichte: „morgen hast Du einen andern Freund, einen andern Beschützer an Deinem Gemahl. — Heut hab’ ich die Rolle zum leztenmal gespielt, und ich bins sehr zufrieden. Wahrhaftig, nichts ist gefährlicher, als ein Mädchen zu hüten; ich hätte bei meiner Ritterschaft leicht einmal das Leben eingebüßt.“

„Das Leben?“ fragte Holder.

„Es war kein Scherz.“ antwortete der Graf: „aber eben der fatalen Begebenheit hat Imada ihre erste Bekanntschaft mit unserm Florentin zu danken. — Im lezten Kriege hatte Imada das Unglück, von den Feinden in ihrem verwaisten, väterlichen Schlosse überfallen und gefangen zu werden. Es geschah dies nicht ohne Absicht. Der feindliche General war ein alter Liebhaber meiner Nichte. Weil der Himmel aber keine Sünde unbestraft läßt, so fügte ers, daß der General bei einer Rekognoscirung grade in meine Hände fiel. Ich ward zwar dabei verwundet, allein er mußte sich nun mit seiner Geliebten ranzioniren; aber ehe er den Vertrag unterschrieb, ward Imada als Deserteur, in männlicher Kleidung, zu uns ins Lager gebracht. Niemand war froher, als ich; sobald ichs durfte, rüstete ich einige Luftgondeln aus, um meine Beute in eine entfernte Gegend zur Sicherheit zu bringen. Unterwegs erhielten wir die Nachricht vom Friedensschluß, vom Zurückzug der Armeen, und wir begaben uns also hieher nach Mont-Rousseau, wo wir denn vor weitern Anfechtungen geschüzt waren. Auf der Reise nach Mont-Rousseau fand Imada unsern Florentin, wie einen Arkadier im Holze.“

Man scherzte noch vielerlei über das gefährliche Abentheuer; besonders gab Imadas Heroismus, in Mannskleidern aus dem feindlichen Lager zu entwischen, zum Lachen manchen Stoff. Nur Florentin nahm keinen Theil daran, indem er selbst schon mit dem Plan seiner Flucht zu sehr beschäftigt war.

Die Freunde schieden aus einander; jeder erhielt sein Zimmer; Florentin schrieb einige Zeilen, worin er seinen Schritt rechtfertigte, und als er alles im tiefen Schlafe wähnte, machte er sich auf, und entkam glücklich aus dem Schlosse.

Es war eine schöne Mondscheinnacht. Er hatte den Fuhrmann befohlen seiner am Ende der Allee zu erwarten. Wie erschrak aber unser Flüchtling, als er Pferd’ und Wagen nicht weit vom Schlosse stehend fand! Wie leicht konnt’ er hier entdeckt werden!

Um keine Zeit zu verlieren, eilte er sogleich zum Wagen und warf sich hinein.

„Um Gotteswillen, wer ist hier?“ rief er bestürzt, als er eine weibliche Figur neben sich erblickte, die er in Angst und Eil nicht gesehn hatte.

„Eine Reisegefährtin!“ lispelte ihm eine süße Stimme zur Antwort.

Duur war ausser sich. Imada selbst sas neben ihn. Seine Flucht war verrathen durch die Unvorsichtigkeit des Fuhrmanns.

In größerer Verwirrung und Bestürzung hatte Florentin sich nie befunden. Er konnte kaum ein Wort zu seiner Entschuldigung hervorstammeln. Er fürchtete die bittersten Vorwürfe, aber — Imada lächelte.

„So haben wir nicht gewettet!“ sagte sie in einem scherzenden Tone. „Nicht so, die Geschichte von meiner Desertion hat sie verführt?“

„Imada!“

„Nein, so entrinnen Sie nicht. Hier stehn Weiber auf der Wacht, und mich hüteten nur Männer damals, die ihr Geschäft handwerksmäßig betrieben. Weiber, wissen Sie ja wohl, sind in solchen Fällen wegen ihrer Schlauheit berühmt.“

„Sie sind grausam mit Ihrem Spotte.“

„Wollen Sie sich ergeben?“

„Ihnen? o wie gern!“

„Auf Gnad’ und Ungnade?“

„Ich muß.“

„Und zugleich gestehn, warum Sie uns so ohne Abschied entrinnen wollten?“

„Um glücklicher zu sein, wenn ich mich und meinem Kummer selbst überlassen war. Ich wollte die Gesellschaft der Fröhlichen nicht stören.“

„Welcher Kummer quält Sie?“

„O Imada, können Sie noch fragen?“

„Allerdings. Hab’ ich Ihnen von Ihrem Aufenthalte bei uns nicht alles Lieb’ und Gute verheissen?“

„Aber nur das nicht verheissen, was mich in der Welt allein glücklich machen, und mit meinem unglücklichen Leben allein aussöhnen könnte.“

„Lieben Sie mich wirklich?“

„Imada — zweifeln Sie wirklich?“

„So kommen Sie, ohne daß uns eine Seele bemerkt, sogleich wieder ins Schloß zurück.“

„Lassen Sie mich fliehn. Ich fürchte den morgenden Tag. Ich kann diesen schrecklichen Tag unmöglich in Ihrer Gesellschaft überleben. Lassen Sie mich fliehn.“

„Sie wollen also davon, und wissen doch, wie unaussprechlich theuer Sie mir sind? — Nun, so muß ich Gebrauch von meiner Gewalt machen. — He, herbei! der Deserteur ist gefangen!“

Kaum hatte sie diese Worte gerufen, als lachend die ganze Schaar, welche Florentin längst im tiefsten Schlummer glaubte, aus dem Schloßthore hervoreilte, Josselin, Gabonne, Holder, Gobby, Silberot und die Damen.

Florentin, umringt von der scherzenden Menge, welche ihn mit freundlichen Vorwürfen bestürmte, mußte sich gern oder ungern zum Kriegsgefangnen ergeben.

„Es schlafen nicht alle, welche die Augen verschliessen!“ rief lachend der alte Gabonne: „Glauben Sie nicht, daß ich in meinem eignen Hause ein sorgloser Commendant sey. Ihre Flucht war mit verrathen, als Sie den ersten Schritt zur selbigen gethan hatten — morgen soll Kriegsrecht über Sie gehalten werden. Jezt sind Sie unser Gefangner.“

Florentin, immer verlegner, mißmühiger, doch zu discret, um den gutmüthigen Scherz zu verderben durch seinen Ernst, stotterte nur Entschuldigungen.

„Seyn Sie ruhig, lieber Deserteur!“ sagte der Graf: „Ich muß Ihnen offenherzig bekennen, daß Sie mir durch ihre Desertion noch liebenswürdiger geworden sind, und dies wird Ihre Strafe morgen sehr lindern. — Verlassen Sie sich darauf. Inzwischen, damit Sie mir nicht den Versuch zur Flucht in dieser Nacht wiederholen, so sollen Sie eine Wache von eitel Frauenzimmern empfangen. — Rechts und links neben Ihrem Zimmer liegen die Schlafzimmer von unsern Damen. Wollen Sie also entfliehn, so müssen Sie erst vor den Betten Ihrer Wächterinnen vorüber. Und wehe Ihnen dann!“

Man brachte ihn wie im Triumpf zurück ins Schloß. Holder sah seinem niedergeschlagnen Freund lächelnd ins Gesicht, sprach zwar kein Wort, aber blinkte ihm mit den Augen Muth zu.

Die Greise übergaben den versammelten Damen, zu welchen sich auch mehrere Fremde gesellt hatten, den Gefangnen feierlich in Verwahrung. — Diese führten ihn nun, als Siegerinnen, die Treppen hinauf, in sein schönes Gefängniß, vor welchem sie selber die Wacht halten sollten.

Jede empfahl sich ihm mit einem Kuß der Versöhnung — Imada war die lezte.

„Ich habe sie nicht verdient, diese Liebe diese peinigende Freundlichkeit!“ rief er: „ich kann sie auch nicht erwiedern. — O Imada, wie wäre der Schluß im Roman meines Lebens so schön gewesen, wenn Ihre Liebe mich schadlos gehalten hätte für die unzähligen Leiden, die ich trug.“

„Lieb ich Dich nicht, Flüchtling?“ flüsterte sie, und es schauerte ihm warm durch sein ganzes Wesen bei dem vertraulichen Du.

„Aber morgen?“

„Morgen?“

„Verlier ich dies Herz, diese Hand und das vertrauliche Du. Doch ich wills erwarten. Sehn will ich den Mann wenigstens, welchen Imada zum irrdischen Gott macht.“

„Hättest ihn beinah nicht gesehn. Er ist zwar schon gekommen — — —“

„Schon hier?“

„Freilich. Allein, da er ankam, ließ er sogleich wieder umwenden, als er von Deiner Anwesenheit hörte. Er ist wirklich eifersüchtig; ich hätt’ es, seinem Alter nach, nicht von ihm geglaubt. Mühsam gelang es mir, ihn fest zu halten.“

„Ach hättest Du — — —“

„Ihn laufen lassen. Nicht so? Nein, Wort muß man halten. Sieh, ich will mich theilen. Meine Person gehört ihm ein für allemal an; Dir aber meine Liebe, mein Herz?“

„Wolltest Du das? Könntest Du das? Nein, Imada, ich wills, ich kanns nicht. Gieb Dich ihm ganz hin. Erinnre Dich, was Du sprachest, als wir unverhofft uns im Garten bei der Todtenfeier fanden vor einigen Wochen.“

„O Florentin, wir Weiber schwatzen manches, von dem unser Herz keine Sylbe soufflirt hat. Worte sind nicht immer der Wiederschall unsrer Empfindungen und Wünsche. — Dabei bleibts. Morgen siehst Du meinen künftigen Gemahl, und er soll seinen beglückten Nebenbuhler sehn. Ich hoffe, Ihr werdet Beide in freundlicher Eintracht mit einander leben. Damit er aber nicht Ursach hat, vor der Zeit eifersüchtig zu werden ohne Noth, so sag ich izt: Florentin, gute Nacht! Denn wenn er erführe, daß seine Braut um Mitternacht mit Dir allein in einem Zimmer kosete: so möchte ihm dies doch nicht die besten Gedanken erregen.“

Bei diesen Worten schmiegte sie sich freundlich an ihn. Florentin nahm Abschied in einem langen süßen Kuße — Imada entwischte, und mit unruhigem Herzen schlummerte, träumte und wachte alles dem kommenden Morgen entgegen.

Viertes Kapitel.
Der Bräutigam erscheint.

Die Natur feierte einen Festtag; duftiger, erquickender strahlte das mannigfache Grün herab von Bäumen, Gebüschen und Hügeln; schöner sangen die kleinen Sänger in den düstern Hecken und unter des Frühhimmels azurnem Gewölbe; majestätischer erschien der Sonne Aufgang am flammenden Horizont, in jeder Sekunde mit verwandeltem Farbenspiele an dem schwebenden Gewölk. —

Florentin verließ das Bett; er eilte dem Fenster zu, um sich zu laben an dem erquickenden Anblick der aufwachenden Landschaft. Der emporsteigende Duft von Blumen und Kräutern, die im Morgenschimmer verklärten Gestatten einer anmutigen Gegend, alles machte einen wundersamen, wohlthätigen Eindruck auf sein Herz.

Er fühlte sein ganzes Wesen leichter, ruhiger sein Herz und abgeschieden von aller Leidenschaft. Er sah die Bilder der gestrigen Nacht, des gestrigen Tages, der ganzen stürmischen Vergangenheit, wie einen zurückgelegten Traum in nebelhafter Ferne noch schweben vor seinem Geist.

Ihm wars so wohl in dieser Verwandlung; sein lebendigster Wunsch wars izt, daß diese liebliche Wiedergeburt nicht das vergängliche Spiel einer angenehmen Morgenlaune seyn möchte. — Er war so zufrieden mit sich, er hätte — beten mögen.

Was hätt’ er darum geben mögen, wenn er diese feierliche Stille in seiner Natur mehr einem philosophischen Siege seines Geistes über die rebellische Sinnlichkeit, als der einstweiligen Disposition seines Körpers zu danken gehabt hätte!

Bald darauf wards neben ihm in den Zimmern lebendiger. Er hörte das Flüstern und verstohlne Gelächter der Damen. Es dauerte nicht lange, so öffneten sich von beiden Seiten die Thüren.

Umringt von blühenden Jungfrauen erschien Imada, in einem einfachen Morgenkleide, einen lebendigen Blumenkranz durch das freischwebende Haar geschlungen.

Sie war nicht mehr Imada, sie war eine Göttin in allen ihren Bewegungen. Mit Seligkeit und Liebe umkleidet schienen die übrigen Mädchen und Weiber nur Reize von ihrer Nähe zu erborgen — eine Sonne unter leuchtenden Gestirnen, wandelte sie.

Florentin bebte ihr näher. Der süßeste Morgengruß ward gegeben und genommen. Florentin war entzückt, aber er ahndte es, wie bald dies Entzücken Verzweiflung werden würde.

„Im Namen meines Oheims und der übrigen lieben Gesellschaft befehle ich Ihnen, als meinem Gefangnen, mir zu folgen, um für Ihre gestrige Flucht Red’ und Antwort zu geben, und Urthel und Recht zu empfahen, als es billig ist!“ sagte Imada lächelnd.

Florentin wollte der Holdseligen eine Antwort geben, aber Imada winkte; Idalla und Rosalia ketteten sich an seine Arme und führten ihn, als einen Staatsverbrecher, mit muthwilligem Ernste davon.

Sie führten ihn hinab zum Verhör; eine hohe Thür sprang vor ihnen auf; Florentin stand in einem großen Säulensaal, voll königlicher Pracht. In der Ferne ein Altar, mit brennenden Kerzen; von beiden Seiten eine zahlreiche Versammlung.

Freundlich begrüßte sich unter einander die Menge, aber bald trat die vorige, feierliche Stille wieder ein.

Der Graf von Gabonne trat lächelnd in die Mitte der Versammlung, kündigte nochmals die Vermählung Rosaliens und Imada’s an, sprach darauf von Florentins frevelhaften Beginnen, in der Nacht zu entfliehn, und kündigte ihm im Namen der Gesellschaft, im Fall er Besserung geloben wolle, Erlassung der schweren, wohlverdienten Strafe an.

„Aber,“ fuhr der liebe Greis in seinem feierlichen Sermon fort: „aber da wir, die wir hier um Dich, Flüchtling, versammelt stehn, wir Gabonne, Gobby und Silberot, Josselin und Rosalia, Holder und Idalla beschlossen haben, in dem romantischen Reviere Mont-Rousseaus fernerhin zu wohnen, gemeinsam uns einträchtig, bis der Tod das Band unsrer Gesellschaft auflösen wird, — da wir befürchten müssen, daß Du Deine Versuche zur Flucht erneuern möchtest; so diktiren wir Dir hiemit eine ewige Gefangenschaft!“

„Um selbst sichrer zu seyn, vertrauen wir Dich ganz besonders der Wachsamkeit unsrer Imada an, und binde ich Dich durch dieses Wort auf ewig an sie!“

Florentin horchte, und traute seinen Sinnen nicht. Er war am Ziele, mit welchem man ihn überraschte, da er sich am fernsten von ihm glaubte. Er hörte nichts, er fühlte nichts mehr. Sprachlos sank er in Gabonnens und Imadas Arm; träumend stand er mit Imada, an Josselins und Rosaliens Seite vor dem Altar, und empfing er den Segen des Greises Gabonne.

„So, Vinzenz!“ rief Gobby lächelnd: „lohnen Dich die schwarzen Brüder!“

Betäubt, entnervt vom gewaltsamen Gefühl seines unaussprechlichen Glücks sank er in Holders offnen Arm. Imada küßte ihn als Weib, und Josselin rief: „Segen über diesen Augenblick! so wollen wir gründen die Colonie der Glücklichen!“

Fünftes Kapitel.
Epilog an die Leser.

Der Vorhang fällt; das Schauspiel ist geschlossen! — Man legt das Buch zurück; man rümpft die Nase, spizt den Mund, und sinnt auf ein Bonmot. Der Kritiker schnizt seine Feder, um das Märchen, welches ich auf gutes Glück erzählte, nach Gebühr zu würdigen und zu verdammen. — Ich sehe allenthalben krause Stirnen, keiner will mir einen stillen Dank entgegenlächeln.

Wohlan, es sey; ich habe nichts dagegen. Vergessenheit sey meines Buches Loos. — Auch Tadeln macht Vergnügen, denn es giebt dem Gefühl unsers Besserseyns zweifaches Leben.

Wer aber in den Labyrinthen meiner Träumerein ein frohes Stündchen schlagen hörte; wem ich durch mein Geschwätz nach ernstern Geschäften den Augenblick der Ruh versüßte; wer bei den Abentheuern meiner Helden sein eignes Leid auf einge Zeit vergaß; wem hie und da ein frommer Wink, ein Wort aufs Herz, wie Funken auf den Zunder fiel, — der zürne wenigstens mir nicht, daß ich nichts bessers gab.

Ich hätte freilich manches — manches Gemälde noch aus dem drei undzwanzigsten Jahrhundert liefern können: das Feld war groß, der Beute viel; allein ein andrer mag den Faden nehmen und die Erzählung weiter spinnen, ich schweige still und höre selber zu.

Fußnoten

1)
Die Geschichtsklitterer des drei und zwanzigsten Seculums hatten auf diese Weise noch viel Aehnlichkeit mit ihren Brüdern des achtzehnten Jahrhunderts.

 

 

 

Anmerkungen zur Transkription

Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt. Die kräftig variierende Schreibweise, Grammatik und Interpunktion des Originales wurden unverändert beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






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     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
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     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
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     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

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forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
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of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
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Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
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liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
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LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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